Einer der größten Wirtschaftskrimis spielt sich aktuell nur einen Steinwurf von Kleve entfernt ab – und doch bekommt diesseits der Grenze kaum einer etwas davon mit. Dabei zeigt das Ränkespiel, an dem mittlerweile drei Regierungen und ein Gericht beteiligt sind, in einzigartiger Weise, wie verwoben die Produktionsprozesse auf der Welt mittlerweile sind und wie schnell alles aus den Fugen gerät, wenn ein Dominostein kippt.
In diesem Fall hat der umgekippte Dominostein seinen Sitz in Nimwegen. Dort befindet sich direkt am Goffertpark, da, wo der NEC Nijmegen spielt oder Rammstein auftritt, die Zentrale von Nexperia. Das Technologieunternehmen hat sich eines der markantesten Bürogebäude der Stadt als Hauptquartier ausgesucht, ein 18-stöckiges Hochhaus, das ursprünglich 52degrees hieß (wegen des Breitengrades, auf dem Nimwegen liegt, obwohl das knapp daneben ist) und nun nur noch 52Nijmegen genannt wird. Das Gebäude hat einen leichten Knick in der Fassade – aktuell vielleicht der dezente Hinweis darauf, dass etwas aus dem Lot geraten ist.
Von Nimwegen aus steuern die rund 500 Mitarbeiter des Unternehmens Nexperia weltweit die Produktion und den Handel mit elektronischen Kleinteilen, die so verbreitet sind, dass sie in der Branche selbst nur als „Hühnerfutter“ bezeichnet werden. Es sind kleine Chips, die im Auto beispielsweise das Warnblinklicht steuern oder die elektrischen Fensterheber, im Grunde alles, was keine komplexen Rechenoperationen erfordert. Rund 500 davon nutzt ein normales Auto heutzutage, rund 100 Milliarden davon stellt Nexperia her und verkauft sie.
Beziehungsweise: verkaufte sie. Nun befindet sich Nexperia im Zentrum eines geopolitischen Sturms, dessen Auswirkungen die auf Lieferungen just in time ausgelegten Produktionsprozesse der Automobilindustrie zu erschüttern drohen.
Nexperia war einmal eine Tochtergesellschaft des Philips-Konzerns, bevor die Firma 2019 von Wingtech Technologies aus China übernommen wurde, an dessen Spitze der schillernde Unternehmer Zhang Xuezheng steht, in dessen Lebenslauf auch eine 17-monatige Gefängnisstrafe zu finden ist.
Technologie in chinesischen Händen ist derzeit natürlich immer etwas, was den Argwohn der Amerikaner hervorruft. „Dass der CEO der Firma immer noch derselbe chinesische Eigentümer ist, ist problematisch“, teilten amerikanische Regierungsvertreter den niederländischen Behörden mit. Ende 2024 setzten die Amerikaner Wingtech auf eine schwarze Liste – nicht jedoch das Unternehmen in Nimwegen. Ende September jedoch weiteten die USA die Ausfuhrbeschränkungen auch auf Nexperia aus. Damit eskalierte der Konflikt, und China eskalierte mit, in dem es selbst Exportbeschränkungen erließ. Betroffen davon sind Teile, die Nexperia im Hauptwerk in Hamburg benötigt, um die allerorts gefragten Chips herzustellen. Diese Teile fehlen nun, und hastig werden nun Ersatzlieferanten gesucht, was bei einem Marktanteil von 40 Prozent, den das Unternehmen aus Nimwegen hatte, nicht einfach ist.
Parallel dazu brach in der Unternehmensführung selbst ein offener Streit aus, der die (nur noch auf Abruf arbeitende) niederländische Regierung dazu brachte, erstmals ein 1952 verabschiedetes Notgesetz anzuwenden. Nach Auffassung der niederländischen Behörden sollte im Firmenkonglomerat des chinesischen Unternehmers Geld hin und her geschoben und Technologie abgezogen werden. Zudem sollte Nexperia von einem anderen Wingtech-Unternehmen weit mehr Bauteile beziehen, als für die eigene Produktion benötigt werden. Anfang September entzog Firmenchef Zhang drei seiner europäischen Top-Manager die Bankvollmacht und gab diese an Gefolgsleute. Als die Manager dagegen protestierten, wurden sie gefeuert.
Mitarbeiter wandten sich daraufhin an das zuständige Unternehmensgericht („ondernemingskamer“), welches Zhang als Vorstandsvorsitzenden absetzte. Die Anteile von Wingtech wurden einem vom Gericht bestellten Verwalter übertragen. Parallel dazu wandte Wirtschaftsminister Vincent Karremans das besagte Notstandsgesetz an. Alle wichtigen Entscheidungen müssen nun mit der niederländischen Regierung abgestimmt werden. Sogar der niederländische Premierminister Dick Schoof schaltete sich ein: Er bezeichnete das Vorgehen seiner Regierung als „sehr vernünftigen Schritt“ „Gegen Missmanagement durch einen Konzernchef muss man vorgehen“, so Schoof – offenbar um zu betonen, dass die politische Dimension bei den Aktionen keine Rolle gespielt hat. Doch davon ist die chinesische Seite nicht überzeugt.
Von einer Lösung ist dies alles noch weit entfernt, und erschwerend kommt hinzu, dass der niederländische Wirtschaftsminister womöglich auch schon bald seinen Posten wieder los ist, weil am Mittwoch in den Niederlanden neu gewählt wird. So ist damit zu rechnen, dass auch in den nächsten Monaten noch auf den Büroetagen auf dem 52. Breitengrad im Westen Nimwegens weitere Schlachten eines globalen Handelskrieges geschlagen werden. Da mutet es fast wie eine Ironie des Schicksals an, dass der chinesische Name des Unternehmens „An Shi“ übersetzt heißt: „Friedliche Welt“.


warum stellen wir diese chips nicht in Europa her? Die Lays kommen sowieso nur mit 50% Luft darin!!11!1!!
Heute morgen im ZDF:
Die VW-Manager sind überrascht, aber keinesfalls schuld.. Die 4 Jahre seit dem Zusammenbruch der globalen Lieferketten wg. Corona waren offenbar zu kurz, um sich auf die nächste Krise vorzubereiten.
Eine Kaufprämie für E-Autos wird ja seit wenigen Tagen in Berlin wieder diskutiert. Nun warte ich auf Meldungen, dass eine Sonderprämie eingeführt werden soll, um das Unternehmerrisiko abzufedern – nur für Senioren (grins) und Fahranfänger, weil die am meisten drunter leiden, wenn demnächst PKWs ohne Sensorgedöns verkauft werden müssen, weil die Chips dafür fehlen.
Der „Vorgang“ Nexperia wirft mal wieder kein gutes Licht auf die Planungsfertigkeiten so mancher hochgelobter (und hochbezahlter) Automanager. Schreien, wenn es ihren Verbrennern (oder gar Verbrenner-SUVs) oder der ausufernden Unsitte unnötiger Kurzstreckenfahrten oder dem Trend zum Drittwagen oder so an den Kragen geht, können diese Manager stets sehr gut (was sie mitunter sogar bis zum Kanzler bringt). Aber aus Fehlern lernen und anschließend vorausschauend handeln? Eher nicht. Zuletzt hat es einen vergleichbaren, massiven Chipmangel (mit Produktionsstillständen) gerade einmal vor fünf Jahren gegeben – wegen Corona und der dadurch gestörten Lieferketten. Hätten die Automanager schon damals nach alternativen Lieferanten für die „Brot- und Butter“-Elektronikbauteile Ausschau gehalten und genügend Alternativlieferanten qualifiziert, bräuchten sie jetzt nicht (schon wieder) zu schreien. Mit ein Bisschen mehr Antizipationsvermögen mehr hätten sie das sogar schon zum Ende der letzten Dekade tun können, als die Firma NXP nach China veräußert wurde (und damit das Riskio für Lieferausfälle merklich angestiegen war). Grund und Anlaß genug, die langsam dahinsiechende Autoindustrie nicht wie einst den Bergbau oder die Hüttenwerke über Jahre mit Subventionen aufzupäppeln, sondern zukunftsfähigen Geschäftsgegenständen den erforderlichen Raum zur ihrer Entwicklung belassen.
@3
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kleveblog kommt immer 2 Wochen nach der Neuheit mit einem eignene Artikel….das Thema ist doch längst abgekaut.
Danke für den Hinweis.
Und schon wieder ein Problem mit Zahlen und Daten:
Die Wahl in den Niederlanden findet nie sonntags,
sondern mittwochs statt: diesmal am Mittwoch, dem 29. Oktober.
Und bis die Regierung steht und ein neues Kabinett im Amt ist,
wird es üblicherweise noch einige Zeit dauern …