Langer Prozess, kurzer Prozess

Das erste Urteil fiel 2017, das letzte nach einer dreieinhalbstündigen Verhandlung am Mittwoch – die Justizodyssee um das Bordell Casa Rossa in Emmerich-Elten hat ein Ende.

Der Fall, der am Mittwoch vor dem Landgericht Kleve gewandelt wurde, erfüllte fast schon die Anforderungen an ein absurdes Theaterstück. Verhandelt wurden Verbrechen, die schon ein Jahrzehnt und länger zurücklagen und die ohnehin zur Bewährung ausgesetzte Strafe ist längst verbüßt

Genau genommen stand die 1. große Strafkammer unter Vorsitz von Richter Winfried van der Grinten vor der Aufgabe, bei einem rund 150 Punkte umfassenden Schuldspruch in den Fällen 132-135 ein neues Strafmaß zu finden. Das tat sie dann auch, aus der ursprünglichen Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten machte die Kammer eine neue, die nunmehr nur noch ein Jahr und sechs Monate betrug.

Für diesen überschaubaren Strafnachlass war der Angeklagte, der ehemalige Bordellbetreiber des „Casa Rosso“ in Emmerich-Elten, eigens aus seiner neuen Heimat Brasilien nach Kleve gereist. Zweimal hatte die Verhandlung verschoben werden müssen, einmal, weil die Anschrift des Angeklagten nicht herauszufinden war, ein zweites Mal, weil Marvin B. an Corona erkrankt war. 

Das ursprüngliche Urteil liegt bereits fünf Jahre zurück, vor zwei Jahren dann entschied der Bundesgerichtshof die Revision und verfügte, dass in den vier genannten Punkten anders gerechnet werden müsse als das Landgericht Kleve dies in seinem ersten Urteil getan hatte.

Zugleich aber förderte die Verhandlung auch eine Tragödie zutage, die sich in der Familie des Angeklagten abgespielt hatte, nachdem die Justiz deren berufliche Existenz im Rotlichtmilieu einer genauen Prüfung unterzogen hatte. Ursprünglich war Marvin B. gemeinsam mit seinen Eltern angeklagt gewesen. Im Jahre 2010 hatte er das Bordell, das als „gewerbliche Zimmervermietung“ geführt worden war, von seinen Eltern übernommen.

In dem Etablissement arbeiteten die Frauen scheinbar selbstständig. Angeblich mieteten sie ein Zimmer und entrichteten dafür je nach Dauer einen fixen Betrag. Wie in vielen anderen Fällen auch, hielt die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Kleve diese Art von juristischer Konstruktion jedoch für eine Lüge, da die Prostituierten eben kein bestimmtes Zimmer gemietet hatten und zudem auch nicht frei darüber entscheiden konnten, ob sie einen Freier abweisen oder bedienen.

Also Scheinselbstständigkeit, was automatisch zu hohen Nachforderungen bei Steuern und Sozialversicherungsabgaben führt. Doch die Berechnungen sind komplex, und an einem Nebenkriegsschauplatz musste nun etwas berichtigt werden. „Das ist einfach nur eine Reparaturtätigkeit“, so Richter van der Grinten.

Die Revision allerdings hatten nur noch zwei der damals drei Angeklagten eingelegt, der Sohn und sein Vater. Die Mutter war inzwischen verstorben. Am Mittwoch vor Gericht war dann nur noch der Sohn zugegen. Mittlerweile ist auch der Vater verschieden. Verteidiger Joachim Albert (Düsseldorf) berichtete, wie sehr diese Todesfälle seinen Mandanten berührt hätten. „Er glaubt, dass dieses Verfahren seine Familie zerstört hat“, so Albert.

Marvin B. selbst brach bei der Schilderung der familiären Verhältnisse in Tränen aus. Richter van der Grinten reichte ihm ein Tempotaschentuch.

Mit dem abgemilderten Schuldspruch endete der nunmehr vierte, aller Wahrscheinlichkeit nach aber letzte Prozess in der Sache Casa Rossa. Für Schlagzeilen hatte 2017 auch der erste Prozess gesorgt, da er wegen der Schwangerschaft einer Richterin komplett abgebrochen werden musste. Die Neuverhandlung endete mit dem Schuldspruch, der vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe in den Details beanstandet wurde, die am Mittwoch nun gefixt wurden.

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2 Kommentare

  1. 2

    „Verteidiger Joachim Albert (Düsseldorf) berichtete, wie sehr diese Todesfälle seinen Mandanten berührt hätten. „Er glaubt, dass dieses Verfahren seine Familie zerstört hat“, so Albert.“

    Wenn Marvin B. die Welt ausschließlich aus seiner Perspektive betrachtet, hat er recht. Aus einer anderen Perspektive würde er sehen, dass die „selbstständigen“ Prostituierten in moderner Sexsklaverei gearbeitet haben. Warum tut sich die aufgeklärte Gesellschaft immer noch so schwer mit einer Art von Dienstleistung, die die Person, welche die Dienstleistung erbringt, besonders schützen müsste? Das Gegenteil ist der Fall.

    Jegliche sexuelle Dienstleistung bei der nicht die Möglichkeit besteht die Ausübung zu verweigern und für die keine Sozialversicherungen gezahlt werden, sollten mit hohen Strafen für Zuhälter und Freier geahndet werden.

     
  2. 1

    Sozialabgaben hinterziehen und dann in Tränen ausbrechen?

    Heile Familienwelt?

    Sorry, aber gefühlt 99% aller Familien (auch) am Niederrhein würden von so einem ausbeuterischen Gewerbe ohnehin die Finger lassen. Und wenn man mir so ein Etablissement vererben würde, – ich würds ausschlagen.

    Ein Puff als anständiges deutsches Familienunternehmen. Sorry, so was hab ich auch noch nicht gehört.

    Aber wahrscheinlich hab ich einfach einen beschränkten Horizont.
    Aber ich zahl meine Sozialabgaben. (Kanns auch nicht verhindern…:-) )