Kirchstraße 19: Lt. Aktenlage Heiratsantrag

Gerade mal zwei Stunden dauerte der 6. Verhandlungstag im Vergewaltigungsprozess gegen 4 aus Rumänien stammende Arbeiter vor dem Landgericht Kleve, und davon bargen auch nur die letzten Minuten eine Überraschung, mit der keiner der Prozessbeobachter gerechnet hatte: Richter Ruby berichtete, dass sein Rechtshilfeersuchen bei den Justizbehörden in Rumänien Erfolg hatte. Das heißt: Florina F., die Frau, die bei der Polizei und vor einem Vernehmungsrichter behauptete, von den Angeklagten mehrfach vergewaltigt worden zu sein, wird dem Prozess per Videokonferenz aus Rumänien zugeschaltet – sie kann über die Geschehnisse vom 18. und 19. Januar 2011 in der Kirchstraße in Kleve berichten, und sie kann auch zu den Widersprüchen in ihren Aussagen befragt werden.

Die Konferenzschaltung soll am nächsten Verhandlungstag, 28. September, vorgenommen werden. Die rumänischen Behörden versicherten dem Gericht in Kleve, dass Florina F. an diesem Tag von der Polizei in das Berufungsgericht in Alba Iulia, einer Provinzstadt in der Region Siebenbürgen, gebracht wird. Bereits eine Woche zuvor wird geprüft, ob die technischen Einrichtungen in Alba Iulia und Kleve miteinander kompatibel sind, so dass die Vernehmung nicht an technischen Unzulänglichkeiten scheitert. Wenn alles wie geplant klappt, wird Florina F. dann in einem Saal in dem rumänischen Gerichtsgebäude sitzen und von Kleve aus befragt werden – auch die Übersetzung der Fragen und Antworten erfolgt von Kleve aus mit den bewährten Dolmetschern, so dass auch hier keine Verständigungsschwierigkeiten zu erwarten sind.

Die Aussage der Frau könnte ein wenig mehr Klarheit in einer Verhandlung bringen, in der auch gestern wieder viele Zeugen auftraten, die jedoch in den entscheidenden Punkten tatsächlich nichts wissen oder – bei den zahlreich erschienenen Polizisten – sachlich die widersprüchliche Indizienlage referierten. Zu den Zeugen der ersten Kategorie gehörte gestern zweifelsohne der Wohnungsnachbar, ein 30 Jahre alter Mann, der gar nicht oft genug darauf hinweisen konnte, dass er »starke Beruhigungsmittel« nehme und von den Ereignissen der Nacht »hichts mitgekriegt« habe.

Zuvor hatte der erste Polizeibeamte, der in der Nacht in der Wohnung an der Kirchstraße war, geschildert, woran er sich noch erinnerte: »unser erster Eindruck war, dass da kein großes Problem besteht.« Es gab auf beiden Seiten eine gewisse Unzufriedenheit wegen der fehlenden Verständigungsmöglichkeiten, was sich erst am Ende des Einsatzes etwas gebessert habe, nachdem Costinel L., Nunmehr angeklagt, im Beisein des Opfers und seines Freundes etwas gedolmetscht habe. Das ließ die Beamten vermuten, dass es um Streit wegen überlauter Intimitäten des Pärchens gegangen sei. Danach hätten sich Florina S. Und ihr Freund von der Wohnung entfernt, so wie Costinel L. Dies auch gewünscht habe. Damit schien die Sache für die Beamten erledigt.

Nur wenig zur Aufklärung konnte auch der Gynäkologe beitragen, der wenige Stunden nach dem mutmaßlichen Tatgeschehen das Opfer im Klever St. Antonius Hospital untersucht hatte. Es habe keine sichtbaren Verletzungen im Genitalbereich gegeben, dies müsse bei Vergewaltigungen aber auch nicht zwingend so sein. Die Hautrötungen im Bereich des Schulterblattes könnten von Schlägen mit einem Besenstiel herrühren, sicher sei das aber nicht, und auch zur Intensität der Schläge könne er nicht mit Bestimmtheit sagen. Auf den Vorhalt eines Verteidigers, ob es sein könne, dass so hart zugeschlagen worden sei, dass der hölzerne Besenstiel zerbrochen sei, antwortete der Mediziner denn auch ganz ruhig: »Da müssen Sie den Hersteller des Besenstiels fragen.«

Eine Überraschung ergaben übrigens Recherchen bei der Staatsanwaltschaft Hanau, die gegen Florinas Bruder wegen des Verdachts auf Menschenhandel ermittelt hatte. Das Verfahren wurde eingestellt, obwohl der Bruder seine Schwester an einem hochbetagten Mann in Frankfurt »vermittelt« hatte, dem sie dann eine Zeit lang zu Diensten war, bevor sie aus dem Haus flüchtete. Der Mann ließ laut Akten mitteilen, dass er Florina F. »Nach wie vor gerne heiraten« würde.

Deine Meinung zählt: