Prozess um den „Propheten von Graefenthal“: Staatsanwaltschaft fordert 8 Jahre Haft

Die Transformanten nannten ihn "Sonnenblume": Der Angeklagte auf dem Weg in den Gerichtssaal, im Hintergrund seine drei Strafverteidiger Inez Weski, Pantea Farahzadi und Dr. Rüdiger Deckers

Am 30. Dezember soll der Prozess um den „Propheten von Graefenthal“ ein Ende finden – gestern gab es das Plädoyer der Staatsanwaltschaft.

Welche Erwägungen genau die Staatsanwaltschaft angestellt hatte, blieb im Dunkeln eines nichtöffentlichen Plädoyers verborgen, doch die eine Zahl, die am Ende der Ausführungen der beiden Anklagevertreter stand, sprach dafür, dass sie auch nach der monatelangen Beweisaufnahme nicht vom Kern der Vorwürfe abgerückt sind. Acht Jahre Haft forderte die Staatsanwaltschaft für den 59 Jahre alten, selbsternannten Propheten, der der geistige Führer des „Ordens der Transformanten“ ist, die sich seit einigen Jahren im Kloster Graefenthal in Goch-Asperden niedergelassen hat. Auch der Vertreter der Nebenklage, Rechtsanwalt Dr. Karl Haas, sah die Vorwürfe als erwiesen an. 

Die Anklage lautete auf vielfachen sexuellen Missbrauch sowie auf Freiheitsberaubung. Der Niederländer soll sich über Jahre hinweg an einer jungen Frau vergangen haben, die in der Sekte aufgewachsen war und die dann einer seiner Frauen wurde. Die Serie der Straftaten soll begonnen haben, als die Frau gerade einmal zwölf oder 13 Jahre alt war. In der vorletzten Sitzung des Gerichts hatte die Staatsanwaltschaft rund ein Drittel der Vorwürfe fallen gelassen. Die aus juristischer Sicht am schwersten wiegenden Vorwürfe wurden aber aufrechterhalten. 

Die eingestellten Fälle beziehen sich auf die Zeit, in der die Sekte „Orden der Transformanten“ sich im Kloster Graefenthal in Goch niedergelassen hatte. Noch auf dem Tapet sind hingegen die 87 angeklagten Fälle aus der Zeit davor. Die immer noch zahlreich im Gericht vertretenen Anhänger des 59-Jährigen werden es vermutlich mit Erleichterung quittiert haben, dass der Kopf ihrer Glaubensgemeinschaft sich nunmehr einer deutlich geschrumpften Anklage gegenübersieht. Dass 34 Prozent der Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs nicht mehr weiterverhandelt werden, kann tatsächlich den Eindruck erwecken, dass sich die Waagschale zugunsten des Angeklagten neigt.

Bei den früheren Fällen könnte noch die Argumentation zum Tragen kommen, die die seit längerem nicht mehr gesichtete dritte Strafverteidigerin des Angeklagten, die niederländische Starjuristin Inez Wesky, in ihrem Eröffnungsstatement angebracht hatte. Sie war der Ansicht, dass die deutsche Justiz dafür überhaupt nicht zuständig sei. Ob sich die Strafkammer dieser Auffassung anschließt, darüber lässt sich nur spekulieren. Wahrscheinlich eher nicht, denn dann hätten auch diese Anklagepunkte schon eingestellt werden können.

In Rechnung gestellt werden muss allerdings auch, dass die Staatsanwaltschaft selbst die Einstellung der 45 Anklagepunkte beantragt hatte. Insofern könnte der Antrag auf Verfahrenseinstellung auch als eleganter Schachzug zur Vereinfachung des Verfahrens gesehen werden.

Der obere Strafrahmen für sexuellen Kindesmissbrauch liegt bei zehn Jahren. Insofern zeigt die geforderte Strafe von 8 Jahren Freiheitsentzug an, dass die restlichen Vorwürfe – es geht um 87 einzelne Taten – im Rahmen der Beweisaufnahme aus Sicht der Staatsanwaltschaft bestätigt worden sind. Inwieweit die ebenfalls angeklagte Freiheitsberaubung noch in die Strafforderung eingeflossen ist, wurde nicht bekannt.

Das mutmaßliche Opfer hatte sich in einen Geschäftsmann aus Goch verliebt und eine Beziehung zu ihm angefangen. Das hatte innerhalb der Sekte für erhebliche Missstimmungen gesorgt. Als die Frau, die in dem Kloster als Eventmanagerin arbeitete, eine Kurzmitteilung verschickt hatte, in der sie die reuevolle Rückkehr in die Glaubensgemeinschaft angekündigt hatte, waren bei ihrem Geliebten und in dessen Freundeskreis Befürchtungen entstanden, dass sie diese Nachrichten nicht selbst abgeschickt hatte und ihrer Kommunikationsmittel sowie ihrer Freiheit beraubt worden sei. Allerdings konnte sie über einen geheimen Chat doch noch Kontakt mit ihrem Freund aufnehmen.

Das führte vor gut einem Jahr zu einem der größten Polizeieinsätze in der Geschichte des Kreises Kleve, als drei Hundertschaften der Polizei mitten in der Nacht das Gelände des Klosters stürmten, nach Schusswaffen suchten (diese Angaben erwiesen sich allerdings als falsch) und die Frau aus dem Kloster holten. Ob es sich tatsächlich um eine Freiheitsberaubung handelte, muss die 7. große Strafkammer des Landgerichts Kleve unter Vorsitz von Richter Christian Henckel ebenfalls klären. Sicher ist, dass die Frau nicht mehr zur Sekte zurückkehrte und nun mit ihrem Lebenspartner in einem „safe house“ irgendwo in Deutschland lebt.

Als Staatsanwaltschaft und Nebenklage gegen 18:30 Uhr die Plädoyers beendet hatten, war die Zahl der „Transformanten“ an der Schwanenburg mächtig angewachsen. Üblich war bisher, dass rund ein Dutzend Anhänger der Verhandlung folgten, sofern diese öffentlich war. Gestern Abend waren etwa 50 bis 70 Mitglieder der Sekte gekommen, die in der Dunkelheit den Weg zum Gericht säumten und dem Abtransport des „Propheten“ zur JVA Ratingen beiwohnten. Die Justiz rief die Polizei zur Hilfe, es gab allerdings keine Zwischenfälle. 

Die Verhandlung wird nun am 21. Dezember um 11:30 Uhr fortgesetzt. Für diesen Tag sind die Plädoyers der beiden verbliebenen Verteidiger des Angeklagten, Dr. Rüdiger Deckers und Pantea Farahzadi, angesetzt. Es ist anzunehmen, dass sie beide auf Freispruch plädieren. Wenn sie der Linie ihres Vorgehens im bisherigen Prozess folgen, werden die beiden Anwälte vortragen, dass sie das mutmaßliche Opfer für nicht glaubwürdig halten. 

Noch kurz vor dem Ende der Beweisaufnahme hatten sie einen Gutachter präsentiert, der – auch wieder nicht öffentlich – Ausführungen zur Psychologie von Aussagen machte. Er war auch schon im Prozess gegen den TV-Meteorologen Jörg Kachelmann aufgetreten.

Außerdem darf vermutet werden, dass Deckers und Farahzadi für die Fälle, die sich nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden und in weiteren Aufenthaltsorten des Paares ereignet haben sollen, die Zuständigkeit der deutschen Justiz bestreiten.

Die Urteilsverkündung hat das Landgericht für den 30. Dezember um 11 Uhr terminiert.

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16 Kommentare

  1. 16

    @15 Kleine Anmerkung „Werden „Prophet“ und Anhängerschaft etwa wieder mit einem Blauen Auge davon kommen“
    Wenn die StAWSchaft nicht auch in Berufung geht, komt er auf jedem Fall mit einem Blauen Auge davon.
    Wenn nämlich nur er das Verfahren an den BGH zieht, kann es nur weniger, aber nicht mehr werden.

    Unter Anrechnung von Vorarrest sollte er sich schon mal nach einem Arbeitsplatz im offenen Vollzug umsehen.
    Ich bin sicher, eine gewisse Event-GmbH Graefenthal hätte bestimmt einen adequaten Platz für Ihn ……………

     
  2. 15

    Fünf Jahre sind es jetzt erst einmal bzw vorläufig geworden. Von Anfangs 132 Vorwürfen des sexuellen Mißbrauchs ging es zuletzt noch um 21, der Vorwurf der Freiheitsberaubung musste auch „fallen gelassen“ werden.
    Wie die Verteidigerin des selbsternannten „Propheten“, Frau Inez Weski, schon im Vorfeld angedroht hatte, werde im Falle eines Schuldspruches „100%tig“ der BGH bemüht. Werden „Prophet“ und Anhängerschaft etwa wieder mit einem Blauen Auge davon kommen?

     
  3. 14

    @GH Nachtrag: Der Aufenthalt in einer forensischen Klinik ist tatsächlich nicht als Strafe konzipiert, sondern als Behandlung von Leuten, die zum Tatzeitpunkt (vermindert) schuldunfähig waren, erheblichen Schaden verursacht haben und weiterhin als allgemeingefährlich eingestuft werden.

    Ein Wellnessurlaub ist der Aufenthalt in der Forensik nicht.

    (Btw: Die LVR-Klinik in Bedburg-Hau hat außer der forensischen auch andere Abteilungen.)

     
  4. 13

    8 Jahre bei diesen Straftaten und im Raum stehenden Anklagepunkten…. Da lohnt es sich doch schon fast, die ehrliche Arbeit an den Nagel zu hängen, oder etwa nicht?

    Unfassbar.

     
  5. 11

    @9. Günther Hoffmann Lassen Sie uns an Ihrem Wissen teilhaben (das ist ernst gemeint). Ich versuche meinen Horizont ständig zu erweitern.

     
  6. 10

    @Günther Hoffmann:

    Mir erschließt sich zwar nicht, was Ihre Erfahrungen mit dem Beschuldigten „Propheten“ zu tun haben, aber nur zu, dazu ist ein Forum da.

     
  7. 9

    Steez.) Meine ( etwas 🙂 ) Erfahrungen aus dem „Maßregelvollzug “ fänden hier sicher Aufmerksamkeit.

     
  8. 8

    @7 GH Sie meinen den Maßregelvollzug nach Paragraph 63 StGB in psychiatrischen Krankenhäusern wie der LVR-Klinik in Bedburg-Hau. Maßregelvollzug bedeutet vor allem auch, dass dieser nicht an einem vorher festgelegten Tag X endet, sondern Risikoprognosen auf Grundlage der Behandlungsergebnisse vorgenommen werden. Manch einer verlässt die Einrichtung nie wieder.

     
  9. 7

    Was Sie nicht alles wissen Herr Hoffmann.

    Sind Sie Rechtswissenschaftler, Finanzanalytiker, Soziologe, Kriminalpsychologe, Psychiater?
    Oder gleich alles in einem?

    Wollen wir hoffen dass das Gericht belegen kann was passiert ist und der Mann konsequent zur Rechenschaft gezogen wird.

     
  10. 6

    Niederrheinstier, ☝🏽 Forensik ! Das beste was Straftätern passieren kann . Es ist 🐷🐷 teuer, juckt aber niemanden. Der „Patient “ wird dann ,wie schön ,nicht bestraft ☝🏽 sondern therapiert 👏🏽👏🏽 + der sicher nur leicht gestrauchelte 😁 Kriminelle wird so schnell wie möglich,als geläutertes Mitglied, erfolgreich therapiert, wieder auf die Piste geschickt. 😎 🍻

     
  11. 5

    @ 4 (FF)
    Mmuuuh, FF, warum Psychiatrie? Wenn die Missetaten zutreffen, die diesem vermmuuuhtlich falschen Propheten vorgeworfen werden, dann war sein Verhalten doch knallhart kalkuliert, mmuuuh eben um labile Seelen zu fangen. Einen an der Waffel hat der vermmuuuhtlich also gar nicht, mmuuuh im Falle voller Zurechnungsfähkeit gibt es Knast. Knast, das ist wie sorgfältig verriegelter und gut überwachter Stall, mmuuuh aber ohne frisch eingestreutes Stroh und ohne köstliche Maissilage. Wenn es so kommt, bin ich gespannt, ob der selbsternannte Prophet es dann auch schafft, all mit ihm einsitzenden Knackis zum Transformatentum zu bekehren, mmuuuh vermmuuuhtlich folgt dort jedoch die wahre Erdung.

     
  12. 4

    Bei Angeklagten dieser Art sollte die Frage eigentlich nur sein:

    Möglichst lange Strafhaft oder möglichst lange forensische Psychiatrie?

    So etwas wie Schuldbewusstsein, ein Geständnis oder gar Reue gibt es ja offensichtlich nicht.

    Dieser Mann stellt offensichtlich immer noch eine erhebliche Gefahr für bestimmte psychisch labile Menschen dar.

     
  13. 3

    Die Schlussfolgerung , dass sich die Waagschale zugunsten des Angeklagten neigen würde, ist eine eklatante Fehleinschätzung.
    Bei einer derartigen Latte von Straftaten ist es üblich, nur die am meisten strafbewehrten Vorwürfe kurz vor Ende des Prozesses aufrecht zu erhalten, und Alles darüber hinaus reichende fallen zu lassen, weil es in Anbetracht der Hauptvorwürfe die Sicht nur vernebeln würde, aber keinen esentiellen Beitrag zum Strafmass mehr beitragen kann.
    In sofern ein würdiges Meisterstück zum Abschluss seiner Karriere für den Vorsitzenden.
    Ãœbrigens die schon längere Abwesenheit von Staranwältin Inez Wesky zeigt ja deutlich, wie ein juristisches „Vollblut“ die Sache einschätzt.

    Schlimm finde ich übrigens, dass die letztendlich Geschädigte, das Opfer, eigentlich die am schwersten Gestrafte ist, sie muss sich lebenslang vor ihren Ehemaligen verstecken, und kann nie mehr ein freies Leben geniessen.

     
  14. 2

    @1. So einfach wird es nicht werden. Wenn Quasireligiöse Heilsbringer auf Opfer treffen, kann es kompliziert werden. Siehe Missbrauch kath. Kirche. Wenn Sie ihn für immer wegschließen möchten, müssen Sie das selber machen. Emotional bin ich bei Ihnen, rechtlich nicht. Es gilt die Unschuldsvermutung