Jägermeister, Messerstiche und ein Todesfall

Dr. Karl Haas (Kleve), Patrick M., Nicolai Mameghani

Es war Alkohol im Spiel. Bier, das aus Flaschen getrunken wurde, Sambucca, Jägermeister, später kam auch noch Ouzo hinzu. Doch Hans Scharmacher („Hansa“), Inhaber des Imbisslokals Treffpunkt in Emmerich-Elten, kannte seine Gäste, insbesondere den Mann, der am Donnerstag im Landgericht Kleve auf der Anklagebank saß. „Wenn der nüchtern war, war der astrein“, sagte der 83 Jahre alte Gastwirt. „Der hörte auf mich.“

Spirituosen bekam der Angeklagte deshalb nicht mehr im Treffpunkt. Dafür ging Patrick M. dann nach gegenüber, zum Kiosk von Ali, wo er Jägermeister in Flaschen kaufte und diese sofort leerte. Und so nahmen in einem Zustand der Benebelung an einem späten Abend im Oktober 2020 in Elten Dinge ihren Lauf, an deren Ende ein Mensch starb und das Leben des anderen, nun angeklagten jungen Mannes wahrscheinlich für lange, sehr lange Zeit eine andere Wendung nehmen wird. Totschlag und gefährliche Körperverletzung, so lautet die Anklage.

Patrick M., 34 Jahre alt, ohne Schulabschluss, zum Zeitpunkt der Tat Hilfsarbeiter in einem Forstbetrieb, hatte eigentlich an diesem Abend, wie üblich schon etwas angetrunken und auch bekifft, einem Freund seine Fortschritte im Gitarrenspiel präsentieren wollen. Das hatte er sich selbst beigebracht. Der Freund war nicht zu Hause, also ging er zum Treffpunkt.

Den Weg dorthin habe er angetreten, um einen alten Deckel zu bezahlen. Doch dann habe es, wie er es formulierte, „Reibereien“ gegeben. Das Wort Reibereien hatte er in dem Prozess schon einmal verwendet, als er über eine gescheiterte Beziehung berichtete. Richter Gerhard van Gemmeren, der den Vorsitz im Schwurgericht führt, konkretisierte die Schilderung mit der Diagnose Kieferbruch, den die Freundin davongetragen habe. „Ja, das ist richtig“, so der Angeklagte.

Nach den ersten Reibereien im Treffpunkt beförderten zwei Gäste Patrick M. nach draußen, es ging zur Sache. M. rannte weg und suchte Unterschlupf beim Kiosk gegenüber. Der Betreiber organisierte dem leicht verletzten Mann ein Taxi, mit dem er sich zu seiner Mutter, bei der er wohnte, bringen ließ. 

Dem Taxifahrer soll er gesagt haben, er sei von einem Türken geschlagen worden, „und jetzt hole ich eine Machete“. M. hingegen beteuerte vor Gericht, zu Hause sei ihm eingefallen, dass er sowohl sein Fahrrad noch vor der Kneipe stehen habe und auch das Ladegerät für sein Handy noch in dem Lokal geblieben sei. Er beschloss zurückzukehren – und nahm ein Küchenmesser mit.

Dieses Messer legte er im Treffpunkt gleich auf einen Tisch, und der Wirt, durchaus umsichtig agierend, nahm es sofort in seinen Besitz. Patricks Mutter wiederum ahnte offenbar auch nichts Gutes und war dem Sohn mit dem Auto hinterher gefahren. In der Imbissstube entwickelte sich derweil, wie zu erwarten, neuer Streit. Gäste wollten Patrick hinausdrängen, einer bekam einen Schlag mit einer Bierflasche auf den Kopf ab und trug eine rund zehn Zentimeter lange Platzwunde davon (das ist der Anklagepunkt gefährliche Körperverletzung).

Unterdessen hatte der Wirt der Mutter das Messer ausgehändigt, die es in ihrem Auto verstaute. Der Sohn bestieg nach dem ersten Handgemenge ebenfalls den Wagen, und damit hätte die Sache mehr oder minder glimpflich ausgegangen sein können. Doch erneut fiel ihm ein, dass das Ladegerät noch in der Imbissstube liegt. Er stieg aus, nahm das Messer wieder mit, und dann kam es vor dem Lokal wieder zu einem Handgemenge.

Vor dem Schwurgericht sagte der Angeklagte, er sei umgerissen worden, und ein Mann sei auf ihn gefallen. Seine Schilderung ließ den genauen Tathergang aus, sollte aber den Eindruck erwecken, dass das Opfer gewissermaßen in das Messer gefallen ist. 

Allerdings gab es zwei Stiche, „wuchtig in Brust und Bauch“, so Staatsanwalt Marco Held. Ein Stich traf die rechte Herzkammer. Der schwer verletzte Mann schaffte es noch geschockt bis in sein Auto, dort brach er leblos zusammen und konnte auch nicht reanimiert werden, nachdem der Wirt kurz vor Mitternacht den Rettungsdienst alarmiert hatte.

Gleich zwei Strafverteidiger sind in dem Verfahren engagiert. Neben Dr. Karl Haas (Kleve) hat der Angeklagte auch den Neusser Rechtsanwalt Nicolai Mameghani engagiert, der Fernsehzuschauern aus der Gerichtsshow „Richterin Barbara Salesch“ bekannt ist. Ihr Mandant hat bereits einige Vorstrafen (Fahren ohne Fahrerlaubnis, Fahren mit Alkohol, Körperverletzung, Diebstahl) und verbüßt eine Strafhaft, nachdem eine Bewährungsstrafe widerrufen wurde. 

Entscheidend für das Verfahren dürfte sein, wie das Gericht den Drogen- und Alkoholkonsum des Angeklagten bewertet – eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64) steht jedenfalls im Raum.

Das Urteil

Nicht die Spur einer Regung zeigte der 34 Jahre alte Angeklagte, als der Vorsitzende Richter Gerhard van Gemmeren als „ein Beispiel für die Gefahren des Alkohol- und Marihuanakonsums“ bezeichnete. Unter dem Einfluss der beiden Substanzen hatte Patrick M. im Oktober 2020 einen 37 Jahre alten Kneipengast erstochen. Diese Tat wertete das Schwurgericht des Landgerichts Kleve am Abend als Totschlag und verhängte dafür – in Verbindung mit einer weiteren Tat (gefährliche Körperverletzung) – eine Freiheitsstrafe von elf Jahren. Drei Jahre und sechs Monate davon sind zu verbüßen, ehe der Verurteilte einen Aufenthalt in einer Entziehungsanstalt anzutreten hat.

Die Mutter des Opfers war im Gerichtssaal anwesend und nahm den Schuldspruch weinend zur Kenntnis. Bevor sich das Gericht zur Urteilsberatung zurückzog, hatte der Angeklagte sich an die Frau gewandt: „Ich möchte mich bei der Mutter von ganzem Herzen entschuldigen, ich kann mir bis heute nicht erklären, wie das zustande gekommen ist.“

Diese Erklärung übernahm die Strafkammer, die dem Angeklagten einen „recht verworrenen Lebenslauf“ attestierte und sehr genau zu rekonstruieren versuchte, wie Patrick M. an jenem Oktoberabend eine fröhliche Zecherrunde mit einem Dutzend Gästen in der Gaststätte Treffpunkt in Emmerich-Elten sprengte. Mit vereinten Kräften sei der Störenfried von diesen Gästen vor die Tür gesetzt worden, er sei daraufhin wutentbrannt zurückgekehrt und habe dann nach einem neuerlichen Streit dreimal auf einen der Gäste eingestochen, davon zweimal mit Tötungsvorsatz. 

Die 14 cm lange Klinge des Küchenmessers drang 10 cm tief in den Oberkörper des Opfers ein, ein Stich verletzte die Herzkammer. Binnen weniger Minuten verlor das Opfer zwei Liter Blut. Der Verletzte versuchte offenbar noch mit dem eigenen Auto wegzufahren, kam aber nur bis zu einer geschlossenen Schranke und kehrte um, bevor er im Auto zusammenbrach. Die Verletzungen wären aber in jedem Fall tödlich gewesen, berichtete eine Gerichtsmedizin.

Die Verteidigung des Angeklagten hatte argumentiert, dass Opfer sei zweimal gewissermaßen in das Messer gefallen, welches Patrick M. aus Gründen der Selbstverteidigung mit sich geführt habe. Dies habe die Beweisaufnahme eindeutig widerlegt, so van Gemmeren. Angesichts zweier nahezu waagerecht ausgeführter Stiche „müsste das Tatopfer senkrecht vom Himmel gefallen sein, und das gleich zweimal hintereinander“, so van Gemmeren.

„Er hat die tödlichen Stiche mit vollem Tötungsvorsatz gesetzt“, sagte der Vorsitzende Richter. Die Stiche seien mit erheblicher Wucht ausgeführt worden. Die beiden Stiche, die in den Oberkörper gingen, hätten jeweils auch eine Rippe durchtrennt. Das Tatmotiv sei Rache gewesen. Dies habe er beispielsweise auch schon dem Taxifahrer gegenüber angekündigt, der ihn nach dem ersten Streit nach Hause gefahren habe. Dem hatte er gesagt, er sei von einem Türken geschlagen worden und nun gehe er „eine Machete holen“. 

Die Sache mit dem Türken rührt daher, dass an dem Streit im Treffpunkt auch zwei bulgarische Staatsbürger beteiligt waren. Aus der Machete wurde das Küchenmesser, das er aus der Wohnung seiner Mutter mit zurück zu der Kneipe genommen hatte.

Eine mögliche Notwehr, die von der Verteidigung ebenfalls ins Feld geführt worden war, schloss das Gericht ebenfalls aus. Es habe an einem klaren Angriff gefehlt. Die Situation vor der Kneipe haben sich sogar schon entspannt gehabt, als M. unvermittelt mit dem Messer zugestochen habe.

Aufgrund des Alkohol- und Drogenkonsums schloss das Gericht eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht aus. Deshalb wurde der Strafrahmen leicht herabgesetzt, dann aber nahezu voll ausgeschöpft. Insbesondere die zahlreichen Vorstrafen, zum Teil aufgrund erheblicher Gewaltdelikte, wirkten strafverschärfend.

Mit dem Strafmaß ging das Schwurgericht noch über den Antrag von Staatsanwalt Marco Held hinaus, der für den Totschlag und die gefährliche Körperverletzung (die einen anderen Kneipengast betraf, dem eine Bierflasche auf dem Kopf zerschlagen wurde) eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten gefordert hatte.

Die Verteidigung wollte einerseits eine Notwehrsituation nicht ausgeschlossen wissen und verwies darauf, dass es für das eigentliche Tatgeschehen keine Zeugen gebe. Deshalb sei, so Rechtsanwalt Dr. Karl Haas, im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden. Dem aber mochte das Gericht nicht folgen. Es hatte keine Zweifel.

Deine Meinung zählt:

8 Kommentare

  1. 8

    @7. rd Ich habe mich jetzt mal absichtlich dusselig angestellt, um den Bruch in der „Argumentation“ deutlich zu machen. Natürlich kann die Verteilung so vorgehen, dass sie dem Gericht erst die Darstellung eines unglücklichen Unfalls präsentiert und später, weil sie mit der Unfallversion nicht durchgekommen ist, die Frage aufwirft, ob es sich nicht auch um Notwehr hätte handeln können zumal es keine Tatzeugen gibt, die etwas anderes, was der Notwehrversion wiedersprechen könnte, aussagen können.
    Es gibt zwar keine Zeugen für die Messerstecherei, aber wie sich ein Unbewaffneter derart bedrohlich dem mit dem Messer bewaffneten Mann nähern könnte, so dass dieser sich in akuter Lebensgefahr geglaubt hätte und gleich dreimal mit voller Wucht zugestochen hat, ist nicht erklärbar.

    Der fernseherprobte Verteidiger hat da wohl juristische Realität mit Fiktion verwechselt. Das Todesopfer und seine Familie haben einen Schaden erlitten, der nicht wieder gut zu machen ist.
    Vielleicht gelingt es Patrick M. von seiner Alkohol- und Drogensucht loszukommen und zu lernen seine gewalttätige Impulsivität zu kontrollieren.

     
  2. 7

    @Politix Was spricht gegen eine Argumentation nach dem Muster: Eigentlich sehe ich das so, aber für den Fall, dass die Kammer zu einer anderen Ansicht gelangt, müsste man dann das und das bedenken? Viel lustiger war übrigens der zweite, aus Barbara Salesch bekannte Anwalt, der von einem „Rücktritt“ von der Tat sprach – was etwas schwierig ist, wenn das Opfer gestorben ist. Wovon dann noch zurücktreten. Dafür gab’s dann auch eine brüske Zurückweisung vom Gericht: „Kennt das deutsche Strafrecht nicht “

     
  3. 6

    @5. rd Die Verteidigung kann natürlich nicht behaupten ihr Mandant hätte in Notwehr gehandelt UND das Todesopfer wäre unglücklicherweise dreimal in das Messer, das der Täter gehalten hat, gefallen, das ist klar. Aber dass die Verteidigung die Unverfrorenheit besessen hat es erst mit der einen Version zu versuchen und dann mit der anderen, ist dreist, weil sich Notwehr und Unfall in diesem Fall ausschließen. Das ist ungefähr so als würde ich zuerst behaupten ein Gegenstand wäre rot und später behaupte ich er sei gelb. Tatsächlich ist der Gegenstand blau. Wie glaubwürdig bin ich dann, wenn ich meine Behauptung ändere?

     
  4. 5

    @Politix Der Gedanke an eine Notwehr war nur für den Fall ins Feld geführt worden, dass die andere Version nicht zieht. Gängiges Vorgehen. „Eigentlich glauben wir an die Unschuld unseres Mandanten, aber, falls nicht, kommen die folgenden mildernden Umstände infrage…“

     
  5. 4

    „Vor dem Schwurgericht sagte der Angeklagte, er sei umgerissen worden, und ein Mann sei auf ihn gefallen. Seine Schilderung ließ den genauen Tathergang aus, sollte aber den Eindruck erwecken, dass das Opfer gewissermaßen in das Messer gefallen ist.“

    „Eine mögliche Notwehr, die von der Verteidigung ebenfalls ins Feld geführt worden war, schloss das Gericht ebenfalls aus.“

    @Dr. Haas Was denn nun? Unglücklicher Unfall (Todesopfer fällt zufällig dreimal ins Messer des Täters) oder Notwehr? Beides kann nicht gleichzeitig zugetroffen haben. Es wäre glaubhafter gewesen sich auf eins von beiden festzulegen anstatt einfach alles, was strafmildernd wirkt auch wenn es sich gegenseitig widerspricht in die Waagschale zu werfen.

    Das Gericht hat sich davon nicht beirren lassen und ein gerechtes Urteil gesprochen. Auch wenn der Täter und seine Verteidiger das sicher anders sehen.

     
  6. 3

    Alkohol & Drogen waren noch nie gut. Nur selten ist dieses Duo so verheerend wie in diesem Fall.
    Der angetrunkene und bekiffte Mann geht zur Kneipe und macht Ärger. Wird dann vor die Tür gesetzt. Der Betreiber vom Kiosk gegenüber ruft für ihn ein Taxi mit dem der Mann zu sich nach Hause fährt. Mit einem Messer kehrt der Mann in die Kneipe zurück wo ihm der Wirt das Messer abnimmt. Er beginnt wieder mit dem Ärger machen und zerschlägt eine Bierflasche auf dem Schädel von einem der Kneipengäste. Seine Mutter holt ihn von der Kneipe ab um ihren auch schon in der Vergangenheit gewalttätigen Sohn davor zu bewahren rückfällig zu werden. Das gelingt auch fast. Der Wirt gibt der Mutter das Messer zurück und sie nimmt Messer und Sohn mit in ihr Auto. Unter einem Vorwand steigt der Sohn aus dem Auto, nimmt das Messer mit und geht wieder in die Kneipe und wieder gibt es Ärger. Vor der Kneipe sticht der Mann unvermittelt dreimal auf einen Kneipengast ein.

    Drei Menschen haben versucht Unheil zuverhindern. Der Kioskbesitzer der den Mann in ein Taxi verfrachtet hat damit er nach Hause fährt, der Wirt der Kneipe der dem Mann das Messer wegnimmt und die Mutter des Mannes die eine böse Vorahnung hat und ihren Sohn vor sich selbst schützen will. Drei Menschen schaffen es nicht M. zu stoppen. Was sagt das über die Fähigkeit von M. aus mit anderen Menschen zusammenleben zu können ohne das jemand dabei zuschaden kommt?