Steht Kleve heute die größte Explosion seit 1945 bevor? Nein, Zünder erfolgreich entfernt

(Wird laufend aktualisiert. Aktueller Stand: 14:05 Uhr, Feuerwerker hat Zünder entfernt, alles vorbei)

Und tschüss! 500 kg TNT in Lkw (Foto: Stadt Kleve)
Bagger am Fundort der Bombe (Bild vom Freitag)
„Achtung, Achtung, hier spricht die Feuerwehr!“ Dann mal raus!

14:01 Uhr: Sprengung der Bombe nicht erforderlich – Der Zünder der Bombe konnte entfernt werden und ist im Anschluss gesprengt worden. Die Sprengung der Bombe konnte damit vom Feuerwerker verhindert werden.

Hinweis: Wenn jetzt noch das Martinshorn zu hören ist, liegt das daran, dass die evakuierten Bewohner aus den Senioreneinrichtungen mit den Bussen der Hilfsdienste zurückgebracht werden. Nicht, dass ihnen nicht gegönnt sei, schnell wieder heimzukommen, aber richtig Sinn ergibt das nicht. Aber schon bei der vorigen Entschärfung schien auch der Gebrauch der „Sonderrechte“ viel Freunde zu bereiten.

Unterdessen beschwerten sich – nicht zu Unrecht, wie die kleveblog-Redaktion findet – Studierende der Hochschule Rhein-Waal auf Facebook, dass die Information der Bevölkerung ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt sei. Zumindest die wichtigsten Informationen (immerhin geht es ja um eine potenziell lebensbedrohliche Situation) sollten auch in englischer Sprache verfügbar gemacht werden. Es spräche auch nichts dagegen, das Ganze maschinell zu erledigen (DeepL, Google), bei solch wichtigen Informationen dürfte grammatische Korrektheit und stilistische Brillanz ruhig hintanstehen.

Eine alte Journalistenregel lautet, dass Fragen in Überschriften stets mit Nein beantwortet werden können. Diesmal bestanden aber zumindest Chancen, dass es anders gekommen wäre, denn bis zum Mittag war nicht sicher, ob die Feuerwerker vom Kampfmittelräumdienst die 10-Zentner-Bombe, die in der Baugrube an der Kapitelstraße gefunden wurde, tatsächlich entschärfen konnten. Wenn nicht, hätte sie kontrolliert gesprengt werden müssen. Wie das aussehen wird, davon vermittelt das Bild oben einen Eindruck (bei einem vergleichbaren Fall 2016 in Leipzig-Wahren aufgenommen).

Aber die Regel blieb in Kraft. Die korrekte Antwort auf die Frage lautet: Nein, Kleve erlebte nicht die größte Explosion seit 1945.

So oder so, 4500 Menschen, die im Umkreis von 500 Metern um den Fundort der Bombe leben, mussten ihre Häuser verlassen. Wie schon beim ersten Bombenfund an der Baustelle am 31. März war die Innenstadt schon am frühen Morgen eine Geisterstadt – insbesondere einige Niederländer, die offenbar (mit Test) einkaufen wollten, wurden von der Situation kalt erwischt und mussten unverrichteter Dinge wieder den Heimweg antreten oder in weniger explosive Gefilde ausweichen. Mit einem gewissen Sinn für Ironie der Geschichte fand die Entschärfung am 8. Mai statt, dem Tag, an dem vor 76 Jahren der Zweite Weltkrieg in Europa endete.

Von den Evakuierungen betroffen waren auch die Altenheim-Bewohner der Evangelischen Stiftung und dem Seniorenheim Herz-Jesu-Kloster in Kleve. Dort waren Fahrzeuge des Deutschen Roten Kreuzes vorgefahren, um die Bewohner zu evakuieren. Sie wurden zum Teil im Klever Krankenhaus, in der Dietrich-Bonhoeffer-Schule in Bedburg-Hau oder in der Mehrzweckhalle in Materborn untergebracht. Die Stadt war ursprünglich guter Dinge, dass die Evakuierung um 12:30 Uhr abgeschlossen sein könnte, musste dann aber gegen 13 Uhr einräumen, dass sie sich verzögert. Es seien noch einige Krankenfahrten unterwegs.

Nachdem die Evakuierung abgeschlossen war, machte sich der Feuerwerker des Kampfmittelräumdienstes gegen halb zwei Uhr ans Werk und prüfte, ob die Zehn-Zentner-Bombe entschärft werden kann oder gesprengt werden muss. Um 13:25 Uhr begann er seine Begutachtung. Eine knappe halbe Stunde später hatte er den Zünder gesichert. Er wurde zur Detonation gebracht – und damit war die Gefahr vorbei.

Eine kontrollierte Sprengung wäre ungleich aufwändiger geworden: Die Bombe wäre von ihrem Fundort in ein vorbereitetes Erdloch transportiert und mit Lkw-Ladungen Sand bedeckt worden. Im Anschluss hätten die Kampfmittelräumer gefüllte Wasserbehälter mit einem Gesamtvolumen von knapp 45 Kubikmeter (45.000 Liter) auf die Sandschicht gestellt. Danach wäre die kontrollierte Sprengung erfolgt.

Auf der Seite Lokalkompass gibt es einige schöne Drohnen-Fotos, die einen guten Überblick über das Gelände bieten: Erneut wird eine Bombe an der Kapitelstraße entschärft.

Blick auf den Fundort (Foto: Feuerwehr Kleve)

Eine typische Fliegerbombe besteht aus zwei Teilen: aus einem kleinen Zünder, etwa in der Größe einer Seifenblasenflasche, und dem mit dem Sprengstoff TNT gefüllten Bombenkörper. Getrennt sind beide Teile relativ ungefährlich. Zur tödlichen Gefahr werden sie erst in der Verbindung, also wenn der Zünder den Sprengstoff zündet. Das Ziel der Entschärfung ist es daher, beide Teile voneinander zu trennen.

Die Abschätzung der Reichweite s einer Sprengung mit der Sprengkraft M, bei der noch eine Druckdifferenz P gemessen wird, erfolgt nach:{\displaystyle s(P)=M^{\frac {1}{3}}\cdot \exp \left(0{,}9267-0{,}5112\cdot \ln(P)+0{,}0398\cdot (\ln(P))^{2}\right)}

mit: s = Reichweite in m; P = Druckdifferenz in bar; M = TNT-Massenäquivalente in kg.

Eine Druckwirkung von 700 mbar verursacht den Einsturz von Wohnhäusern, Lungenriss; bei 1400 mbar gibt es eine völlige Zerstörung; 2000 mbar führen zum Tod durch direkte Druckwirkung bei 99 Prozent der Betroffenen. Auf die Bombe in der Kapitelstraße übertragen, würde diese bei einer ungeschützten Explosion im Umkreis von rund 20 Metern alles zerstören, im Umkreis von 200 Metern gingen noch Fensterscheiben zu Bruch.

Hier die aktuellen Informationen der Stadt Kleve:

Neben dem Bombenfund an der Küppersstraße wurde ein weiterer Bombenfund an der Kapitelstraße bestätigt. Die Entschärfung dieser Zehn-Zentner Bombe ist für Samstag, 08.05.2021 vorgesehen. Eventuell ist eine Sprengung erforderlich.

Der Zeitpunkt der Entschärfung steht noch nicht fest.

Sobald wir weitere Informationen haben, werden wir umgehend informieren. Außerdem wird per Lautsprecherdurchsagen der Freiwilligen Feuerwehr und Polizei, NINA-App und Antenne Niederrhein informiert.

Zum Schutz der Bevölkerung wurden bereits folgende Sicherheitsbereiche gebildet:

a)    Innerer Sicherheitsbereich

  • Arntzstraße, von Höhe Haus Nr. 9 bis Rahmstraße/ Heideberger Mauer,
  • Arnulfstraße, von Höhe Haus Nr. 4 bis Ringstraße,
  • Backermatt,
  • Beatrixstraße,
  • Beuthstraße,
  • Bleichen, von Wasserstraße bis Stadthalle Kleve (Lohstätte 7),
  • Bleichenberg,
  • Böllenstege,
  • Borselstege,
  • Ernst-Goldschmidt-Straße, von Höhe Haus Nr. 22 bis Arntzstraße,
  • Feldmannstege,
  • Fleischhauerstraße,
  • Frankenstraße, von Ringstraße bis Backermatt und von Ringstraße bis Dietrichstraße,
  • Gartenstege,
  • Gärtnergasse,
  • Gerwin, von Höhe Haus Nr. 4 bis Große Straße,
  • Goldstraße,
  • Graf-Johann-Straße,
  • Großer Heideberg,
  • Großer Markt, von Haus Nr. 15 bis 25,
  • Große Straße, von Höhe Haus Nr. 66/47 bis Fischmarkt,
  • Grüner Heideberg,
  • Hagsche Poort,
  • Hagsche Straße,
  • Hasenberg,
  • Heideberger Mauer, von Höhe Haus Nr. 21 bis Arntzstraße,
  • Hertenberg,
  • Hoffmannallee, von Kreuzungsbereich Lindenallee/ Hoffmannallee/ Hagsche Straße bis Höhe Haus Nr. 15/10,
  • In den Galleien,
  • Kapitelstraße,
  • Kasinostraße,
  • Kermisdahlstraße, von Turmstraße bis Königsgarten
  • Kermisdahlufer,
  • Kirchstraße,
  • Kleiner Markt,
  • Kloppberg,
  • Königsgarten, von Wasserstraße bis Höhe Haus Nr. 43a,
  • Kockstege,
  • Kolpingstraße,
  • Küfenstraße,
  • Kurze Marktstraße,
  • Lindenallee, von Nassauerallee bis Höhe Haus Nr. 52/ 59,
  • Mausgarten, von Weyerstege bis Höhe Haus Nr. 45,
  • Nassauerallee, von Haus Nr. 1 bis 40,
  • Nassauermauer,
  • Nassauerstraße,
  • Prinzenhof,
  • Propsteistraße,
  • Rahmstraße,
  • Ringstraße, von Höhe Haus Nr. 11/ 14 bis Lindenallee,
  • Rütgerstraße, von Backermatt bis Höhe Haus Nr. 17,
  • Schollenrondell Haus Nr. 2,
  • Schwanenstraße,
  • Schloßberg,
  • Schloßstraße,
  • Schloßtorstraße,
  • Stadtbadstraße,
  • Stechbahn, von Hagsche Straße bis Höhe Haus Nr. 78/ 57,
  • Triftstraße, von Lindenallee bis Höhe Haus Nr. 34/25,
  • Wasserstraße, von Höhe Haus Nr. 18 bis Königsgarten,
  • Weyerstege, von Nassauermauer bis Haus Nr. 53

Die dort wohnende/ arbeitende Bevölkerung hat die Wohnungen/ Gewerbetriebe zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Der Zeitpunkt wird noch mitgeteilt!

Die Stadt Kleve bietet den Betroffenen Unterkunft in der Mehrzweckhalle Materborn, Dorfstraße 28, 47533 Kleve.

Im inneren Sicherheitsbereich müssen ca. 4.500 Personen evakuiert werden.

b)    Äußerer Sicherheitsbereich

Der äußere Sicherheitsbereich erstreckt sich über einen Radius von 1 km um den Fundort. Hier ist auf die Lautsprecherdurchsagen der Feuerwehr zu achten.

Die Bewohner des äußeren Sicherheitsbereiches dürfen sich während der Entschärfungszeit nicht im Freien aufhalten.

Für allgemeine Rückfragen steht der Fachbereich Öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tel.-Nr. 02821/ 84-474 sowie 02821/ 84-384, zur Verfügung.

Schwerkranke und Körperbehinderte werden, soweit erforderlich, durch den Krankentransportdienst aus dem Gefahrenbereich gefahren. Entsprechende Wünsche sind ab sofort an die Leitstelle, Tel.-Nr.  02821/19222, zu richten.

Alle übrigen Personen können sich während der Entschärfungszeit ebenfalls in der Mehrzweckhalle Materborn, Dorfstraße 28, 47533 Kleve, aufhalten.

Deine Meinung zählt:

5 Kommentare

  1. 5

    @B-KLE „Dort werden Informationen grundsätzlich so verfasst, dass sie vom bemühten Nichtmuttersprachler einfach nicht verstanden werden können.“…auch wenn das nur am Rande mit der Bombenentschärfung zu tun hat – Sie glauben nicht wirklich, dass die Behörden eine „Stabsstelle Informations erschleierung“ oder einen „Arbeitskreis Beamtendeutsch gegen Ausländer“ gegründet haben? Wohlmögluch auf Anordnung von Bill Gates? Ich habe den Aufklärungsbogen über die Impfung auch als bemühter Muttersprachler mehrmals lesen müssen, und ja, ich musste auch noch Nachfragen. Die Bögen gibt es übrigens auch in weiteren Sprachen… Wenn ich ins Ausland fahre, gebe ich mir Mühe, zumindest die Grundlagen der Sprache zu verstehen – und zwar über „Dos cervezas por favor“ oder „Parlano il tedesco“ hinaus, das ist meine Form von Respekt der anderen Kultur gegenüber. Diesen Respekt erwarte ich auch von „Nichtmuttersprachlern“ meiner Kultur gegenüber. Und wenn es dann sprachlich oder intellektuell nicht reicht, kann man nachfragen. „Du gehen in Haus weil Bombe machen bumm!“ wäre dann vielleicht zielführend, aber wieder fremdenfeindlich.

     
  2. 4

    Vielen Dank an alle die tätig waren bei der Bombenentschärfung. Ich hoffe, dass beim nächsten Mal auch eine Durchsage auf Englisch vorbereitet wird.
    Ich möchte die Aufmerksamkeit aber auf das Darum richten. Eine bessere Möglichkeit der Erinnerung an die Unsinnigkeit von Krieg und Menschenverachtender Ideologie, welche ursächlich für den Abwurf dieser Bombe waren, gibt es nicht. Noch dazu am 8. Mai dem Tag der Befreiung durch die Alliierten.

     
  3. 3

    Die Sache mit der fehlenden Mehrsprachigkeit bei wichtigen Informationen scheint mir in Kleve eine gelebte Tradition. Ich erinnere mich an den verärgerten Postmitarbeiter, der eine Kundin mit den Worten abwimmelte: „Wie soll ich Ihnen helfen, wenn Sie des Deutschen nicht mächtig sind.“ Im Corona-Testzentrum bemüht man sich unterdessen. Dort fragt man junge Frauen nicht, ob Sie einen Termin (appointment) haben. Man ruft ihnen einfach mit weit aufgerissenen Augen „Date?“ entgegen.

    Das bei beamtenartigen Tätigkeiten kultivierte Streben zur vollendeten Nichtkommunikation ist in Kleve auch außerhalb der Amtsstuben sehr verbreitet. Dahinter steckt immer der Gedanke: „Ich möchte in erster Linie nicht, dass mein Gegenüber mich versteht. Ich möchte vor allem in Ruhe gelassen werden.“

    Bei den Impfungen wird das dann bitter. Dort werden Informationen grundsätzlich so verfasst, dass sie vom bemühten Nichtmuttersprachler einfach nicht verstanden werden können.
    Nach einiger Zeit werden dann die Impfquote und die Infektionszahlen bei Migranten moniert. Und es findet sich schnell ein Politiker, der dann aus den Gefährdeten eine Gefahr macht.

     
  4. 2

    Erleichterung. Man ist es nicht gewohnt, dass die Feuerwehr rumfährt und die Leute auffordert, in den Häusern zu bleiben. Nachbarn, die früh gegen 9.00 Uhr noch einkaufen fuhren, konnten erst am Nachmittag wieder zurückkommen. Die Dinge sind gut geregelt in diesem Land.

    Wie mag es erst damals für die Leute gewesen sein – zu der Zeit, als die besagten Bomben fielen – als keiner wusste, wo sie runterkommen und vielleicht noch nicht alle im Luftschutzbunker saßen. Manche von ihnen wurden jetzt aus den Altersheimen im inneren Sicherheitsbereich evakuiert.

     
  5. 1

    AufAtmen !
    aufrichtigen Dank
    – den FeuerWerkern,
    – allen anderen EinsatzKräften
    und diesmal ausdrücklich auch ins RatHaus :
    – allen, die uns mit dem NewsTicker auf dem laufenden gehalten haben !
    Danke und schönes WochenEnde !