Echt jetzt? Eine wunderbare Ausstellung im Museum Kurhaus Kleve zeigt nicht nur Originale – und gibt dem Besucher eine Säge an die Hand

Wer hat sich nicht schon mal Kirschen an die Ohren gehängt?

Eine wunderbare Ausstellung im Museum Kurhaus Kleve erschließt den Besuchern ab Sonntag die Welt des mittelalterlichen Malers Jan Baegert – und geht zugleich, was die Präsentation der Werke angeht, ganz neue und durchaus ungewöhnliche Wege.

Wenn der erste Beitrag eines Museumskatalogs die Überschrift „Zerlegt, zersägt, zerstreut“ trägt, könnte der Leser womöglich auf die Idee kommen, einem Kapitalverbrechen auf der Spur zu sein. Doch das Verbrechen, dass Valentina Vlasic, Kuratorin der neuen Ausstellung im Museum Kurhaus Kleve (MKK), beschreibt, betrifft die Kunstwerke des Malers Jan Baegert (um 1465 – nach 1535), die ursprünglich monumental ausgefallen waren, dann aber aus profanen Motiven zersägt worden sind. Vermutlich ließen sich die kleineren Einzeldarstellungen besser verkaufen, genau weiß man das nicht. Sicher ist aber, dass aus den so filetierten monumentalen Szenen der christlichen Überlieferung einzelne Bilder wurden, in die dann schon mal eine einzelne Hüfte oder ein Balken des Kruzifixes hineinragten, die oder der dann übermalt werden mussten.

Die Aufteilung in viele kleine Gemälde führte logischerweise auch dazu, dass im Laufe der Jahrhunderte Werke verloren gingen, sodass die Macher der jetzigen Ausstellung – Museumschef Harald Kunde sprach von einer Teamleistung unter Leitung von Vlasic – im Grunde vor einem gigantischen Puzzlespiel standen, bei dem zum Verdruss der Teilnehmer auch noch die meisten Teile fehlten.

Teufel mit beträchtlicher Oberweite

Was zusammengetragen wurde, verdient dennoch alle Achtung, insbesondere, wenn der Betrachter seinen Blick abwendet von den allseits bekannten Szenen des Leidensweges von Christus und stattdessen auf die vielen interessanten Details achtet – es finden sich Darstellungen von Kindern, die mit Kirschen spielen und sich die Früchte in die Ohren hängen, es sind masturbierende Äffchen zu entdecken und natürlich darf auch ein Teufel mit üppigen weiblichen Brüsten, die mit viel Freude am Detail dargestellt worden sind, nicht fehlen.

Affig

Insgesamt werden auf zwei Etagen 48 Exponate gezeigt, darunter befinden sich zehn Tafeln aus den eigenen Beständen des Museums, weitere etwa 20 Leihgaben aus anderen Museen und – an dieser Stelle betritt das Klever Museum Neuland – digitale Repliken anderer Werke.

Gezinkt? (Beim rechten Würfel sind die 2 und die 5 nicht gegenüber angeordnet.)

Die fraglichen Werke als Original zur Schau zu stellen, dafür fehlen dem MKK sowohl die finanziellen Mittel wie auch die technischen Kapazitäten. Das Museum hat keine Klimaanlage; böse gesagt, ist man ja schon froh, wenn das Dach dicht ist (was es im Hauptausstellungssaal immer noch nicht ist). In den Räumen, in denen die Originale zu sehen sind, herrscht ein fast schon meditatives Dämmerlicht, um die farbigen Werke vor der zersetzenden Wirkung ultravioletter Strahlen zu schützen.

Da freut man sich fast, in den nicht abgedunkelten Räumen auf die mit einer bemerkenswerten Qualität gefertigten Repliken zu stoßen. Die in aller Welt verstreuten Bilder wurden mit hohem Aufwand abfotografiert und digital gedruckt. Verantwortlich dafür war eine Spezialfirma aus Köln – die Fröbus GmbH –, die ganze Arbeit geleistet hat. Würde nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um digitale Kopien handelt, würden vermutlich die meisten Museumsbesucher diesen Umstand gar nicht bemerken.

Für das Museum ist diese Vorgehensweise neu, sie weist aber möglicherweise auch in die Zukunft des Museumswesens an sich – warum mit hohem Aufwand Bilder und Skulpturen durch die Gegend transportieren, sie für teures Geld versichern und in dann kaum noch zugänglichen Klimakammern in halber Dunkelheit zeigen, wenn doch eine – günstigere und äußerst hochwertige – Kopie dieser Vorkehrungen gar nicht bedarf?

Museumschef Harald Kunde wies in der Pressekonferenz vor der Eröffnung der Ausstellung darauf hin, dass der Nachbildung natürlich „die Aura“ des echten Kunstwerks fehle. In Zeiten allerdings, in denen nahezu alles kopiert und neu zusammengefügt werden kann (siehe Deepfakes, siehe ChatGPT), erscheint die ohnehin nur schwer fassbare Aura allerdings eher wie ein Auslaufmodell. Letztlich werden die Museumsbesucher darüber mit ihren Füßen abstimmen, doch es darf schon jetzt vermutet werden, dass die Schau, die am Sonntag eröffnet wird und dann bis zum 23. Juni dauert, viele Menschen anziehen wird.

Wem das dann nicht gefallen sollte, der hat in einem Raum im Obergeschoss auch noch die Möglichkeit, auf subtile Art Rache zu üben. Von der digitalen Produktion blieb einiges an Ausschussware übrig, und Vlasic kam angesichts der Reste auf die Idee, dem Publikum genau das zu ermöglichen, was die späteren Generationen mit dem Werk Baegert anrichteten – es in kleinere Einheiten zu zersägen. Dafür steht im Obergeschoss eine Werkbank mit einer von Museumsmitarbeiterin Violet Roberts besorgten Zimmermannssäge bereit, „Benutzung auf eigene Gefahr“, wie Valentina Vlasic versichert.

Lustvolle Zerstörung möglich: Valentina Vlasic mit Zimmermannssäge

Wissenswertes zur Ausstellung:

„Schönheit und Verzückung – Jan Baegert und die Malerei des Mittelalters“ wird am Sonntag, 24. März, um 11:30 Uhr im Museum Kurhaus Kleve eröffnet.

Der Katalog mit Beiträgen von Rainer Hoymann, Holger Kempkens, Petra Marx, Violet Roberts, Martin Wilhelm Roelen, Marita Schlüter und Valentina Vlasic ist zum Preis von 39,90 € im Museum erhältlich.

Der Prozess der Digitalisierung wird im Museum auch in Form eines begleitenden Kunstfilms dokumentiert, den der chinesische Künstler und Filmemacher Shuchang Xie eigens produziert hat. Der Film wird im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung am 24. März uraufgeführt und ist im Anschluss auch in der Ausstellung zu sehen.

Förderer und Unterstützer der Ausstellung sind: das Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, die Ernst von Siemens-Kunststiftung, der Landschaftsverband Rheinland, die Stadt Kleve, der Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve, die Sparkasse Rhein-Maas, das Elaya-Hotel sowie WDR 3.

Prost!

Info Jan Baegert:

Jan Baegert, ein Zeitgenosse Cranachs und Dürers, gehörte zu den bedeutendsten Malerpersönlichkeiten der niederrheinischen Kunstlandschaft um 1500. An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit schuf er ein beeindruckendes künstlerisches Œuvre, das ihn als hochbegabten Maler mit geradezu psychologischer Einfühlungskraft auszeichnet und mit dem er seinem berühmteren Vater Derick (um 1440–nach 1509/um 1515) in nichts nachsteht. 

Glücklicherweise gibt die Quellenlage mehrere Hinweise über das Leben und Werk von Jan Baegert, der der Sohn des weitaus berühmteren Derick Baegert (um 1440–nach 1509/um 1515) war, in dessen Schatten er bis heute steht. Jans Mutter war Stijn [Christina] Baegert. Es ist anzunehmen, dass Jan – wie es im Mittelalter üblich war – in der Werkstatt seines Vaters Derick lernte, wo er eingangs auch dessen Stil übernahm, später jedoch eine eigene Handschrift entwickelte.

Jan Baegert lebte in einem Vorort von Wesel, in Matena, wo er Brausteuern zahlte und Zugang zu einem florierenden Holzmarkt hatte – was wichtig für ihn war, da er auf Tafeln malte. Nach 1490 heiratete er eine Frau namens Elsken, die Witwe des zwischen 1488 und 1490 verstorbenen Henrick Berntz van Nymmegen, dessen prominent gegenüber der Matenakirche gelegenes Haus sie beide gemeinsam bewohnten. Jans Eltern Derick und Stijn wohnten nur ein paar Häuser weiter. Jan und seine Frau Elsken bekamen mindestens einen Sohn und eine Tochter.

1490–1492, im Alter von ca. 25–27 Jahren, wurde Jan Baegert erstmals als Meister bezeichnet. Gegen 1515 schied sein Vater Derick Baegert aus der Werkstatt aus, die sein Sohn anschließend übernahm und bis ca. 1535 mit großem Erfolg weiterführte. Aus Rechnungsbüchern kirchlicher Auftraggeber ist überliefert, dass Jan Baegert eine produktive Werkstatt betrieb, in der zahlreiche Gesellen und Lehrlinge für ihn und mit ihm sowohl künstlerische als auch handwerkliche Aufträge ausführten.

Zu seinen bedeutendsten Aufträgen zählen der Cappenberger Altar, der Liesborner Altar oder der Xantener Antoniusaltar.

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12 Kommentare

  1. 12

    Noch ein Nachtrag: In der Erinnerung geht schon mal was durcheinander (man sollte nichts ohne Facktencheck posten). Das „Abendmahl“ hat Leonardo da Vinci an eine Wand des Dominikanerklosters Santa Maria delle Grazie in Mailand gemalt… während Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle unter der Decke hing und sich fast die Augen verdarb… Sorry.

     
  2. 11

    Wobei ich die Werke von Derick Baegert und Jan Baegert im Nachhinein nicht mehr unterscheiden kann (was womöglich Ungenauigkeiten in meinem Post 10 nach sich zog), aber es war auch nicht das, was mich während der Ausstellung interessiert hat… Unterschiede der beiden zu anderen Malern dieser Zeit sind mit Sicherheit größer. Ebenso ist mir der Unterschied zwischen Originalen und Repliken nicht wirklich aufgefallen.

     
  3. 10

    Inzwischen war ich in der Ausstellung von Baegert. Ich denke vorher immer, mittelalterliche Kunst reißt mich nicht vom Hocker. Eigentlich wollte ich noch die Vogd-Ausstellung sehen, die jetzt zu Ende gegangen ist.

    Begeistert aber war ich von der Baegert-Ausstellung, die einen atmosphärische umfängt, betont durch das Dämmerlicht… und gut in die Osterzeit passt. Im Mittelalter hatten die Leute noch Zeit zum Malen oder konnten nicht anders. Manche haben Tag und Nacht gemalt, mit allen Folgeerscheinungen. (Nicht nur Da Vinci, schon Renaissance, hat sich für seine Deckenmalereien, vor allem die in der Sixtinischen Kapelle, fast seine Gesundheit ruiniert. In rund zwanzig Metern Höhe hing er im selbst konstruierten Gerüst, mal kauernd, mal liegend, malte stundenlang, und immer wieder tropfte ihm Farbe in die Augen, die ihm fast die Sehkraft nahm. In vier Jahren bemalte er eine Fläche von 520 Quadratmetern.)

    So schlimm war es bei Baegert nicht . Es ist davon auszugehen, dass er stehend malen konnte, und seine Flächen waren nicht annähernd so groß wie die von Da Vinci. Aber es ist den Bildern und Altaraufsätzen anzusehen, dass sie mit einer ähnlichen Hingabe gemalt wurden wie das „Abendmahl“ in der Sixtinischen Kapelle, aber dessen malerische Perfektion nicht erreichen. Den neuen Naturalismus, den die Brüder an Eyck („Genter Altar“) Anfang des 15. Jahrhunderts eingeführt hatten, entwickeln Baegert sen. und Baegert jun. im 15./16. Jahrhundert weiter. Auch auf den Bildern von Jan Baegert gibt es allerlei zu sehen, wie oben von rd schon beschrieben. Die „Heilige Sippe“ um Maria mit Jesus und diversen anderen Säuglingen (da, wo man es erkennen kann, männlich, natürlich… Mittelalter). Ein Säugling hässlicher als der andere, auch auf den anderen Bildern. Manche wirken auch unnatürlich erwachsen. Ich bin mir sicher, dass die Kleinkinder damals nicht hässlicher waren als heute. Warum kann man sie dann nicht etwas netter malen? Andere Zeit, andere Geschmäcker (und Kinder galten ja früher nicht mal wirklich als Kinder). Eine kleine Gruppe mit kleinen Mönchen hat mir besonders gut gefallen, fast anrührend, wie sie da zusammen stehen. Und dann taucht auf verschiedenen Bildern immer wieder wie beiläufig ein ähnlicher weißer Köter auf. Die reichhaltigen Motive der Bilder bieten dem Betrachter wirklich was, man muss nur lange genug hingucken.
    Charakteristisch sind die verschiedenen Erzählebenen von Jan Baegert. Das Dingliche und das Magische/Jenseitige/Geistige, ich nenn es jetzt mal so, gehen in einem Bild fließend ineinander über. Die Werke markieren den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit.

    Danach gleich die Zeichnungen von Vogd anzusehen, war wie eine kalte Dusche. Sorry, die abstrakten Werke mit Strichen und Farbklecksen haben mich dann nicht mehr erreicht… ich war noch im Mittelalter. Die Zeichnungen haben mich entfernt an die Bilder von Cy Twombly erinnert, die im Museum Brandhorst in München hängen.

     
  4. 9

    8: „In Kleve gibt es eben viele Leute, die damit nichts anfangen können oder wollen. Wenn es nach denen gegangen wäre, gäbe es wohl auch die Hochschule nicht“

    Diese Assoziation verstehe ich nicht, kausal ist da auch nix zu erkennen.

     
  5. 8

    Museen haben einen Bildungsauftrag und die wenigsten können sich durch Einnahmen selber finanzieren. Die Kosten für den Unterhalt sind meist einfach zu groß.

    Wir sollten uns glücklich schätzen, dass wir in Deutschland diese Vielfalt an Museen haben. Und dass es mit dem Kurhaus Museum und Moyland gleich zwei weit über die Grenzen der Provinz hinaus bekannte gibt.

    In Kleve gibt es eben viele Leute, die damit nichts anfangen können oder wollen. Wenn es nach denen gegangen wäre, gäbe es wohl auch die Hochschule nicht.

    Museen sind wie viele andere Kultureinrichtungen nun mal keine Profitunternehmen.

    Im Kurhaus Museum gab es schon sehr viele verschiedene und interessante Ausstellungen, auch international bekannter Künstler.

    Jeden ersten Sonntag im Monat ist der Eintritt frei. Einfach mal hingehen.

     
  6. 7

    Naja, die Schleuse wäre auch nur für einen kleinen Teil von Bürger:innen gewesen. Dafür jährlich eine Millionen aufwenden, damit ein paar ihren Spaß beim rein- und rausfahren haben?
    Warum nicht mehr Geld in unsere Zukunft die Kinder stecken? Warum müssen Kinder in Kleve hungern? Warum legen wir bei Schulen und Kitas nur Mindeststandards an?
    Viele Fragen, wenig Antworten der schwarz / grünen Ratsmehrheit.

     
  7. 6

    Hab´s mir gedacht, dass die „Kultur für alle“ am Steuerzahler hängen bleibt.

    Wenn dabei man vergleichsweise an die Schleuse in Brienen denkt, fragt sich wohl so mancher, welche Interessen in Kleve von wem vertreten – und vor allem – durchgesetzt werden.

     
  8. 5

    @2 der Steuerzahler. Die Einnahmen durch die Besucher finanzieren maximal den Kaffee… In Kleve ist der Kunde König.

    @3 Ansichtssache. Ich z.B. finde den Tiergarten viel interessanter. Es geht aber nicht um besser oder nicht, bei der Investition die jährlich ins Museum geht, kommt halt für die meisten Einwohner wenig bei rum. Der Tiergarten zieht Leute von überall her und sorgt dafür, dass wir auch über die Grenzen hinaus bekannt sind.

     
  9. 1

    Da das Museum nur Geld kostet (rund 2 Millionen pro Jahr) und eine kleine (verbissene) Fangemeinde hat, kann ich der Idee, das Museum in ein Aquarium zu verwandeln, immer mehr abgewinnen. Ich denke, dass hier kurzfristig bereits mehr Besucher und höhere Einnahmen zu erwarten wären.
    Ich wünsche der Ausstellung trotzdem alles Gute und mehr Besucher als sonst.