Nun, genau genommen war es nicht einmal eine Zelle mehr, sondern nur noch ein silberner Stumpf, der aus dem Erdreich ragte, der die letzten Reste des Glamours verglimmen ließ, den einst, in einer Zeit vor der allumfassenden Vernetzung, eine Einrichtung ausstrahlte, die im Behördendeutsch öffentlicher Fernsprechverkehr genannt wurde.
Dazu platzierte ein Unternehmen, welches damals noch Deutsche Bundespost hieß und den Charakter einer Behörde hatte, Zehntausende von Kleinstbehausungen an strategisch günstigen Stellen im ganzen Land. Die Version, die unser Land prägte, hieß: Telefonhäuschen TelH78. Glasfaserverstärktes Polyester mit gelbem Polyurethanlack, Leuchtstofflampen in der Decke, geschaltet durch Dämmerungsschalter, Glas, Stahl. Von meinem Elternhaus am Kieferneck in Bedburg-Hau musste ich nur 500 Meter gehen, um am Parkplatz an der Ecke Ginsterweg/Alter Park das Telefonhäuschen TelH78 zu finden.
Wenn die Technik denn funktionierte, eröffnete einem der Einwurf von zwei Groschen den kommunikativen Eskapismus, selbst wenn das Gespräch nur zu einem Freund führte, der gerade einmal anderthalb Kilometer entfernt wohnte, und den man ohnehin schon den ganzen Tag gesehen hatte. Später, als Heimlichkeiten Einzug hielten und den Eltern wohl nicht mehr alles mitgeteilt wurde, war die Telefonzelle am Ginsterweg die Möglichkeit, zu später Stunde Konversation zu führen, ohne sich dafür erklären zu müssen.
Jede Zelle hatte eine kleine Vorrichtung, in der an einer drehbaren Stange Telefonbücher befestigt waren, die aus ihrer hängenden Position nach oben gedreht und dort aufgeklappt und durchgeblättert werden konnten, wenn einem die Rufnummer eines gesuchten Gesprächspartners nicht bekannt war. Damals waren noch alle Menschen in diesen quasi offiziellen Büchern aufgelistet, und ich erinnere mich, wie ich in der Post an der Hagsche Straße, wo in der Mitte des Raumes alle deutschen Telefonbücher, ein unfassbarer Schatz also, versammelt waren, gemeinsam mit meinem Freund Georg die einzelnen Bände nach prominenten Personen abgesucht hatte, ohne dass je die Absicht bestand, dort einmal anzurufen.
Das wiederum ähnelt fast schon den heutigen Zuständen, denn die wenigsten Smartphones werden noch dazu benutzt, sprechenderweise und in dialogischer Form Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen, vielleicht muss man sogar sagen, dass ausgerechnet die Geräte, die die große Freiheit der Kommunikation zu verheißen schienen, diese am wirkungsvollsten zu sabotieren scheinen. Oder sind nicht sehr viele der tagtäglich versandten Nachrichten nichts anderes als eine Salami in den Flur werfen, vielleicht bewegt es irgendwas, vielleicht auch nicht. Egal.
Wie anders war das noch, als man auf die Verbindung angewiesen war! Als der Romanheld Kommissar Maigret in Paris ermittelte und eine wichtige Information durchgeben wollte, ließ sein Schöpfer Georges Simenon ihn erst einmal einen Ort mit einem Telefon suchen. Dieser war, man ahnt es, natürlich ein Bistro, und damit nahm die Geschichte eine andere Wendung, als wenn er einfach zum Handy hätte greifen können. (Die Handynutzung ist im modernen Film ein dramaturgisches Problem geworden, weshalb die Protagonisten immer wieder in elementare Situationen zurückgeworfen werden.)
Aus amerikanischen Krimiserien ist mir noch im Gedächtnis, dass in den USA die Telefonzellen sogar angerufen werden konnten – für mich damals ein unvorstellbares Faszinosum des technologischen Fortschritts. Und ich erinnere mich an Polizeifahndungen, wo mithilfe einer sogenannten „Fangschaltung“ zurückverfolgt werden konnte, von welcher Telefonzelle aus der Erpresser (mit einem Nylonstrumpf über den Telefonhörer, um die Stimme zu verfremden) seine Forderungen durchgegeben hatte, sodass in der Fernsehsendung „XY Aktenzeichen ungelöst“ der Moderator Eduard Zimmermann fragen konnte: Wer hat zu dieser oder jener Zeit an der fraglichen Telefonzelle verdächtige Beobachtungen gemacht?
Die Anonymität, die die übers Land verstreuten Kommunikationsapparate versprachen, bedeuteten auch Freiheit, was einem erst jetzt klar wird, wo im Smartphone der gesamte Verlauf des Lebens gespeichert wird und WhatsApp, um wenigstens eine Ahnung dieser Freiheit zurückzuerlangen, als technische Neuerung „geheime Chats“ eingeführt hat. Aber natürlich bleibt nichts mehr geheim, gar nichts mehr.
So gesehen, waren die 2,35 m³ Kommunikationsquader der Deutschen Bundespost auch so etwas wie Mahnmale der Freiheit, die über Jahrzehnte leuchtend gelb in der Landschaft herumstanden. Später wurden sie weiß und grau und hatten irgendwelche Applikationen in Magenta, und sie versanken analog zu ihrer scheinbaren Überflüssigkeit in der gestalterischen Beliebigkeit. Aus der Wählscheibe wurden hakelnde Tasten, und dann gab es noch die unsägliche Erfindung der Telefonkarten, die das Bargeld in den Zellen ersetzten, was mitunter zum Ziel krimineller Bestrebungen wurde. Noch später wurden aus den Zellen mit zwei Glasscheiben links und rechts verkleidete Stahlsäulen, die den Anrufer nur noch höchst unvollkommen vor den Unbilden des Wetters schützten und auf gar keinen Fall Lust zu abendfüllender Kommunikation bereiteten.
Dass jemand, wie früher – womöglich in einer Schlange – vor einer Telefonzelle wartete und eventuell mit seiner Münze gegen die Scheibe klopfte, um den aktuellen Sprecher zur Eile zu mahnen, das war nicht mehr vorgesehen, und es existierte wohl auch nicht mehr. Die Kommunikation wechselte vom Bade- in den Duschmodus, die Worte sollten im satten Strahl von einem Ort zum andern schießen, ein Planschen im Girlandenschaum der gegenseitigen Beteuerungen war nicht mehr erwünscht.

Es gab mal 127.000 Telefonzellen in Deutschland, in diesem Jahr sollen die letzten abgeschaltet werden. Eine davon war die Telefonzelle in der Großen Straße, die schon nur noch ein freistehender Telefonapparat mit einem alibimäßigen Windschutz war. Sie war die letzte Telefonzelle in der Innenstadt, und aus welchen Gründen auch immer war das Gerät stets in den Augenwinkeln der Wahrnehmung. Mal war die Scheibe zerdeppert, meistens jedoch hatte irgendein Vandale den Hörer abgerissen, sodass die Kabel wie ein Menetekel der unmöglichen Kommunikation herausschauten, und nie, aber wirklich nie habe ich je einen Menschen diese Telefonzelle benutzen sehen. So ist es vermutlich mehr als verständlich, dass die Telekom als Betreiber sich dazu entschieden hat, auch diese Säule zu opfern. Aber dass sie fehlt, das soll hier zumindest festgehalten werden.
Wunderbare Hommage mit Zeitreise! Danke für die Gedanken!
Mist, das war meine letzte Möglichkeit mich mit meinem ISDN Anschluss ins Interwebz zu begeben. Ab jetzt surf ich mit dem Board!
@6 & @11: … und trotz Kontakt zu den bakterien- und virenverseuchten, mit allerlei sicht- und unsichtbaren Anhaftungen versehenen Hörern – wir haben es alle überlebt 😁
@6 „den Telefonhörer selbst mit irgendetwas anzufassen nur nicht mit den Händen“
Würde ich heute auch so sehen. Damals in den 1970er Jahren spielte das keine Rolle…
Man hielt den Hörer dicht ans Ohr gepresst, den Mund unmittelbar vor den kleinen Löchern, wie all die anderen vorher es wohl auch schon getan hatten… und malte je nach Jahreszeit oder Dauer des Gesprächs irgendetwas auf die beschlagenen Scheiben… manchmal, wenn das Telefonat sehr lange dauerte und das war oft der Fall, wischte man zwischendurch ein Guckloch frei, um sich zu vergewissern, ob jemand vor der Telefonzelle wartete.
Es geht auch mit dem eigenen Smartphone…
Habe letztens einen komischen Anruf bekommen (angeblich PayPal), die Nummer im Internet recherchiert, es war ein Motorradhändler in Österreich, der mich natürlich nicht angerufen hatte, aber nun wusste, dass seine Nummer für solche Anrufe verwendet wird. Es war ein nettes Gespräch, am Ende wollte er meinen Namen und Telefonnummer, um sich bei der Polizei zu melden. Das war mir zu heikel und es war auch deshalb ganz gut, dass ich vorsichtshalber mit VPN und #31# angerufen hatte. Das Gespräch hat trotzdem gut geendet.
Ladesäule für E-bikes wäre schön gewesen. Aber da hätte „mann“ vorher denken müssen.
Das ist in Kleve immer sehr schwierig.
Vom geliehenen oder angeeigneten Handy aus
Grüße
J. Le Carre
Selten habe ich ( 74 )mit größerem Spaß einen Kondolenzbericht gelesen! Ich bekenne, und zwar nicht reumütig, weder eins von diesen unsäglichen Schmatfons zu besitzen , also auch Gott sei Dank nicht in der Lage bin, mich WhatsApp -mäßig oder sonstwie zu ergießen. Die Gesellschaft wird in meinen Augen leidvoll auf lange Sicht die Folgen dieser Entpersönlichung erleben.
Tja lang lang ist es her und der verströmte Geruch in diesen gelben Häuschen, der war nun einmal einzigartig und seine vorgefundenen Hinterlassenschaften auch.
Ratsam war es mitunter auch, den Telefonhörer selbst mit irgendetwas anzufassen nur nicht mit den Händen oder man suchte sich eine Telefonzelle die halbwegs sauber war.
Vermutlich wären die Generationen, nach den 2000er geboren, in einer solchen Telefonzelle zwecks Nutzung und seiner Bedienung echt überfordert.
@ 1 )
Dann überlegen Sie mal gut. Von wo wohl ?
Oder (wir schreiben das Jahr ca. anno 1995) die Telefonzelle am Bhf. bei der ehemaligen Postbank-Filiale (da hatte diese noch, einen anderen Namen): Dort konnte man auch zurück- bzw. angerufen werden! Die Festnetz Nummer stand auf den Geräten! Damit wäre damals evtl., schon Home-Office möglich gewesen. 🙂
Schöne Hommage an die Telefonzelle. Wir hatten kein Telefon, bis ich 15 war. Aber schräg gegenüber stand sie, „meine“ gelbe Zelle…
@1 Ich weiß, wo noch ein halb-öffentlicher Fernsprecher ist, der mit Münzen funktioniert…
Ich habe schon mal, ab und zu, die Telefonzelle bei KoDi (ebenda Grosse Str.), zum telefonieren genutzt. Warum nicht ?! Dafür waren sie nun mal schließlich da. Ich bin traurig, dass diese nicht mehr sind. Sie waren ein Stück Zeitgeschichte.
Von wo aus kann man denn jetzt noch anonym anrufen?
Grüße,
G. Orwell
🙂