Wenn demnächst der neue Träger des Johann-Moritz-Kulturpreises der Stadt Kleve bekannt gegeben wird, ehrt die Jury damit eine herausragende Persönlichkeit des kulturellen Lebens, dies aber mit dem Namen einer Person, die Sklaven gehalten, importiert und mit ihnen gehandelt hat. Wie damit umgehen?
Das Museum Kurhaus hatte im Rahmen seiner Aktion Hausputz den niederländischen Historiker Dr. Erik Odegard zu einem Vortrag eingeladen, in dessen Mitte er eine Tabelle zeigte, wann in den Jahren 1637-1644 welche Schiffe wie viele Sklaven für den damals als Gouverneur in der niederländischen Kolonie Brasilien tätigen Johann Moritz von Nassau-Siegen an Bord waren. „Sijn Ex.cie heeft behouden vier en veertich negros“, heißt es zu einem Transport aus dem Jahre 1637, und es waren offenbar nicht nur 44 Sklaven, sondern noch zwei mehr, die als Dreingabe hinzukamen. Der letzte Transport aus dieser Liste, sieben Jahre später vollzogen, umfasst eine Lieferung von 60 Menschen zu einem Preis von 11.981 Gulden, „aen zijn Ex.cie op re. van den hoofhouding“, also an seine Exzellenz auf Rechnung des Hofes.
Der Historiker, dessen Schwerpunkt die Erforschung der niederländischen Kolonialgeschichte ist, hatte zahlreiche Indizien zusammengetragen, die die aktive Rolle von Johann Moritz von Nassau-Siegen im Umgang mit versklavten Menschen belegen. Er zeigte beispielsweise eine Darstellung des Anwesens von Johann Moritz an der brasilianischen Küste, auf der die Unterkünfte für die versklavten Mitglieder seines Hofstaats klar erkennbar waren. Und er präsentierte das Bild einer farbigen Frau („Molher negra“), gemalt von Zacharias Wagener, die barbusig gezeigt wird und oberhalb ihrer linken Brust offenbar ein Brandmal trägt, aus dem sich das Monogramm von Johann Moritz herauslesen lässt.
Untermauert wird die aktive Rolle von Johann Moritz im Sklavenhandel auch durch ein Dokument eines Kapitäns eines Schiffes der Westindischen Compagnie, der seinen Vorgesetzten berichtete, dass er für den Gouverneur 55 Sklaven aus Afrika nach Brasilien verschifft habe, die nicht in den offiziellen Büchern gelistet worden waren. Der Vorfall ereignete sich im Jahre 1642 auf dem Schiff Princesse. Heute würde man den Kapitän einen Whistleblower nennen. Das Dokument zeigt, dass Johann Moritz offenbar auch an seinem Arbeitgeber vorbei den höchst lukrativen Menschenhandel betrieben hat. Manchmal musste Johann Moritz die Sklaven nicht einmal einkaufen, sondern bekam sie geschenkt, wie ein weiteres Dokument nahelegt. Demnach erhielt er vom kongolesischen König Dom Garcia 200 Afrikaner als diplomatisches Präsent. Diese betrachtete der Niederländer als persönliches Geschenk, und verkaufte sie an die Westindische Compagnie.
Wer also begierig darauf war, etwas mehr über die dunkle Seite des in Kleve so verehrten Fürsten zu erfahren, wurde im Museum Kurhaus mit reichlich Material versorgt. Doch interessiert es die Menschen in Kleve? Eher weniger, denn zu dem Vortrag des Historikers kamen gerade einmal knapp 20 Gäste, darunter vier Vertreter der Offenen Klever (u. a. Fuchs, Giesen, Fingerhut) und weitere vier der Grünen (u. a. Meyer-Wilmes, Schnütgen, Lemhöfer), denen man gewissermaßen ein professionelles Interesse unterstellen kann, außerdem noch Rainer Hoymann, der Vorsitzende des Klevischen Vereins, sowie Sjef van der Linden vom Theater Mini-art, der zu dem Thema eine Performance veranstaltet hatte, die ebenfalls im Museum Kurhaus aufgeführt wurde, also noch zweimal tendenziell eher eine professionelle Motivation. Blieben also von den restlichen 53.028 Einwohnern der Stadt gerade einmal zehn, die aus persönlichem Interesse die Veranstaltung besuchten – schon etwas beschämend, wenn man bedenkt, dass der Fürst als Lichtgestalt der Stadtgeschichte verehrt wird.
Was aber bedeuten die neuen Informationen für den Namen des Kulturpreises der Stadt Kleve? „Darf der Kulturpreis noch einen Sklavenhalter ehren?“, fragte Andreas Gebbink in der NRZ. Doch eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht, der Historiker selbst sagte sinngemäß, dass es auch nicht um ein Entweder-Oder gehe, sondern dass man sich bemühen solle, die Person in ihrer Gesamtheit und im Kontext ihrer Zeit zu erfassen. Im 17. Jahrhundert war der Sklavenhandel ein mehr oder minder akzeptiertes Business, denn ohne die billigen Arbeitskräfte wäre das gesamte Geschäftsmodell der Plantagen in Übersee nicht möglich gewesen. Johann Moritz agierte den Konventionen seiner Zeit entsprechend, und, hätte er dies nicht getan, wäre er nicht mit diesen Aufgaben betraut worden.
Weitere Informationen: Slavery at the Court of the ‘Humanist Prince’ Reexamining Johan Maurits van Nassau-Siegen and his Role in Slavery, Slave Trade and Slave-smuggling in Dutch Brazil
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Ich wäre gerne zu dem Vortrag gekommen, konnte aber nicht. Umso dankbarer bin ich für den Bericht und vor allem den Link zu dem hervorragenden und ausführlichen wiss. Artikel, open access! Das ist ein wichtiges Fundament, um in Kleve zu einer neuen Einschätzung des Gouverneurs und späteren Klever Statthalters zu kommen. Ich bin gespannt, was der neue Johann Moritz Preisträger zur Korrektur unseres Bildes von diesem Mann zu sagen hat
Erst einmal grundsätzlich: Ja, es ist wirklich übel, was damals mit Menschen aus den Afrikanischen Gebieten gemacht wurde und es ist gut, dass diese und jede andere Form der Sklaverei abgeschafft worden ist!
Leider müssen wir aber der Gerechtigkeit halber feststellen (ohne dabei die grausame Unmenschlichkeit der damaligen Sklaverei kleinzureden!), dass es heute immer noch und immer wieder sklavenähnliche Zustände gibt. Wie werden zum Beispiel die Rohstoffe der Autos abgebaut, mit denen die nordeuropäischen (…) Menschen so elegant durch die Landschaft fahren? Die chilenischen Minen, in denen die seltenen Erden und Kupfer abgebaut werden, sind nicht umsonst so hermetisch abgeriegelt…
Aber wir müssen gar nicht so weit weg gucken (wir schauen ja gerne weg, solange wir unseren Standard halten und ausbauen können): Wie leben die Arbeiter und Arbeiterinnen in der Fleischindustrie? Wie die Sexsklavinnen? Es gäbe noch viele andere Beispiele… Auch diesen Menschen gehört unsere Beachtung, finde ich.
Unübersehbar viele Familien, wurden seinerzeit durch die Kolonialherrschaften in Afrika, ausgelöscht. Man sollte eine Verherrlichung dieser Sklavenhändler und Sklavenhalter, endgültig offiziell, realistisch bearbeiten. Auch, z.B. hinsichtlich der verherrlichenden Geschichtsschreibungen für Johann Moritz von Nassau-Siegen, sollte offiziell, schriftlich dokumentiert werden, für wie viele Verschleppungen von Menschen er verantwortlich war, und welche schrecklichen Schicksale er den Verschleppten und den hinterbliebenen Familien zugefügt hat.
Zu dem Thema NAZIS möchte ich schreiben, dass auch ich einen sehr liebevollen Opa und Menschen vermisse!
Dieser Opa, dieser Menschenfreund, war offen gegen die Naziherrschaft, und hat auch unschuldige, verfolgte Menschen versteckt und gerettet.
Oft wurde er von diesen Nazi-Verbrechern zu „Verhören“ abgeholt, und nach Folterungen und Androhungen wieder nach Hause gebracht, damit er seine Familie irgendwie versorgen konnte.
Dafür wurden zwei, seiner noch minderjährigen Söhne, von den Nazis „abgeholt“.
Ein paar Tage später kam die Todesnachricht, dass beide sofort „gefallen“ sind.
Auch ich vermisse meinen, liebevollen, menschenfreundlichen Opa und die beiden unschuldigen Onkel!!!
So viele unschuldige Menschen kamen in die Fänge dieser Nazi-Verbrecher!
Das ist nie wieder gut zu machen und schon gar nicht zu verherrlichen!!!
Nazis hatten und haben, nie eine richtige Zeit. Nicht nur aus „heutiger Sicht“, war es falsch, auch aus damaliger Sicht.
Wären mehr Menschen öffentlich dagegen angegangen, hätte man diese kriminellen, unmenschlichen Grausamkeiten verhindern können.
Keine Chance mehr für NAZIS!!!
Mmuuuh, mich hätte der Vortrag von Dr. Odegard schon sehr interessiert, mmuuuh mit schmerzhaften Kennzeichungen mittels Brandzeichen und so kenne ich mich aus. Aber aktuell muss ich vor allem gut hinschauen, dass möglichst viel schmackhafte Maissilage für das kommende Jahr ins Silo kommt, mmuuuh nix Pfusch auf der Siloplatte! Und eingeladen hat mich trotz meines Interesses auch niemand zu dem Vortrag, mmuuuh, vermmuuuhtlich wollte niemand schwarz und weiss sehen. Vermmuuuhtlich hätte man mich eh nicht ins Kurhaus gelassen, mmuuuh, oder haben dort inzwischen auch Paarhufer Zutritt?
@4 Der Vergleich Ihres Großvaters mit dem mächtigen Sklavenhalter tut Ihrem Großvater Unrecht. Viele hatten damals keine Wahl. Auf Desertieren stand die Todesstrafe. Nicht jeder in der Wehrmacht war überzeugter Nazi.
Mein Großvater war auch 1944 in Frankreich. Vom Arbeitgeber war ihm angeboten worden, als unabkömmlich eingestuft zu werden, wenn er in die NSDAP eintreten würde. Meine Großeltern hatten zu dem Zeitpunkt vier Kinder zwischen 1 und 7 Jahren. Mein Großvater hat abgelehnt. Von der Normandie aus kam er dann später als Kriegsgefangener nach Marseille.
Mein Opa hat 1944 für die Nazis in Frankreich gekämpft.
Als ich ein Kind war hat er mir Geschichte und Märchen erzählt, bis ich eingeschlafen bin.
Er war ein guter und liebevoller Opa (!!!), obwohl er aus heutiger Sicht auf der falschen Seite war.
Genauso ergeht es dem Fürsten. Seinerzeit war alles in bester Ordnung und heute ist es rassistischer denn je.
Alles hat seine Zeit…
Opa, ich vermisse dich
Eine Klever Lichtgestalt die sich an „Konventionen der Zeit“ nicht nur gehalten, sondern auch offenbar noch persönlich beteichert hat?
Mir persönlich ist mit dem Denkmal am Marstall sowie der Namensgebung des städtischen Parks an der Kreisverwaltung der Erinnerung Genüge getan.
Vielmehr vermisse ich eine Würdigung tatsächlich ehrenvoller Personen der Klever Stadtgeschichte.
Warum, um nur Beispiele zu nennen, gibt es kein Denkmal der Anna von Cleve in der Stadt. Auch ihre Schwester, Sybille hätte eine Erinnerung verdient.
Aber auch Johann Weyer, der zu seinen Lebzeiten ein Buch über die Sinnfreiheit und Willkür grausamer Hexenverfolgung veröffentlicht hat und damit wohl nicht wenigen Frauen unnützes Leid und Tod erspart hat, hätte ein Denkmal verdient.
Leider kennen die wenigsten seine Geschichte und seinen Verdienst.
Hatte der auch irgendwas mit dem Spoykanal oder der Schleuse zu tun?
Spätestens beim Wort „Brandmal“ wird greifbar, worum es geht. Es ist das Zeichen, dass jemand einen anderen Menschen als sein Eigentum gebrandmarkt hat.
Vollkommen klar, dass es einer auch offiziellen neuen Einordnung von Johann Moritz von Nassau-Siegen bedarf.