Wilhelm Diedenhofen war Latein- und Griechischlehrer, Freund der schönen Künste, Buchliebhaber, Geschichtskenner, Feingeist und heimatkundlicher Autor. Die Rolle seines Lebens aber, die all dies verband und umfasste, war die des Menschen, der die historische Bedeutung der Parkanlagen in Kleve erkannte und der nicht müde wurde, sich für deren Wiederherstellung und angemessene Pflege einzusetzen. 2018 erhielt der Pädagoge für sein Lebenswerk die Ehrenbürgerschaft der Stadt Kleve. Am 4. Januar ist Wilhelm Diedenhofen im Alter von 89 Jahren, einen Monat vor seinem 90. Geburtstag, verstorben.
Wer am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium sein Abitur gemacht oder wenigstens den Versuch unternommen hat, dürfte Wilhelm Diedenhofen noch als jovialen, im Unterschied zu vielen anderen Kollegen nur mäßig strengen Lehrer in Erinnerung haben. Er lehrte die alten Sprachen, und er hatte Freude an der stilistischen Präzision der alten Autoren, die er auch gerne zeigte. Ich selbst zehre noch heute von der Liste rhetorischer Figuren, die er uns im achten Schuljahr einbleute (von Alliteration über Hendiadyoin bis Zeugma) und die mir manch zu schwierige Übersetzung ersparte, weil ich die Liste der Stilmittel in- und auswendig kannte und deshalb bevorzugt als Experte auf diesem Gebiet drangenommen wurde. Sein Gedächtnis war beeindruckend: Die Schüler seiner ersten Klasse, in der er Klassenlehrer war, kannte er noch nach Jahrzehnten – und so lange bewahrte er auch Aufzeichnungen auf, die er zur Überraschung mancher Gäste auch schnell hervorkramen konnte.
Schon in diesen Jahren seiner beruflichen Tätigkeit interessierte sich Diedenhofen, gebürtiger Kellener, auch für das historische Erbe der Stadt, in der er lebte. Das ist natürlich untrennbar mit Johann Moritz von Nassau-Siegen verbunden, dessen historisch problematischer Anteil damals noch nicht in den Vordergrund gerückt war. Stattdessen präsentierten sich die Parkanlagen der Stadt noch in den 70er Jahren in einem Zustand der allgemeinen Verlotterung. Exemplarisch war dies zu sehen am Zustand der linken der beiden quadratischen Inseln an Anfang des Prinz-Moritz-Kanals, die völlig verwildert war und damals, wenn ich mich recht entsinne, gegen einige Widerstände wieder in den Zustand versetzt werden musste, den der frühere Statthalter ersonnen hatte – und den heute niemand mehr missen möchte, der am Neuen Tiergarten spazieren geht.
Diedenhofen trieb mit unbändiger Energie die Wiederherstellung der Parkanlagen voran, er sammelte Wissen wie kein zweiter und er schrieb über die Anlage mit der Aura eines Experten, der jede einzelne Sichtachse und Pflanze persönlich in Augenschein genommen und mit der historischen Aktenlage abgeglichen hatte. In einem Nachruf, den die Stadt Kleve heute herausgab, heißt es dazu: „Dank Wilhelm Diedenhofen wurden die bedeutenden historischen Gartenanlagen wiederhergestellt und erhalten. Er hat seit den 60er Jahren intensive wissenschaftliche Forschungen zu den Klever Gärten und Parks, der Kunst- und Kulturgeschichte des Herzogtums Kleve sowie der historischen antiken Sammlungen am Niederrhein betrieben. Damit ist es ihm gelungen, die Stadt Kleve weit über die Grenzen des Niederrheins hinaus bekannt zu machen. Unzählige Aufsätze in Katalogen, Zeitschriften, Kalendern und Büchern zeugen von seinem großen Einsatz für die Stadt Kleve ebenso wie Vorträge und Führungen in und außerhalb von Kleve.“
Dem ist wenig hinzuzufügen. Wenn man durch alte Ausgaben des Heimatkalenders blättert, deren Redaktion er gemeinsam mit Wiltrud Schnütgen (und weiteren Mitarbeitern) besorgte, wird die ganze Bandbreite seines Schaffens deutlich. „Das groteske Gebälk im Audienzsaal der Schwanenburg“ erregte 2021 die Aufmerksamkeit des Autoren. „Anna von Kleve im Renaissance-Kostüm“ beschäftigte ihn 2018. Geht man bis ins Jahr 1973 zurück, findet sich der Beitrag von: „Diedenhofen, Wilhelm, Oberstudienrat, Kleve: An den Wassern zu Tivoli. Pighius führt Karl Friedrich von Kleve durch die Villa d’Este“. So geht das Jahr für Jahr, und man staunt, welche Erkenntnisse der Mann aus einer Hunderte von Jahre alten Beschreibung, Aktennotiz, Grabinschrift oder Radierung zu ziehen imstande war. In der vor wenigen Wochen erschienenen Ausgabe auf das Jahr 2024 wird Diedenhofen zwar noch als Autor und Redakteur genannt, allerdings findet sich kein Beitrag mehr aus seiner Feder. Wilhelm Diedenhofen war seit 2001 Teil des Redaktionsteams, in den Jahren von 1966 bis 2023 veröffentlichte er im Kalender insgesamt 60 Beiträge.
Über seine Arbeit beim Heimatkalender weiß Wiltrud Schnütgen einiges zu berichten: „Er war eine Generation älter als wir und natürlich eine Autorität. Beiträge mit lateinischen Sätzen wurden streng überprüft und in der Regel wurden Unstimmigkeiten gefunden. Diedenhofen hätte mit seinem Gegenüber Gespräche in Latein führen können. Er setzte sich da aber nie durch, sondern war ein Kollege auf Augenhöhe. Als er im August 2012 Ehrenmitglied des Klevischen wurde und wir nachher noch zusammensaßen, bot er mir das Du an. Häufig bekam ich Bücher oder Kalender von ihm, vor zwei Jahren einen Fahrradkalender, das fand ich super! Oder ein Buch über die Farbe Grün. Bis zuletzt konnte er sich über Dinge aufregen, die in Kleve passierten. Wenn Bücher schlecht gemacht waren, verriss er sie gern, über die Umbenennung des Johann-Moritz-Kulturpreises war er nicht sehr glücklich.“
Die Segnungen des Fortschritts, wenn es denn solche sind, ließen Diedenhofen unbeeindruckt. Weder er noch seine Frau besaßen einen Führerschein, sie legten die Strecken gerne zu Fuß zurück. Eine Schreibmaschine mit Textspeicherung war das Modernste an Technik im Hause Diedenhofen. Schnütgen: „Ich glaube, er fand es immer nett, wenn man kam, um die Texte abzuholen, und etwas Zeit zum Quatschen mitbrachte.“
Am 21. September 2018 erhielt Wilhelm Diedenhofen die Ehrenbürgerwürde der Stadt Kleve. Ausgezeichnet wurde er zudem mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande sowie mit dem Rheinlandtaler. Bürgermeister Wolfgang Gebing: „In tiefer Trauer nimmt die Stadt Kleve Abschied von am außergewöhnlichen Menschen, der sich in vorbildlicher Art und Weise für unsere Stadt und unsere Region eingesetzt hat. Sein Wirken wird uns weiterhin an vielen Orten in unserer Stadt begegnen und die Erinnerungen an eine engagierte bescheidene Persönlichkeit unserer Stadt lebendig halten.“
Bescheidene Persönlichkeit trifft es, Diedenhofen war ein Homme des lettres, ein Mann des gedruckten Wortes, der wenig mehr brauchte als ein gutes Buch, um glücklich zu sein. Seine Todesanzeige in der örtlichen Presse ziert das Emblem der Klever Linde, abgedruckt in seinem Buch Klevische Gartenlust. Das Motiv ist gut gewählt. So, wie diese Linde im Zentrum der Anlagen des alten Tiergartens (Sternbusch) stand, so war Wilhelm Diedenhofen das Zentrum aller Bestrebungen, Kleve als Standort prächtiger Gartenanlagen zu entwickeln.
Wilhelm Diedenhofen war jedoch nicht nur Freund der historischen Gärten, sondern hatte selbst einen riesigen Garten, der für ihn und seine Frau eminent wichtig war. Er kannte viele Pflanzen und liebte Bücher (natürlich vor allem die historischen), in denen es detaillierte Zeichnungen dazu gab.
In jüngeren Jahren hat er viele griechische und römische antike Stätten besucht (allein 50 Reisen führten nach Griechenland), in den späteren Jahren lagen die Ziele näher, zum Beispiel besuchte er gern Städte, die in Verbindung mit dem weit verzweigten Klever Grafen- und Herzoghaus standen. Wenn er dann irgendwo das Wappen des Klevischen Hauses fand, war das oft genug Aufhänger für einen neuen Beitrag im Kalender für das Klever Land.
Um Wilhelm Diedenhofen einen letzten Gruß zukommen lassen zu können, legt die Stadt Kleve am Montag, 15. Januar, von 9 bis 11 Uhr in der Unterstadtkirche Sankt Mariä Empfängnis und am Dienstag, 16. Januar, bis Sonntag, 21. Januar, von 11 bis 17 Uhr im Museum Kurhaus Kleve ein Kondolenzbuch aus.
Wilhelm Diedenhofen hinterlässt seine Frau Maria, als Autorin von Gedichten und Erzählungen auch weithin in der Klever Öffentlichkeit bekannt, sowie zwei Kinder.
Ruhe in Frieden ❤️?
@Spoyboy:
Diedenhofen trug immer Krawatte, und als ich 1980 zum Stein kam, waren da längst Mädchen auf der Schule.
An diesem besagten Altweiber trug er keine Krawatte, sondern lediglich einen Pullover. Die Schülerinnen bemächtigten sich daher seiner Schnürsenkel…
Wilhelm Diedenhofen war mein erster und einziger Klassenlehrer am Stein,
und wir waren seine erste Klasse, als er frisch von der Universität nach Kleve kam.
Er war ein vorbildlicher Lehrer und Menschenfreund im besten Sinne dieser Worte:
Er hatte Spaß daran, seinen Schülern etwas beizubringen, und freute sich,
wenn diese sich für das interessierten, was er ihnen zu sagen hatte.
Er war ein sehr gebildeter Mensch mit großem Detailwissen,
stellte sich und sein Wissen aber nie in den Mittelpunkt,
sondern wollte in seinen Schülern das Feuer entzünden,
dass sie sich selber für das Lateinische und seine Grammatik
und für Geschichte und Kunst interessieren.
Erst viel später habe ich begriffen, wie Recht er hatte, als er uns sinngemäß sagte,
wenn wir die lateinische Sprache und ihre Grammatik verstünden,
dann verstünden wir auch unsere eigene Sprache und jede Fremdsprache besser.
Überhaupt ist mir erst Jahre später so richtig klar geworden,
was für ein Glück ich damit hatte, so einen begnadeten Lehrer sechs Jahre lang
als Klassenlehrer gehabt zu haben.
Natürlich rutschte ihm nie die Hand aus, was Ende der Sechziger,
Anfang der Siebziger Jahre alles andere als selbstverständlich war,
er schrie auch nie, sondern blieb immer ruhig und beherrscht.
Seine schlimmste „Strafe“ waren ätzend-ironische Kommentare,
die man sich dann aber auch wirklich verdient hatte.
Ich verneige mich vor so einem großartigen Lehrer und Menschen
und bin glücklich, ihn so intensiv kennengelernt zu haben.
Möge er ruhen in Frieden!
@10
Die meisten würden ja frewillig noch nicht mal 1/0 laufen . 🙂
@3 Spoyboy ,“Gruft rauf und ‚runter“
Na ja, nicht ganz , nur 9 Zehntel, sie wohnten nämlich fast unten am Fuss.
Ich erinnere mich dankbar an ihn. Ein Lehrer mit einem breit angelegten Wissen, das er gern teilte. Man wusste als Schüler, dass man einen grundanständigen Menschen vor sich hatte.
Man hatte bei ihm auch das Fach Kunst, Kultur, Kleve, wenn er als Lateinlehrer vor einem stand und dieser Unterricht war gut. Vielleicht war er sich dessen gar nicht bewusst, aber er „verführte“ einen geradewegs dazu, über mit ihm Gesprochenes nachzudenken und weiterzulesen. Er war uneitel.
Und es steht für den ganzen Menschen: Er verfügte über absolut ruhige Hände.
Ich glaube Herr Diedenhofen war so ein Beispiel am Stein, wenn man des Gesamtbild der Schule abwägt und feststellt, dass die postiven Elemente die negativen überwiegen…
🙂
An nem Jungengymnasium?
🙂
Ein durchaus ruhiger, korrekter Vertreter seiner Zunft, der sich wohltuend von der (teils sehr boshaften) restlichen Lehrerschaft am Stein abhob.
Auch im Alter beim zufälligen Treffen war er immer noch offen für einen kleinen Plausch. Er möge in Frieden ruhen!
Papa Diedenhofen, ich habe sie sehr gemocht und sehr viel von ihnen gelernt! Sie waren ein großartiger Mensch und Lehrer! Ruhen sie in Frieden!
Gerne falsch, hier mal richtig von Juvenal:
…orandum es ut sis mens sana in corpore sano.
Die ersten drei Jahre Latein (5-7), dazu in der 7 Kunst.
Nie laut, immer Herr der Lage. Respekt.
Nur die fehlende Krawatte an Altweiber, die war nicht in Ordnung 😉
Herrn Diedenhofen konnte man übrigens jeden Schultag die Gruft rauf- und wieder runter GEHEN (!) sehen…
🙂
R.I.P.
Ruhen Sie in Frieden, Hr. Diedenhofen!
Mein herzliches Beileid für die Hinterbliebenden in dieser schweren Zeit.
Der vielwissende Papa Gütig der Lehrerschaft am Stein. Latein-Abi bei ihm gemacht.