Für das schnelle Bier am späteren Abend, die dringend benötigte Zigarette oder den beim Kochen fehlenden Liter Milch, für sehr, sehr viele Eventualitäten eines nicht perfekt durchgeplanten, sondern impulsiven und substanzgetriebenen Verlangen unterliegenden Lebens war der Johanna-Sebus-Kiosk am Mittelweg der Fixstern am Firmament des Konsums, der so verlässlich geöffnet hatte wie die Sonne morgens aufging. Wer in der Nähe wohnte, durchschritt die diversen Initiationen bis hin zur marktwirtschaftlichen Matura (Geschäftsfähigkeit) in vielen kleinen Schritten – vom losen Schnupp, das vom Taschengeld bezahlt wurde, über die erste Jugendzeitschrift, das erste Bier (stilecht aus der 0,5-Liter-Flasche), die erste Zigarette, der erste Flachmann – bis hin zu E-Zigaretten, alkoholfreien Getränken und Kochbedarf (irgendwann wird man vernünftig), ein Ritus, der mitunter von Generation zu Generation weitergegeben wurde.
Der stete Strom an Kunden sorgte zudem dafür, dass am Ladentresen auch gerne die Wechselfälle des Lebens mit hoher Kompetenz und ebensolchen Blutalkoholspiegeln diskutiert werden konnten, eine nicht immer diplomatische Debattierkultur, die in satirisch nur maßvoll überhöhter Form auch ihren Eingang ins hiesige Brauchtum fand, indem die Schwanenfunker an ebendiesem Büdchen seit Jahren in ihren Karnevalssitzungen einen Sketch spielen lassen. Doch die Wirklichkeit war, wie so oft, meist noch etwas besser, weil schillernder und unberechenbarer.

Das alles ist seit dieser Woche Geschichte. Ein Bagger riss den kleinen Flachbau an der Ecke von Fredestraße und Mittelweg ab und schaffte auf brachiale Art Platz für Neues. Das Dach sei marode gewesen, sagt Inhaber Fethi Kozik, und für den trotz bis spätabends geöffneter Supermärkte, trotz Tankstellen und trotz Automatenkiosken offenbar immer noch steigenden Absatz war es in dem Büdchen zu eng geworden. Der von Kozik geplante Neubau soll sogar zweigeschossig werden, das lässt etwas vom Potenzial des Standorts Mittelweg erahnen. Doch bis das Gebäude steht, wird noch ein halbes Jahr vergehen – eine Zeit, in der dem Musikerviertel das Gravitationszentrumm abhanden gekommen ist. Wohin werden sich die Kunden wenden? Wird der Neubau sie wieder einfangen?
Der Kiosk startete vor mehr als einem halben Jahrhundert als „Trinkhalle Wanders“. Im Rahmen einer Projektarbeit beschäftigte sich die damalige Studentin Jasmin Kruse mit der Geschichte des Büdchens und förderte im Bauamt der Stadt Kleve erstaunliche Dokumente zutage. Unter der Bauakten-Nummer 481/71 wurde Bauherr Karl Nielen an der Fredestraße 2 als neuer Eigentümer der Immobilie ausgewiesen. Die Einträge beginnen mit dem Bau eines Einfamilienhauses (1961), es folgt die „Errichtung einer Trinkhalle/Hans Wanders“ (1968), sogar das Anbringen einer Reklame und einer Werbetafel wurden genau geregelt (1968, 1970). Skizzen des ersten Architekten zeigen, dass dort auch das „Gartenrestaurant Zum Prinzeneck“ betrieben (oder zumindest geplant) wurde. Im Oktober 1986, vor knapp 38 Jahren, konzipierte Werner van Ackeren für den Bauherr Helmut Thelen „den Anbau eines Lagers an ein Schnellimbiss[restaurant] in Kleve“. Damals dürfte das Gebäude seine Gestalt bekommen haben, die bis in der vergangenen Woche fast vier Jahrzehnte lang Bestand hatte.
Ein echter Klever dürfte nichts mehr erhoffen, als dass zumindest noch ein Hauch vom Geist des alten Büdchens auch den Neubau umwehen möge!








@19. SpoyBoy
„Heisst jetzt ‚bestärkt‘ bei Ihnen, dass Sie meinen, sie definieren nach wie vor das was richtig ist und der Rest der Welt hätte iIhnen zu folgen?
Müsste man nicht im Gegenteil akzeptieren, dass die Mehrheit anders denkt?”
Wie kommen Sie darauf?
Kuckuck hatte in @17 geschrieben: „Ich bin hier sicher niemandem moralisch überlegen und kann auch verstehen, weshalb ein damals genutzter Begriff mt Emotionen verknüpft ist. Trotzdem fand ich es nicht richtig, die Kommentarspalte ohne diese Kritik stehen zu lassen. Das Ergebnis der Europawahl hat mich darin nur wieder bestärkt.”
@Spoyboy Ihre Antwort passt inhaltlich nicht zum Kommentar @17. Ihre Antwort drückt hingegen offensichtlich Ihre Meinung zu einem Eindruck, den Sie von der Gesellschaft haben, aus.
Vielleicht überdenken Sie auch mal Ihren Umgang mit Kritik.
In @5 schrieb Kuckuck:
„@1 das Wort Schokokussbrötchen hätte es vielleicht auch getan. Nur weil man in Erinnerungen an die Vergangenheit schwelgt, müssen keine Begriffe verwendet werden, die zwar damals verwendet wurden, aber absolut nicht akzeptabel sind.”
Es ist eine persönliche relativ sachlich formulierte Meinung. Moralische Überlegenheit oder der Wille anderen vorzuschreiben welche Worte sie zu benutzen haben ist eine Interpretation Ihrerseits.
Die Erklärung von Sebus in @8 und @14 kann ich vollkommen nachvollziehen. Ihren Kommentar @1 empfinde ich nicht als rassistisch. Dennoch kam mir durchaus auch der Gedanke, dass das Wort Schokokussbrötchen dieselbe Süssigkeit passend beschrieben hätte ohne ein Wort zu benutzen an dem sehr viel Blut klebt. Für uns ist das abstrakt. Ich bin auch in einer Zeit aufgewachsen in der es für Schokoküsse oder Schaumküsse nur das eine Wort beginnend mit N gab. Als Kind wusste ich nicht was das Wort N… bzw. N… bedeutet, d.h. welch grausame und zu tiefst unmenschliche Geschichte damit verbunden ist. Aber heute wissen wir um diese Bedeutung.
@13
Leider sind sowohl Helmut, der Sohn Stefan und die Frau Hannelore Thelen schon seit langem verstorben. 🙁
@17
Bestärkt?
Das Ergebnis der Europawahl hat doch im Gegenteil gezeigt, dass die dortigen Wähler/innen eben nicht iIhrer Auffassung und Weltsicht folgen würden.
Heisst jetzt ‚bestärkt‘ bei Ihnen, dass Sie meinen, sie definieren nach wie vor das was richtig ist und der Rest der Welt hätte iIhnen zu folgen?
Müsste man nicht im Gegenteil akzeptieren, dass die Mehrheit anders denkt?
@17 Kuckuck Ihr Post gefällt mir.
@16 Fehlender Respekt? Dann lesen Sie Ihren Beitrag (11) nochmal. Ansonsten: Lassen Sie uns an Ihrem Sachverstand teilhaben.
Ich bin hier sicher niemandem moralisch überlegen und kann auch verstehen, weshalb ein damals genutzter Begriff mt Emotionen verknüpft ist. Trotzdem fand ich es nicht richtig, die Kommentarspalte ohne diese Kritik stehen zu lassen. Das Ergebnis der Europawahl hat mich darin nur wieder bestärkt.
@14.
Guten Abend!
Vielleicht versuchen Sie erstmal, sich selber zu verstehen, bevor Sie anderen, die mehr Sachverstand zu bieten haben, „Unverständnis“ zu unterstellen. 😉
Wenn man nicht von sich aus respektvoll mit Anderen umgeht, sollte man sich an gesellschaftliche Vorgaben halten. In diesem Fall, seit 2005!
Zeit genug, um dazu zu lernen. 😉
Das hat mit sinnlosen, psychologischen Erklärversuchen, die ins Leere führen, absolut Nichts zu tun.
Es sind einfache, verständliche Tatsachen, über die nicht zu diskutieren sind ! 😉
@11 „…hinterweltlerisch, hinterwäldlerisch oder hinter dem Mond geblieben?“ Wahrscheinlich alles. Korrekt gegendert müsste es „Neger*Innenkussbrötchen“ heissen.
@11 😉
Vielleicht verstehen Sie das besser:
Zwischen der für die emotionale Bewertung von Reizen verantwortlichen Amygdala und dem für die Gedächtnisbildung zentralen Hippocampus bestehen enge Verbindungen. Der Begriff „Negerkussbrötchen“ ist so genannter emotionaler Anker im Gedächtnis mit den spezifischen Emotionen und Umständen der ersten Erfahrung(en) verbunden. Im Falle von Schüler/innen sind das offenbar in der Regel positive Emotionen.
Soll man diesen Anker lösen, muss man sich auch von der Emotion, die als Erinnerung damit verbunden ist, lösen, weil es zusammen gespeichert ist. Das ruft bei vielen Menschen, die als Schüler/innen das Kultbrötchen mochten, Widerwillen hervor, auch wenn sie verstehen, dass der Begriff „Negerkussbrötchen“ nicht mehr ok ist (und es nie war).
@12
War das die Kioskbetreiberin in Ende80er/Anfang90er?
Lebt sie noch?
Ich habe mich sehr gut mit ihr verstanden.
Hmmmm Negerkussbrötchen ! Fast so kultig wie Zigeunerschnitzel.^^
Nein, Spaß beiseite. Der Kiosk hat absoluten Kultcharakter. Ich habe dort nach der täglichen Dosis Johanna Sebus Gymnasium u.a. meine 2 Führerscheine als Teeny verdient. 5 Jahre insgesamt. <3 ..
Zwei Welten, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Morgens die verbonzte Oberschicht aus Materborn und Reichswalde, Nachmittags dann aggro- Multikulti und die (harte) Drogenszene aus Mau Mau, Mozartsstraße und Küppersstraße. (man beachte das Abschneiden der AfD im dazugehörigen Wahlbüro Joseph Beuys Gesamtschule Nebenstandort feier)
Wer vergisst jemals die stundenlangen Gesprächstiraden der alten Frau Thelen ? Egal ob da ein Kunde oder 10 Kunden warteten. Juckte die nicht. 😀
Schade, dass wieder ein Stück Klever Geschichte dem Erdboden gleichgemacht wird. Die Erinnerungen bleiben jedenfalls.
…und Niemals vergessen: ein Paket Drum, ein Dortmunder Union und für ne Mark Schnupp ohne Lakritz aber mit Brökskes <3
Ist man in Kleve und Umfeld seit 2005 hinterweltlerisch, hinterwäldlerisch oder hinter dem Mond geblieben? 😉
Bei „Erklärungsversuchen“ von merkwürdigen „Erinnerungen“ darf man diese Frage stellen. 😉
@5
https://www.youtube.com/watch?v=IUbNg0ifKqA#t=21s
https://www.youtube.com/watch?v=bxqu2JPGVhs&t=581s
🙂
@5
Unverschämtheit wie Sie hier durch infamen Namensgebrauch die Kuckucke diskriminieren. Das ist Tierquälerei.
🙂
@5 Es geht um eine Erinnerung. Damals hießen die Brötchen so. Es war quasi ein Eigenname geworden. Ein Eigenname, der nicht nur für das besagte Kult-Brötchen an sich stand, sondern für eine bestimmte Phase im Leben (von Schülern). Nach der Schulzeit haben wohl die wenigsten noch (regelmäßig) Brötchen mit plattgedrückten Schokoküssen gegessen. Gesundheitlich gesehen war es eh die Vollkatastrophe, null Positiv-Nährwert. (Besser war die leckere Erdbeerbuttermilch im rosa Becher, die es nebenan in der Metzgerei gab, in der man sich im Sommer beim Warten ein bisschen abkühlen konnte.)
Erinnerung ist im Gehirn mit bestimmten Begriffen verbunden. Besonders wenn sie sich im ersten Teil des Lebens gebildet haben, können sie nicht einfach per Knopfdruck oder Anweisung aufgelöst werden. Mit der Erinnerung sind auch Emotionen abgespeichert, die beim Brötchen mit dem plattgedrückten Schokokuss positiv waren, da die Zucker-Weizen-Fettmischung wie eine (kurzfristige) Belohnung wirkte. Und das alles ist unter dem besagten Begriff abgespeichert.
Soll der Begriff geändert werden, hängt da also viel mehr dran.
Die Neubau-Aussichten sind aber ohne Charme und Flaire. 😮 Der Klotz an der Ecke …
@4 Leckermaul: Auf https://www.kle-blatt.de/blog/kleve-in-foto-video/cafe-linde-in-kleve.html gibts ein Aussenfoto vom Cafe Linde mit der Frage, wo das Gebäude gestanden hat.
@ 5
Glückwunsch das sie uns allen so moralisch überlegen sind.
@1 das Wort Schokokussbrötchen hätte es vielleicht auch getan. Nur weil man in Erinnerungen an die Vergangenheit schwelgt, müssen keine Begriffe verwendet werden, die zwar damals verwendet wurden, aber absolut nicht akzeptabel sind.
Ich vermisse das „cafe Linde“ im spacigen 50 er Style (mit der Einrichtung Nierentische usw.). Dort habe ich Mozart und Rumkugeln gekauft. Gibt es da vielleicht ein Bild von irgendwo? Hussel und Nordsee vermisse ich ebenso…diese Nischenläden.
@1 War nie ein Problem, vom Sebus über die Ackerstraße zum Laden gegenüber zu kommen…
Eilers stand nur morgens gegen 08.00 Uhr öfter vor der Schule und hat uns begrüßt, ggf. mit ungeduldigem Tippen auf seine Armbanduhr und vielleicht leicht rotem Kopf. Ach ja, er war so harmlos…
Ich finde es sehr traurig, dass wieder mal ein Stück Geschichte weichen muss. Ich hoffe, dass bei dem Neubau auch ein neueres Büdchen Platz findet. Manches geschichtliches sollte auch in der neuen Zeit erhalten bleiben und die Bauherren möchten sich in ihre Kindheit versetzen wie toll es war, in der Pause, vor oder nach der Schule am Kiosk vom Taschengeld Süßigkeiten und Co zu kaufen.
Ganze Sebus-Schüler*innengenerationen wurden dort mit Lakritz, Viola, Knöterich und den einmaligen Negerkussbrötchen versorgt…. 🙂 bis die Bäckerei Ecke Mittelweg/Brahmstrasse mit spitzenmäßigen stets frisch gemachten ordentlich gebutterten Käsebrötchen (Goudascheibe minimum 5mm 🙂 ) zumindest im Oberstufenbereich Konkurrenz machte…
Leckere Zeiten! 🙂
(An der Ackerstrasse gegenüber vom Sebuseingang gab es auch früher einen Laden, der war für die Schüler*nnen aber schwerer erreichbar, dazu musste das Sekretariat/Direktorenzimmer (Achtung, Eilers!) und der Lehrerparkplatz unentdeckt überwunden werden….irgendwann machte der auch zu. Habe dort fast alle meine Sammelbilder WM 1982 gekauft…immer mit ner kleinen Tüte lecker chipsfrisch.
🙂