Ist das Kunst oder kann das weg? (Es kann weg.)

Diese Klötze stehen in Kleve gerade nicht so hoch im Kurs
Diese Klötze stehen in Kleve gerade nicht so hoch im Kurs

Manches begleitet einen das halbe Leben, oder doch zumindest einige Jahre, bevor einem unerbittlich gezeigt wird: Es ist Müll. Mich zum Beispiel hat seit meiner späten Jugend, ab 1980, ein Kunstwerk begleitet, welches nie geliebt wurde und doch immer da war – die Animationsplastik auf dem Schulhof des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums. Gestern nun, auf dem Weg zum Basketballtraining, gewahrte ich auf dem Gelände einen orangefarbenen Container des Entsorgungsunternehmen Pietsch, darin einige der trapezoiden (?) Betonbrocken, aus denen die Plastik bestand. Da aber überfiel große Wehmut mich, denn ist dies eine Art, mit Kunst umzugehen? Der Witwe von Joseph Beuys würde vermutlich allein das Foto genügen, um eine Millionenklage gegen die Schulleitung anzustrengen und zu gewinnen. Und nur, weil der Schöpfer der Animationsplastik vielleicht kein ganz so toller Hecht war, darf man’s achtlos wegwerfen, womöglich als Bauschutt deklariert?

Wie dem auch sei, ich begab mich auf Spurensuche. Zumal ich wusste, dass es mindestens ein Bild von mir gibt, das mich auf diesem Kunstwerk zeigt. Und, wie schön, in einem guten Haushalt kommt nichts weg:

Chefredakteur mit Fortuna-Düsseldorf-Schal
Chefredakteur mit Fortuna-Düsseldorf-Schal

Das Bild zierte das Editorial der Schülerzeitung Pegasus, Ausgabe 39, im Januar 1982 erschienen. Da gab es das Teil also schon. Also noch weiter zurück. Und, siehe da, in der Ausgabe Nummer 35, im August 1980 erschienen, übrigens mit einem Artikel von Jochen Rübo über das New-Jazz-Festival in Moers („Man zeltet, wo man Lust hat, Turnhallen und Dusche Räume werden selbstverständlich von Jungen und Mädchen gemeinsam benutzt“), findet sich auf Seite 45 ein Artikel von Klaus Huber über das Kunstwerk:

Damit das Geld für „Kunst am Bau“, das dem Freiherr-vom-Stein-Gymnasium im Rahmen des Neubaus zusteht, nicht verfällt, wurden vier Künstler aufgefordert, Arbeiten zur Schulhofgestaltung einzureichen. Das Kunstwerk sollte die Schüler ansprechen, eine Art „Animationsfigur“ werden. Den Künstlern wurde bis zur Vergabe des Auftrags Anonymität zugesichert. Bei der Besprechung der Vorschläge am 23.4.1980, 4. Stunde, waren den Prüfern die Namen der Künstler also nicht bekannt, damit es eine reine Sachentscheidung wurde. Außer Astrid Bochem (SV) und zwei Pegasus-Redakteuren waren von unserer Schule Herr Riße und Herr Diedenhofen anwesend. Das erste Modell fiel gleich dadurch aus dem Rahmen, dass es den ganzen Schulhof als Fläche beanspruchte, was in der Planung nicht vorgesehen war. Der Künstler stellte sich vor, den Schulhof mit organisch geschnittenen Flecken aus Sportplatzrasen zu belegen, dazwischen Bänke für die Schüler. Diese Schulhofgestaltung hätte aber sicher trotz gegenteiliger Berechnung des Künstlers den finanziellen Rahmen (42.000 DM) gesprengt, hielt sich nicht an das Konzept und ermöglichte es nicht mehr, eine Feuerwehrleiter überall im Innenhof an die Gebäude zu stellen (bautechnische Vorschrift), den Kohlenbunker zu füllen, oder sonstwie mit einem Fahrzeug auf den Schulhof zu fahren. Der zweite Künstler hatte zwei alternative Vorschläge eingereicht. Beide sahen eine Plastik aus geometrischen Elementen vor, die unter anderem als Sitzgelegenheit zu benutzen sind und so ebenfalls kommunikationsfördernd wirken sollen. Die Elemente sind aus Waschbeton gegossen, die Kanten durch Einlegen von Dreieckskanten entschärft. Um die Plastik liegt Sand, die Plastiken sind gefärbt. Die beiden Entwürfe unterscheiden sich vor allem darin, dass im ersten Fall die Elemente halbrund angeordnet sind und eine Höhe von 2,50 m erreichen, im zweiten Fall etwas schräger und willentlich angeordnet sind und eine Höhe von 2,05 m erreichen, was den in der Ausschreibung vorgegebenen 2 m schon näher kommt. Der Entwurf des dritten Künstlers sieht vor, drei Bäume zu pflanzen, deren Stämme dann von drei Ringen einer Bronzeplastik umschlungen werden. Die „Stängel“ der begehbaren Ringe, der höchste davon in 1,80 m Höhe, laufen unten zusammen, die Plastik ist dann auf einer sehr kleinen Fläche verankert. Ich glaube nicht dass diese künstlerisch anspruchsvolle Arbeit geballter Schülerkraft standgehalten hätte. Als stabiler würde sich da wohl schon Nummer 4 erweisen. Der Künstler sieht vor, aus zentimeterdicken Edelstahlstangen ein quadratisches Netz über 6 × 8 m zu spannen. Die Höhe variiert, ähnlich einer Hügellandschaft zwischen 30 cm und 1 m. Die Plastik steht an den Rändern auf dem Boden, trägt sich dazwischen selbst. Jede Ähnlichkeit mit Stolpersteinen wäre rein zufällig. Auch zum ersten Vorschlag, der Schulhofgestaltung, wurde bemerkt, dass er roher Schülergewalt nicht standgehalten hätte, was konkret abgerissene Planken bedeutete. Sicher kein Lob für die Schüler. An der angenommenen Plastik, der halbrund angeordneten des zweiten Künstlers, werden sich die Schüler da die Zähne aus beißen, denn sie ist ja aus Beton. Viel Spaß!

In der Ausgabe Nummer 36 wird dann in einer Chronik unter dem Datum 21.10.1980 die Vollendung des Kunstwerks vermeldet. Autor Jochen Rübo schreibt unter der Überschrift „Ein Dankeschön“:

Es gibt etwas was unsere Lehranstalt allen anderen in der Stadt, ja, ich möchte sagen, im Land, überlegen macht (…) Es ist unsere Animationsplastik, an der sich wohl keine andere Schule messen kann. Aus dem edlen, makellosen Werkstoff Beton angefertigt, ragt sie in einmaliger Farbgebung in den Schulhofhimmel. In zeitloser Ästhetik sind dort am Rande des Schulhofs Betonklötze ineinander komponiert in einem amphitheatrischen Rondell und laden den Schüler einen zur angeregten Reflektion über die Kunst im allgemeinen und dieser Augenweide im besonderen. (…) Gibt es etwas Schöneres, als in langweiligen Schulstunden nach draußen zu blicken und nicht etwa Bäume, die es schließlich im Wald genug gibt, sondern die edle Eleganz dieser Betonschöpfung zu bewundern? Ich jedenfalls denke mit Wehmut an den Tag der Schulentlassung, der mich für lange dem Anblick dieser vollkommenen Betonschöpfung entreißt. Doch zunächst möchte ich mich bedanken bei dem Künstler, der mein Leben durch sein Werk so sehr bereichert, bei dem Ministerium, das das Geld zur Verfügung gestellt, und bei der Auswahlkommission, die soviel künstlerisches Verständnis gezeigt hat. Dennoch dürfen trotz aller Lobeshymnen kritische Betrachtungen nicht fehlen. Es ist falsch, dass das Kunstwerk so ungeschützt auf dem Schulhof verkommt, Schmutz sammelt sich an, hirnlose Anarchisten zerstören die wunderbare Farbgestaltung, Kinder fallen sich beinahe zu Tode. Es müsste also ein hoher Elektrozaun gebaut, um die Schüler und Attentäter fernzuhalten und gleichzeitig ein Dach errichtet werden, das vor Witterungseinflüssen schützt.

Leider findet sich nirgends ein Hinweis auf den Namen des Künstkers, sonst hätte man den auch noch mal befragen können. So aber bleibt nur die unsterbliche Frage:

Ist das Kunst oder kann das weg?

Klötze staunen
Klötze staunen
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11 Kommentare

  1. 11

    @6. Martin Fingerhut

    Jepp,die sind unkaputtbar…zumindest waren sie das noch als ich das letzten Mal vor ein paar Monaten daran vorbei lief. Ich erinnere mich daran mehr als einmal ind den Pausen neben die Steine getreten zu sein und dabei auf unsanfte Art und Weise den Boden geküssst zu haben…

     
  2. 10

    wer weiß, vielleicht hat der steinerne Animationshaufen sogar die späteren Erfinder von Tetris inspiriert?

    Danke für den Bericht, der einiges an verschütteten Erinnerungen wieder frei gelegt hat.

     
  3. 9

    …….und ich habe immer gedacht, der Wertstoffhof wäre Richtung Brienen. Na, so kann man sich irren.

     
  4. 8

    Schlimm! Ein besonderes Zeitzeugnis. Leider – offenbar wenig gepflegt – aber wieviele Generationen haben darauf „gesessen“. Ich eingeschlossen. Nun gut – Zeiten ändern sich – ewig gestrig möchte keiner sein – also – unserem „Nachwuchs“ sei gerne was Neues gegönnt. Hier gehen viele Jahre Geschichte in den Container und so bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Daute, wenigstens nicht „unbemerkt“! Das sind wir diesem „Kunstewerk“ schuldig. Herrn Fuß (kennt den noch jemand? – von mir oft verflucht und trotzdem „geliebt“ – allen voran!!!) Danke für diese „schöne“ Zeit (fand ich damals gar nicht?!).

     
  5. 7

    Tja, –
    klar das das Stein seinen Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Sebus – dort samtweiche grüne satte Wiese soweit das Auge reichte – irgendwie in ein Ãœberlegenheitsgefühl umzuwandeln versuchte. Das ging nur mit noch mehr Beton. 🙂

    Aber es erinnert irgendwie an das tolle 72’er-Flair vom Sternbusch.

     
  6. 6

    @ 1. Wolfgang Look : toll !

    @ alle Steiner :
    Möönsch, watt hattet IIIhr et juuut !
    Wir am KAG hatten nur nackte, graue BetonStelen auf nem KlinkerKuhFladen.
    eigneten sich noch nicht mal zum DraufSitzen.
    Gibt’s die eigentlich noch ?

     
  7. 5

    Da kommen direkt wieder die Erinnerungen an diverse „Löcher im Kopp“ hoch die ich mir als Kind beim Sturz vom obersten Klotz auf das Kiesbett zugezogen habe. Schön mal mehr über diese Klötze zu erfahren.

     
  8. 1

    Um die Frage, ob das Kunst ist und mit Können zusammenhängt, oder ein hyperthrophes Entsorgungsobjekt oder schlichtweg Schrott, sollte man eine Deutung versuchen (Loriot kennt das bei den Filmkritikern). An das Foto erinnere mich übrigens. z.B.:
    Genial sind die leicht angeschwärzten Steine zu einem Kreis, als dem Symbol der ewigen Harmonie der Weltschöpfung angeordnet. Dabei verweisen Farbkontraste, das jugendlich-leichte Grün und das Rot als die Farbe der Ambiguität, die den Tod und das Leben gleichzeitig verkörpert, auf die Prinzipen des Entstehens und Vergehens von Leben. Ausgeglichen wird diese – nur dem für den sensiblen Betrachter nachvollziehbare Spannung durch das Blau, die Farbe des Himmels der ewigen Schönheit, ja Gottes selbst. Er hält sich zwar dezent rechts im Hintergrund, läßt dem jugendlich-Grünen den Vortritt, ist aber materiell omnipräsent und spirituell selbst dominant. Der Versuch dunkler Farbmomente das Kunstwerk zu prägen, sich von unten nach oben zu schleichen, scheitert durch die Dominanz des Zirkelprinzips und der grünen und blauen Farbe. Der Künstler war also unbedingt ein Vertreter einer idealistisch-harmonischen Weltauffassung, der zwar technisch modern, aber ideologisch fest und unerschüttert von den Wirren der Moderne in den Festen des Schillerschen Weltbildes ruht.
    Die Vielfalt der Farben verleiht ihm trotz philosophischer Tiefe eine Infantilität als Ausdruck höchster Weisheit und Kreativität. Auch die Prosa der Häuser im Hintergrund kann die metaphysiche Ausstrahlung nicht mindern. Die Farbharmonie des Roten zeigt, das der Künstler vermutlich zwar in der Kindheit eine Nahtoderfahrung hatte (Rot als Farbe der Zerstörung), diese aber gerade durch seine Kunst überwinden konnte, seine Kunst also eine Gestalt gewordene Sublimierung von Kindheitstraumata ist. Er ist also eine großer Kenner von Freud.
    Zusammenfassend kann man sagen, das der Künstler alle Epochen der europäischen Kulturgeschichte in sich trägt, die Wirren der Moderne, das Ursprüngliche-kindliche des Mittelalters und die Vernunft der Klassik und in eine höhere Harmonie transformiert. Wer also jetzt noch sagt, dass das Müll ist, ist unbedingt ein Kunstbanause und gehört von der Schule verwiesen!!!!