Wenn eine Zeitung wie die Rheinische Post ihren 75. Geburtstag feiert, noch dazu eine Zeitung, die sich am Niederrhein für das Maß aller Dinge hält, und wenn sie noch dazu, wie am Samstag vor einer Woche geschehen, eine 75-seitige Jubiläumsausgabe herausbringt, in der sie Nabelschau betreibt, dann, so würde ich sagen, hat sie auch verdient, dass man einmal genauer hinschaut.
Insbesondere dann, wenn in einem der Jubiläumssegmente, und zwar in dem, das „Haltung“ betitelt ist, auf der Seite E34 ein Foto des Films „Die Unbestechlichen“ abgedruckt ist, welches die beiden Schauspieler Dustin Hoffmann und Robert Redford zeigt, die die zwei legendären Watergate-Reporter der Washington Post, Carl Bernstein und Bob Woodward darstellen. Zentrale Requisite des Motivs ist eine Schreibmaschine.
Die Überschrift über dem Beitrag lautet „Was guten Journalismus ausmacht“, verfasst hat ihn Dr. Martin Kessler, der leitende Politikredakteur des Blattes. Da kann man sicher noch was lernen!
Kessler schreibt, dass die Nachrichten fließen müssen, wie sie kommen; sie aus Gründen der Opportunität zurückzuhalten, sei „im Grunde Manipulation des Lesers“. Schon gar nicht dürfe ein Journalist mit seiner Nachricht Politik machen, „also den Fluss so einsetzen, dass er der einen oder der anderen Partei nutzt“.
Dann stellt Kessler den „zweiten Hauptsatz des guten Journalismus“ vor. Dieser aber sei die Unabhängigkeit des Schreibers oder der Schreiberin. Am Ende kommt der griechische Philosoph Epiktet ins Spiel, auch der zweite Hauptsatz der Thermodynamik findet noch Erwähnung, alles in allem merken wir uns bis jetzt aber: Wir halten nichts zurück, und wir sind unabhängig, wenn wir guten Journalismus betreiben wollen.
Das ist doch schon mal was!
Das Schöne an Zeitungen ist, dass man sie so herrlich unstrukturiert lesen kann. Man blättert ein bisschen vor, man blättert ein bisschen zurück, und plötzlich landet der Leser im Segment „Technologie“ auf den Seiten E14 und E15, auf denen sich der Beitrag „Unis als Treiber der Innovation“ findet. Als Autor zeichnet wiederum Dr. Martin Kessler.
Viel ist über die RWTH Aachen zu erfahren, und am Ende kommt sogar Kleve vor: „Ein herausragendes Beispiel ist die Hochschule Rhein-Waal in Kleve und Kamp-Lintfort, die jetzt alte Industriestädte in ein akademisches Zeitalter führen soll. Erst 2009 gegründet, hat sie inzwischen mehr als 7000 Studierende und rund 400 Mitarbeiter, ist aber längst ein erheblicher Wirtschaftsfaktor in den Kreisen Kleve und Wesel.“
43 weitere Zeilen wird ohne jede Distanz das Hohelied der Einrichtung besungen, damit erhält die HSRW fast soviel Raum wie die RWTH Aachen. Trotz des üppig bemessenen Raumes – am Kopf der Seite ist auch noch viel Weißraum – fehlt aber offenbar der Platz, um den Hinweis unterzubringen, dass Dr. Martin Kessler so ganz unabhängig gar nicht ist.
Denn in der Hochschule Rhein-Waal ist Martin Kessler seit vielen Jahren Mitglied des Hochschulrats. Auf seinem Linked-In-Profil schreibt er über sich: „Als Hochschulrat bestimme ich die Entwicklung der Hochschule Rhein-Waal maßgeblich mit und kontrolliere die Aktivitäten des Präsidiums und stimme über den Haushalt ab.“ Mit dem im Text ausgiebig zitierten Präsidenten der Hochschule Rhein-Waal, Dr. Oliver Locker-Grütjen, verbindet ihn zudem der Umstand, dass er ihn 2019 mit ins Amt gewählt hat. Logischerweise kennt Kessler auch den Vorsitzenden des Hochschulrats. Es handelt sich um Professor Dr. Aloys Krieg – der arbeitet, wer hätte das gedacht, an der RWTH in Aachen.
Man könnte eventuell auf die Idee kommen, dass guten Journalismus an dieser Stelle der Umstand ausmacht, entweder diese Verbindung offenzulegen oder einfach jemand anderen darüber schreiben zu lassen. Wegen der Unabhängigkeit und so. Es scheint allerdings eher so zu sein, dass die komplette Schamlosigkeit um sich greift.
Womit wir auch schon im Segment „Heimat“ angelangt sind. Dieser Teil überrascht auf den Seiten E50 und E51 mit einer doppelseitigen Anzeige, die überschrieben ist: „Die Kreis-WfG und 75 Solo-Selbstständige gratulieren der Rheinischen Post zum 75. Geburtstag“.
Das zentrale Fotomotiv zeigt einen dunklen Volkswagen, hinter dessen geöffneter Fahrertür der Geschäftsführer der Gesellschaft, Hans-Josef Kuypers, steht, um ihn herum sind einige Frauen drapiert, zwei von ihnen – Lea Reuvers und Kira Geerts – dürfen sogar durchs Schiebedach ragen, was wohl als niederrheinische gediegene Variante der Gangsta-Rap-Videos zu verstehen ist, bei denen sich relativ häufig Frauen in Mercedes-Cabrios räkeln und strecken.
An dieser Anzeige stimmt nichts, nicht einmal die Zahl. Es handelt sich nur um 72 Unternehmer, und viele davon scheinen auf den ersten Blick auch alles andere als „Solo-Unternehmer“ zu sein.
Das Zustandekommen der Anzeige bleibt im Nebulösen: „ihrer Einladung zum gemeinsamen Auftritt in der heutigen Sonderausgabe zum Jubiläum der Rheinischen Post“ seien die abgebildeten Unternehmer gefolgt, heißt es im Text. Wer ist „ihrer“? Hat die Zeitung eingeladen, hat die Wirtschaftsförderung eingeladen, haben die Unternehmer sich selbst eingeladen?
Am wahrscheinlichsten erscheint, dass die Wirtschaftsförderung eingeladen hat, was dann aber eine sehr selektive Art der Wirtschaftsförderung ist – durften nur Spezln auf die Doppelseite? Und dann subventioniert die WfG Kreis Kleve GmbH einen privaten Zeitungsverlag bei einer Jubelarie in eigener Sache mit einer doppelseitigen Anzeige? Und dann noch genau die Zeitung, in der Geschäftsführer Kuypers auch schon mal irreführende Informationen in Kolumnen verbreiten darf? Man wundert sich. (Oder eben nicht.)
Am Ende des Anzeigentextes kommt Hans-Josef Kuypers selbst zu Wort. Er sagt: „Wir sind unseren vielen Kontaktpartnern außerordentlich dankbar dafür, dass sie sich zur heutigen Gemeinsamkeit mit uns entschlossen haben. In großer Runde stimmt man es schlichtweg leichter an, das ,Happy Birthday to you, Happy Birthday Rheinische Post`“.
Unter dem Wirtschaftsförderer darf auch die Landrätin Silke Gorißen in einem kleinen Text gratulieren. Sie sagt: „Herzlichen Glückwunsch zu Ehrlichkeit, Offenheit, Schonungslosigkeit“.
Damit wäre dann auch in der Tat alles gesagt. Außer vielleicht noch, dass auf S. E56 in einer ganzseitigen Anzeige auch „Ihre Bestatter“ gratulieren. Ein würdiger Abschluss.
Mehr zum Thema: Beiträge zur Auflösung des Journalismus; Rheinische Lektoratlosigkeit
Was soll das Bild mit dem Auto eigentlich aussagen? Auch nach dem 100. Betrachten komme ich nicht drauf.
In Pandemiezeiten in jedem Fall genau das richtige Motiv, um dem Bürger zu zeigen, dass man es mit Abstand und Maskenpflicht auch bei der Wirtschaftsförderung nicht ganz so genau nimmt.
Aber die Chefin macht es ja vor und trifft sich Woche um Woche mit mehreren Menschen ohne Maske in Innenräumen (jüngstes Beispiel Besuch der Förderschule).
An dieser Stelle sei der Bürger des Kreises Kleve aber nochmal daran erinnert, dass er als Beifahrer in einem Auto Maske zu tragen hat.
â˜ðŸ½..ehrlich ,offen ,schonungslos ? 🙄😂 “ Dummköpfe zu ertragen ist sicherlich der Gipfel der Toleranz“ ( Voltaire )
Als ich diese RP-Jubiläumsausgabe zufällig lass, stellte sich bei mir eine Mischung aus Zahnschmerz und Scham ein.
Aber, es gibt sonne und solche, und dann gibt’s noch ganz andere, und das sind die schlimmsten.
@Kein Hochschulratsmitglied Dass es an der HSRW so einige gibt, die nicht wissen, was sie tun, ist nun aber nichts Neues 😉
einer der schöneren Artikel, etwas rp-bashing angesetzt mit einer kleinen Prise hsrw-saltyness. Genau mein Geschmack.
„Denn in der Hochschule Rhein-Waal ist Martin Kessler seit vielen Jahren Mitglied des Hochschulrats. Auf seinem Linked-In-Profil schreibt er über sich: „Als Hochschulrat bestimme ich die Entwicklung der Hochschule Rhein-Waal maßgeblich mit und kontrolliere die Aktivitäten des Präsidiums und stimme über den Haushalt ab.“ Mit dem im Text ausgiebig zitierten Präsidenten der Hochschule Rhein-Waal, Dr. Oliver Locker-Grütjen, verbindet ihn zudem der Umstand, dass er ihn 2019 mit ins Amt gewählt hat.“
Herr Kessler hat offensichtlich nicht verstanden wie Hochschulen funktionieren.
„Zu seinen Aufgaben gehören nach § 21 des Hochschulgesetzes NRW insbesondere:
die Mitwirkung bei der Wahl der Mitglieder des Präsidiums und ihrer Abwahl,
die Zustimmung zum Hochschulvertrag,
die Zustimmung zum Wirtschaftsplan, zur unternehmerischen Hochschultätigkeit und zur Ãœbernahme weiterer Aufgaben,
Aufsicht über die Wirtschaftsführung des Präsidiums,
die Stellungnahme zum Entwurf des Hochschulentwicklungsplans, dem Rechenschaftsbericht des Präsidiums und zu den Evaluationsberichten,
Stellungnahmen in Angelegenheiten der Forschung, Kunst, Lehre und des Studiums, die die gesamte Hochschule oder zentrale Einrichtungen betreffen oder von grundsätzlicher Bedeutung sind,
Feststellung des Jahresabschlusses, Beschlussfassung über die Verwendung des Jahresüberschusses oder Behandlung des Jahresfehlbetrages sowie die Entlastung des Präsidiums.“
Quelle: https://www.hochschule-rhein-waal.de/de/hochschule/organisation/hochschulrat
Die Entwicklung der Hochschule im Ganzen und der Fakultäten im Einzelnen wird zu 100% von Beschäftigten der Hochschule bestimmt und durchgeführt. Die Mitglieder des Hochschulrats können versuchen die Hochschule nach ihren Vorstellungen zu formen. Inwieweit sie damit Erfolg haben, hängt davon ab, ob die jeweilige Vorgabe Sinn ergibt.
Guter Artikel, der gefällt (ich meine nicht die RP sondern die Auseinandersetzung mit der 75)…dass „Ihre Bestatter gratulieren zum 75 Jubiläum.“, ist irgendwie kryptisch, nebulös aber auch leichte Comedy :-)Aber unweigerlich auch Werbewirksam:-)
Hoffentlich bekomme ich sowas nicht als Geburtstagskarte mal zugeschickt:-)
Trotz allem Glückwunsch RP, wenn auch ich das Zeitungslesen via NRZ von meinen Eltern in den 70-80èr erlernt habe (bevor es mit dem NIAG Bus zur Nassauerallee ging – Abgang 85).
Ehrlich, offen, schonungslos.
Allerdungs.
Puh. Durchatmen…
Und nochmals: Puh. Durchatmen…
..und schön weitermachen…