kleveblog-Naturkritik: Blitze oder Sternschnuppen – was ist besser?

Die goldene Peitsche der Angstlust vor heimatlicher Kulisse (Foto: Ty Na)

Die Schöpfung, wem auch immer sie zu verdanken ist, verwöhnt uns gerade mit feinsten Naturschauspielen. Erst illuminierten die Perseiden den Nachthimmel, dann durchzuckten gestern Abend Serien von Blitzen das Firmament. Dem aufmerksamen Naturbeobachter stellt sich da die Frage: Welches der Phänomene ist dem anderen überlegen?

Natürlich neigt sich die Waagschale zunächst den Sternschnuppenschauern zu. Das Geschehen ist romantisch besetzt, Liebende schauen händchenhaltend in den sommerlichen Nachthimmel, und, wenn sie denn einer Sternschnuppe angesichtig werden, dürfen sie sich etwas wünschen, was aber nicht verraten werden darf, denn sonst geht der Wunsch nicht in Erfüllung. Im Gegensatz dazu durchzuckt einen die Beobachtung eines Blitzes mit anschließendem Donner mit einem Schaudern, und der einzige Wunsch, der sich einstellt, ist der nach einem sicheren Unterschlupf. Und natürlich, falls man gerade in der Badewanne liegt, sofort aus der Badewanne raus!

Doch die Entspannung bei der nächtlichen Sternschnuppenpirsch ist zugleich auch deren Schwäche. Im Großen und Ganzen ist die Beobachtung des Himmels so berechenbar wie ein Tatort am Sonntag Abend. Die Schnuppen kommen von links oben und fliegen nach rechts unten, vielleicht gerade mal eine halbe Sekunde ist ein Leuchten zu sehen, welches allenfalls den Charme einer linearen Funktion hat. Die Sternschnuppe ist ein Blender.

Wie anders ist da der Blitz unterwegs – rechts, links, hoch, runter, vor, zurück, die Bahn dürfte mathematisch nicht zu berechnen sein (die Fourier-Transformation lassen wir hier mal beiseite), und das einzige, was dieser Bewegung nahekommt, ist der wankende Gang eines Zechers auf dem Heimweg. Und, wie nicht sicher ist, dass der Zecher sein Ziel erreicht, ist auch nicht sicher, dass der Blitz einen nicht doch noch erschlägt. Das ist Spannung pur! Der Blitz ist Schicksal. Auch wenn man es abzuleiten versucht.

Nächster Punkt: Im Grunde sieht man die Sternschnuppen überhaupt nicht. Was leuchtet, ist die ionisierte Luft beim rasanten Eintritt eines der kosmischen Partikel. Aber welche Partikel überhaupt? Bei den Perseiden handelt es sich um Trümmer des Kometen Swift-Tuttle, um kosmischen Müll also, und die Schnuppe selbst ist in den meisten Fällen nichts anderes als ein staubkorngroßes Etwas. Läge es in der Wohnung herum, man würde es achtlos wegstaubsaugen. Der Teppichboden würde es verschlucken, der Nachthimmel gewährt ihm unverständlicherweise eine große Bühne.

Da hat die demolierende Energie eines Blitzes ein ganz anderes Format! Niemand möchte die Megaelektronenvolt an Energie, die so ein Blitz mit sich herumträgt, in der eigenen Wohnung wissen, nicht einmal in einem verschließbaren Raum. Der Blitz ist für uns Menschen das Unbezähmbare, er ist Mister 5000 Volt. Einen Blitz den Himmel durchzucken sehen, das ist wie bei einem Konzert von Tom Jones in der ersten Reihe stehen. Angst und Lust zugleich. Gänsehaut. Bruhaha. Ist es noch schön, oder werde ich gerade schon gegrillt?

Notorisch unzuverlässig: Sternschnuppen (Foto: R. Berens)

Zudem werden Sternschnuppen oft angekündigt und kommen dann nicht. Diese ist einfach nur notorisch unzuverlässig, wie das Warten auf den RE 10. Kommt er nun, oder kommt da nicht? Das nervt. Dagegen ist die Himmelsschau bei einem Gewitter ein verlässliches Spektakel. Die Blitze kommen, treffen hier vielleicht einen Kirchturm, dort eine Scheune, und dann sind sie auch wieder weg, wobei jeder ernsthafte Blitzbeobachter natürlich die Grundrechenarten beherrscht und somit weiß, dass alle drei Sekunden zwischen Blitz und Donner jeweils einen Kilometer Entfernung bedeuten. Der Blitz lehrt uns rechnen, die Sternschnuppen leeren uns nur die kosmische Leere. Im Himmel ist nichts, nichts und wieder nichts, und dann, ab und an, das Staubkorn eines kaputt gegangenen Kometen. Ist das nicht armselig?

Nun könnte man entgegnen, dass nicht alle Sternschnuppen Kleinstpartikel sind, insbesondere die Dinosaurier könnten ein Lied davon singen, wenn sie noch singen könnten. Aber auch da muss gesagt werden: der Blitz in seiner Bösartigkeit bleibt berechenbar, er lässt die Kirche gewissermaßen im Dorf, fackelt sie aber ab. Der Meteorit dagegen macht alles kaputt. Allerdings nur einmal alle paar Millionen Jahre. Darauf kann kein Mensch vernünftigerweise warten.

Gott Zeus schleudert wohlweislich Blitze, keine Sternschnuppen. Die wären bestenfalls Fernglitter für ihn, Larifari. Die Sprache, die das Wissen vieler Generationen in sich trägt, spiegelt die unterschiedliche Einschätzung der Himmelsphänomene wider. Die große Liebe schlägt wie ein Blitz ein. Manche Menschen gelten als blitzgescheit. Es gibt Blitzschach, und Usain Bolt läuft schnell wie der Blitz. Vergleichbares hat die Sternschnuppe nicht zu bieten, vermutlich weil es ihr einfach schnuppe ist. Das aber ist keine Basis für eine vernünftige Diskussion.

Fazit: Lieber ein prächtiges Sommergewitter als einen ephemeren Sternschnuppenschauer.

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2 Kommentare

  1. 2

    Wenn man bei Google einfach nur „Sternschnuppen“ eingibt, wird der Bildschirm kurz dunkler, und es schießen drei virtuelle Sternschnuppen diagonal von rechts oben nach links unten übers Bild.

    Mit „Meteor“ funktioniert es auch, aber nicht mit „Perseiden“…

     
  2. 1

    Der Autor scheint sich von der Fahrt im RE10 erholt zu haben.

    Ich habe wenig Talent, Sternschnuppen zu beobachten. Da kommt mir die Feststellung „Im Grunde sieht man die Sternschnuppen überhaupt nicht“ sehr gelegen.

    „Zudem werden Sternschnuppen oft angekündigt und kommen dann nicht“ (sehr passend dazu der Vergleich mit dem RE10). Ich habe es jedenfalls noch nie geschafft, Sternschnuppen nachzuschauen, schon gar nicht Händchen haltend. Entweder fehlten die Sternschnuppen oder die Hände der anderen Person.

    Im Grunde halte ich Sternschnuppen für ein Phänomen aus Märchen.

    Vielleicht habe ich auch nur kein Talent zu warten.