Beuys, der verquaste Denker unter der esoterischen Käseglocke

Gegen den Strich: Ron Manheim

Wenn sich im Eingangsordner die Einladung zu einer Pressekonferenz findet, in der ein neues Buch zu Joseph Beuys vorgestellt werden soll, ist der erste Reflex: „Nein, bitte nicht noch ein Buch!” Wenn dann aber nachzulesen ist, dass der Autor Ron Manheim ist, wird man neugierig – denn wenn der sich zu Wort meldet, hat er was zu sagen. So auch in diesem Fall.

Nun ist es natürlich schwer, gegen die Universalkompetenz eines bekannten Lokaljournalisten anzukommen, der im Keller der Buchhandlung Hintzen die Pressekonferenz schon im Vorgeplänkel mit dem Hinweis, der Autor Hans Peter Riegel habe doch schon alles zu dem Thema gesagt, zu torpedieren versuchte. Doch schon für die Bemerkung erntete der Redakteur energischen Widerspruch, und der erste Blick in das Buch „Beim Wort genommen“ (14 Euro, Neofelis-Verlag) zeigte denn auch, dass dieser mehr als berechtigt war.

Manheim, jahrelang im Direktorium des Beuys gewidmeten Museums Schloss Moyland, sieht sich Gegensatz zu den hagiographischen Tendenzen, die insbesondere das soeben erschienene „Beuys-Handbuch“ (Hg. Bettina Paust, Timo Skandries, 99 Euro) charakterisieren. Darin heißt es in der Einleitung, weitegehend sinnfrei: „Joseph Beuys, der wie ein Universalgelehrter historische Diskurse und Zeitgeschehen studierte und daraus ein zukunftsweisendes, humanes Konzept entwickelte.“ Beuys sei unter anderem beeinflusst worden von James Joyce und Leonardo da Vinci (daran stimmt immerhin, dass sich Beuys an der Lektüre von Finnegans Wake versuchte).

Bei Manheim hingegen ist die Rede von „etwas wirren ideologischen Stellen“, von „dummen, widerwärtigen, absurden Aussagen“, die oft kaum zu ertragen seien. Es sei zu fragen, wie der Künstler „derart irren und entgleisen konnte“. Beuys-Jünger dürften spätestens an dieser Stelle (S. 15) den Tränen nahe sein.

Doch Manheim ist nicht auf Krawall gebürstet, sein Buch nimmt, wie der Titel schon sagt, den schillernden Künstler beim Wort und versucht eine Erklärung für den Teil seines Schaffens zu finden, den selbst wohlwollende Mitmenschen bestenfalls als verquast bezeichnen können. Dafür hat der Autor Zitate gesammelt, die allesamt frei verfügbar sind, zum Beispiel ein Interview mit Kasseler Schülern aus dem Jahre 1982 oder ein Gespräch mit dem Magazin Penthouse. Darin finden sich eine Fülle von biographischen Äußerungen, die Manheim kritisch begutachtet. Das Ergebnis: Manches verstört, manches erscheint krass verharmlosend, wie beispielsweise die Aussage, dass im Staatlichen Gymnasium (heute: Freiherr-vom-Stein-Gymnasium) nur zwei jüdische Schüler gegeben habe, die die Schule hätten verlassen müssen, sie hätten „den Braten gerochen“ und seien rechtzeitig weggekommen – wobei verschwiegen wird, dass beider Eltern umgekommen sind.

Manheim versteht Beuys allerdings auch nicht als einen verkappten Nazi oder, wie es ein anderer Biograf nahelegt, als „ewigen Hitlerjungen”. Es mutet aus heutiger Sicht zwar mehr als befremdlich an, wenn man beispielsweise in den von Hans Peter Riegel veröffentlichten Dokumenten ein Foto findet, das Beuys als Teilnehmer an einem Kameradschaftsabend der Sturzkampfflieger zeigt, und zwar etwa zu der Zeit, als bei den Grünen mitmischte. Doch für den Autor Manheim ist der zentrale Punkt eher die komplett unreflektierte Sicht des Künstlers auf die (eigene) Vergangenheit.

Verantwortlich dafür ist das esoterische Geschwurbel eines Rudolf Steiner, dem Beuys offenbar komplett erlegen ist. Das alles wird in dem Buch mit viel Freude am Detail aufgedröselt, sodass, um mit Manheim zu sprechen, „ein Weg zwischen Heiligsprechung und Verdammung“ gefunden wird. „Joseph Beuys hatte seit seiner Kindheit einen weltabgewandten Blick auf die Wirklichkeit – das ist die zentrale Position meines Buches“, so Manheim. Nach dem Krieg kam das Steinersche Gedankengerüst hinzu. Die Folge, so Manheim: „Beuys lebte bis zu seinem Tode unter einer esoterischen Käseglocke.“

Im Buch heißt es: „Ohne Zweifel sind von Beuys positiv anregende Impulse ausgegangen. Es gibt aber […] gute Gründe, dem Denken von Joseph Beuys mit äußerster Vorsicht und mit einem entschiedenen kritischen Ansatz zu begegnen. Eine grenzenlose Bewunderung für Beuys als großen Denker ist naiv und gefährlich. Es kann nach wie vor bereichernd sein, den materialisierten Werken […] offene Aufmerksamkeit zu schenken. Der Gesamtzusammenhang, in den der Künstler selbst seine Werke stellte, verdient hingegen allergrößte Skepsis.“

Fazit: 141 äußerst lesenswerte Seiten, die sich wohltuend von der bisher dominierenden Beweihräucherung abheben.

Betreibt keine Heiligenverehrung: Ron Manheim

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11 Kommentare

  1. 11

    Ron Mannheim [hat] absolut keine Ahnung.
    Beuys war mit Rudolf Steiner unterwegs, Davon versteht Mannheim nichts.
    Der soll sich mal die Familiengeschichte von Porsches und Piechs anschauen, viellicht kommt er dann weiter. Die Porsches haben alle ihre Kinder auf Waldorfschulen geschickt. Peter Porsche hat sogar eine Waldorfeinrichtung für schwierige Kinder und Jugendliche aufgebaut, natürlich mit dem Geld aus der Familie.
    Es gibt übrigens noch etliche andere in Kleve aus dem hiesigen Kunstbetrieb, die nichts verstehen.

     
  2. 9

    Aus meiner Sicht stieß mit Beuys jemand mit einem überdurchschnittlichen Grad an Narzissmus und hoher Extrovertiertheit in den 1960er Jahren in ein Vakuum von Verdrängung (der NS-Zeit), erheblichem spirituellen (nicht religiös gemeint) Mangel und gestörter Nationalidentität. Dort hat er sich eingerichtet und wohlgefühlt. Er machte für einige das Vakuum erträglicher. Und Beuys war anfällig für die Verehrung seiner Person, die wiederum eine Leerstelle bei ihm füllte (wenn auch nicht auf geeignete Weise). Er spielte quasi damit.

    Dabei war er ziemlich kreativ.

    Als Künstler durfte er das. Als Politiker wäre er untragbar gewesen. Das ist der Punkt, an dem man der Kritik von Ron Manheim unbedingt stattgeben muss. Wobei ich den Schluss auf Weltabgewandtheit aufgrund einsamer Kindheit für einen Fehlschluss halte. Einsame Kinder lernen nicht selten, ihre Umwelt sehr genau zu beobachten. Wäre Beuys wirklich weltabgewandt gewesen, hätte er manches wohl nicht so gut für sich nutzen können.

     
  3. 8

    @7 rd lol, you made my day. Passt. Stand vorhin noch vor der schweren Zinkbadewanne im Kurhaus.

    Messias oder Scharlatan? Beides nicht. Warum überhaupt diese Polarisierung?

    Was sagt einem die Sache mit dem Hut? Mir sagt sie: Der Mann hatte (auch) recht normale Impulse. Wer zahlt schon 10000 Mark (5000 Euro), um einen Hut wiederzubekommen, der einem vom Kopf gerissen wurde? Das Angebot mit den Steckrüben ist originell und passt zu ihm, finde ich. Darauf muss man erstmal kommen.

    Offenbar hat er hingenommen, den Hut nicht zurückzubekommen… wie ein großzügiger Vater einem rebellischen Kind gegenüber. Damit war die Rebellion gescheitert. Es ist halt nicht soo einfach, mit den inneren Projektionen fertig zu werden.

    Man sollte mal das Bedürfnis derer untersuchen, die ihn zum Messias machen wollten. Und ist der Scharlatan nicht vielleicht nur die andere Seite der Medaille?

     
  4. 5

    @4. Udo Weinrich

    Fürs erste volle Zustimmung, aber dann können Sie sich sicher (als wie Sie selbst schreiben als frühes Mitglied) auch noch an das Geschwurbel , die Unterstützung oder auch nur die Duldung der Vorgänge rund um die BAG SchwuP erinnern ?
    Meiner Meinung nach wären beides in Summe mehr als genug Gründe aus der Partei wieder auszutreten..

    Das ist jetzt auch wirklich nicht Vorwurfsvoll in ihre Richtung gemein, auch wenn es wahrscheinlich so klingt..
    Ich möchte nur darauf hinweisen das Pädophilie oder Duldung davon ,für den sicher nicht heiligen Beuys, nicht in Frage kam!
    Damit möchte ich auch in keinster Weise die Nähe von Beuys zu alt-Na*is relativieren, da scheiße.

    Aber für mich ist die Vorstellung eines Erwachsenen mit Minderjährigen im „Bett“ um ein Vielfaches ätzender als nen ( imo gnadenlos überbewerteten) Beuys auf nem Kameradschaftsabend..

     
  5. 4

    Sehr gut geschriebener Artikel, der Lust auf das Buch macht, das ich mir kaufen werde (selbstverständlich bei Hintzen und nicht online…). Als frühes Mitglied der Grünen kann ich mich noch sehr gut an das Geschwurbel der Steiner-Jüngerschaft („Achberger Kreis“) erinnern, das auch Beuys auf Landesdelegiertenkonferenzen oder in Düsseldorf von sich gab. Dass Beuys sogenannte Kameradschaftsabende von Alt-Nazis besucht und sich mit dieser Entourage gemein gemacht hatte, ist ein Fakt. Dieser muss zwar nicht zwangsläufig gegen seine „Kunst“ sprechen, lässt mich aber auf wachsende DIstanz zu ihr und Beuys gehen. Danke an Ron Manheim dafür, dass er einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, den Weihrauch der Heiligenverehrung zu vertreiben!

     
  6. 3

    Im Titel wurde ein Zitat von Manheim einfach übernommen. Der RP würde so was gleich angekreidet werden. Zu Recht.

     
  7. 1

    Man könnte auch sagen, dass Beuys Auffälligkeiten hatte, die ihn erst zu dem Künstler machten, der er war. Er zeigte sie auf auf vielfältige Weise und es schien spannend gewesen sein, ihm dabei zuzusehen.

    Offensichtlich war die Durchlässigkeit seiner Persönlichkeit, die man auch brüchig nennen könnte. Er war keiner, den man als gereift bezeichnen konnte.

    Die große Zeit der Verdrängung nach 1945 wird auch an ihm nicht spurlos vorbei gegangen sein.

    Den Maßstab der politischen Korrektheit anzulegen erscheint mir kein geeigneter Ansatz, so lange sein Verhalten nicht justitiabel war. Aber natürlich kann man seine Ausfälligkeiten feststellen und als unschön bis nicht akzeptabel befinden.

    Beuys großes Verdienst ist sein Beitrag dazu, das Denken in ungewohnte Richtungen zu lenken.

    Mehr muss man vielleicht nicht erwarten.

    Picasso hatte ein gestörtes Verhältnis zu Frauen, van Gogh zu sich selber.

    Empfehle „Sehblitz – Almanach der modernen Kunst“ von Paul Nizon. 20 Euro.