Der Jugendtreffpunkt together, im Spoycenter ansässig, hatte am Samstag zum letzten Christopher-Street-Day in Deutschland in diesem Jahr eingeladen, und geschätzt 400 zumeist junge Menschen, denen das Zusammenleben der Menschen auch jenseits heterosexueller Normen am Herzen liegt, zogen vom Koekkoekplatz aus über eine vier Kilometer lange Strecke durch die Klever Innenstadt – unter einem Motto, das wohl eine einzigartige Kombination dreier Modalverben darstellt: „Alle müssen können dürfen“. Nun ergeben die Modalverben, von seltenen Ausnahmen abgesehen („yes, we can“; „ich muss mal“), nur Sinn in Verbindung mit einem normalen Verb, aber es ist schon klar, was damit gemeint war: dass die Möglichkeit, Optionalität zu gewähren, in unserer Gesellschaft einen imperativen Charakter haben sollte.
Die anderen drei Modalverben wiederum, das etwas schwache „sollen“ sowie „mögen“ und „möchten“ hätten das Motto nur noch aufgebläht, aber keine neue Aussagequalität hinzugefügt, oder sogar beeinträchtigt: Alle sollen können dürfen müssen – das bringt einen nicht weiter. Alle möchten können müssen dürfen, auch das bringt nichts.
Um einige Buchstaben verändert war das Feld der angesprochenen Teilnehmer. Ich bin noch groß geworden in einer Welt, in der es LGBTQ hieß. Mittlerweile heißt es LSBTIN*. Darunter versteht man: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Nicht-Binäre*, und nur die ersten drei sind den meisten geläufige Spielarten der sexuellen Orientierung. Auf den Fahnen am Rathaus war wiederum LSBTIQ zu lesen, aber das meinte wohl dasselbe.
Trans* ist ein Oberbegriff, der verschiedene Menschen bezeichnet, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren, also ein Mann, der sich als Frau fühlt oder umgekehrt oder aber als gar keinem Geschlecht zugehörig. Inter*Menschen haben körperliche Merkmale, die nicht eindeutig als männlich oder weiblich bestimmt werden können oder die gleichzeitig typisch für beide Geschlechter sind. Menschen, die sich nicht (nur) als weiblich oder männlich definieren, bezeichnen sich als nicht-binär*, non-binary oder auch genderqueer*.
Das ist alles recht komplex, und umso schöner ist es, wenn die jungen Menschen all diese Möglichkeiten selbstbewusst für sich zulassen und für Toleranz in diesen Dingen auf die Straße gehen.
Die Pointe des Tages war am Ende des Zuges ein Miniaturbus, der von den Teilnehmern gezogen wurde und auf dem der Schriftzug „Transporter“ stand – das hatte ich bisher noch nicht so wahrgenommen.
Gut, dass wir in einem Staat leben, der eine fortschrittliche und den Menschen gegenüber fast immer respektvolle Rechtsprechung hat. Aber Toleranz setzt mehr voraus als liberale Gesetze. Toleranz ist dann da, wenn sie sich im alltäglichen Leben widerspiegelt. Ich habe den Eindruck, dass vieles aus der Öffentlichkeitsarbeit der LSBTIN-Bewegung oder dem, was in den Medien dazu verbreitet wird, meilenweit entfernt ist vom realen Leben. Alleine die mediale Aufmerksamkeit, die seit Jahren diesem Themenbereich gewidmet wird, spricht dafür, dass immer noch nicht alle Menschen ein selbstverständliches Leben leben (können). Muss ich beispielsweise wissen was LSBTIN bedeutet und welche Begriffe für was definiert worden sind (die sich anscheinend hin und wieder mal ändern)? Ist es nicht eigentlich vollkommen egal wer sich wie definiert? Ist es nicht viel wichtiger zu respektieren, dass Menschen sehr unterschiedlich sein können? Ist es nicht viel wichtiger, dass alle Menschen in unserem Land die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt, bei der gesellschaftlichen und politischen Teilhabe und den gleichberechtigten Zugang zu medizinischen und sozialen Ressourcen haben? Ist es nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit die Art zu Leben und zu Lieben aller Menschen zu respektieren? Es geht niemanden etwas an, wie jemand lebt und liebt (oder vielleicht auch nicht liebt?) wenn niemand anders dabei Schaden nimmt. In meinem alltäglichen Leben begegne ich vielen Menschen und es ist mir ehrlich gesagt vollkommen egal was die in ihrem Privatleben machen. Anscheinend fehlt vor allem Selbstverständlichkeit für alle Lebensformen. Ich spreche da natürlich vor allem von mir und meinem möglicherweise etwas beschränkten Horizont aber vielleicht geht es anderen teilweise auch so. Die vielen neuen (oder neu entdeckten?) Facetten des menschlichen Lebens sind nicht immer nachvollziehbar für jemanden, der persönlich keine Berührungspunkte damit hat. In den letzten Jahren ist eine ganze Fülle davon in den medialen Fokus gekommen. Aber möglicherweise ist die zentrale und für ein respektvolles Zusammenleben wichtige Erkenntnis, dass Menschen ihr Leben sehr unterschiedlich gestalten und dass das von der Schöpfung bzw. der Natur offensichtlich so vorgesehen ist, denn sonst gäbe es das alles, was sich hinter der Abkürzung LSBTIN* verbirgt, nicht. Gibt es aber ergo es ist ein Teil der Normalität.
Solide 3-
Schön, dass es den CSD in Kleve gibt.
Wo liegen die Anfänge des Christopher Street Day? Im „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New York, die Polizeikräfte am 28. Juni 1969 stürmten und mehrtägige Proteste von Schwulen, Lesben und Transsexuellen auslösten.
https://www.deutschlandfunk.de/stonewall-aufstand-in-new-york-50-jahre-homosexueller-stolz-100.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Stonewall
In Deutschland gab es noch bis 1994 den Paragrafen 175 StGB, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte.
Dass CSD war, habe ich leider erst am Krefelder Hauptbahnhof bemerkt, wo eine Handvoll Menschen mit Regenbogenaccessoires am Bahnsteig Richtung Kleve wartete. Aber schön zu sehen, dass so eine Veranstaltung auch über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen wird!