Eine kleine Geschichte zur Digitalisierung der Justiz

Papier schlägt Glas

Man sagt ja gemeinhin, vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, aber, wer weiß, vielleicht werden wir noch die Tage erleben, in denen nicht mehr eine mit Menschen besetzte Strafkammer, sondern die Künstliche Intelligenz Urteile fällt, auf Basis von dann vermutlich nicht Large Language Models, sondern Large Crime Models, und, seien wir ehrlich, irgendeine geheimnisvolle Kompilation von Regeln dürfte vermutlich tatsächlich einen kleinen Drogendealer oder Ladendieb genauso verlässlich bestrafen wie eine Kombination aus Berufs- und Laienrichtern.

Welche Richtung die Rechtsprechung aber auch nehmen sollte, bis vor wenigen Tagen war ich davon überzeugt, dass am Ende alles noch ausgedruckt und buchstäblich abgeheftet wird, und was mich in diesem Glauben bestärkte, war der Umstand, dass ich, der ich aus journalistischen Gründen schon Hunderte von Strafprozessen verfolgen durfte, am Eingang des Gerichtssaals immer den Aushang der dort stattfindenden Verhandlung abfotografierte.

Es handelte sich um einen DIN A4 großen Zettel, angegrautes Behördenpapier, deshalb super authentisch aussehend, auf dem einige elementare Informationen verzeichnet waren – welche Strafkammer, Name des Angeklagten, Namen der Verteidiger, Liste der Zeugen, weitere Termine und ähnliches. Er hing in einer kleinen Wandvitrine mit einer gläsernen Front, und allein der Vorgang, dass ein Justizbediensteter den jeweils aktuellen Zettel dort reinfrickeln und im Fall weiterer Ankündigungen diese mit einer Reißzwecke am Holzrahmen des Kastens befestigen musste, dieser Vorgang vermittelte an einem Ort, an dem die Emotionen oftmals überkochen, einen beruhigenden Eindruck von der Behäbigkeit, mit der die Justiz sich Tag für Tag dem Ziel einer allumfassenden Gerechtigkeit auf dieser Welt anzunähern versuchte.

Holzkasten auf Rauputz
Die Löcher der Reißzwecken erwecken den Eindruck eines Holzwurmbefalls

Dann aber, irgendwann Anfang des vergangenen Jahres, die Revolution!

Plötzlich hingen vor allem Gerichtssälen in der Klever Schwanenburg Bildschirme. Schöne, große, hochkant montierte Flachbildschirme, und in einem ersten Augenblick ekstatischer Fortschrittsbegrüßung jauchzte der Reporter innerlich: „Ah! Da ist sie also, die Digitalisierung der Justiz!“

Doch der Berichterstatter, dem Digitalen nicht abhold, hatte einmal mehr die Beharrungskräfte des Systems unterschätzt und natürlich die Redewendung, dass die Mühlen der Justiz langsam mahlen, komplett vergessen.

Im ganzen vergangenen Jahr und auch in der ersten Hälfte 2024 noch vollzog sich ein Vorgang, der innerhalb der Justiz schon gar nicht mehr als außergewöhnlich wahrgenommen wurde, für jeden Menschen mit einem gesunden Gefühl für Normalität allerdings auch geradewegs einer Erzählung von Kafka hätte entsprungen sein können: Auf die ungenutzten Bildschirme wurde mit dem Gestus einer absoluten Selbstverständlichkeit der althergebrachte Zettel angebracht, befestigt mit Haftmagneten am Metallrahmen. Dem nur gelegentlich vor Gericht erscheinen Straftäter mag das Ganze wie ein vorübergehender Systemausfall erschienen sein, den man mit ein bisschen Improvisationsgabe überwinden konnte, doch die Stammgäste des Betriebs sahen, wie die Bildschirme Tag für Tag, Monat für Monat aufs Neue überklebt wurden, als wäre das das Normalste der Welt.

Eine kurze Recherche ergab: Der Brandschutz war es, der verhinderte, dass die elektronische Anzeige in Betrieb genommen werden konnten. Bekanntlich ist die Schwanenburg ein Denkmal, und innerhalb dieses Denkmals darf im Grunde nichts stehen, was irgendwann einmal in Flammen aufgehen könnte. Schon der Betrieb eines Kaffeeautomaten ist grenzwertig. Doch offenbar konnte sich die Justiz nun mit dem Hausherren, dem bekannten Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW) einigen, sodass das digitale Ankündigungswesen demnächst starten könnte. Jedenfalls teilte Justizsprecher Alexander Lembke mit: „Bezüglich der Bildschirme waren noch brandschutzrechtliche Fragestellungen zu klären. Das ist nun aber geschehen und mit einer Inbetriebnahme ist kurzfristig zu rechnen.“

All’s Well That Ends Well, um mit dem großen Rechtsphilosophen William Shakespeare zu sprechen. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende.

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5 Kommentare

  1. 5

    @4. Silke Hans

    „…….und man möchte sich nicht selten ein Bananen-Röckchen anziehen.“

    Was genau soll das an- bzw. bedeuten?

     
  2. 4

    Digitalisierung in Deutschland- der gespielte Witz. Loriot hätte seine Freude gehabt und man möchte sich nicht selten ein Bananen-Röckchen anziehen…

     
  3. 3

    Der Schöffe H.H. Lommen, der auf dem in die Jahre ggekommenen Foto der hölzernen Gerichtsrolle zu lesen ist, bekommt von alle dem irdischen hier nichts mehr mit. Er ruht seit Februar 2022 in Frieden.

     
  4. 2

    Das kommt mir bekannt vor. Ich arbeite in einem Medienunternehmen, in dem mittlerweile fast alles digital abläuft. Aber dann ist in einem Gebäude eine Kollegin wegen zu viel Gift in der Luft (aus einer Diesel-Heizungsanlage) umgekippt, und seitdem hängen in den Fluren unserer Abteilung plötzlich Magnettafeln, die die Anwesenheit in den Büros anzeigen sollen. Bei Ankunft verschiebt man also das für einen vorgesehene Magnetplättchen so, dass jedem im Falle eines Giftvorfalls oder eines Brandes die Anwesenheit ins Auge springt. Falls dann jemand drauf guckt. – Und bitte nicht vergessen, das Plättchen bei Abreise wieder in die Ausgangsposition zurückzubringen…

    Okeee, dachte ich, ist das nun ein Rückschritt in die 1980er Jahre oder einfach eine schlaue Idee zum Schutz der Mitarbeitenden?

    Stichwort Papier: Das Digitale ist wirklich oft hilfreich, aber ab und zu ist mir ein Stück Papier auch noch recht. Oder seid ihr schon so weit, dass ihr euch gelegentlich über eure eigene Handschrift wundert?

     
  5. 1

    Hätte man das Thema „Brandschutz“ nicht vorab klären können, bevor man mit dem praktischen Teil begann? 😉