Vor dem Landgericht Kleve wird zurzeit gegen eine 45 Jahre alte Frau aus Rheinberg verhandelt, die ihren Ehemann niedergestochen und lebensgefährlich verletzt haben soll. Ich bin für die Rheinische Post vor Ort. Der Prozess offenbart Szenen einer ruinösen Ehe – interessant ist jedoch nicht der voyeuristische Einblick, sondern das darin zum Ausdruck kommende Sozialdrama. Da der Text aber nur in der Moerser Lokalausgabe erscheint, hier für alle anderen Interessierten der Bericht…
Es ist ein Abgrund, der sich auftut, als die 19 Jahre alte Frau in den Zeugenstand tritt und ihre Aussage macht. Drei Meter von ihr entfernt sitzt ihre Mutter Marzena D. (45), die angeklagt ist, ihren Ehemann (46) niedergestochen und lebensgefährlich verletzt zu haben. Nun berichtet die Tochter vor der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Kleve von den Szenen einer ruinösen Ehe.
„Meine Eltern rannten von Zimmer zu Zimmer, sie schrien und sie beleidigten sich, meine Mutter warf mit Töpfen, aber mein Vater hat meine Mutter nie angegriffen, wenn ich da war. Vor mir hat er Respekt.“ Dann noch ein Satz zur Erläuterung, wie dieses Geschehen vom Tattag im August 2011 einzuordnen ist: „Es war wie immer.“
Doch es blieb nicht wie immer. Nachdem die Tochter das Haus an der Buchenstraße in Rheinberg verlassen hatte, um zur Arbeit zu gehen, eskalierte der familiäre Konflikt. Vater Andrzej D. verdächtigte seiner Frau der Untreue und prügelte mit einer Bratpfanne auf seine Frau ein, die sich bereits schlafen gelegt hatte.
Marzena D. wurde an Beinen und Kopf getroffen, rannte weg, brachte sich irgendwie in den Besitz eines Küchenmessers und stach dann irgendwie auf ihren Mann ein wie genau, das weiß sie nicht mehr: „Ich habe die Augen zugemacht und mich gewehrt. Dann sah ich das Blut.“
Auch der Ehemann kann nur wenig Erhellendes zum Geschehen beitragen – kein Wunder, er hatte auch seinen Anteil von zwei großen Flaschen Wodka sowie einer allein geleerten kleinen Flasche intus. Als Zeuge sagt er: „Ich habe von den Stichen nichts gemerkt.“
Man glaubt es ihm, obwohl einer der beiden Stiche seiner Halsschlagader traf und der zweite die Lunge. Blutüberströmt rannte er aus der eigenen Wohnung in die eines Nachbarn, ein Rettungshubschrauber flog den Mann nach Essen, wo die Ärzte sein Leben retteten.
In der Verhandlung ist die Kammer unter Vorsitz von Richter Ulrich Knickrehm seit gestern bemüht, etwas Licht in das alkoholgetrübte Dunkel der Geschehnisse vom Sommer des vergangenen Jahres zu bringen. Staatsanwalt Stefan Müller geht von versuchtem Totschlag und gefährlicher Körperverletzung aus. Knickrehm versucht zu ergründen, wie massiv der Angriff des Mannes war und somit eventuell eine Notwehrsituation bestanden haben könnte.
Auch die Frage, ob die Frau nach einer langjährigen Ehehölle, in der es auch schon mehrfach Übergriffe mit Messern gegeben hatte, die sie in ihrer polnischen Heimat bereits einmal ins Gefängnis gebracht hatten, nun einfach den Entschluss fasste, die Sache zu Ende zu bringen, wird erörtert.
Welche Bedeutung hatte es beispielsweise, dass die Tochter, bevor sie aus dem Haus ging, den Messerblock oben auf einen Küchenschrank stellte? Vor Gericht sagt sie, diess habe sie immer so gemacht, wenn ihre Eltern betrunken gewesen sein – reine Vorsorge.
Auch eine Aussage der Frau unmittelbar nach der Bluttat wirft Fragen auf. Laut Anklage meldete sie sich bei einer anderen Nachbarin mit folgenden Worten: „Ich habe ihn, glaube ich, umgebracht!“ Dieser Satz deckt sich zumindest nicht mit ihren Einlassungen vor Gericht, in denen sie das Geschehen so gut wie überhaupt nicht mitbekommen haben will.
Am erstaunlichsten ist jedoch die Tatsache, dass es Marzena und Andrzej D. in der an Verirrungen reichen Zeit einer 26-jährigen Ehe gelungen ist, drei Kinder großzuziehen, wobei allerdings in den Jahren in Deutschland seit ca. 2006 in reichlich therapeutische Begleitung und behördliche Unterstützung erfolgte, um diese Familie einigermaßen auf Kurs zu halten.
Mehr als zehnmal war auch die Polizei vor Ort, um Streitigkeiten zu schlichten – mal von der Familie selbst gerufen, dann wieder (wenn der Vater das Telefon zertrümmert oder versteckt hatte) von besorgten Nachbarn. Mehrfach endeten diese Konflikte mit Verweisen, wenige Monate vor den verhängnisvollen Stichen hatte Marzena D. sogar den Entschluss gefasst, sich endgültig von ihrem Mann zu trennen.
Doch als Andrzej D. einwilligte, sich einer Alkoholtherapie zu unterziehen, lenkte die Ehefrau ein weiteres Mal ein – und nahm ihn selbst dann zu Hause auf, als ihr Mann diese abgebrochen hatte und volltrunken an der Wohnungstür stand.
Der Prozess wird am Donnerstag mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgesetzt.
Hier der Vollständigkeit halber das Urteil:
KLEVE. War es Notwehr, als Marzena D. (45) mit einem Küchenmesser auf ihren Ehemann einstach und ihn an Hals und Lunge lebensgefährlich verletzte? Spielten sich in der Wohnung an der Buchenstraße in Rheinberg zuvor Szenen eines eskalierenden Ehestreits ab, der darin mündete, dass Andrzej D. (46) rasend vor Wut mit einer Bratpfanne auf seine schlafende Frau eindrosch? Nein, sagte die 4. große Strafkammer des Landgerichts Kleve gestern und verurteilte Marzena D. zu einer siebenjährigen Haftstrafe wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
Damit folgte die Kammer dem, was Staatsanwalt Stefan Müller in seinem Plädoyer gefordert hatte. D.s Verteidiger Ralf Otten beurteilte das Geschehen naturgemäß ganz anders – er hielt einen Freispruch für angemessen. Marzena D. nahm das Urteil regungslos zur Kenntnis.
Doch bevor die Kammer unter dem Vorsitz von Richter Ulrich Knickrehm sich zur Beratung zurückzog, ließ sie in ihrem letzten Wort Emotionen aufscheinen: „Ich habe mit meinem Mann 28 Jahre zusammengelebt. Es gab gute Zeiten, schlechte Zeiten und sehr schlechte. Ich habe jedoch nie bewusst gewollt und geplant, mein Mann zu töten. An diesem Abend hat mein Mann mir keinen anderen Ausweg gelassen. Es tut mir unendlich leid, dass dieser Tag so schlimm für ihn endete, aber mein Mann hat mich angegriffen.“
Das Gericht ließ sich davon nicht erweichen. In der Begründung des Urteils schilderte Knickrehm ein katastrophales Eheleben, „in dem man sich wechselseitig schlug und verletzte, wobei es bei der Angeklagten eine Tendenz gab, diese Auseinandersetzungen mit Stichwerkzeugen zu führen“.
Der Streit am Tattag im August vergangenen Jahres sei allerdings bereits abgeebbt, als die Tochter das Haus verlassen habe, um arbeiten zu gehen. „Wenn du jetzt gehst, dann steche ich ihn ab“, habe Marzena D. da zu ihrer Tochter gesagt. Wenige Minuten später, nach einem Stich in den Hals und zweien in den Brustkorb ihres Gatten, habe sie sich einer Nachbarin offenbart: „Ich habe ihn, glaube ich, umgebracht.“
Zwischen den beiden Sätzen lag nach Einschätzung der Kammer etwa eine Viertelstunde – zu wenig, um die Version eines aus dem Ruder gelaufenen Ehekrach glauben zu können. Auch der relativ ordentliche Zustand der Wohnung sei nicht geeignet, Marzenas Version der Ereignisse zu stützen.
Erschwerend kam hinzu, dass Marzena D. in Polen bereits wegen eines nahezu identischen Delikts zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Und auch in Rheinberg hat es drei weitere Vorfälle gegeben, die aktenkundig wurden, weil es Verletzungen des Ehemanns durch Messerstiche gegeben hatte.
Strafmildernd hielt die Kammer der Angeklagten die „familiär völlig katastrophale Situation mit einem Klima der Gewalt“ zugute. Zumindest dieses Klima wird es in den nächsten Jahren nicht mehr geben. Allerdings trug Marzena D. auch bei der Urteilsverkündung deutlich sichtbar ihren Ehering.