Aldifloration: „… das gute Gefühl, einer der Ersten gewesen zu sein“

Dann mal einkehren!

Mit dem Arztberuf geht es bergab. In der neuen Ausgabe des Aldimagazins meine Woche überrascht den Leser die Information, dass ab dem 26. Juli weiße Tieffußpantoletten für 9,99 Euro verhökert werden, dazu weiße Hosen („Job-Style“) und weiße Poloshirts. Das Ganze unter der Überschrift: „Unsere Diagnose: Ein perfekter Auftritt“. Das Foto zu den Angeboten zeigt einen dreitagebärtigen Mann in den Dreißigern, um dessen Hals ein Stethoskop hängt und der einer etwa gleichaltrigen Frau auf einem weißen Handy etwas zu zeigen scheint – also der Inszenierung nach Ärzte im vertrauten Fachgespräch. Was aber die Frage aufwirft, ob der moderne Mensch nicht von Zweifeln befallen wird, wenn sein potenzieller Lebensretter ihm in weißen Tieffußpantoletten und in weißen Job-Style-Hosen entgegentritt. Günstiger wird die Behandlung dadurch ja vermutlich auch nicht.

Man sollte aber ohnehin nicht bis um 26. Juli warten, um die Aldifiliale am EOC aufzusuchen. Die präsentiert sich seit heute morgen, acht Uhr, frisch renoviert und lieferte ihren Kunden eine überzeugende Begründung, warum man am besten schon heute morgen nicht zum Freibad oder zum Flughafen fährt, sondern zur neugestalteten Filiale des Discounters. Sie lautet: „… das gut Gefühl, einer der ersten gewesen zu sein“. Unsere Diagnose: Aldifloration.

Dass aber ausgerechnet der Pfennigfuchser jetzt in Gefühl macht, liefert unserer heiteren Serie von Betrachtungen zum Endstadium des Kapitalismus (auch eine Diagnose) weitere Munition. Festzuhalten ist, dass das Vergrößern und Umräumen der Filiale ungezählten Kunden das ungute Gefühl liefern wird, an Alzheimer erkrankt zu sein – man findet nämlich nichts mehr wieder. Wein am Kopfende, der Brotbackautomat vorne rechts, die Pinienkerne nicht mehr über dem Tiefkühlfleisch, wie ein verrückt gewordener Staubsaugerroboter titscht man von Regal zu Regal, der geradlinige, hocheffiziente Einkauf vergangener Tage wird beträchtlich verzögert, dafür aber haben die Manager vermutlich ausgerechnet, dass die Aufenthaltsqualität um sieben Prozent steigt und die Verweildauer sogar um vier Minuten und dreißig Sekunden.

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Frühere Artikel:

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Butter 1,59! Tage des Zorns

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Dafür aber braucht man nicht umbauen. Das schafft die Konkurrenz vom netto-Markt an der Linde ganz einfach dadurch, dass konsequent nur eine Kasse besetzt ist.

Soll man sich da nicht lieber gleich alles nach Hause liefern lassen? Ulla Popken, der Textilhändler für Nicht-Hungerhaken, ist da schon auf einem guten Wege: Ein Schaufenster des Geschäfts in der Unterstadt ist komplett mit dem Hinweis beklebt, dass man sich die gewünschten Teile auch online in die Filiale bestellen lassen kann. Mal sehen, wann die erste Kundin merkt, dass dieses Einkaufserlebnis noch mehr convenient gestaltet werden kann, wenn man sich die Sachen gleich nach Hause liefern lässt.

Schaufenster zum Cyberspace: Ulla Popken

Unterdessen ist die ehemalige DM-Filiale am Fischmarkt schnell wieder befüllt worden: Jack Jones heißt der neue Laden. Wer allerdings denkt, damit steige die Vielfalt der Anbieter in der Innenstadt, ist auf dem Holzweg: Jack Jones ist eine von 23 Marken des dänischen Bestseller-Konzerns, andere heißen zum Beispiel: Only und Vero Moda. Alles eine Sauce, fast wie in der DDR, nur ein bisschen bunter.

Doch selbst die Imitation von Vielfalt scheint nicht mehr auszureichen, die Lücken in der Klever Haupteinkaufsstraße zu schließen. Der staunende Betrachter der Zeitläufte muss sogar hinnehmen, dass die Insignien der modernen Welt, Firmenschilder von Telekommunikationsunternehmen, mirnichtsdirnichts aus der Stadt verschwinden. Die Vodafone-Filale am Hasenberg, die gewissermaßen den Umbruch der Medienwelt symbolisierte, zog sie doch in die Räume, in denen vorher Jahrzehnte die Geschäftsstelle der Rheinischen Post residierte, war Ende Juni plötzlich selbst nur noch Geschichte. Jetzt ein Leerstand, das skurrile Geschäft daneben gleich mit. Etwas weiter stadtabwärts Street One, Samoon, Drunkemühle, Schmidthausen – und natürlich der Dauerpatient Ex-Café-Lust, bei dem nun das deutlich aggressiver auftretende Maklerunternehmen Remax versucht, einen neuen Mieter (Gastronomen?) zu finden. Auch dort: Das Schaufenster eine große Werbefläche – vielleicht ist das die Zukunft?

Es gab Interessenten, doch die Vorstellungen waren wohl nicht deckungsgleich. Also, nach wie vor: ZU VERMIETEN (ehemals: Café Lust)

Genauer wissen das natürlich Leute, die in einer Werkstatt arbeiten, in der an der Zukunft geschmiedet und gefeilt wird. Richtig, in der Zukunftswerkstatt von Rheinischer Post und Volksbank Kleverland kamen Britta Schulz (Bürgermeisterin Stadt Kalkar), Thomas Görtz (Bürgermeister Stadt Xanten), Max Ingo Festing (ehemaliger Geschäftsführer Saturn), Ute Marks (Stadtplanerin und Ex-Chefin des Klever Stadtmarketings), Han Groot Obbink (Wunderland Kalkar), Joachim Rasch (Wirtschaftsförderer Stadt Kleve), Frank Ripkens (Volksbank Kleverland) sowie Matthias Grass und Marc Cattelaens (beide Rheinische Post) zusammen, um zu besprechen, wie es weitergehen soll.

Der Artikel hat die Überschrift: „Kleve: Eine Stadt sucht ihr Profil“. Muss man aber gar nicht, meint der Wirtschaftsförderer: „Wir sind die Schwanenstadt und wir sind eine Einkaufsstadt“, wird Joachim Rasch zitiert. Zur Befeuerung des ersten Teils hat die Stadt die Sitzschwäne aktiviert, für das zweite gibt es ja ein paar Geschäfte. Seine Vorgängerin Ute Marks sagte: „Wir brauchen eine Emotionalisierung. Die Menschen wollen etwas in Kleve erleben.“

Das aber deckt sich mit meinen Beobachtungen: Hier kannste was erleben.

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15 Kommentare

  1. 15

    Der Markt reguliert sich in aller Regel selber, wenn er sich möglichst frei entwickeln kann.
    Leider werden innovative Kleinunternehmerinnen und Kleinunternehmer mitunter arg ausgebremst.
    Bevor der erste Cent verdient wurde, wurden schon viele Euro ausgegeben – auch an Staat und Stadt.
    Aber das nur am Rande. Das Gesicht einer Stadt sind die Menschen die in der Stadt leben.
    Deren Leben und Wirken macht doch aus, wie die Stadt von Besuchern wahrgenommen wird.
    Ich habe den Eindruck, dass es bei der Profilsuche wohl eher darum gehen soll, die Stadt für Konsumenten attraktiver zu gestalten und Kaufkraft anzuziehen.

     
  2. 14

    Die Hitze! Schweiß tropft zäh von den Fingerspitzen, aber die ermattete Gravitation liefert nicht mehr genug Bewegungsenergie, um den Anschlag der Tastatur auszulösen.

     
  3. 12

    @11.Chewgum,

    und Henk mit seinen 2 Läden Käse und Fisch, Hut-Dreis, Schulte zur Wissen, Leder Bossmann, Kiesow,
    Sanders, Hopmanns etc. es gibt sie noch die Einzelhändler in Kleve.

    Sollte der Minor.-Platz bebaut werden, zusätzlich mit kleinen Läden wie das Stadthaus euphorisch verlauten
    liess, dann wird die elitäre Profilsuchgruppe mit ihren Koryphaen gewiss Interessenten finden, die den Klever-Mix spürbar aufwerten.

    Beachtenswert auch, dass sich die bisherigen Warteschlangen für die Läden im hochgelobten
    City-Spoycenter wesentlich verringern und die Klever, Studenten, Besucher, Gäste usw. diese
    erfogsversprechenden Initiativen kaum erwarten können.

     
  4. 11

    Subjektive Diagnose:
    – In Kleve gibt es neben dem Leerstand zu viele Geschäfte, die man nicht betreten möchte – ein Blick ins Schaufenster oder durch die Tür reichen, um das festzustellen – liegt an einer ungünstigen Mischung aus Angebot und Aufmachung
    – Ursache Online-Käufe – da weiß man dann irgendwann auch nicht mehr, was zuerst da war, die Henne oder das Ei

    Kleve braucht Leute, die einen Laden FÃœHREN, so wie Kotters, Elbers, Gasthaus, Hintzen, Knops etc., auch Mensing – aber Selbstständigkeit ist schwieriger geworden und erfordert ein Engagement, dass sich mit planbarer Freizeit nicht immer vereinbaren lässt

    In Süddeutschland geben die Leute sich tendenziell einfach mehr Mühe mit allem, mit den Läden, dem Handwerk, den Gasthöfen, dem Essen, der Freundlichkeit etc. – das scheint da noch eine Frage der Ehre zu sein, so jedenfalls mein Eindruck

     
  5. 10

    Danke für ALLE Stellungnahmen, sie halten den IRGENDWELCHEN den Spiegel vor, ob sie sich
    jedoch darin erkennen, ich kann es mir nicht vorstellen! Einfalt und Hochmit haben zu tiefe
    Wurzeln.

     
  6. 8

    Zwar weiß ich nicht, wie es bei ALDI floriert,
    aber seit wann soll es ein gute Gefühl sein,
    EINER der ersteN zu sein ?
    Muß mensch sich beEilen, bevor . . .
    bevor WAS ?

    Spätestens durch die VergangenheitsForm “ gewesen zu sein “
    in dunkler Schrift
    auf tristem Plakat
    und unter einem Kreuz ( „+“ )
    sieht das ganze arg nach TrauerAnzeige aus.

    Ob ALDI’s PR-Strategen dieses Gefühl echt erzeugen wollten ?
    Solche „Werbung“ gehört in die großen gelben gefühlsEchten,
    welche die Stadt für den grünGefleckten Müll verteilt.

     
  7. 7

    Kann es sein, dass diese „Zukunftswerkstatt“ wieder ein „Förderprogramm“ aus einem Fördertopf der Steuerzahler ist?

     
  8. 6

    Es ist schon sehr befremdlich, dass sich bestimmte „obere“ Personengruppen dazu erhoben fühlen, sich werkstattmäßig über die Zukunft, der in Kleve lebenden Menschen, zu bestimmen.

    Jede/r dieser Personengruppe sollte von dem hohen Roß absteigen und „vor der eigenen Tür kehren“.

    Wie stellen sich diese Personen eigentlich Kleve vor?

    Hier leben Menschen und keine Puppen, mit denen man nach eigenen Vorstellungen spielen kann!

    Hat man nicht gelernt, dass Kleve keine Einkaufsstadt mehr ist? Das ist schon lange vorbei, weil es kaum noch Individualität gibt. Diese Artikel gibt es überall……. und in Kleve noch dazu, manchmal auch dreifach.

    Einkaufsstadt mit Leerständen und ohne Individualität und Beratung???

    Die Menschen in Kleve wünschen zu leben und nicht zu erleben und erlebt zu werden.

    Zum Leben gehört viel mehr, als nur shoppen. Und man lebt als Mensch, im Moment noch immer, nur einmal.

    Kleve von oben betrachtet, ist ……….. tot!!!

    Danke an alle Werkstattbeteiligten………vielleicht sollte man nochmal bei den hier lebenden, „einfachen“ Menschen, als AZUBI beginnen?

    Die Menschen brauchen auch, um leben zu können, zwischendurch die unvorprogrammierte Fröhlichkeit und Unbeschwertheit.

     
  9. 5

    „Deutschlands Innenstädte drohen zu veröden“ so lautete eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung und des Handelsverbands Deutschland (HDE) schon 2017.
    „Es drohen landauf landab massive Leerstände, auch an attraktiven Standorten“, warnte der HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth in dieser Studie.
    Betroffen seien besonders Klein- und Mittelstädte aber auch einzelne Metropolen.
    „In vielen Städten müssen daher die Fußgängerzonen gesundgeschrumpft werden.“ Denn der Onlinehandel verändert das Gesicht der Innenstädte, so Genth in Berlin. Vor allem kleine und mittelständische Händler geraten dabei in Existenznot und das im großen Stil. Bis 2020 werden laut HDE-Schätzung rund 50.000 Standorte vom Markt verschwinden. Das sind immerhin zehn Prozent des derzeitigen Angebots. „Die Innenstädte müssen sich daher verdichtet.“

    Zumal leere Schaufenster die Abwärtsspirale innerhalb einer Stadt noch mal zusätzlich befeuern. Doch die sind in den Einkaufsstraßen kaum zu vermeiden, wie die HDE-Studie mithilfe einer Modellstadt simuliert. Derzeit können Geschäftsaufgaben noch weitgehend kompensiert und frei werdende Flächen ggf. neu vermietet werden, in der Untersuchung ist von einer „unbedenklichen Fluktuation“ die Rede. Die Leerstandsquote verharrt dabei zwischen fünf und sechs Prozent, die Neuvermietungsquote bei immerhin 80 Prozent.

    Laut Studie kommt ab 2018 zum sporadischen Leerstand zunächst ein Umbruchleerstand hinzu und schließlich verschärft sich die Entwicklung dann noch. Laut der staatlich unterstützten Studie halbiert sich dabei die Neuvermietungsquote und der Leerstand springt auf über 20 Prozent – was in den Folgejahren dann auch die derzeit noch „kerngesunden Händler“ innerhalb einer Stadt in Mitleidenschaft zieht. „Das Jahr 2021 ist dabei als kritischer „Kipppunkt“ zu betrachten“, heißt es in der Untersuchung.

    Resümee: „Der Handel schafft es nicht mehr alleine“
    Stefan Genth fordert daher ein entschlossenes Eingreifen von Politik und Kommunen, um die prognostizierte Negativentwicklung nun noch rechtzeitig zu stoppen.
    „Die Verwaltungen und Verantwortlichen müssen endlich aufwachen und sich um ihre Innenstädte kümmern. Das schafft der Handel nicht mehr alleine.“ Genth schlägt unter anderem vor, dass Städte sogenannte Citymanager etablieren, die sich als eine Art „Kümmerer“ an der Schnittstelle zwischen dem Handel, Immobilienbesitzern, städtischer Wirtschaftsförderung und dem Stadtmarketing bewegen und dort Planungen und Konzepte massiv vorantreiben und als Schnittstelle, dann auch übergreifend, koordinieren.

    Quelle Information: Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung und des Handelsverbands Deutschland (HDE)

     
  10. 4

    Wie bitte? Ute Marks? Und die gibt dann auch noch etwas zum „Besten“? Wer bezahlt die Anwesenheit dieser Koryphäe in dieser „Zukunftswerkstatt“? Hat sie sich nicht jahrelang um die Belange der Stadt kümmern sollen? Auch hochbezahlt? Und jetzt!? Nachdem ihr das wohl nicht „wirklich“ gelungen ist, kommt sie unter irgendeiner Agentur nach Kleve und überschüttet die anderen „Experten“ mit ihrer Fachexpertise? „Emotionalisierung“ – LOL und ROFL. Ist das aus dem Stadtmarketing-Almanach für Anfänger? Dafür kann niemand doch auch nur einen Cent ausgeben?!?

    Und die Teilnehmer: Das nenne ich mal Expertise vom Feinsten.

    Alleine die zwei Bürgermeister von benachbarten Städten, die werden ein „brennendes Interesse“ an der Klever Innenstadt und deren Profil haben. Und was hat noch ein geschasster Marktleiter eines Elektronikkonzerns in der Runde für einen Beitrag? Berichtet er aus seiner langjährigen, erfolgreichen Erfahrung in Kleve? Warum ist er dann nicht Manager des Jahres, sondern jetzt arbeitslos?
    Zukunftswerkstatt…Aha!

     
  11. 2

    Für die ehemailige RP-Geschäftsstelle-Vodafonefiliale wüsste ich was:

    Die Geschäftsstelle des Kleveblog!

    Vielleicht in Kombination mit einem „kleveblog-Cafe“. Mit einer Mischung aus Live-Blues-Jazz und „political-poetry slam“: Regelmässige Diskussionsrunden bei Kaffee/Kuchen/Werner-Höfer-Weisswein über regionale und überregionale Politik. Auch ein bischen als alternativer Gegenentwurf zur mainsrteamigen neoliberalen Zukunfstwerkstatt kleverland.

    Eine Art Klever Think Tank mit Speisekarte und guten Whiskeys. Und Raucherbereich. Aber nur Erhardpfeife und Schröderzigarren.

    Ich akzeptiere die Datenschutzhinweise. Nach wie vor. 🙂

     
  12. 1

    Lieber Ralf,

    besser kann die über Jahrzehnte währende Malaise in Kleve nicht beschrieben werden und jetzt suchen
    IRGENDWELCHE nach einem Profil, ohne zu erkennen, das dieses Profil -unausrottbar- in der Klever
    Malaise zu finden ist.