Kapitelstraße: Wie viele Bomben birgt der Baugrund noch?

Überreste einer Entschärfung: Partyzelt in Baugrube, verweht
Kleve nach der Bombardierung (Foto: RAF)

(Aktualisiert, mit Bildern des Lyzeums vor und nach der Zerstörung am Ende des Artikels) Drei Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg auf einem rund 2500 Quadratmeter großen Baugrundstück mitten in der Stadt, drei Evakuierungen für 4500 Einwohner innerhalb von 43 Tagen, drei Einsätze für Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte – das wirft viele Fragen auf. kleveblog versucht, die wichtigsten Antworten zu geben.

Wie viele Bomben schlummern noch im Baugrund?

Das ist natürlich die wichtigste Frage, und darauf kann es nur eine Antwort geben: Man weiß es nicht. Jeder hofft, dass die dritte Bombe, im Gegensatz zu den ersten beiden gefundenen Sprengsätzen „nur“ eine 5-Zentner-Bombe, auch die letzte war. Doch sie wurde gefunden, als der Bauherr das Gelände für eine weitere Sondierung vorbereitete. Gut möglich also, dass die weitere Auswertung auch noch neue Funde zutage fördert. Die Pfarrei Sankt Mariä Himmelfahrt schreibt auf ihrer Website: „Zeitnah wird das gesamte Baugrundstück weiter untersucht. Wir hoffen, dass es keine Bombenfunde mehr gibt, aber das kann erst gesagt werden, wenn das gesamte Areal sondiert ist.“

Wurde denn vorher nicht sondiert?

Doch, diese Vorgehensweise ist Standard. Die Luftbildauswertung hatte die erste Bombe auch gezeigt. Die zweite, die am Samstag vergangener Woche entschärft werden konnte, war indes auf den Luftbildern nicht zu erkennen. Die dritte wiederum lag auf einem Teil des Areals, dessen Bebauung erst später beschlossen und dass deshalb nicht von Anfang an mit untersucht wurde. Dass die dritte Bombe überhaupt gefunden wurde, war gewissermaßen ein Versehen, weil das Erdreich erst für die Sondierung vorbereitet werden musste.

Wer baut da überhaupt?

Die Klever Stiftspfarre Sankt Mariä Himmelfahrt plant, auf dem Areal ein neues Pfarrzentrum als Mittelpunkt der Gemeinde, unmittelbar neben der Stiftskirche gelegen, zu errichten. Auch die Familienbildungsstätte, noch an der Straße Am Regenbogen beheimatet, soll dorthin umziehen. Vorher stand auf dem Gelände das Karl-Leisner-Jugendheim, welches vor zwei Jahren abgerissen wurde.

Baustelle Kapitelstraße (Foto: Feuerwehr Kleve)

Was ist im Zweiten Weltkrieg dort eigentlich passiert?

Bekanntlich ist Kleve in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs zweimal bombardiert worden, am 7. Oktober 1944 und am 7. Februar 1945. Auf dem Areal der jetzigen Baustelle befand sich ursprünglich das Mädchen-Gymnasium (Lyzeum). Ein kleveblog-Kommentator fand auf der Website für Karl Leisner (www.Karl-Leisner.de) folgende Informationen: „Das Lyzeum, schräg hinter dieser Kaplanei gelegen, hatte ebenfalls einen Volltreffer erhalten. Da sich dort gerade eine Gruppe für den Abtransport in die Evakuierung des Gaues Magdeburg versammelt hatte, endete bereits hier im Keller des Lyzeums für alle ihr Lebensweg in einem überraschend schnellen Bombentod.”

Warum war bei der Entschärfung Eile geboten?

Die Bombe war durch den Bagger bewegt worden, sie hatte sich bereits in der Baggerschaufel befunden. Daher mussten die Feuerwerker vom „Worst Case“ ausgehen, also vom schlimmsten möglichen Fall, der da war, dass durch die vermutlich ruckartigen Bewegungen der Langzeitzünder aktiviert worden ist. Dagmar Groß (Bezirksregierung Düsseldorf): „Grundsätzlich geht von allen Bomben eine Gefahr aus. Diese Gefahr ist bei einem Langzeitzünder größer. Grundsätzlich gilt: Bomben sollten schnellst möglich entschärft werden. Man kann gegebenenfalls sehen, nach wie vielen Stunden die Bombe im Zweiten Weltkrieg detoniert wäre – in diesem Fall nach sechs Stunden. Dies hat aber nichts mit der Zeit zu tun, die man für die Entschärfung hat.“

Wie funktioniert der Langzeitzünder?

Bei dem Blindgänger handelte es sich um einen mit Langzeitzünder. Während des Bombenabwurfs wurde eine mit Aceton gefüllte Glasampulle zerstört (Aceton ist ein Lösungsmittel, keine Säure). Das Aceton sorgte für die Auflösung einer Bakelitscheibe, die wiederum einen vorgespannten Schlagbolzen zurückhielt. War die Bakelitscheibe hinreichend aufgelöst, schlug der Schlagbolzen in einen Detonator ein, der wiederum die Bombe zur Detonation brachte. In Abhängigkeit von der Konzentration des Acetons und der Dicke der Bakelitscheibe konnte so eine Verzögerung der Bombendetonation von 6 bis 144 Stunden „eingestellt“ werden.

Warum hat die Feuerwehr Wohnungen aufgebrochen?

Das Gelände wurde geräumt, die Bürger waren verpflichtet, ihre Wohnungen aus Sicherheitsgründen zu verlassen. Nicht alle sind dieser Aufforderung nachgekommen. Florian Pose, Sprecher der Klever Feuerwehr: „Die Feuerwehr Kleve musste im Auftrag der Ordnungsbehörde insgesamt fünf mal zu Türöffnungen ausrücken. Diese konnten aber teilweise wieder abgebrochen werden, da man zwischenzeitlich schon Zugang zur betroffenen Wohnung hatte. Einmal wurde eine Balkontür geöffnet, so dass Ordnungsamt und Polizei die Wohnung betreten konnten.“

kleveblog-history: Wie sah das Lyzeum aus?

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6 Kommentare

  1. 6

    Vielleicht können wir für eine Schaufel (ca. 25 €) sammeln, dann brauchen sie nicht mit dem Bagger zu sabotieren.

     
  2. 5

    Update: Der Red Digger baggert wieder.

    Spuren irgendeiner Sondierung? Nicht zu sehen. Wird schon aus Zeitgründen noch keine Sondierung stattgefunden haben können.

    Also mal wieder: Bombensuche mit der Baggerschaufel.

    Die nächste Spontan-Evakuierung wird dann wohl so sicher sein wie das Amen in der benachbarten Kirche. Ob dann die Senioren wieder geduldig bis 3.30 Uhr nachts auf Ihren Feldbetten ausharren müssen? Oder ob sie das Glück haben werden, schon um Mitternacht nach Haus zu dürfen? Man darf gespannt sein.

    Was war das denn noch mal, dieses „Sondieren“? Der Bauherr scheint es jedenfalls nicht zu wissen….

     
  3. 4

    @EKO (3), um so schlimmer, dass es auch hier in Kleve wieder Menschen gibt, die sich für die AfD aktiv einsetzten.

     
  4. 3

    Ich bin sehr froh das die Bomben „die bis jetzt gefunden wurden“ alle entschärft wurden.
    Krieg ist eine eigentlich in die Vergangenheit gerutschte Geschichte für Deutschland.
    Solche Funde sind allerdings immer wieder mit den Gedanken verbunden,
    Wie schrecklich muss Krieg sein, Menschen die mit einem Schlag alles verlieren. Die Angst vor dem nächsten Angriff und immer auf der Flucht. Angst um die Familie und Freunde und das eigene Leben.
    Angst ins ungewisse verschleppt zu werden. Ungerechtigkeit und Menschenverachtung an jedem einzelnen im höchsten Maaß.
    Wenn ich mir manchmal Gedanken darüber mache ob es nicht irgendwann mal genug Flüchtlinge sind
    Dann kommt mir schnell der Gedanke das es keine Obergrenze an Kriegsflüchtlingen geben darf.
    Aber auch das vernünftig geprüft werden muss, wer ist Opfer und wer ist Täter.
    Das ist man uns schuldig und auch denen, die vor solchen Flüchten.
    Viel zu schnell baut man manchmal Vorurteile auf. Und eigentlich haben die meisten Kriegsflüchtlinge das schlimmste was man sich vorstellen kann gerade erst hinter sich gelassen ( Todesangst) und werden hier teils direkt mit „unerwünscht“ begegnet.

     
  5. 2

    Hier noch einmal der direkte Link aus dem vorherigen Beitrag zu dem erschütternden Augenzeugenbericht des Kaplans Albert Heistrüvers, der außer dem von RD wiedergegebenen Zitat über das ehemalige Lyceum noch Angaben zu dem Wegblasen einer ganzen Wand eines Hauses am alten Zollamt (mit einem weiteren Toten) und dem Verschwinden der beiden Stiftskirchentürme enthält (damit niemand zu lange auf der Seite über Karl Leisner suchen muss): https://www.karl-leisner.de/der-7-oktober-1944-in-kleve-und-dachau/