Kochlöffel-Philosophie: Ein Chicken ist ein Chicken ist Best-Chicken ist kein Chicken

Best of Chicken – was denkt der Hahn dazu?

Bevor wir uns in den kommenden Tagen wieder profaneren Dingen wie beispielsweise Fahrraddiebstählen zuwenden, muss hier zunächst einmal noch eine grundsätzliche Frage gestellt werden: Wann ist ein Huhn ein Huhn?

Wann ist ein Mann ein Mann?, fragte am 11. Mai 1984 Herbert Grönemeyer, und er beantwortete diese Frage mit einer Fülle von Zuschreibungen, die teils heterosexuell geprägt sind („Männer kaufen Frauen“) und vielfach klischeehafte Vereinfachungen zu sein scheinen („haben Muskeln“, „können alles“, „sind schon als Baby blau“), allesamt Zuschreibungen allerdings, die vielleicht eher als akzidentielle Eigenschaften bezeichnet werden können, da sie am Wesen des Mannes vorbeigehen, an seiner Essenz* sozusagen. Es gibt Männer, die kaufen keine Frauen, die haben keine Muskeln, und die können nichts – und es sind trotzdem Männer.

Was ist das Wesen eines Tisches? Irgendwas zum Draufstellen von Dingen, mit einer beliebigen Zahl von Stützpfeilern drunter? Aber ist dann ein Tisch, der von einer Wand abgeht, noch ein Tisch? Oder nehmen wir ein Ei. Ovales Teil mit etwas Gelbem und Weißem drin? Aber was ist dann mit den Stangeneiern, die gerne in der Gastronomie verwendet werden? Ei oder Nichtei?

Wir sehen, sobald man sich etwas näher mit scheinbar alltäglichen Selbstverständlichkeiten beschäftigt, bricht die ganze Kompliziertheit unseres Daseins auf, und alle Gewissheiten verschwinden, was uns direkt in das Restaurant Kochlöffel führt, der seit Mitte der achtziger Jahre in Kleve ansässigen Filiale der Schnellrestaurantkette mit Sitz in Lingen (Ems), die immer irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein schien, sich aber wacker behauptet mit der Kernkompetenz halbierter Grillhähnchen, von denen die knapp 90 Restaurants in Deutschland 2012 exakt drei Millionen Stück verkauften.

Was ein Grillhähnchen ist, dürfte ein letzter Rest von Sicherheit in diesem kleinen Beitrag zur Beförderung der Welterkenntnis sein. Es sind die lecker riechenden und saftig triefenden Teile, deren letzter Flug in einem warm beleuchteten Röster stattfindet, in dem sie gemächlich rotieren und darauf warten, auserwählt zu werden.

Wenn das Best-Chicken kein Chicken ist…

Neuerdings aber bietet Kochlöffel auch „Best-Chicken“ an, versehen mit dem Zusatz: „vegetarisch“. Da aber stellt sich dem philosophisch geschulten Schnellrestaurantkunden dann doch die Frage: Was exakt ist die Wesenheit eines Chicken bei Kochlöffel? Diese Tiere, die beim Bauern alter Prägung gackernd über den Hof laufen, können es ja wohl nicht mehr sein. Und auch nicht die, die in ihrem wenige Wochen währenden Leben nicht viel mehr sehen als Zehntausende ihrer Artgenossen unter dem Dach einer wohltemperierten Mastanlage. Wo wird das Seiende zum Wesenden?

Fragt man beim Personal, was genau sich hinter „Best-Chicken, vegetarisch“ verbirgt, erhält der Kunde nach einer mehrminütigen Recherche die Antwort, es handele sich um ein Produkt aus Sojamehl und Maisstärke. Das ist interessant, denn vermutlich sind das genau die Bestandteile, die ein Chicken in einer Mastanlage zur Fütterung erhält. Der Kunde bekommt also genau genommen ein Chicken minus Stoffwechsel und sämtlicher dafür benötigter Körperteile.

Unversehens sind wir in die Untiefen der veganen Essensphilosophie geraten, wo es ja offenbar auch eine merkwürdige Neigung gibt, die Tiere wie in einem Schöpfungsakt nachzuempfinden („Rügenwalder Teewurst jetzt auch vegan“). Aber was sagt uns das, wenn ein Chicken nicht mehr ein gackerndes Wesen ist, sondern nur noch die Ahnung einer Konsistenz und Textur? Wenn ausgerechnet das „Best-Chicken“ gar kein Chicken mehr ist?

Erleben wir gerade die Befreiung des Huhns von den Qualen und Widrigkeiten seiner physischen Existenz, mit der Folge, dass es zu einem ätherischen, elfengleichen Wesen mutiert, das in der Zukunft nur noch kraft unserer Einbildung existiert?

Und ist das womöglich erst der Anfang? „Für das Beste im Mann“, warb einst Gillette, der bekannte Hersteller von Rasierprodukten, und noch heute schreibt das Unternehmen auf seiner Website: „Gillette unterstützt Männer dabei, jeden Tag gut auszusehen, sich gut zu fühlen und das Beste aus sich herauszuholen.“

Was aber, wenn das Beste im Mann gar kein Mann ist, wenn das Beste gar nicht erst herausgeholt werden kann, sondern nur noch eine Ahnung von Konsistenz und Textur ist?

Wir wissen es nicht. Sicher ist nur, dass Herbert Grönemeyer dann nicht zur Feder hätte greifen müssen – und die Welt ein Stück weit besser geworden wäre.

Du siehst gut aus, man sieht’s dir an, du hast es weit gebracht – aber was ist dein Wesen, Mann?

* Bekanntlich hat Meister Eckart (* um 1260, †  1328) den lateinischen Begriff Essentia als Wesen übersetzt und damit in die philosophische Terminologie eingeführt. Als Zweck betrachtet, kommt dem Wesen die Bedeutung einer immanenten Norm zu, an der das Einzelseiende gemessen wird. Erst Heidegger machte seine Philosophie vom Gegensatz zwischen Wesen und Dasein unabhängig. Seiner Meinung nach vernachlässigt die Wesensphilosophie bei der Betrachtung des Unterschieds zwischen Wesen und Seiendem das Sein an sich. „Das Wesen das Daseins liegt in seiner Existenz“, so Heidegger (Sein und Zeit, § 9).

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8 Kommentare

  1. 8

    Tipp:
    3sat, Wissen, „Laborfleisch – Essen ohne Tiere zu töten“

    Guten Appetit!

     
  2. 7

    The Smiths (Band aus den 80èr) – Independent#

    Meat is Murder…Platte plus Song (mal den Text googlen).

    Ein Best Burger ist doch gar nicht so schlecht.

    Weniger Fleisch oder noch besser, gar keins…

     
  3. 6

    Der Kaufanreiz für Kohlrabi lässt sich bei mir nicht steigern, indem man die Knolle schreddert, paniert, streckt mit weiß was, und wie eine Frikadelle aussehen lässt.

     
  4. 3

    Immer wieder erfrischend Herrn Dautes Fabulierkunst zu folgen. Vom Mannsein zum Huhnsein zum nicht-mehr-Huhn-sein…..
    Hier noch einige fortführende Gedanken von mir.

    Werden wir bald auch „queere“ Hühnchen auf der Speisekarte finden?

    Ist der Bart wirklich das Beste am Mann – sind es nicht vielmehr die Reste am Mann?

    Auf englischen Produkten findet man den Aufdruck “ best before“ – analog zum deutschen MHD. Ist eventuell das Best Chicken eines, das möglichst schnell weg muss?

    Warum fallen den Lebensmittelherstellern keine eigenständigen Namen für ihre veganen Produkte ein? Vegane Hühnerkeulen?

    Ich bevorzuge die hybridvegane Ernährung – ich esse vornehmlich Tiere, die sich von Pflanzen ernähren.

    Herr Daute, bitte weiter so – Sätze, bei denen man mitdenken muss, machen einfach Spaß!

     
  5. 2

    Das manager-magazin schrieb mal, dass die Gillette-Promotion damals extrem erfolgreich war, obwohl auch keiner der Werbeproduzenten den Slogan ‚Für das Beste im Mann‘ erklären konnte. Aber ‚Für das Beste am Mann“ ging halt nicht….

     
  6. 1

    Kochlöffel liefert, laut Aussage eines Teammitglieds, auch zu bestimmten Zeiten, auf eigenen Firmen Fahrrädern im Umkreis von 2 km innerhalb Kleve. Habe ich gesehen: Diese stehen direkt vor der Filiale, und bereit zum Ausliefern.