Margarine, Gleichmut, Fruchtbarkeit

Durch Zufall bin ich auf einen Beitrag von Joseph Roth über unsere kleine Stadt am Rande des Landes gestoßen, veröffentlicht in den 20-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Einige interessante Beobachtungen – und manche klingen zeitlos aktuell:

In Kleve am Niederrhein erzeugt man Margarine, ohne damit der Schönheit der Stadt zu schaden. Sie lag einmal am Rhein. Der Fluss hat sich selbst von ihr entfernt, was unrecht von ihm war. (…) Die Einwohner haben runde, blonde stille Gesichter, ich glaube, sie regen sich nicht gern auf, sie könnten ganz gut Holländer sein. (…) Rings um Kleve ist die Natur schon holländisch. Die kleinen Hügel wagen nicht, aufzutreten, die Erde weitet sich flach und grün und fett und speist den wandernden Blick des Betrachters mit reichlicher, endloser Horizont-Nahrung. (…) Wenn es einen landschaftlichen Ausdruck für Pazifismus gäbe – hier ist er. (…) Durch die Mitte der Stadt, an freundlichen Läden vorbei, die immer offen sind, führt eine lange, ein wenig krumme Straße. Sie führt vom Bahnhof in den Tiergarten. Rechts in der Seitenstraße eine Kirche, links ahnt man nur den großen Platz um die große alte Kirche und das Schloss, in dessen Umgebung auch am helllichten Tage ein besonderer Dämmer für Liebende eingerichtet ist. Dort sah ich ein paar Menschen jener Seligkeit frönen, die man Liebe nennt. In den Seitenstraßen spielen unzählige Folgen dieser Seligkeit. Kleve hat mehr als 20.000 Einwohner, davon werden, so scheint es mir, 4.000 Kinder sein. Sie spielen in den kleinen, bergigen Gassen, die hinauf, hinunter, steil, sanft, abschüssig auf Treppen laufen. Es sind verspielte Gassen, und ich wollte, ich wäre in einer dieser Gassen ein Kind gewesen.

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