Einerseits hat Kleve Glück gehabt, als am 18. Januar 2018 das Sturmtief Friederike mit Spitzenböen von bis zu 205 km/h (gemessen am Brocken) durchs Land raste – andererseits schrammte unsere kleine Stadt nur haarscharf an einer Katastrophe vorbei, wie die Rekonstruktion des spektakulärsten aller Unglücke, des abgerissenen Stundenzeigers der Uhr an der Nordseite des Schwanenturms, beweist.
Dieser Zeiger wurde der Öffentlichkeit gestern auf dem antiquarischen Büchermarkt im Kolpinghaus erstmals präsentiert – und kleveblog nutzte diese Gelegenheit, um, verstärkt durch ein Team aus Werkstofftechnikern, Wertstoffsammlern, Materialisten und Astrologen, dieses in der Geschichte der Stadt einmalige Unglück bis ins Detail aufzuklären.
Werkstoffkrimi wie von Leenders/Bay/Leenders
Um es vorweg zu sagen: Schon die bloße Betrachtung (optische Prüfung) des Stundenzeigers löst blankes Entsetzen aus. Wo jeder, der um die Bedeutung der Zeit weiß (siehe: Einstein, 1905), eine massive Konstruktion unter Verwendung eines werthaltigen Edelmetalls mit großer Zugfestigkeit (>= 5000 MPa) erwartet hätte, präsentierte sich den Prüfern eine Konstruktion, die etwa so solide aussieht wie ein Billiggrill aus dem Baumarkt. Im Kern besteht der Stundenzeiger aus einem Kupferrohr mit einem Durchmesser von ca. 1,5 cm und einer Wandstärke von ca. 2 mm. Wenn Sie mit einem solchen Rohr den letzten Gast aus Ihrem Lokal prügeln wollen, werden Sie Ihr blaues Wunder erleben!
Voluminös wird dieser Zeiger durch das angeflanschte Kupferblech. Der zu den drei Außenseiten abgeknickte Rand von jeweils rund 1 cm täuscht dem Betrachter, der vom Erdboden aus die aktuelle Uhrzeit in Erfahrung bringen möchte, ein Volumen vor, dass dieser analoge Zeitindikator überhaupt nicht besitzt. Wie so oft in Kleve: Hinter der prachtvollen Fassade sieht es aus wie in Emmerich.
Vollendet wird die Täuschung durch das auf das Blech – Stärke: 1 mm – aufgetragene Blattgold. Selbst wenn man annimmt, dass hier das für besonders anspruchsvolle Außenvergoldungen empfohlene Dreifachgold mit einer Schichtdicke von 1/3000 mm zum Einsatz gekommen ist, betrug also die Wandstärke des Zeigerblattes insgesamt höchstens 1,0003 mm. Ein Wunder, dass diese Konstruktion überhaupt so lange gehalten hat!
Dass es vor nunmehr einer Woche aber zum Abriss kam, ist einer meteorologischen Besonderheit zu verdanken. Bei Friederike nämlich handelte es sich um einen, wie Bauer Hubert Reyers von Wetter-Niederrhein.de gerne bestätigen wird um eine aus der Art geschlagene Atmosphärenverwirbelung aus der Familie der mittleren Winterstürme.
Normalerweise dürfen diese Naturereignisse sich aufgrund gewerkschaftlicher Vereinbarungen erst nach 9:00 Uhr vormittags (MEZ) über dem Nordatlantik formieren. Friederike aber gehörte zu den nachtaktiven Stürmen, bildete sich am 16. Januar nächtens vor New Brunswick, sauste westwärts und erreichte die Küste von Vlieland schon um kurz nach 8:00 Uhr (minimaler Luftdruck dort 975 hPa um 9:47 Uhr).
Holland war schnell überflogen, und die ersten Böen erreichten Kleve um 9:15 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt wies der Stundenzeiger der Uhr auf der Nordseite des Schwanenturms gen Osten – eine fatale Fehlstellung! Der Zeiger stellte sich dem Wind gewissermaßen wie eine Flugzeugtragfläche entgegen.
Zwischen dem Gemäuer des Turnus und der Rückseite des Zeigerblechs entstand ein verheerender Unterdruck, der das Ende des Zeigers vom Turm wegbewegte und in den Wind hineindrückte, wodurch er wieder zur Mauer hin bewegt wurde, wo erneut ein Unterdruck entstand. Das Zeigerende flatterte wie ein Freistoß von Ronaldo.
Wie lange diese hochfrequente Pendelbewegung anhielt, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Tatsache jedoch ist, dass das unterdimensionierte Kupferrohr über seine Dehngrenze hinaus belastet wurde und es zu einem so genannten Spannungsbruch kam. Das Foto (2) zeigt deutlich den Effekt der Kaltverformung: Die Dehngrenze liegt zwar im Gegensatz zur Warmverformung bei mindestens 320 MPa, jedoch sinkt die Bruchdehnung auf Werte unter 5 %. Sprich: glatter Bruch.
Im folgenden Geschehen hing der Zeiger nur noch am eigentlich nur zur Dekorationszwecken angebrachten Außenblech. Das aber wurde vermutlich schon wenige Sekunden später durch die extremen Strömungsverhältnisse so weit nach vorne gerissen, dass es ebenfalls brach und der Zeiger sich komplett vom Uhrwerk löste. Die Zeit stand still.
Im Unglück das Glück aber war genau diese filigrane, vermutlich der Nachkrigesarmut zu verdankende Konstruktion: Wäre der Zeiger aus massivem Gold gewesen, hätte es sein können, dass durch seinen Einschlag mit einer Energie von dann ca. 70.000 kN der gesamte Burgberg aus dem Gleichgewicht geraten und der Schwanenturm umgekippt wäre. Nicht auszudenken, wieviel Leid mit einem solchen Umsturz verbunden gewesen wäre.
kleveblog-Expertenempfehlung: Bei der Neukonstruktion des Stundenzeigers eventuell auf Verbundwerkstoffe auf Kohlenstoffbasis (Karbonfaserzeiger) zurückgreifen. Schon die einfachen Typen (HT, High Tensity, High Tenacity) haben mit Zugfestlichkeiten von 3530 MPa (n/mm2) die zehnfache Stärke von Kupfer, greift man auf Kohlenstofffasertypen der Qualität UHT (Ultrahigh Tenacity) zurück, steigt dieser Wert sogar auf 4560 MPa.
Das aber heißt: Eher weht der ganze Turm um, als dass der Zeiger abreißt – das wäre Zeit- und Zukunftssicherheit made in Kleve. Zeigergeiz steht Kleve nicht gut zu Gesicht!
Mmmuuuuh, die Zeit ist zurück in Kleve, mmuuuh! Seit gestern, mmuuuuh!
Seit Freitag 02. Februar ist die Uhr nun komplett zeigerlos, auch der zweite Zeiger wurde abgebaut.
Zitat #11 JB: „Wohl bitte vorher die Zeiger u.s.w. schön abrunden, harte Kanten stellen eine potentielle Bruchkante dar.â€
Wahrheit pur. Gerundete Kanten verbessern darüber hinaus das Strömungsbild und wirken so dem Auftreten von Resonanzschwingungen im umströmten Ojekt entgegen. Alle Macht den Ingenieuren!
Gerundete Kanten liefern bei geeigneter Sonneneinstrahlung einen prägnanten Lichtreflex, sehschwachen Bürgern wird dadurch geholfen – Stichwort Barrierefreiheit. Dafür gibt es doch bestimmt einen Fördermitteltopf? Alle Macht den städtischen Angestellen!
@7 moi-même
ab und ankommen einem bei Nacht doch die besten Einfälle.
Anstatt bei der KHS Lehrlingswerkstatt könnte man auch ans grosse Stahltor an der Krohnestrasse anklopfen.
Wer einen ganzen Maria- Bildstock (an der Gruft) als gesellschaftliches Zeichen der Sühne produziert, sollte auch ein paar nickelige Zeiger für das Wahrzeichen unserer Stadt hinbekommen.
Da wäre das Thema gesellschaftliche Abbitte und das Motto „was einem die Uhr geschlagen hat“ schön miteinander verbunden.
@12.jean baptiste,
nein es waren nicht die Daurussen, Dauru hätte es heißen sollen! Die Uhr läuft gelegentlich zu schnell.
(Drastic Duo)
@8. Martin Fingerhut
Keine angst, die aufzuwendende Kraft ist durch die Lagerung tendentiell erheblich niedriger, als bisher.
Nein, die Ausführung wegen Material-Sparmassnahme kann ich mir nicht vorstellen, mehr aus Gründen des Dilettantismus .
@ 10. otto
war´s nicht eher der Singular Daurus ?
Aber egal, das ist mir einfach zu hoch.
Wer genaueres wissen will https://www.google.de/url?sa=i&rct=j&q=&esrc=s&source=images&cd=&ved=0ahUKEwjH6a_Su4DZAhUG6RQKHbV3AgcQjRwIBw&url=https%3A%2F%2Fwww.slideshare.net%2FSparsityTechnologies%2Fdaurum-introduction&psig=AOvVaw2ModEjgo2BAr9neJIMjvdR&ust=1517428454455419
@9. Martin Fingerhut
Herr Fingerhut, mann muss nicht alles verstehen, und nicht von Allem Ahnung haben.
Wenn es diejenigen, die für die Beauftragung der Reparatur verantwortlich sind, erreicht, und die das in den Leistungskatalog des Reparaturauftrags hineinschreiben, ist einfach alles gut.
Um Sie, und den Rest der kleblog community aber nicht unnötig dumm sterben zu lassen, hier eine kurze allgemeinverständliche Umschreibung.
Rillenlager ist eine Art Nadellager, das radiale Kräfte besonders gut aufnimmt, und für ein möglichst widerstandsfreies Drehen der Achse Sorge trägt.
Y-Rille, weil mit einer flexiblen, konvexen Dichtung nach aussen hin versehen.
2SR bedeutet Lager zu beiden Seiten hin abgedichtet.
SF bedeutet mit Langzeit-Fett versehen.
So, jetzt haben Sie Google gespart, wissen wie´s aufzubauen ist — denn mal fix ein paar Kumpanen im Geist gefunden, und los geht´s mit der Rekonstuktion.
Damit Sie´s dann auch noch perfekt machen, galvanische Hartvergoldung bedeutet, die mehrfache Auflage von dotierten Goldschichten (mit Kobald Nickel und / oder Eisen-Zusätzen zur Erhöhung der Materialhärte)
aber einfacher wenden Sie sich vertrauensvoll nach Mülheim/Ruhr an http://www.rudolf-clauss.de/veredelungen/galvanische-vergoldung.html
Wohl bitte vorher die Zeiger u.s.w. schön abrunden, harte Kanten stellen eine potentielle Bruchkante dar.
Polieren vor der Galvanikbehandlung wirkt kontraproduktiv, eine leichte Anrauhung der Werkstücke im Säurebad erhöht die Oberfläche und damit die Haftfläche der aufzutragenden Goldschicht.
So, jetzt aber bitte wirklich frisch ans Werk !
Warum die Daurus (Daumen runter) hier mehrfach zugeschlagen haben, ist gewiss
nicht nur mir ein Rätsel.
Nun, wer des Schreibens nicht mächtig ist, dem hilt rd. halt mit der Zeichen- bzw.
-Bild-Sprache.
@ 7. jean baptiste :
### Y-Rillenlager gestützt in 2SRSF ###
Ich will Ihnen nicht auf den Zeiger gehen, aber :
Können Sie das uns ingenieurTechnischen Laien noch genauer erklären ?
@ 7. jean baptiste :
an Sie als Ingenieur :
Ihr KonstruktionsVorschlag klingt für mich beim 1. Lesen überzeugend.
nur :
Wird das Uhr(Alt)Werk derMaßen stabile Zeiger verkraften ?
Als ich die „maßlosen“ Fotos sah,
war ich überrascht, wie dünn und leicht der Zeiger erscheint.
aus MaterialMangel, aus Kniepichkeit oder weil das UhrWerk nicht mehr verträgt ?
an Sie als Klever U(h)rGestein :
Ist das tatsächlich noch Original WiederAufBausWare ?
Dann hätte sich die relativ fimschige Konstruktion erstaunlich lange bewährt.
huch …. aus diesem Text Relevantes zu extrahieren, ist schon eine Sisyphusarbeit.
Eigentlich müsste man dem Autor einmal einen Kursus Messen und Wiegen spendieren.
Wenn ich mir so die Foto´s ohne Referenzmassstab anschaue ist das natürlich auch nur Augenmass-Einschätzung.
Aber die Foto´s so mit meinem Ingenieurs-Adlerauge betrachtend komme ich zu folgenden Ergebnissen.
Das Kupferröhrchen scheint mir eher ein 12mm Exemplar mit 1mm Wandstärke.
Typisch Warmwasserrohr alten Stils vom Klempner.
Das oberliegende Kupferblech – Zeigerblatt – Surrogat scheint mir einfach weichgelötet mit dem Röhrchen verbunden.
Erinnert auch sehr an Klempner.
Die Goldblättchen- Auflage erinnert mich sehr an die Arbeit eines Buchdruckers.
Nur so als Tipp für zukünftige Dilettanten, Eierklar ist ein hervorragender Klebstoff für Blattgold.
Aber das gilt nur für Indoor-Anwendungen wie Holzkistchen, schweizer Uhrgehäuse und halt Buchdruck,
ABER DOCH NICHT FÃœR DEN EINSATZ AN TURMUHREN IM FREIEN , IHR ENTSETZLICHEN DEPPEN !!!!!
Weiter will ich mich da gar nicht drüber auslassen, ohne ALLE Details zu kennen.
Wie liegt das doch mit der letzten Reparatur, was hatte die gekostet ?
Wie jetzt weiter ?
Es ist deutlich, dass eine erneute Reparatur jetzt solide, und für die nächsten hundert Jahre haltend, erfolgen muss.
Dazu gelten folgende Forderungen :
Zeiger aus 3mm bis 5mm Messing oder Bronze, aus der Platte herausgearbeitet und mit deftiger galvanischer Hartgold – Plattierung.
Verbindung der Zeiger mit den jeweiligen (Hohl- oder Voll-) Achsen im Hartlöt-Verfahren , und zwar, bevor die galvanische Hartgold-Veredelung stattfindet.
Die verschiedenen Achsen werden, untereinander mit Y-Rillenlager gestützt in 2SRSF ausgeführt, in einem V4A – Führungsrohr, ebenso mit Y- Rillenlager in 2SRSF ausgeführt gelagert, eingebaut.
Wenn dann noch etwas schiefgeht, weiss ich es auch nicht mehr.
Wie beim letzten mal, kann ich auch jetzt nur zu einem devoten Bittgang in die KHS (früher Kisters-) Zentrale raten, mit der Bitte, ob man sowas nicht in der Lehrlingswerkstatt herstellen könnte.
Wenn dann noch die Industrie-Kletterabteilung des THW zu einer Ãœbung verleitet werden kann, wäre alle Pein gelitten.
So, jetzt hört mich niemand je mehr etwas über dieses Item sprechen, Antworten auf diesen Post natürlich ausgenommen.
Boah Fingerhut….
@???: RD+MF = ?
So quasi was sich neckt das liebt sich?!?!
@ rd + MF
🙂
@ 3. rd :
eben !
Im DauteVersum gelten sehr eigene Zeiten und Gesetze.
Gut, daß es hier – in der realen Welt – nur 20 Sekunden braucht.
@MF Im DauteVersum gibt es auch die Maßeinheit FingerHut (FH), mit der die Zeitverschwendung gemessen werden kann, die entsteht, wenn man satirische Texte auf ihren Faktengehalt hin abklopft. 1 FH = 2 h Telefonbuch lesen
@ 1. SP :
Den glücklichen (er)schlägt halt auch kein Jahr.
AußerDem gelten im DauteVersum eigene Zeiten und eigene Gesetze.
Dort sind 70.000 kN eine Energie.
Frederike war aber 2018 🙂