Warum fingen die Menschen an, in Höhlen zu malen? Griffen sie zu den Farben, weil sie zu erschöpft waren, nachdem sie Mammuts gejagt hatten. Oder weil sie zu faul waren, den Speer zu schleudern? Weil ihnen das Talent dazu fehlte? Oder aber, letzte Möglichkeit, ließ die raue Wirklichkeit der Jagd sie inspiriert heimkehren und sie waren begierig, ihre Eindrücke auf einer Felswand festzuhalten?
Diese Gedanken führen geradewegs zu einer Pressekonferenz der freien Kulturszene in Kleve, die am Mittwoch in einem leerstehenden Ladenlokal in der Neuen Mitte stattfand. Der unermüdliche Bruno Schmitz und seine gut 30 Mitstreiter stellten die Initiative „Lückenfüller“ vor, mit der Kulturschaffende im September und Oktober drei Wochen lang mehrere Höhlen der marktwirtschaftlich orientierten Neuzeit, eben jene leerstehenden Ladenlokale (deren Anzahl mit jedem Tag zu steigen scheint), bespielen wollen. Mit Theater, mit Musik, mit Lesungen, mit nahezu allem, was die menschliche Kreativität so hergibt.
Das ist sehr lobenswert. Bruno Schmitz schrieb in seiner Einladung zu der Pressekonferenz: „Inmitten der Stadt Kleve herrscht ein enormer Leerstand, da viele Geschäfte häufig infolge der Pandemie ohne neue Mieter schließen mussten. Die zunehmende Verödung von Fußgängerzonen und Innenstädten bereitet Experten nicht erst seit Corona große Sorgen, unabhängig von der geografischen Lage. Wege aus dieser Abwärtsspirale aufzuzeigen, ist eine der zentralen Ideen des Projekts ,KulturLOKAL‘ – die Lückenfüller.“
„Leerstände sind Orte für künstlerische Aktionen und erscheinen damit in ganz neuem Licht“, sagt Bruno Schmitz und fragt: „Kunst und Kultur als Schlüssel zur urbanen Wiederbelebung?“
Schon in den Wochen zuvor hatte sich in der Stadt gezeigt, dass die Kultur offenbar nicht die erste Wahl, sondern das letzte Mittel zu sein scheint, eine sonst deprimierende Leere zu verdecken. Überall in der Stadt nämlich gibt es eine Form der Kulturrepräsentation, die mit dem Wort Leerstandsgalerie gut beschrieben ist. Man hängt einfach Bilder in die Schaufenster. Das ist so an der Hoffmannallee, an der Hagschen Straße und an der Wasserstraße.
Ist die bildende Kunst das Rettungsboot des schiffbrüchigen Kapitalismus? In der Immobilienmaklerei gibt es das Genre der Home Decoration, das die Absatzchancen einer Immobilie verbessern soll (beispielsweise muss die Wohnung idealerweise nach frischem Kaffee duften) – ist die Kunst mithin eine Sekundärtätigkeit, der diejenigen nachgehen, die nicht zum Speer greifen wollen, um den Jägern ideell beizustehen? Oder aber ist sie das magische Elixier, das der Wirtschaft überhaupt erst eine Seele einhaucht?
Andererseits ist es vermutlich auch aus Sicht der Künstler nicht die schlechteste Idee, dem Elfenbeinturm der eigenen Genialität zu entfleuchen und den Kontakt mit der profanen Wirklichkeit und Kunstsinnigkeit einer mittelstädtischen Fußgängerzone mit einem hohen Anteil niederländischer Schnäppchenjäger zu suchen. Wie empfänglich ist diese Klientel für die Darstellung von toten Fischen auf einen Tisch, ein Stillleben, das in der Hagschen Straße (ehemals Schuhhaus Kürvers) zu sehen ist?
So gesehen ist das, was die freie Klever Kulturszene nun vorhat, wirklich eine Art Lackmustest für die Künstler. Sie dürfen ihr Können im Ladenlokalen zeigen, für die Miete zu zahlen oftmals schon seit Monaten, mitunter auch seit Jahren keinen Geschäftsmann oder keine Geschäftsfrau mehr bereit war.
Ist es nun die Aufgabe der Kunst, auf die jeweilige Location aufmerksam zu machen, auf dass schon bald vielleicht wieder ein kapitalistisch geprägter Mensch sich diese unter den Nagel reißt, oder sind wir mittlerweile so weit gekommen, dass uns nichts anderes mehr übrig bleibt, als dem künstlerischen Treiben Raum zu gewähren?
Die Vorstellung wiederum, die Kultur damit zu beauftragen, alle Leerstände (und nicht nur sieben) in Kleve zu bespielen, dürfte einen fast schon ausbeuterisch anmutenden Produktionsprozess in der kreativen Szene anstoßen, was dann natürlich auch schon wieder ein kapitalistisches Unbehagen auslösen könnte. Andererseits ist unsere Gesellschaft längst so perfektioniert in der Produktion überflüssiger Güter, dass es im Grunde auch nicht mehr darauf ankommt, ob Geschirr-Abtropfgitter aus recyceltem Kunststoff hergestellt werden (6,99 Euro, aus dem neuesten Aldi-Prospekt) oder halt weitere Ölgemälde mit toten Fischen.
In den Niederlanden war es eine Zeitlang Praxis, dass der Staat Werke freischaffender Künstler aufkaufte, bis es so viele waren, dass man wirklich nicht mehr wusste, wohin damit und es Überlegungen gab, sie zu vernichten. In Deutschland hängt angeblich mehr als jeder zehnte Arbeitsplatz direkt oder indirekt von der Autoindustrie ab (fünf Millionen von 46 Millionen Erwerbstätigen). Viele sind damit beschäftigt, nutzlose Automobile herzustellen (SUVs zum Beispiel) – was man einerseits schon als künstlerischen Akt sehen kann, andererseits aber auch die interessante Vorstellung aufwirft, was wäre, wenn jeder zehnte Arbeitsplatz von der Ölmalerei abhängt?
Wir sehen also Fragen über Fragen, wie schon bei der Höhlenmalerei. Im Grunde scheint die Menschheit nicht groß weiter gekommen zu sein.
Habe ich auch nicht geschrieben.
Fakten statt rd :
Die “ Kunstpräsentation auf der Hoffmannallee “
hat nichts mit der LückenFüller-Aktion zu tun.
Nicht nur in Kleve:
https://www.sueddeutsche.de/bayern/kaufhof-kunst-markus-soeder-abriss-nuernberg-lux.XUStjAKXpCfsYyLS9D63Ty
Nicht nur tote Fische verschwinden
– auch Kommentare.
z.B. dieser von 10:27 :
Wo gibt’s denn die toten Fische ?
Ich such‘ schon über ne Woche . . .
vergeblich !
Dann beantworte ich die Frage mal selbst.
Dort wird geredet (und gedacht), heute Nachmittag saßen vier Männer um den besagten Tisch, als ich vorbei kam. Max Knippert mit ernstem Gesichtsausdruck. Künstler unter sich?
Ich verspürte den Impuls reinzugehen und zu fragen, worum es gerade geht. Aber ich hatte wenig Zeit und ehrlich gesagt war die Hemmschwelle ganz subjektiv zu groß (wofür natürlich niemand was kann).
Die Idee ist jedenfalls sehr gut.
@9 Max Knippert
Ist es dann nicht eher ein RedeRaum? Oder ist DenkRaum an Think Tank angelehnt?
@ Ölindustrie
Was für ein interessanter Name…
Der denkRaum ist eine Idee von Wolfgang Linsen und mir. Auf der linken Seite gibt es eine Installation der Künstlerin Yawei Chen. Auf der rechten Seite gibt es einen Tisch wo über die Zukunft der Innenstadt gesprochen werden soll. Es werden spannende TeilnehmerInnen sein. Besucher sind willkommen die natürlich auch mitdiskutieren sollen. Darüber hinaus gibt es verschiedene Veranstaltungen.
Gerne vorbeikommen.
Blühende Schaufenster ?
blühten nur 2 Wochen,
schon wurde der Laden vermietet.
Kunst klappt !
@Max Knippert
Können Sie den Programmpunkt „Denkraum“ näher erläutern?
Zitat aus dem Text: „Viele sind damit beschäftigt, nutzlose Automobile herzustellen (SUVs zum Beispiel) – was man einerseits schon als künstlerischen Akt sehen kann, andererseits aber auch die interessante Vorstellung aufwirft, was wäre, wenn jeder zehnte Arbeitsplatz von der Ölmalerei abhängt?“
Die Vorstellung ist gar nicht so absurd.
„Van Goghs vom Fließband“
https://www.spiegel.de/wirtschaft/chinesisches-kunst-werk-van-goghs-vom-fliessband-a-432410.html
https://de.motor1.com/news/732694/volkswagen-vw-krise-entlassungen-sparplan/amp/
Der Vollständigkeit halber. Der Kommentar von mir ging an Ralf privat und ich habe ihn hier nicht eingestellt. Wohl aber habe ich Ralf wissen lassen das ich nichts dagegen hätte.
„Andererseits ist unsere Gesellschaft längst so perfektioniert in der Produktion überflüssiger Güter, dass es im Grunde auch nicht mehr darauf ankommt, ob Geschirr-Abtropfgitter aus recyceltem Kunststoff hergestellt werden (6,99 Euro, aus dem neuesten Aldi-Prospekt) oder halt weitere Ölgemälde mit toten Fischen.“
Bei dieser Passage kann ich den Ärger von Max Knippert nachvollziehen.
Andere Passagen, die Kunstwerke als Lückenfüller in leeren Ladenlokalen als Ausbeutung von Künstlern hinterfragen, finde ich sinnvoll.
So oder so, die Kunst kommt zu den Leuten, das ist immer gut. Und es kommt auch auf die Art der Ausgestaltung an.
Fest steht – der Einzelhandel ist auch in Kleve praktisch tot.
Das wenige was noch zuckt und zappelt sind größere Ketten – und auch da wird es in den nächsten Jahren weitere Schließungen und Insolvenzen geben wenn knallhart durchgerechnet wird.
Eigentlich sollte man statt Kunstvoll den Leerstand zu überdecken dazu übergehen die meisten Ladenlokale umzufunktionieren – als Wohnraum o.ä. – eine große „Wiederbelebung“ wird es nicht mehr geben.
Ich sage es mal ehrlich – weder Preise, Parkmöglichkeiten, Auswahl noch Publikum zieht mich seit längerem noch in die Stadt Kleve zu Einkaufen!
Was für ein löbliches Ansinnen, jedoch verkommt für mich so viel inflationäre Kunst zur reinen Deko, die man nicht mehr bewusst wahrnimmt. Natürlich schöner als ein Leerstand, aber dadurch siedelt sich kein Unternehmen mehr an , es bietet lediglich den Kunstschaffenden eine zusätzliche Ausstellungsfläche und ob es sich bei den ganzen Arbeiten um Kunst handelt sei mal dahingestellt. Das Fazit für mich persönlich, nette Idee, aber einen Orden sollte man sich nicht gleich dafür umhängen. Ich weiß dass jeder das für sich betrachtet und bestimmt eine andere Sichtweise hat, das ist auch gut so.
Warum schreibst du einen Artikel ohne die Betreffenden Personen zu befragen oder bei der PK anwesend gewesen zu sein? Das ärgert mich, zumal ich seit Jahren vor deiner Theke sitze.
Der Duktus oder Stil deines Artikels ist sowohl anerkennend bezüglich der hohen Kunst im Sinne der Darstellung die „Felswand“ betreffend sowie der „menschlichen Kreativität“ aber eben auch Zusammenhanglos und zu weit hinter deinen Möglicheiten.
Auch dein Satz „…dass die Kultur offenbar nicht die erste Wahl, sondern das letzte Mittel zu sein scheint…“ ist positiv oder das Rettungsboot und treffend aber dann kippt dein Text.
„Elfenbeinturm der eigenen Genialität“ verlassen trifft es nicht weil genau Diese aus Kleve und Umgebung nicht mitmachen. Ich könnte sie jetzt aufzählen aber das gehört sich nicht. Aber dieser Personenkreis empfindet sich für höheres berufen.
Du stellst dann die Frage ob es Aufgabe der Kunst sei, und hier würde sich thematisch 1000 Türen öffnen lassen wie vom ich zum wir und so weiter… Auch ist es kein Lackmustertext oder Prüfstein für irgendwen denn keiner der Beteiligten will in die genannten höheren Sphären der Anerkennung sondern durchaus im Beuysschen Sinne etwas zur Gesellschaft beitragen und dazu gehört auch Tischtennis auf Miniplatten mit Luftballons für Menschen mit Handicap.
Dein Satz „dass uns nichts anderes mehr übrig bleibt, als dem künstlerischen Treiben Raum zu gewähren?“ ist natürlich ein Griff ins Klo, als müssten Kreative ganz allgemein mit den Krümeln der Festplatte zufrieden sein.
Jetzt wiederum kommt ein sehr guter Einwand von dir „dürfte einen fast schon ausbeuterischen anmutenden Produktionsprozess in der kreativen Szene anstoßen“ der genau in die Richtung weist um die es mir persönlich die ganze Zeit geht. Den Vergleich mit dem toten Fisch ist auch wieder so ein unsäglicher Vergleich aber nun gut.
Die Anmerkung das unsere Nachbarn Bilder zu Hauf, in guter Absicht, aufgekauft haben und jetzt drauf sitzen ist ohne Zusammenhang und macht aus dem Text ein absurde Collage ohne Klebstoff.
Ralf, was mich ärgert ist, das du nicht das Gespräch gesucht hast den mit deinen intellektuellen Fähigkeiten hättest du aus unseren wahren Beweggründen etwas ordentliches hinbekommen und zum Diskurs beigetragen – so aber wird das Engagement von Vielen ins Lächerliche gezogen und niemand begreift zwischen totem Fisch und zu endsorgender Kunst in den Niederladen worum es überhaupt geht.
Es geht um die Zentren unser Ortschaften, um die Wohnzimmer unserer Stadt an denen gelebt gestritten, gefeiert und unsere Werte ausgehandelt werden – um unsere Demokratie.