Ringstraßen-Sperrung: Warum das Ganze nicht einmal philosphisch betrachten?

Ringstraße, 1909. Damals hieß sie noch Hohenzollernstraße. Fundstrück aus einem Fotoalbum
Erste Löcher im Erdreich: Auftakt der Bauarbeiten an der Einmündung Römerstraße

Eine der bekannteren Autowerbungen verspricht dem Käufer einer bestimmten Marke „Freude am Fahren“, was durchaus sein kann, aber eben auch auf den Umstand hinweist, dass es gar nicht mehr darum geht, irgendwo anzukommen, vielmehr soll der Besitzer des Automobils in Bewegung bleiben, eine Feststellung, die umso paradoxer erscheint angesichts der Tatsache, dass der durchschnittliche Autofahrer seinen Personenkraftwagen nur für wenige Minuten am Tag überhaupt nutzt.

Wer am Samstagvormittag die Wochenendeinkäufe in den Kofferraum seines Kombis packt, wer morgens und abends Teilnehmer des sogenannten Berufsverkehrs ist, dem ist nicht zu verübeln, diese recht abstrakten Überlegungen eher für spinnerten Kram zu halten, doch wenn einem dann im Internet ein Foto der Ringstraße aus dem Jahre 1909 begegnet, damals hieß die Straße noch Hohenzollernring, die Bundesrepublik Deutschland noch Deutsches Reich und an der Spitze des Landes stand noch ein Kaiser, wenn einem also ein solches Bild begegnet, das den gänzlich anderen Charakter dieser Straße vor mehr als einem Jahrhundert offenbart, ist es vielleicht an der Zeit, einmal etwas grundsätzlicher zu werden.

„Gehen bedeutet, den Ort zu verfehlen“, schrieb der französische Kulturphilosoph Michel de Certeau, und sein Landsmann Marc Augé entwickelte 1992 sogar eine eigene Theorie der „Nicht-Orte“. Darunter verstand er Orte wie Flughäfen, Einkaufszentren und Autobahnen, also Flächen und Verbindungsstrecken, die nur auf eine Weise genutzt werden und auf denen auf keinen Fall ein kontemplativer Aufenthalt gewünscht ist.

Man erinnert sich vielleicht an die verstörend wirkenden Geschichten von gestrandeten Menschen, die (angeblich) jahrelang auf einem Flughafen gelebt haben. Solche Geschichten wirken unbehaglich, weil sie am Selbstverständnis des Konzepts Flughafen rütteln, welches auf ein möglichst effizientes Durchschleusen großer Menschenmengen ausgerichtet ist. Schnell konsumieren sollen sie auch noch, damit hat es sich dann aber auch.

Für die Stadtverwaltung ist die Sperrung der Ringstraße, die von bis zu 20.000 Autos täglich befahren wird, in erster Linie ein Problem der Verkehrslenkung (die Grafik zeigt die Umleitung für den 2. Bauabschnitt, der beginnt, wenn der Auftakt an der Römerstraße abgeschlossen ist)

Was aber alles hat dies mit der Ringstraße in Kleve zu tun?, fragst du, lieber Leser zu Recht. 

Diese Straße, eine der beiden Verbindungen zwischen Unterstadt und Oberstadt, wird im Sommer 2022 komplett gesperrt. Die Sperrung wird mindestens bis zum Ende des Jahres 2023 dauern. Kanalbauarbeiten, neue Straßendecke, moderne Gestaltung, das ganze Programm.

„Das wird sicherlich Verkehrschaos geben“, sagt Bernhard Klockhaus, der Leiter des Klever Tiefbauamtes. 15.000 Autos pro Tag rollen über die Straße, die ein Drittel des Durchgangsverkehrs aufnimmt. Die anderen beiden Drittel nutzen den Klever Ring. Für die Zeit der Bauarbeiten erarbeitete die Verwaltung ein Umleitungskonzept erarbeitet. Es ist so dick wie ein Buch und umfasst mehr als 100 Seiten!

100 Seiten Angst vor Stillstand! Diese Befürchtungen, diese Vorsorgemaßnahmen, und selbst die Planungen für die Umgestaltung zeigen, dass die Ringstraße im Grunde als ein Nicht-Ort wahrgenommen wird – als ein Stück öffentlicher Raum, welches nur dem Zweck dient, möglichst schnell darüber hinweg zu gleiten (innerhalb der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung natürlich). Ankommen unerwünscht. 

Das alles hat sich im Laufe der letzten 100 Jahre entwickelt, einhergehend mit dem, was man gemeinhin als den „Siegeszug des Automobils“ bezeichnet. Davon war 1909 an der Ringstraße in Kleve noch keine Spur. Vielleicht waren schon erste Autos unterwegs, mit Sicherheit gab es noch Pferdegespanne, die Postkarte selbst – heute unvorstellbar – zeigt einen schwer bepackten Menschen auf der Mitte der Straße. Für die Nutzer des Hohenzollernrings wie auch für die Anwohner war der Straßenzug indes, dies offenbart die 113 Jahre alte Abbildung, – ein Ort.

(Der Originaltext erschien im Stadtmagazin Der KLEVER, Ausgabe 3-2021.)

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10 Kommentare

  1. 10

    @ Denn Sie wissen nicht, was sie tun!
    Vielleicht sollte noch erwähnt werden, dass mehr Verkehr durch die Oberstadt auch erheblich mehr Lärmbelastung und mehr Gefahren für die zahlreichen Anwohner an den betroffenen Oberstadtstraßen bedeutet.
    Ganz nebenbei soll wohl auch der von vielen Radfahrern, Wanderern und Joggern geschätzte Pappelweg in Kellen verschwinden. Wer damit nicht einverstanden, kann seine Einwände noch in den nächsten Tagen im Rahmen dieses Beteiligungsverfahrens der Stadt Kleve vorbringen:
    https://www.kleve.de/stadt-kleve/service/planen-bauen-wohnen/beteiligungsverfahren

     
  2. 9

    Mittlerweile ist es völlig normal, dass sogenannte 30 – Zonen zügig und mit überhöhter Geschwindigkeit durchfahren werden. Es wird wohl auch -letztendlich- politisch schon seit Jahren hingenommen.
    Die im Haushalt fest eingeplante Summe der Bußgelder lässt sich an anderen Stellen effizienter „einfahren“ .
    Die Anwohner der Waldstraße werden also auch das Gefühl haben, an einer Landstraße zu wohnen !

     
  3. 8

    Waldstraße
    Die vor Jahren, mit sehr viel Geld und einer überdurchschnittlichen Bauzeit (kleveblog berichtete), renovierte Waldstraße wird im Zuge der Sperrung der Römerstraße von vielen Autofahrern als Umleitung genutzt. Dazu ein aktueller Polizeibericht von Freitag:

    „POL-KLE: Kleve – Baumaßnahme Römerstraße: Verkehrsdienst kontrolliert Geschwindigkeit auf Umleitungsstrecke

    Im Zusammenhang mit der aktuellen Baumaßnahme auf der Römerstraße in Kleve haben Anwohner der Waldstraße sich in den letzten Tagen vermehrt bei der Klever Polizei beschwert. Ortskundige Verkehrsteilnehmer nutzen die Waldstraße als Umleitung. Die Anwohner äußerten ihren Unmut insbesondere darüber, dass die auf der Straße vorgeschriebene Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h vielfach überschritten wird. Der Verkehrsdienst der Klever Polizei hat daraufhin am Donnerstagnachmittag (23. Juni 2022) vor Ort eine gezielte Geschwindigkeitsüberwachung durchgeführt. Das Fazit: Von 728 erfassten Fahrzeugen waren 176 zu schnell unterwegs. In 15 Fällen müssen die verantwortlichen Fahrzeugführenden mit einer Ordnungswidrigkeitenanzeige rechnen. Die übrigen 161 Fällen haben demnächst eine schriftliche Verwarnung und ein Verwarnungsgeld von bis zu 50 Euro zu erwarten. (cs)“

     
  4. 7

    Dann wird die B67n wohl leider zwischen Kalkar und Kervenheim auch fertig gestellt und das schöne Uedemer Bruch zerstört…

     
  5. 6

    „„Das wird sicherlich Verkehrschaos geben“, sagt Bernhard Klockhaus, der Leiter des Klever Tiefbauamtes. 15.000 Autos pro Tag rollen über die Straße, die ein Drittel des Durchgangsverkehrs aufnimmt. Die anderen beiden Drittel nutzen den Klever Ring.“
    Mit Verlaub, aber das wahre Klever Verkehrschaos wird nicht an der Ringstraße, sondern an ganz anderer Stelle vorbereitet:
    Im neuen schwarz-grünen Koalitionsvertrag für NRW steht zwar, dass bis zur Verabschiedung eines neuen Verkehrsplans keine neuen Straßen mehr geplant, die tägliche Flächenversiegelung umgehend unter 5 ha/Tag gedrückt sowie der Fahrradverkehr und der ÖPNV massiv gestärkt werden sollen. Aber bereits eingeleitete Straßenplanungen sollen noch weiterbetrieben und insbesondere Ortsumfahrungen nach wie vor gebaut werden. Und so kommt es dann, dass Straßen NRW (aktuell im Zuge einer wegen vieler Vorbehalte notwendig gewordernen Änderungsplanung) die neue Bundesstraße B220n zur Umfahrung von Kellen weiterplant. Abzuwägen sind dabei zum einem der Beruhigungsbedarf der Anwohner der Emmericher Straße gegen die nachhaltige Zerstörung der typisch niederrheinischen Landschaft mit höchstwertigstem Grünland im Klever Osten, die massive Erschwernis der Zufahrt zu Haus Riswick, der Verunstaltung des Brejpotts und den unzummuuuhtbaren Engriff in den Lebensraum von besonderen Spezies wie Niederrheinstier und anderen Tieren. Weniger im Fokus steht aber bisher, welche tatsächlichen Auswirkungen die aktuelle Planung auf den innerstädtischen Verkehr in Kleve haben wird. Straßen NRW plant halt Bundestraßen und legt sie dann stets so an, dass sie nach Fertigstellung die Hauptstraße sind – unabhängig davon, wie viel Verkehr tatsächlich auf ihnen stattfinden wird. Selbst sehr stark befahrene Straßen wie der Klever Ring werden so neuen, nicht besonders stark frequetierten Bundesstraßen untergeordnet. Resultat ist eine Planung, bei der der heutige Klever Ring auf den heutigen Flächen von Haus Riswick im rechten Winkel auf die dann an Kleve vorbei führende Bundesstraße B 220n geführt wird.
    Flächenbedarf:
    Ganz erheblich höher, als wenn die neue Bundesstraße auf den Klever Ring in seiner heutigen Form stoßen würde.
    Radfahrerfreundlichkeit:
    Wo, bitte? Jeder Radfahrer (und Fußgänger) auf dem besagten Abschmitt wird demnächst einige hundert Meter Umweg in die (noch) grüne Pampa nehmen müssen, um dann einen engen 90-Grad-Knick zu durchfahren, wegen der eine große Zahl wegen der Ampeln bremsender und beschleuingender Fahrzeuge eine überproportionale Luftverschmutzung und Lärmentwicklung verursachen werden. Zusätzlich besteht noch die Gefahr, dass es durch die elektromagnetischen Felder der darüber hinwegführende 110 KV-Stromleitung zu einer Ionisierung des dabei entstehenden, vielen (und Krebs erregenden?) Feinstaubs kommen wird, der dann erst recht den Weg in die Lungen der Rad- und Fußgänger finden und dort kleben bleiben wird.
    Verkehrsfluss:
    Wo, bitte? Das obige Zitat von Herrn Klockhaus weist schon auf die serh sensible Verteilung der beiden Hauptverkehrsströme in Kleve hin: Obenherum oder Untenherum? Klar, wenn (das meist ohnehin schon längere) Untenherum durch den Einbau eines vermeidbaren Umwegs von ein paar hundert Metern sowie eine weitere Ampelanlage erheblich strapaziöser wird, wird es dadurch wieder zu mehr (unerwünschtem) Obenherum kommen. Und dass, obwohl (gerade das innerstädtische) Untenherum durch die schon realisierten und geplanten Projekte Hochschule Rhein-Waal, Clever Stolz- und Bensdorp/Tjaden-Viertel, Flora-Quartier, Dorsemagen, Realschulausbau, BBZ und KAG noch einmal massiv zunehmen wird. Ob das bei dem überörtlichen Verkehr in Zeiten von mehr Videokonferenzen, Homeoffice, Verbrennerverbot und Energieengpässen (gerade auch für Elektroautos) sowie vielleicht auch von Verlagerung von mehr LKW-Fernverkehr auf die Schiene und günstigeren ÖPNV-Tickets ebenso sein wird, ist sehr fraglich. In dem Verkehrsgutachten, das der jetzigen Planänderung zugrunde liegt, sind diese Effekte auf jeden Fall bisher noch nicht berücksichtigt. Aber was soll man auch anderes von einem Gutachten mit Datengrundlage aus der Zeit vor Corona erwarten, das zudem an meheren Stellen den Anschein erweckt, mehr ein Gefälligkeitsgutachten zu sein als die wahren Auswirkungen auf die örtlichen Belange aufdecken zu wollen.
    Kurzum:
    Wenn es bei der von Straßen NRW geplanten Unterodnung des Klever Rings bleibt, wird das dem innerstädtischen Verkehrsfluss in Kleve nicht zuträglich sein, die Zufahrt für die neu gebauten Bereiche der Klever Unterstadt erheblich erschweren und wieder zu mehr Verkehr über Nassauer Allee, Lindenallee, Ringstraße und Gruft führen. Es ist höchste Zeit, die durchaus mögliche Alternativen unter diesen Aspekten zu beleuchten. Das, was die Bundesstraßenplaner aktuell für den Klever Ring (im Abschnitt von der Bahnunterführung bis zur Kreuzung mit der Emmericher Straße) planen, wird Kleve nicht bekommen. Stattdessen muss dem hohen Zentralitätsfaktor von Kleve (und den Bestrebungen zum Erhalt einer gut frequentierten Fußgängerzone in der Innenstadt) in einem massiv höherem Maße Rechnung getragen werden als das aktuell geschieht!

     
  6. 5

    @ rd – also in der rp habe ich nichts gesehen, aber gut… mehr Grafiken? Sicher gerne… vielleicht wenn der nächste Bauabschnitt ansteht!

     
  7. 4

    Wie soll die Straße denn mal aussehen wenn sie fertig ist?

    Will man das „Gesamtkonzept“ auch ändern oder nur bestehendes sanieren? Dass 15.000-20.000 Pendler täglich über diese zentrale Straße rollen, kann ja nicht Ziel der Verkehrsplanung Kleve‘s sein oder?

    Konzepte bzw Ansätze dafür gibt es!

    https://www.linkedin.com/posts/startglocal-at-hsrw_kleve-inklusion-teilhabe-activity-6930131926645133312-hZIx?utm_source=linkedin_share&utm_medium=ios_app

     
  8. 3

    @Zugereister Gerne, aber da war ich wirklich nicht der Erste. Ich habe noch ein paar mehr, die kann ich bei Gelegenheit gerne dazustellen.

     
  9. 2

    Endlich Mal die Baumaßnahmen und Straßensperrung auf einem Stadtplan eingezeichnet…! Danke!
    Entweder ist das an mir vorbei gegangen oder es wurde bisher tatsächlich noch nicht veröffentlicht…