Birgit Kalkes – das Gesicht der Stadtbücherei geht in den Ruhestand

So kennt man sie: Birgit Kalkes am Tresen der Stadtbücherei

Sie ist das Gesicht der Stadtbücherei. Noch am Freitag, und noch am Samstag, bis 13 Uhr. Dann ist für Birgit Kalkes nicht nur Feierabend, nicht nur Wochenende, sondern wirklich Schluss. Am Samstag um 13 Uhr endet die letzte Schicht nach 44 Jahren, zwei Monaten und 28 Tagen in Diensten der Stadtbücherei, und da immer im „Thekendienst“, wie sie sagt, also nah am Leser.

Seit Anfang der Woche schon kommen die Klever, die im Besitz eines Ausweises der Stadtbücherei sind, aber nicht (oder nicht nur), um Bücher zurückzugeben, sondern um Geschenke für die zukünftige Ruheständlerin abzugeben. Blumen und Umschläge häufen sich rechts vom PC, mit dem Birgit Kalkes Ausleihen und Rückgaben erfasst und in den Beständen sucht.

Am 1. Juli 1977 begann Birgit Kalkes eine Lehre als Verwaltungsangestellte bei der Stadt Kleve. Nach drei Jahren war sie fertig, und ihr erster Einsatzort – der auch ihr letzter bleiben sollte – war die Stadtbücherei. Die Einrichtung befand sich damals noch am Marstall (bevor die Justiz sich das Gebäude einverleibte), und geleitet wurde sie von Winfried Hönes, einem Mann, der ohne Tweedsakko nicht vorstellbar war und große Teile seiner Zeit darauf verwandte, Zitate zu sammeln sowie Gedichte in der japanischen Versform des Haiku zu verfassen.

Stempel immer griffbereit: Stadtbücherei in den Achtzigerjahren, stehend Birgit Kalkes, hinten rechts der Putzeimer, der die Jahrzehnte überdauerte

In den Büchern war damals hinten noch eine Karteikarte, die es neugierigen Menschen ermöglichte, herauszufinden, wer das Buch vor einem bereits ausgeliehen und womöglich sogar gelesen hatte. Jede Ausleihe wurde abgestempelt, richtig schön analog. Wie sich die Zeiten geändert haben, mag man daran ermessen, dass die Kunden der Stadtbücherei (sagt man wirklich Kunden?) nunmehr Bücher ausleihen und mithilfe eines ganz modernen Apparates sogar rund um die Uhr zurückgeben können, ohne überhaupt noch mit den Angestellten in Kontakt treten zu müssen. Das mag hilfreich sein, um geheime Gelüste zu verbergen, aber ist es nicht andererseits auch irgendwie prickelnd, einen Roman zweifelhaften Inhalts einer Mitarbeiterin wie Birgit Kalkes zu präsentieren und sich heimlich ein bisschen zu schämen?

Karnevalsfeier im Marstall (Birgit Kalkes oben in der Mitte): Der Chef feierte nicht mit, nie.

Wie es im vergangenen Jahrhundert im Marstall zuging, mag ein Auszug aus der Festschrift „1949-1999 – 50 Jahre Klever Stadtbücherei“ verdeutlichen: „In der Zwischenzeit wuchsen die Bestände weiter an auf 67.000 Medien Anfang 1989. Rekordverdächtig waren auch die Vorgänge im auswärtigen Leihverkehr: 1988 erhielt die Stadtbücherei 177 Bestellungen und schickte selbst 1902 Anfragen an andere Büchereien. Die exotischste Bestellung kam aus dem jugoslawischen Maribor. Dort wollte ein Hobbybastler gerne das Do-it-yourself-Buch ,Schnelle Motoren seziert und frisiert‘ haben. Ihm konnte geholfen werden.“ Mittendrin in solchen interbibliothekarischen Händeln war natürlich immer auch Birgit Kalkes.

40 Jahre mit schwarzem Kaffeebecher: Pause am neuen Standort der Stadtbücherei in der Wasserstraße

1991 zog die Stadtbücherei zum heutigen Standort an die Wasserstraße. 1993 ging Winfried Hönes in Ruhestand, es folgte Magdalene Michels. Unter ihrer Ägide wurde am 17. November 1997 wurde der erste Computer angeschafft. Seit 2012 leitet Jens Neumann die Einrichtung – als der nunmehr dritte Chef von Birgit Kalkes.

Bücher sind in gewisser Weise auch Zeichen von Beharrlichkeit. Anders als eine Tüte Chips überdauern sie einen Abend, und es wäre sicherlich interessant, ähnlich wie heute den Verlauf eines Browsers die Historie eines gesamten Büchereilebens noch einmal nachvollziehen zu können. Büchereien sind der Nährboden für eine lose Gemeinschaft von Menschen, die noch an die Kraft des geschriebenen Wortes glaubt und nicht in flüchtige Tiktoks versinkt.

Auch wenn es in der Stadtbücherei mittlerweile die Möglichkeit gibt, immaterielle Medien auszuleihen, geht es im Kern doch immer noch um das unverwüstliche, gedruckte Buch, das sich geduldig einen Leser nach dem anderen hingibt. Die serielle Lektüre allein ist schon ein wohltuender Akt der Entschleunigung, die in der Stadtbücherei Prinzip geworden ist. Sie spiegelt sich in vielen anderen Kleinigkeiten wieder, wie beispielsweise in der Tatsache, dass praktisch im gesamten beruflichen Leben von Birgit Kalkes in der Stadtbücherei  nur ein Putzeimer zum Einsatz kam. Erst vor wenigen Wochen ging er kaputt. Auch der Becher, aus dem Birgit Kalkes ihren Filterkaffee trank, war über Jahrzehnte derselbe – bis er vor wenigen Wochen zu Bruch ging.

Vielleicht waren das Zeichen.

Birgit Kalkes sagt, sie habe immer gerne in der Stadtbücherei gearbeitet (was man ihr auch anmerkte. „Das Team war wie eine zweite Familie für mich“, so Kalkes. Die Besucher schätzten ihren umsichtigen Service, der auch die zuverlässige  Besorgung von Literatur aus entlegensten Quellen beinhaltete, sodass es kein Wunder ist, dass nun zum Abschied noch viele vorbeischauen – und dieses Kapitel mit persönlichen Dankesworten beschließen.

Von Herzen: Karl-Heinz und Renate Vincke aus Materborn bedanken sich bei Birgit Kalkes

Birgit Kalkes aber sei ihr Ruhestand gegönnt. Sie fährt zunächst mit ihrer Schwägerin für eine Woche nach Hamburg. Welches Kapitel dann für sie beginnt, das weiß jetzt noch nicht.

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7 Kommentare

  1. 7

    Hallo Frau Kalkes,
    vielen Dank und alles Gute für den Ruhestand!
    @stadtbücherei
    Eine neue Stadtbücherei ist doch mit der Verlagerung der VHS in die Landwehr – vermutlich entschieden nach „Wirtschaftlichkeit“ des Gebäudebetriebs des bestehenden VHS-Gebäudes-, wie es die Tage in der Zeitung stand, endgültig abgesagt, da ein gemeinsamer Standort, der ja zwangsläufig in keines der beiden Bestandsgebäude gepasst und neu errichtet hätte werden müssen, damit obsolet ist. Ob der Repco-Entwurf die inneren Werte, die für eine moderne, zukunftssichere Bücherei gebraucht werden, aufwies und dem politisch gewollten Primat der „Wirtschaftlichkeit“ entsprochen hat, kann ich nicht sagen.
    Kunden oder Nutzer oder gar noch „Leser“? Ich selbst ziehe seit Jahrzehnten „Nutzen“ für mich aus der Bücherei, ja und den Begriff „Kunden“ haben wohl vor etlichen Jahren schon „Berater“, sorry „Consultants“, in die öffentliche Verwaltung eingeführt und für maßgeblich erklärt, mit entsprechender politischer Rückendeckung von Parteien, die in Bürgern übrigens auch Kunden sehen, warum auch immer, vielleicht weil man „Wirtschaftlichkeit“ für das einzig Gebotene hält. Neudeutsch nennt man das wohl „wording“.
    Lassen Sie uns von einer nicht nur neuen Bücherei träumen, nicht vom zu kleinen Marstall, aber wissen, dass es nur ein Traum ist, wissend das 2025 Kommunalwahl – mit allem „Wording“ des Wahlkampfes- sein wird, wissend dass es eine sauteure LAGA geben wird, wissend das Kleve im Kulturbereich eine „museale“ Kommune ist, wissend dass wir in den 70ern eine verkorkste Kommunalreform hatten, wissend, dass wir eine verkorkste Finanzverfassung haben, wissend, dass wir wegen zu langer Betrachtung der Schulen/Schulgebäude als Ding der „Wirtschaftlichkeit“ jetzt ein Vielfaches für Neubauten bezahlen müssen, wissend dass im öffentlichen Dienst zu wenig pädagogische Fachkräfte, zu wenig Bau(planungs)fachkräfte, zu wenig Archivfachkräfte, zu wenig Bibliotheksfachkräfte, Sozialfachkräfte, Reinigungskräfte usw. eingestellt wurden, vorhanden sind und immer mehr Aufgaben zugewiesen wurden. Und wissend, dass „mehr“ und „neu“ immer teurer wird, was aus Steuern, Abgaben, Gebühren von Wählerinnen und Wählern bezahlt werden müsste, was diese weder hören noch bezahlen wollen.
    Hoffen wir, dass die Bücherei wenigstens so wie sie ist erhalten bleibt. (Bin ja mal gespannt, ob wir überhaupt ein neues Gesicht für Frau Kalkes sehen werden, wenn die – zugegebenermaßen Gerüchte – stimmen, dann nicht, jedenfalls war auch noch keine Stellenausschreibung für eine Fachkraft wahrnehmbar und die Mitarbeiterinnen, die ich in der letzten Woche in der Bücherei gesehen habe, sind mir auch schon alle länger dort bekannt, bis jetzt kein neues Gesicht.)

     
  2. 6

    Für mich war die Stadtbibliothek immer eine Art heiliger Ort, ein Paradies, wo man das praktische Leben verlässt und eintaucht in eine Zauberwelt des Wissens und der Phantasie und auch Ort zahlreicher Begegnungen. Das Gesicht der Bibliothek war Hönes und Frau Kalkes und auch andere Miarbeiter. Am Marshall war es noch schöner, fand ich, wird nie vergessen.

     
  3. 3

    Im Bibliotheksjargon heißen die Kunden meist Nutzer.

    Ich hätte gerne die Stadtbücherei am Marstall zurück. Oder noch besser: eine ganz neue. Der Reppco-Entwurf kann jederzeit aus der Schublade geholt werden.

     
  4. 2

    Liebe Birgit, alles Gute für den Ruhestand. Deine Freundlichkeit war über die Jahrzehnte in der Stadtbücherei immer verlässlich. Herzlichen Dank.

     
  5. 1

    Liebe Frau Kalkes,

    alles Gute für ihren Ruhestand und bleiben Sie gesund und fit, und nehmen Sie ab und zu, ein Buch mit. Allerdings nur zur Ausleihe. 🙂