Wer am Niederrhein wohnt, hat zumindest die Möglichkeit zur Weitsicht. Keine Wolkenkratzer, keine Berge und nur wenige Kirchtürme behindern den Dialog mit der Unendlichkeit, der sich einem eröffnet, wenn man nachts in den Himmel schaut, vorausgesetzt natürlich, die Wolken geben den Blick frei. Und dann hat der Klever zurzeit die Chance, ein faszinierendes Himmelsphänomen zu erblicken – einen Kometen, also eines jener Himmelsobjekte, das vor etwa zweitausend Jahren den Beginn einer neuen Zeit ankündigte. Ist es wieder so weit („Zeitenwende“, O. Scholz 2022)?
Wir wissen es nicht, wohl aber, anders als vor Äonen, können wir den kosmischen Besucher sehr genau beschreiben, sein Name allerdings ist sehr gewöhnungsbedürftig: Er heißt Tsuchinshan-Atlas, Nerds nennen ihn auch C/2023 A3. Erstmals aufgespürt wurde er im vergangenen Jahr von riesigen Teleskopen in China und Südafrika – daher der Name.
Damals war er noch ein so winziger Fleck, dass die Astronomen vermutlich zunächst an eine Verunreinigung ihrer Linsen dachten, doch das war es nicht. Er bewegt sich wacker auf die Erde zu, passierte am 27. September die Sonne und war am Samstag, 12. Oktober, schon bis auf 70 Milllionen Kilometer an die Erde herangekommen. Gestern nun war er schon in Düffelward zu sehen!
Vermutlich bietet sich dem Astronomen wie dem Apokalyptiker noch bis zum 25. Oktober die Gelegenheit, beim Blick in den sternklaren Abendhimmel den prächtigen Schweif des Himmelskörpers zu sehen. Um den Kometen am Nachthimmel zu finden, sollte man sich nach Sonnenuntergang einen Platz mit freier Sicht auf den Westhorizont suchen. Orientierung am Himmel gibt die Venus – wer mit ausgestrecktem Arm den Planeten anpeilt, müsste zwei Fäuste rechts davon Tsuchinshan-Atlas erspähen.
Doch was für uns am Boden wie ein schillerndes Fanal kosmischer Ästhetik erscheint, ist in Wahrheit auch nur universeller Sondermüll. Der Kern von Tsuchinshan-Atlas ist eine Art schmutziger, kilometergroßer Eisklumpen. Der Komet stammt aus der Oortschen Wolke, einer Ansammlung von Objekten am Rand des Sonnensystems. Durch die Wärme der Sonne verdampft ein Teil des Eises. Der entstehende Dunst aus sonnenbeschienenem Staub und fluoreszierendem Gas bildet den sichtbaren Kometenkopf und den langen Schweif, der sich über viele Millionen Kilometer erstrecken kann.

Der Komet
Ein Silberschweif rauscht an verzaubertem Gewölbe,
Die Mähne eines geist’gen Wesens, Bote ferner Welt?
Sein Licht strahlt an des Niederrheines Himmelszelt,
Und heilt die Seelen, heilt das Land wie schöner Sterne Salbe,
Die Böses tilgt und Dunkel wandelt in ein ewig Licht!
Ist er der Künder einer neuen Zeit, der Künder der Vernichtung,
Der alten Welt, nach der vielleicht nach einer langen Nacht
Die neue Welt erscheint, so schön wie einst’ger Götterhaine Lichtung?
Wird alles schön und heil, wird Frieden dann und Seligkeit?
Wird eine ew’ge Finsternis und geistert nur der Tod,
Und kommen bald der Apokalyps flammenwerfend‘ Reiter?
In deinem Anblick, oh Komet naht uns die Ewigkeit,
Wird sichtbar sie und sendet unser Schöpfer eine neue Saat,
Das unser Herz wird größer, wird reiner, weiter, weiter….
Rom, den 16.10.2024