In seinem Schaffen als Autor hat sich der aus Kleve stammende und in Berlin arbeitende Journalist Peter Huth bereits auf vielfältige Weise damit beschäftigt, was das Wesen des Bösen ist, welches auf unvermeidliche Weise in unsere Welt eindringt.
Schon im Roman Berlin Requiem – halb Horrorgeschichte, halb Politthriller – sind es nicht die Zombies, sondern skrupellose Menschen, die den Ausbruch einer Seuche für ihre Zwecke instrumentalisieren. „Gefährlicher als die Krankheit sind die Menschen“, heißt es in dem Buch, das 2014 erschien.
Ein Jahr später gab Huth das Buch Die letzten Zeugen heraus, in dem die Zeugenaussagen im Auschwitz-Prozess von Lüneburg 2015 dokumentiert wurden. Angeklagt und verurteilt wurde Oskar Gröning wegen der Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen.
Doch der SS-Mann arbeitete lediglich (?) in der Verwaltung des Konzentrationslagers und war dafür zuständig, Wertsachen in den Kleidern der in der Gaskammer ermordeten Opfer sicherzustellen. Lässt sich das isoliert betrachten? „Auschwitz war ein System. Und jeder, der an dem System mitgewirkt hat, ist mit dafür verantwortlich“, sagte ein Nebenkläger-Anwalt nach dem Schuldspruch.
Nun hat Peter Huth nach längerer Pause ein neues Buch veröffentlicht. Es heißt „Der Honigmann“. Die Geschichte spielt nicht im Horrorgenre und der Inhalt arbeitet auch nicht die Vergangenheit auf. Stattdessen ist Peter Huth mitten im Leben unserer Tage angekommen. Das Thema aber ist geblieben: Das Böse steckt meist nicht da, wo es auf den ersten Blick zu sein scheint, und meistens hat es auch System. Der Horror ist subtiler, viel subtiler.
Huth entführt den Leser in eine scheinbar paradiesische Welt am Stadtrand von Berlin, wo sich der Metropole müde Großstädter ein Idyll aufgebaut haben. Der Ort heißt Fischbach, und es gibt sogar tatsächlich einen Bach, der sich entlang der Häuser schlängelt. Das einzige, was die paradiesischen Zustände zu stören scheint, sind Wespen auf den abendlichen Grillpartys.
Das Idyll wird sogar noch gesteigert, als ein Mann im Dorf ein Geschäft eröffnet, in dem er Honig verkauft – und vor allem aber für alle und jeden ein gutes Wort übrig hat, insbesondere auch für die Kinder.
Doch es gibt kein Paradies, nirgends.
Vordergründig beginnt die Zerstörung damit, dass etwas über die dunkle Vergangenheit des „Honigmannes“ bekannt wird, eine Vergangenheit jedoch, die im juristischen Sinne als verbüßt gilt. Gibt es ein Recht auf einen Neuanfang? Lasst sich Schuld tatsächlich sühnen? Können sich Menschen ändern, bessern?
Wen aber interessieren Antworten, wenn sich die Menschen aus Fischbach zu einer WhatsApp-Gruppe zusammenschließen und in Alarmismus verfallen? Das Spannende an dem Buch ist nun, dass sehr einfühlsam aufgezeigt wird, wie Menschen in dem vermeintlichen Gefühl, Gutes zu bewirken, die Grundlagen ihres Zusammenlebens zerstören.
Das Ende soll hier nicht gespoilert werden, aber die Stärke des Buches besteht in der genauen Beschreibung dieser Eskalation, an deren Ende die heile Welt, in der sich alle Protagonisten wähnten, in Trümmern liegt. Und dabei hatten alle doch nur das Beste gewollt!
Ganz oberflächlich lässt sich vielleicht sagen, dass der Keim des Bösen auch in der Anonymität einer WhatsApp-Gruppe liegen kann, und einen Schritt weiter vielleicht, dass die Netzwerke bestimmt nicht sozial heißen, weil sie sozial sind. Am Ende aber landet der Leser bei der grundsätzlichen Frage, wie wir in der modernen Welt mit unseren Mitmenschen umgehen – und wie viel Erbarmungslosigkeit unter der Oberfläche eines gesitteten Zusammenlebens verborgen ist.
Und das Buch wäre natürlich nicht ein so gutes Buch, wenn sich nicht auf der letzten Seite noch ein großes Fragezeichen auftun würde, das alles bisher Geschehene infrage stellt.
Auf S. 187 lässt Peter Huth einen Jungen namens „Justus“ über den Honigmann sagen:
„Was sie alle nicht verstehen, ist, dass er mein Freund ist. Mein bester Freund. Nicht so ein Kinderfreund wie Benno oder Emil, sondern einen Freund, mit dem ich über alles reden kann (…)“
Och nö…
Eltern sollten übrigens immer hellhörig werden, wenn Kinder einen Erwachsenen als (besten) Freund haben.
Der Honigmann in Peter Huths Roman ist laut einer Rezension ein ehemaliger Sporttrainer, der wegen des Missbrauchs von 150 Kindern verurteilt wurde. Und der dann in der Nähe einer Schule seinen Laden aufmacht.
Das ist unrealistisch. Wer in diesem Ausmaß Kindesmissbrauch begeht, kommt selten noch raus aus dem Gefängnis oder der Forensik und wenn, dann mit Auflagen und/oder elektronischer Fußfessel. Freiheit unter Vorbehalt.
Die Eltern in dem Dorf werden nun also hysterisch, weil sich der Honigverkäufer als ein vielfacher pädophiler Sexualstraftäter entpuppt?
Hhm, ja, wirklich schlimm…
Peter Huth rechnet also ab mit Provinzidylle und den Leuten, die erst u. a. am Prenzlauer Berg wohnen und dann in Berliner Vororten oder Dörfern in Brandenburg.
Eine Leseprobe hat mir nicht zugesagt, waren aber vielleicht zu wenig Seiten. Erkennbar war jedenfalls, dass Peter Huth vor allem Journalist ist.
Vielleicht hat Peter diesen Mythos gelesen, der zeigt wie Honig, wie auch jeder Reichtum eine tragische und eine erlösende Seite hat: Melissa (griech. für Honig) war eine alte Priesterin der Demeter, die von der Göttin in die Mysterien eingeweiht worden war. Deswegen wurde sie von ansässigen Frauen bedrängt. Sie wollten auch an den Geheimnissen teilhaben und versuchten sie aus Melissa herauszupressen. Melissa weigerte sich vehement und war deswegen nicht mehr sicher. Sie wurde von den Frauen attackiert und auf grausame Weise erstochen. Sie zerrissen sie in tausend Stücke. Doch dann geschah etwas Magisches: Die tausend Stücke verwandelten sich in Bienen, die direkt in den Himmel flogen, um den Nektar und die Pollen von Blüten zu sammeln.
https://www.rollingstone.de/peter-huths-der-honigmann-ein-roman-ueber-eine-welt-vor-dem-kipppunkt-2788937/
Der Honigmann ist also ein verurteilter Sexualstraftäter, einer, der Kinder oder ein Kind missbraucht hat.
Ich hab’s mir gedacht.
Sorry, das ist ein ziemlich tiefer Griff in die pseudo-psychologische Trickkiste.
„Der Roman ist von einer wahren Begebenheit inspiriert. Es gab einen Honigmann, der am Wohnort des Autors ein Geschäft eröffnete. Seine Vergangenheit flog jedoch schnell auf und nach einer Woche verschwand er plötzlich spurlos. Alles Weitere im Buch ist erfunden.“
Und als der Honigmann weg war, ist mit Peter Huth die Fantasie durchgegangen.
Die so genannten „sozialen Medien“ sind nicht mit einer Kneipe aus den 70’ern oder 80’gern zu vergleichen.
Hinterfragen, mehrere Quellen einbeziehen, eigene Meinung bilden … Fehlanzeige.
Das Grundprinzip des Herdentriebs galt früher (so um die Jahrtausendwende) schon, ist aber durch das Intergenetz arg verstärkt worden.
Ich habe mich digital weitesgehendst gelöscht, aber das Intergenetz vergisst ja nix … ergo gibt es noch ausreichend nicht mehr für die breite Masse bestimmter äusserungen und Informationen von und über mich.
Aber es gibt ja auch (sehr, sehr wenige) positive Beispiele … wie jener des körperlich eingeschränkten WoW-Spielers, welcher im virtuellen Leben mehr reale Freunde hatte als im realen Leben.
WhatApp ist übrigens bei korrekter Anwendung ein sehr nützliches Hilfsmittel, nur leider für den privaten Gebrauch lediglich bedingt zu empfehlen 🙂
Im Grunde ist es total egal, wie man kommuniziert und ggf. polarisiert. Je nach Medium ist dies halt in Geschwindigkeit und Umfang mal langsamer und mal schneller, mal grösser und mal kleiner.
Wer Böses säen will, der findet IMMER einen geeigneten Nährboden. Real und virtuell.
Hhm, habe gerade mal ChatGPT gefragt.
Danach müsste der Roman eher ein Psychogramm sein, des Honigmanns und seines Alter Ego, und die WhatsApp-Gruppe bzw. die Dorfbewohner mehr Dekoration.
Aber vielleicht hat ChatGPT alles vermischt. Ist natürlich ein schwieriges Thema für eine Large Language Model, das mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet.
Ich weiß noch, wie ich zu Anfang auf Social Media Seiten unterwegs war. Nachdem ich gesehen habe, wie es dort teilweise zugeht, habe ich beschlossen, nicht mit Klarnamen irgendwo zu posten. Manche Leute in den so genannten sozialen Medien sind völlig neben der Spur. Da kriegt man Angst, dass sie noch irgendwann vor der Tür stehen könnten. Besonders schlimm sind Leute, die sich entweder mit einer bestimmten Person identifiziert haben und bei leisester Kritik an dieser Person verbal um sich schlagen oder eben die, die Feindbilder brauchen. Telegram guckt man sich am besten erst gar nicht an.
Aber auch außerhalb von sozialen Medien gibt es kein Paradies. Da darf man sich nichts vormachen. Der beste Schutz ist, erst gar nicht mit dem Paradies zu rechnen. Das schärft den Blick.
Was mich seit einigen Wochen sehr beschäftigt, ist der Prozess in Avignon. Was der Ehemann von Gisèle Pelicot gemacht hat, hätte ich mir so vor dem Hintergrund einer oberflächlich „normalen“ Fassade nicht vorstellen können. Das ist für mich der aktuelle Inbegriff des Bösen. Und gut, dass es in Frankreich von der Öffentlichkeit auch so eingeordnet wird.
Was mich interessieren würde: welche Vergangenheit hatte der Mann in Peter Huths Buch?
Ich halte WhatsApp für einen Durchlauferhitzer und TikTok mittlerweile für eine Waffe. Gilt übrigens auch für die anderen Messenger.