Mutter aus Weeze: Totschlag, 4 Jahre, 6 Monate

Medien, soweit das Auge reicht
„Diffuse Angst vor Konsequenzen“: Stefanie K.

Vom ursprünglichen Vorwurf der Anklage, Doppelmord aus Habgier, war nicht mehr viel übrig geblieben, als das Landgericht Kleve am Morgen das Urteil gegen Stefanie K. (25) verkündete. Stattdessen erkannte die 4. Strafkammer (Schwurgericht) unter Vorsitz von Richter Ulrich Knickrehm auf einfachen Totschlag in einem minderschweren Fall, den die Mutter aus Weeze mit einer viereinhalbjährigen Haftstrafe verbüßen muss.

Die entscheidende Frage, die sich die Kammer zu stellen hatte, war: Wie werten wir das erste Geständnis der Frau, welches sie unmittelbar nach Entdeckung der Tat im September vergangenen Jahres in einer Polizeivernehmung ablegte? Damals sagte die Frau, sie habe eine Zwillingsgeburt gehabt, das erste Baby sei tot geboren worden, das zweite habe sie ebenfalls heimlich zur Welt gebracht und in der Badewanne erwürgt. Es war allerdings, wie das Gericht selbst anmerkte, das Geständnis einer Lügnerin.

Das traf auch zu auf das Geständnis, das letztlich zur Anklage wegen Doppelmordes führte. Aufgrund des unterschiedlichen Verwesungszustandes der beiden Kinderleichname unterstellte die Polizei zwei Geburten im Abstand von mehreren Monaten. Daraufhin hatte Stefanie K. genau dies eingeräumt. Diese Version war allerdings nicht mehr haltbar, nachdem bereits am ersten Prozesstag der Gerichtsmediziner die Ergebnisse eines DNA-Gutachtens verkündete und sagte, bei den beiden Kinderleichen habe es sich um eineiige Zwillinge gehandelt.

Also zurück zum ersten Geständnis? Oder gar nichts mehr glauben? K.s Verteidiger Josef Verhoeven wollte im Prozessverlauf keine Belege dafür erkannt haben, dass bewiesen sei, dass das zweite Kind tatsächlich gelebt habe. Konsequenterweise verlangte er einen Freispruch. Staatsanwalt Martin Körber gründete sein Plädoyer hingegen auf das erste Geständnis und forderte eine Verurteilung wegen Totschlags zu vier Jahren und sechs Monaten.

Dem folgte das Gericht. Die Kammer hob zunächst hervor, dass die Angeklagte in ungünstigen Familienverhältnissen aufgewachsen sei, dass sie zehn Jahre lang durch Einrichtungen der sozialpädagogischen Familienhilfe betreut worden sei, dass ihre schulische Entwicklung schwierig verlaufen sei, dass es wegen suizidaler Absichten drei Aufenthalte im psychiatrischen Krankenhaus in Bedburg-Hau gegeben habe.

Der Lebenswandel der Angeklagten, die als Prostituierte in einem Swingerclub in Kamp-Lintfort arbeitete und dort auch wohnte, sei vom Vater und von der übrigen Familie wohl mehr oder minder toleriert worden.

Im Frühjahr des vergangenen Jahres habe K. ihre Schwangerschaft bemerkt, diese jedoch wegen ihrer großen Körperfülle verheimlichen können. Vom 11. bis zum 13. September hielt sie sich dann bei Ihrem Vater in Weeze auf – „ihr war klar, dass es zur Geburt kommt“, so Knickrehm.

Sie traf die Vorbereitungen zur Geburt und brachte im Badezimmer des väterlichen Hauses stehend das erste Kind zur Welt. Es war eine Totgeburt. Sie packte das Kind und die verwendeten Utensilien in zwei blaue Plastiktüten, die sie neben ihr Bett stellte, und legte sich schlafen. Aus ihrer Sicht sei alles erledigt gewesen, so das Gericht.

Einige Stunden später wurde sie dann durch starke Schmerzen wach und realisierte, dass eine zweite Geburt bevorsteht. Wieder traf sie Vorbereitungen, diesmal brachte sie das Kind allerdings in der Badewanne zur Welt. Knickrehm: „Als das Kind anfing zu schreien, entschloss sich die Angeklagte aus Angst und Verzweiflung, ohne sich ernsthaft Gedanken zu machen, was sie tut, es umzubringen.“ Sie hielt das Kind unter Wasser und würgte es, bis es tot war.

Auch diese Leiche deponierte sie zunächst in ihrem Zimmer, bevor später das eine Kind im Söller versteckt wurde, das andere in der Tenne. Einige Tage später offenbarte sie die Tat nach einem Streit ihrem Vater.

„Dieser Sachverhalt steht fest, obwohl die Angeklagte keine Angaben gemacht hat“, so das Gericht. Es sprach von einer sehr dürftigen Beweislage. Die Feststellungen hätten sich allein aus dem ergeben, was Frau K. bei der ersten polizeilichen Vernehmung ausgesagt habe.

Dort habe sie von Anfang an von einer Zwillingsgeburt gesprochen und berichtet, dass das erste Kind tot und das zweite lebend in der Badewanne zur Welt gekommen sei. „Die Kammer ist sicher“, so Knickrehm, „dass diese Angaben richtig sind.“

Folgende Indizien stützen nach Ansicht des Gerichts die Aussage: der DNA-Vergleich, die gerichtsmedizinische Bestätigung der Totgeburt eines Kindes sowie die detailreichen Schilderungen der Geburtsumstände und der Tötung des zweiten Kindes.

Dass das zweite Kind ebenfalls eine Totgeburt gewesen sei, hielt die Kammer allenfalls für eine „theoretische Möglichkeit“, denn die Angeklagte habe keinen Grund gehabt, sich selbst einer Kindstötung zu bezichtigen.

Ein Indiz für das im Urteil unterstellte Geschehen sah die Kammer auch in der Änderung der Aussagen von K. im Verlaufe des Polizeiverhörs. Als sie erstmals mit den völlig unterschiedlich aussehenden Babyleichen konfrontiert wurde, vermutete sie zunächst, dass ein Kind womöglich einen Tag früher als von ihr gedacht geboren wurde. Dann schob sie als Begründung nach: „Vielleicht lag es auch daran, dass ein Kind nass war.“ Das, so die Kammer, seien Angaben aus freien Stücken gewesen – bevor sie sich am Ende auf die komplett falsche Version von zwei Geburten im Abstand von mehreren Monaten festgelegt habe.

Das ursprünglich unterstellte Tatmotiv der Habgier – die Furcht, enterbt zu werden, wenn der Vater erfährt, dass sie Kinder eines Freiers habe – hielt das Gericht für nicht belastbar. Auch das in einigen Medien gezeichnete Bild einer Frau, die eiskalt ihre Babys umbringt, um ihren Lebenswandel weiter fortführen zu können, sei falsch. Knickrehm: „Das Verhalten der Angeklagten war geprägt von einer diffusen Angst vor Konsequenzen innerhalb der Familie.“ Hinzu sei die massive Überraschung durch die zweite Geburt gekommen.

So ging die Kammer „nur“ von einem Totschlag in einem minderschweren Fall aus und berücksichtigte bei der Strafzumessung die Ergebnisse des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Jack Kreutz, der der Angeklagten eine komplexe Persönlichkeitsstörung und zum Tatzeitpunkt nicht ausschließbar eine verminderte Steuerungsfähigkeit bescheinigt hatte. Zu Gunsten der Angeklagten wurde auch ihr Geständnis bei der Polizei gewertet – „ein Geständnis, ohne das es keine Verurteilung gegeben hätte“, so Knickrehm.

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3 Kommentare

  1. 3

    Das stimmt. Lesen möchte mans trotzdem nicht. Lieber 100x Flughafen, Lebenshilfe oder Basketball als sowas.

    Ich lese hier normalerweise gerne aber das vermiest die Stimmung

    Junge Junge, was für Abgründe mitten unter uns :/

     
  2. 2

    Ich würde „abschließend“ (<-hoffe ich mal) mal sagen, dass du in diesem Fall die beste Berichterstattung hattest.

    Danke!

     
  3. 1

    Vielleicht habe ich es überlesen, überhört……….nirgendwo habe ich Trauer, Traurigkeit, Mitleid, Mitgefühl oder Blumen für die „kleinen Menschenkinder“, die toten Babies, gefunden!