Während meines Studiums der mittleren und neueren Geschichte an der Universität Köln habe ich in einer Lehrveranstaltung mal aufgeschnappt, dass der Historiker versuchen sollte, die geschichtstreibenden Kräfte zu erkennen, also Umstände, die dazu führten, dass der Lauf der Dinge in die eine Richtung ging und nicht in die andere.
Insofern habe ich großen Respekt vor dicken Büchern von archivverschlingenden Geschichtswissenschaftlern wie dem Australier Christopher Clark, der sich in seinem Buch „Die Schlafwandler“ der Ursachen des Ersten Weltkriegs angenommen hat. Eine Episode ist mir in Erinnerung geblieben: die vom Chef des österreichischen Generalstabs Feldmarschallleutnant Franz Freiherr Conrad von Hötzendorf, der sich nach dem Tod seiner Frau 1905 unsterblich in die Unternehmersgattin Gina von Reininghaus verliebte, obwohl diese ihm sogleich entgegnete, sie sei „siebenfach gebunden“, und zwar durch ihren Mann und die sechs Kinder.
Von da an verwendete Freiherr von Hötzendorf große Teile seiner Dienstzeit darauf, der Angebeteten Liebesbriefe zu schreiben, die er allerdings nicht abschickte, sondern in einem Album mit dem Titel „Tagebuch meiner Leiden“ hortete. Von 1907 bis 1915 landeten mehr als 3000 Briefe in der Sammlung, manche davon waren 60 Seiten lang.
In dem Buch heißt es: „In einem Brief an Gina fantasierte er von der Rückkehr von einem ‚Balkankrieg`, den Lorbeerkranz des Siegers auf dem Haupt, wie er alle Warnungen in den Wind schlägt und sie zu seiner Frau macht… In seinem Nachlass […] sind aus den Zeitschriften ausgeschnittene Werbeanzeigen für Faltencremes zu finden. Kurzum, Conrad von Hötzendorf stand exemplarisch für ein morsch gewordenes, geradezu überreiztes Männlichkeitsidol in Europa, das in mancher Hinsicht für den fin-de-siècle charakteristisch war.“
Warum diese Vorrede?
Im Obergeschoss des Städtischen Museums Haus Koekkoek läuft seit dieser Woche und noch bis zum 23. November die Ausstellung „Aus der Traum!“, die sich mit Kleve und dem Ersten Weltkrieg beschäftigt – passend zum Ausbruch des mörderischen Geschehens vor 100 Jahren. Streng genommen, hat Kleve mit dem Ersten Weltkrieg nicht viel zu tun, anders als mit dem Zweiten, der das Gesicht der Stadt für immer veränderte und dessen Verheerungen durch die Bombenangriffe in gewisser Weise immer noch gegenwärtig sind, spätestens dann, wenn mal wieder Bauarbeiten unterbrochen werden müssen, weil ein Blindgänger zu entschärfen ist.
Kriegshandlungen erreichten Kleve vor 100 Jahren nicht, aber auch dieser Weltkrieg veränderte die Stadt. Ein in Kleve stationiertes Bataillon zog an die Front, ein anderes rückte nach. Die Leute fingen an zu hamstern, die Versorgung mit Lebensmitteln verschlechterte sich schnell, für Kinder wurden öffentliche Speisungen angeboten. Für die Soldaten wurde gesammelt, und im Januar 1916 wurde der berühmte Eiserne Mann aufgestellt, eine Holzskulptur, in die man gegen eine Spende Nägel einschlagen konnte. Der Clevische Volksfreund berichtete am 28. Januar 1916 auf Seite 1 unter der Überschrift „Ein großer Tag in Cleve.“ über das nach Ansicht der „politischen Tageszeitung für den Niederrhein“ historische Ereignis:
„Die Chronik der Stadt Cleve ist um ein schönes Blatt bereichert worden: Am 27. Januar des Kriegsjahres 1916, am Tage des siebenundfünfzigsten Geburtstags des deutschen Kaisers, Wilhelms des Zweiten, wurde auf dem Platze Ottos des Schützen, dessen Denkmal der Forderung einer gewaltigeren Zeit hatte weichen müssen, das Standbild des Eisernen Mannes enthüllt. ‚Es soll die Erinnerung festhalten an das Heldentum, das auch von Kleve aus auf alle Schlachtfelder des gewaltigsten aller Kriege gezogen ist. Es soll ein Denkmal des Dankes sein, das die Heimat ihren Söhnen darbringt, die für sie geblutet haben. Auf ihn sollen sich Gaben häufen, die Not kriegsverwaister Familien, kranker und wunder Krieger zu lindern.`“
Die Ausstellung zeigt einige Titelseiten der Lokalzeitung, sie zeigt Fotos aus dem Stadtarchiv sowie aus Familienbesitz, und sie zeigt in einem der drei Räume eine Wand voller Todesanzeigen, mit so bekannten Klever Namen wie Döllekes oder Kürvers. Eine Klever Familie hatte sieben Söhne in den Krieg geschickt – nur zwei kehrten zurück.
Es ist ein gewaltiger Blutzoll, der da dokumentiert wird. Und im Kern von dessen Entstehung sitzt irgendwo in Wien in einem opulent ausgestatteten Büro des österreichischen Generalstabs ein liebeskranker Feldmarschallleutnant, der, um seiner Angebeteten zu imponieren, kriegslüsterne Fantasien hegt.
Es ist eine kleine, feine Ausstellung, die da im Haus Koekkoek zu sehen ist. Sie lässt in den gezeigten Aufnahmen zum einen den Frontalltag gegenwärtig werden und zum anderen das 30 Jahre später im Zweiten Weltkrieg untergegangene Kleve. Eintritt: Erwachsene fünf Euro.
@ 15. Wolfgang Look
Stimme dem Kommentar zwar voll und ganz zu, es gibt aber einen kleinen Fehler: Kaliningrad (Königsberg) gehörte noch bis 1945 zum Deutschen Reich. Nach dem ersten Weltkrieg verlor das dt. Reich zwar große Gebiete im Osten, ein Teil Ostpreußens gehörte aber weiterhin zum Reich, bis es 1945 an die Sowjetunion fiel.
@12 das Gedenken an den 1. Weltkrieg als Nostalgieforum zu bezeichnen, ist oberflächlich. Derzeit treffen sich in Flandern in Ypern die europ. Staats- und Regierungschefs zum Gedenken. Dort haben ca. 500.000 Menschen ihr Leben gelassen, wurde Gas in Kriegen eingesetzt und gab es sinnlose Stellungskriege. Die Selbstzerstörung Europas, die damals ihren Anfang nahm war Voraussetzung für den Faschismus, für den Aufstieg Amerikas und der Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg. Zudem die die Analyse der Schuldfrage hochaktuell und werden in der Dynamik der plötzlichen Kriegserklärungen, der Kriegsbegeisterung vieler Menschen und der fehlenden Einsicht in die Folgen eines Krieges Parallelen zur Ukrainekrise gezogen. Das zerstörte dt. Nationalbewußtsein, das uns bis heute prägt, nimmt im kollektiven Trauma dieser Zeit ihren Anfang. Für DEu war der 1. Weltkrieg der Verlust einer direkten Grenze mit Russland, der Verlust von Kaliningrad (Königsberg) und weiterer Gebiete, die K.U.K-Monarchie, ein Imperium damals, verschwand, alles hochspannend und brisant
Ein sehr interessanter und informativer Bericht. Vielen Dank dafür.
@Rainer Ruhig Blut!
Hallo, wird das hier ein Heimatdichter und Nostalgieforum für Kriegsnostalgiker
@10. Martin Fingerhut
Danke! Wie dumm von mir, dass ich das nicht bedacht habe…….. 😉
Ich habe deswegen die Frage gestellt, da man ja bei den Vorbereitungsarbeiten, im Erdreich unter dem jetzigen (neuen) Rilano, Fässer gefunden hat, und dass dieser Fund meines Wissens auch archiviert wurde.
@ 8. Fisch :
### Fässer unten rechts? ###
die hellen Scheiben ?
Das sind bestimmt die Drohnen, mit denen die Pizza ausgeliefert wird
( s. Illuminaten-Teorie auf https://www.kleveblog.de/kontakt/#comment-89895 ).
Das mit der Pizza ist natürlich nur Tarnung,
in Wahrheit sind es SpionageGeräte der Ochrana :
Die Drohnen zählen gerade die TruppenStärke.
Deshalb genau neben der MarschKolonne.
Das Foto der Zeitung zeigt, daß schon damals sogar der Clevische VolksFreund frei mit dem Regeln zum „runden“ und zum “ langen s “ umging. In „Clevisch“ hätte statt des runden s eigentlich ein „Å¿“ stehen sollen : „CleviÅ¿ch“ ( wie in “ PolitiÅ¿che TagesZeitung “ eine Zeile darunter )
Soll noch einer behaupten, erst ich würde einschlägige hochHeilige Regeln mißAchten.
Bereits vor 100 Jahren waren sogar de-facto-Institutionen in puncto RechtSchreibung eigenwillig.
Foto 1., welche Bedeutung oder wozu gehören die Fässer unten rechts?
@JB Der „Kle-Blatt-Blog“ ist für historische Fotos m.E. sehr gute Quelle, hier
http://www.kle-blatt.de/blog/kleve/die-neugierigen-vom-grossen-markt-in-kleve.html
Rechts oben Belvedere ist richtig,
links unten die alte Scala, dessen späterer jüdischer Betreiber Meyer von den Nazis vergast wurde
Kennt jemand noch Bilder aus dieser Zeit, ich suche Bilder vom Großen Markt mit Blick auf alle vier Ecken des Großen Marktes mit seiner Bebauung zu dieser Zeit.
Ein Link oder Buchverweis wäre toll!
Danke
@Jürgen Böll Die Soldaten ziehen in Richtung Bahnhof! Der Blick ist in die Stadt, richtig.
Ich würde sagen das ist die falsche Blickrichtung, die ist nicht wie im Untertitel Richtung Bahnhof, sondern Richtung heutige Deutsch Bank.
Das Türmchen im Hintergrund müßte das Kleine Schlößchen oben am Ende der heutigen Straße „Regenbogen“ sein.
@Lohengräm Belvedere
1. Foto: Was ist das oben rechts fürn weisser Kirchturm?