Neue Details zum Fall Freistühler: 1991 verstorbener Priester und Schulleiter missbrauchte mindestens 25 Kinder und Jugendliche

Nachdem das Bistum Münster im Mai 2023 Missbrauchsvorwürfe gegen den 1991 verstorbenen Priester Alfons Freistühler veröffentlicht hatte, meldeten sich zahlreiche weitere Betroffene und Hinweisgeber bei der Interventionsstelle des Bistums. Aufgrund der Fülle der neuen Meldungen ist ein bereits bestehendes Dossier zu den Missbrauchsvorwürfen aktualisiert und nun vom Bistum veröffentlicht worden. Erstellt wurde das Dossier von dem Historiker Dr. Bernhard Frings, der nicht verwandt oder verschwägert ist mit dem Interventionsbeauftragten des Bistums Münster, Peter Frings.  Die Veröffentlichung erfolgt in Absprache mit der in Gründung befindlichen Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Bistum Münster.

Das Grab des ehemaligen Schulleiters am sogenannten Pfarrerrondell auf dem Klever Friedhof (Foto J. Kruse)

Ende 2022 hatte sich ein Betroffener beim Bistum gemeldet, nachdem er sich in der Propsteipfarrei St. Mariä Himmelfahrt Kleve die im vergangenen Jahr veröffentliche Studie ausgeliehen hatte. Bischof Dr. Felix Genn hatte die Studie Ende vergangenen Jahres an alle Pfarreien im Bistum schicken lassen. In der Studie fand der Betroffene keinen Hinweis auf diesen Priester. Er wandte sich daraufhin an Propst Johannes Mecking, der umgehend den Kontakt zum Interventionsbeauftragten des Bistums Münster vermittelte. Darüber hinaus hatte sich 2021 ein weiterer Betroffener beim Interventionsbeauftragten gemeldet. In dem Dossier wird deutlich, dass der Fall des ehemaligen Direktors des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums in Kleve zwar auch in die vom Historischen Seminar der Universität Münster zur Aufarbeitung des Missbrauchs im Bistum aufgestellten Studie eingegangen ist, allerdings nur quantitativ und ohne Namensnennung.

Nach Veröffentlichung des Falls in den Medien gab es bis zum September – dieser Datenlage entspricht das Dossier – elf weitere Meldungen von Betroffenen und sogenannten Wissensträgerinnen und -trägern mit konkreten Vorwürfen. Nach Auswertung der Vorwürfe wird im Dossier das Fazit gezogen, dass Freistühler zwischen ca. 1960 und den frühen 1980er-Jahren weitgehend während gemeinsamer Urlaube, in seinem Klever Haus, in einem Pfarrhaus und in seinen Schulbüros Missbrauch an mindestens 25 Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 16 Jahren beging, wobei Doppelzählungen nicht auszuschließen seien. Von den 25 Kindern seien fünf Mädchen gewesen. Die mutmaßlichen Taten reichten laut Akten von grenzverletzendem Verhalten, über Nacktfotos bis zur Manipulation der Genitalien und riefen bei mehreren Betroffenen teils schwere psychische Beeinträchtigungen vor.

Das Dossier umfasst 18 Seiten und deckt auf, dass es zwar Hinweise und Gerüchte um Freistühler gab, es allerdings keine oder zumindest keine eindeutigen Hinweise auf missbräuchliches Verhalten des Priesters, der bis 1986 offiziell Geistlicher der Erzdiözese Paderborn war, in den Personalakten der Schulbehörden oder des Bistums Münster gab. Offenbar verhinderten lange Zeit die Position als Priester und Schuldirektor und  vermutlich Scham, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten oder das Bistum zu informieren. Einen konkreten Hinweis erhielt der damalige Bischof Reinhard Lettmann Ende der 1980er-Jahre durch den Brief eines Betroffenen. Über die Reaktionen darauf gibt es, auch das wird im Dossier dargestellt, unterschiedliche Ansichten. Der Priester, der zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt war, wurde jedenfalls entpflichtet, durfte aber in Kleve wohnen bleiben. Eine Entschuldigung gegenüber dem Betroffenen blieb aus. Bereits 2010 hatte die Missbrauchskommission des Bistums nach Meldungen durch drei Betroffene recherchiert, damals erfolgte jedoch keine Veröffentlichung.

Altehrwürdiges Gemäuer mit dunkler Vergangenheit: Freiherr-vom-Stein-Gymnasium

Freistühler war von 1970 bis 1980 als Studiendirektor am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Kleve tätig. Der beschuldigte Priester war seit 1971 auch als Seelsorger in Reichswalde eingesetzt und war von 1980 bis 1988 Pfarrverwalter in Keeken und Bimmen. Weitere Betroffene oder andere Menschen, die Angaben machen möchten, können sich direkt an die Interventionsstelle oder an die Ansprechpersonen bei Fällen sexuellen Missbrauch wenden.

Alle Kontaktdaten sind auf der Internetseite des Bistums zum sexuellen Missbrauch zu finden: www.bistum-muenster.de/sexueller_missbrauch – dort ist auch das Dossier abrufbar.

Der 18-seitige Bericht nun auch hier verfügbar: Dossier Freistühler (Autor Dr. Bernhard Frings)

kleveblog berichtete nach Bekanntwerden des Falls im Mai dieses Jahres mehrfach darüber. Hier die Links zu den früheren Berichten:

Freiherr-vom-Stein-Gymnasium: Missbrauchsvorwürfe gegen früheren Direktor – 14 Betroffene?

Fall Freistühler: Ein ehemaliger Schüler des Stein-Gymnasiums schildert, was damals geschah

„Die mich begleitenden Neffen sind wirklich gute und prachtvolle Jungen…“ – die merkwürdig klingenden Briefe des Schulleiters Alfons Freistühler

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9 Kommentare

  1. 9

    Insgesamt ein schwach( recherchiert)es, oft nur im Vagen bleibendes Dossier betreffend des Wirkens des Herrn Alfons F. in Kleve! Sowohl von Seiten des Bistums als auch von Seiten der Klever Kripo, die dieser Fall wegen des lange zurück liegenden Ablebens des Herrn Alfons F. vermutlich auch nicht so richtig interessiert hat. In dem Dossier fehlt nicht nur eine (durchaus existierende) Synthese, die den so empfundenen Gang eines Betroffenen durch das Lehrerzimmer im ersten Stock in das Direktorenzimmer im Erdgeschoß zusammenbringt und erklärt. Sondern es darf auch bezweifelt werden, dass in dem Dossier die tatsächliche (unter heutigen Gesichtspunkten gesehen sehr wahrscheinlich höhere) Anzahl Betroffener richtig wiedergegeben ist – von der ohnehin mangelnden Klärung der erwähnten, potentiellen Doppelzählungen mal abgesehen. Und dann fehlt auch noch jeglicher Hinweis auf diverse, durchaus strafrechtlich relevante (aber heute natürlich verjährte) Fälle der üblen Nachrede (ja sogar dreisten Lüge) zur „Ausbremsung“ von Personen, die er (Herr Alfons F.) offensichtlich als gefährlich für sein Wirken ansah. Mit der Wahrheit hatte es Alfons F. jedenfalls nicht so, wenn sie nicht vorteilhaft für ihn war.

     
  2. 7

    Und wir reden jetzt über eine Schule. Wie viele betroffene gibt es, bei denen schon im kleinsten Familienkreis die Mutter weggeschaut hat. Ich kenne einige Fälle. Als Kind war man damals ausgeliefert, wenn es schlecht lief. Bodo Kirchhoff hat ebenfalls darüber ein sehr eindrückliches Buch geschrieben. Freistühler ist ein Exempel für so vielen sexuellen Missbrauch, im kleinen wie im großen. Was ich damit nur sagen will: es hat sich damals niemand für das Wohl von Kindern die Hände verbrannt. Absolut niemand. Als Kind war man Prellbock, Opfer, Objekt.

     
  3. 6

    Ein bedrückendes Bild über sexuellen Missbrauch innerhalb einer Familie vermittelt übrigens das letzte Buch von Hiltrud Leenders. Es ist heute immer einfach die Menschen an den Pranger zu stellen, die damals etwas geahnt oder gesehen und nichts gesagt haben. Wenn man früher zu Hause erzählt hat, dass der Onkel einen unsittlich angefasst hat, hatte dies meistens eine flatsche zur Folge, jedoch selten Verständnis und ein offenes Ohr. Ich weiß, wovon ich rede. Dies kann man auch sinngemäß auf eine Schule übertragen. Dies sollte man auch immer vor Augen haben, bevor man Menschen verurteilt, die nicht eingeschritten sind oder geholfen haben. Es ist halt immer einfacher wegzuschauen, als sich selber ins Feuer zu stellen

     
  4. 5

    Das Problem ist immer: es war eine andere Zeit. Was absolut nichts beschönigen soll. Damals den Hintern in der Hose zu haben und das zur Sprache zu bringen hat einem mehr Feinde als Freunde gebracht. Leider war sexueller Missbrauch zu dieser Zeit kein Thema, das groß an die Öffentlichkeit kam. Es wurde in Familien totgeschwiegen, es wurde an Schulen totgeschwiegen. Umso besser, dass die Dinge heute aufgearbeitet werden, es ändert jedoch nichts am Leid der Betroffenen. Manchmal ändern sich mit der Zeit auch mal Dinge zum Guten, allerdings lässt sich an vielen aktuellen Diskussionen erkennen, dass wir am schlechten Charakter und schlechten sexuellen Neigungen nichts ändern können. Der Mensch ist halt ein Abfallprodukt der Natur.

     
  5. 4

    Von 1978 bis 1985 war ich auf dieser Schule….
    Angenommen – als vermeintlicher „Rebell und Querulant“ aus dem Ruhpott – wurde ich nur durch die Fürsprache einer katholischen Nonne – Sr. Hedwig – …
    Direktor Freistühler drückte mich bei Aufnahme herzlichst an seine Brust, offenbarte mir sonnigste Stunden mit ihm – Jedoch hatte ich wohl das Glück, und den Schutz Sr. Hedwig, dass mir persönlich nie etwas erfahren ist, was viele ( Wohl eher als 25..?) erfahren mußten. Danach hatte ich null persönlichen Kontakt zu Freistühler…

    Zum Leherkollegium:
    Pardon – Meiner Einer war, nur auf Grund einer 10-minütigem Begegnung, mindestens irritiert von Freistühler…dachte aber nicht weiter drüber nach…Es geschah auch weiter nichts.
    Ich kann mir aber nicht ausmalen, welche meiner damaligen Klassenkameraden er vielleicht mißraucht hat und die heute noch darunter leiden….

    Mal so im Rückblick:
    Wieviel LehrerInnen, Angestellte der Schule haben „weg – gesehen“, „ignoriert“ zwischen 1970 und 1980…???!
    WOW – das dürfte in etwa das gesamte Lehrer-Kollegium sein….Denn Anzeichen/ Zweifel gab es wohl von Anfang an, wenn man dem Bericht des Bistums Münster glauben darf…..
    Und Niemand aus der Lehrerschaft hinterfragte mal was ernsthaft!

    Wieso auch immer – hatte ich auf dem Stein stets, oder meistens, verständnissvolle LehrerInnen, die es mir ermöglichten meine Kreativität aus zu leben…DAS hat mich gefördert!
    Nichts gegen Stein – aber Gesamatschule ist besser: Nicht jeder wie ich ist so immun gegenüber einer
    „klassififierten“Schule wie dem „Stein…

     
  6. 2

    Dank an kleveblog nochmal für die Beiträge und Dokumentation zum Fall. Auch die Diskussion dazu war insgesamt eine der besseren hier.

     
  7. 1

    Am vergangenen Freitag war die Grabplatte immer noch auf dem Klever Friedhof vorhanden. Ohne Hinweis auf die abscheulichen Verbrechen, welche von ihm begangen wurden.

    Wann wird diese Platte endlich entfernt? Oder wann wird eine Tafel angebracht, die über diesen „Geistlichen“ informiert?