Verdienstkreuz für einen großen Klever

Dr. Ulf Hientzsch: Klarheit und Wahrheit
Dr. Ulf Hientzsch: Klarheit und Wahrheit

Dr. Ulf Hientzsch erhielt gestern im Haus Koekkoek – wo sonst, möchte man fragen – aus den Händen von Landrat Wolfgang Spreen das Bundesverdienstkreuz am Bande für seine Verdienste um die Klever Kultur. Im Rahmen der Zeremonie kam die spannende Geschichte zutage, dass der ehemalige Amtsgerichtsdirektor entscheidend daran beteiligt war, dass Schloss Gnadenthal und die umliegenden Parks und Landschaften erhalten bleiben, was viel Arbeit hinter den Kulissen erforderte. »Das ist das einzige, worauf ich mir etwas einbilde«, so Hientzsch. Er gehört zu den Männern, die viel für die Stadt getan haben, obwohl sie meist im Hintergrund agierten. Unspektakulär, leise – und sehr wirkungsvoll.

Hier ein Porträt des Ordensträgers, das Ende 2013 in der Erstausgabe des Magazins »DER KLEVER« erschienen ist:

Ein Mann der klaren Worte

Dr. Ulf Hientzsch ist ein Mann, der etwas lebt, das heute fast aus der Mode gekommen zu sein scheint: Er zeigt Haltung. Die Haltung, die ihn umtreibt, lässt sich vielleicht am besten mit Unmut beschreiben. Höflich, aber präzise formulierter Unmut darüber, wie die Stadt Kleve mit ihrem historischen Erbe umgeht.

Deshalb ist es eine Freude, sich mit Hientzsch zu unterhalten. Er gehört zu der Sorte Menschen, die in einem Gespräch locker den Bogen von Voltaire bis de Werd spannen können. Als ehemaliger Leiter des Klever Amtsgerichts (bis 2003) und ehemaliger Vorsitzender der Koekkoek-Stiftung (bis 2013) dürfte er einige Einblicke in die Mechanismen der Stadt gewonnen haben, in der er seit 40 Jahren lebt und in der er sich, das möchte er betonen, sehr wohl fühlt.

Doch gerade das Gefühl, dass einem das Gemeinwesen am Herzen liegt, führt – zu Ende gedacht – zu der Verpflichtung, auch die unangenehmen Dinge anzusprechen. So wie in einer guten Beziehung auch über Probleme geredet werden muss.

Dr. Ulf Hientzsch tat dies lange leise und im Hintergrund. Doch dann gab der 75-Jährige dem RP-Redakteur Matthias Graß ein Interview, dessen letzter Absatz von einer luziden Klarheit war, die der Debatte um die Entwicklung der Stadt Kleve bislang gefehlt hatte.

Hientzsch sagte:

„Wo hat die Stadt Bundeskanzler Schmidt empfangen? Im Haus Koekkoek, nicht im Rathaus. Wo Frau Merkel? Im Forstgarten und im Kurhaus, nicht am Opschlag und in der Stadthalle. Was eine Stadt ist, was sie sein will, wie sie sich selbst sieht und würdigt, braucht eine Form. Die hat Kleve in Gestalt beider Häuser – beste Zeugnisse einer bemerkenswerten Geschichte wie eines fortwährenden Gestaltungs- und Erhaltungswillens, der Aufgeschlossenheit für Vergangenheit und Gegenwart. Sie sind das Tafelsilber und die Sektkelche, mit denen wir Gäste empfangen und uns selbst würdigen. Fehlten sie – dann stünden wir da wie ein Gastgeber, der mit Sekt und guten Gaben feiern will – aber nur Pappbecher und Wegwerfgeschirr hat. Ich bin da guter Hoffnung, dass unser Tafelsilber erhalten bleibt.“

Selten hat jemand das, was die Qualität Kleves ausmacht, in eindeutigere Worte gefasst – und diese Klarheit ist es vermutlich auch, die das politische Kleve dazu brachte, diese Äußerung weitestgehend zu ignorieren. Nur hinter vorgehaltener Hand lästerte man – aber warum eigentlich? Aus seinen Worten spricht – genau besehen – eine große Liebe zu dieser Stadt. Allein: Diese Stadt macht es ihm nicht eben leicht, diese Liebe zu bewahren.

„Ich stamme aus Sachsen, kam 1954 in die Bundesrepublik und wohnte – nach Schulzeit im Siegerland, Studium in Münster und Marburg – seit 1965 in Erkrath“, sagt Hientzsch. Nach dem Abschluss seines Jurastudiums hätte er eine Stelle als Richter in Düsseldorf bekommen können – indes: Er wollte nach Kleve. „Mein Vater hatte die Stadt einmal mit mir besucht, und ich hatte gesehen, dass es sich hier gut leben lässt.“ Die Lage, die Landschaft, die Leute, all das nahmen Ulf Hientzsch und seine Frau Rosemarie von Anfang an positiv wahr. Hientzsch: „Im Laufe meiner beruflichen Laufbahn hätte ich auch mehrmals Möglichkeiten gehabt, Kleve wieder zu verlassen. Aber das wollte ich nicht. Wir haben uns in der Stadt immer sehr wohl gefühlt.“

Doch die Art und Weise, wie die Stadt ihr historisches Erbe verwaltete, verursachte bei Hientzsch mehr und mehr jene Gemütshaltung eines verwunderten Unmuts. Als eine Art negatives Schlüsselerlebnis empfand der Jurist die Erweiterung des Kreishauses, für die ein Großteil des Moritzparks geopfert wurde. Hientzsch: „Ich verstehe es bis heute nicht, dass ein für die Menschen der Stadt so wichtiges Gelände geopfert wurde, um dann dort Computer wohnen zu lassen. Und das führende Hotel der Stadt hat man dann ins Industriegebiet gesetzt.“

Die Vorstellung, dass dort, wo einst Hotel Maywald („das erste Haus am Platze“) die Gäste Kleves willkommen hieß, bevor es im Krieg in Schutt und Asche gebombt wurde, auch heute statt eines Bürogebäudes eine repräsentative Herberge stehen könnte, dürfte älteren Klevern Tränen der Wehmut in die Augen treiben.

Es blieb nicht bei dem einen Sündenfall.

Nur wenige hundert Meter entfernt überließ die Stadt der Justiz den Marstall. Dort, wo einst Wilfried Hönes in der Stadtbücherei hinter dicken Brillengläsern den Bestand hütete, Haikus verfasste und literaturinteressierte Klever sachkundig beriet, hortet nun seit vielen Jahren das Grundbuchamt seine Akten – in einem der wenigen schönen Altbauten, die der Stadt nach dem Krieg geblieben sind.

Die Liste ließe sich mit vielen Beispielen verlängern, etwa mit der Bebauung um den Markt Linde, mit der Errichtung der drei Mehrfamilienblocks im Garten der Bellevue an der Lindenallee, mit dem Narrenbrunnen am Kleinen Markt. Hientzsch: „Der Brunnen wird – zumindest für mich – seinem Zweck kaum gerecht. Mich stimmt er eher traurig als heiter.“

Aktuell ist die Planung der Bebauung an der Koekkoekstege dem Pensionär ein Dorn im Auge – zumal sie sich direkt neben dem Museum Haus Koekoek abspielt, dem er natürlich nach wie vor eng verbunden ist. Hientzsch: „Das vorne – wie vor dem Abriss – wieder ein Gebäude entsteht, damit bin ich einverstanden. Aber wenn der Gartenbereich mehrgeschossig überbaut wird, wird diese historisch bedeutsame Straße, einst die so genannte Judenstege, die zum jüdischen Friedhof führte, ihren Charakter völlig verändern und verlieren.“

Was sich wie ein roter Faden durch die architektonischen Missgeschicke und stadtplanerischen Fehlgriffe zieht, ist laut Hientzsch das mangelnde Verständnis für das historische Erbe der Stadt. „Da ist der Wurm im Gebälk“, sagt Dr. Hientzsch. „Sie spüren heute noch, dass das Ganze einen gewissen geistigen Hintergrund hat, aber das bröckelt nach und nach ab. Wenn Sie es dann nur noch aus Büchern ablesen und nicht mehr im Gesicht der Stadt erkennen können, ist es allerdings peinlich.“

Hientzsch ist allerdings im Grunde seines Herzens Optimist. Und er möchte seine Kritik auch nicht äußern, ohne zumindest zugleich auch konstruktive Anstöße gegeben zu haben. Also: Was würden Sie empfehlen, Herr Hientzsch?

„Was würde ich machen, wenn ich Bürgermeister wäre? Zurzeit erlebe ich in Kleve ein undurchschaubares Planungshickhack ohne Ende – das kann nicht gut gehen. Ein positives Beispiel ist für mich die Stadt Speyer, deren Zustand offenbar auch nicht beglückend war. Die haben sich einen Architekten geholt und seinen Sachverstand genutzt. Wenn ich Bürgermeister wäre, würde ich mir also zuallererst einen Fachmann mit einem ästhetischen Empfinden holen, der das Große und Ganze im Auge behält. Wenn Sie ein Auto kaufen, machen sie ja auch keine eigenen Entwürfe, sondern vertrauen auf den Sachverstand der Entwickler.“

Ein gutes Beispiel habe die Stadt früher auch selbst gegeben – als die Anlagen um das Amphitheater wiederhergestellt wurden. „Da berief man die herausragenden Landschaftsarchitekten Rose und Günter Wörner. Und fürs Kurhaus – nach de Werds großem Einsatz – Professor Nickels. Sie Resultate sind herausragend; sie sollten ein Ansporn sein. Übrigens: Warum gibt es für Kleve nicht endlich eine Gestaltungssatzung?“

Interessant ist sind auch die Ansichten von Hientzsch zu den gelungenen Projekten aus der jüngeren Vergangenheit. Er lobt den Umbau der Stadthalle, deren Öffnung zum Ufer des Kermisdahls hin heute so selbstverständlich erscheint, dass man sich fragt, wie es je hätte anders geplant werden können. Und er freut sich über ein Projekt, dass in Kleve nicht vom Radar der öffentlichen Wahrnehmung erfasst wurde, welches aber städtebauliche Maßstäbe setzte: die Renovierung der städtischen Wohnungen an der Stadionstraße. „Das ist wirklich gelungen“, so Hientzsch.

Und noch eines ist Hientzsch wichtig – für eine pauschale Invesorenschelte ist er nicht zu haben. Er sagt: „Es ist falsch, die Investoren anzugreifen. Die bemühen sich zu recht, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Aber man muss sie daran hindern, Unsinn zu machen. Das ist Aufgabe der Stadt.“

Keine leichte Aufgabe, fürwahr.

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7 Kommentare

  1. 7

    Willi Winzig, wer mag wohl für diesen unsäglichen Turm ausschlaggebend gewesen sein?

    Er fände heute einen passenderen Platz und zwar als Mahnmal zwischen der grausamen Hotelkulisse
    und dem fürchterlichen Bankpavillon.

     
  2. 6

    „Was ist demm an der Bebauung Marktplatz Linde so schlimm?“
    Den Krieg hatten dort einige Häuser aus dem 19.Jahrhundert überstanden.
    Diesen wurden, wie in Kleve üblich, natürlich abgerissen und zum Beispiel an der Ecke Lindenallee/Hoffmannallee durch einen extrem unansehnlichen 70er-Jahre-Klotz ersetzt.
    Auch die Versöhnungskirche, mit ihrem direkt in die Sichtachse der Schwanenburg platzierten Betonturm, ist eine städtebauliche Entgleisung erster Güte!

     
  3. 5

    ad Lohemgräm:
    Mit der Wiederherstellung des Amphitheaters sind die umfangreichen Wiederherstellungsarbeiten am Tiergarten in den 70 er Jahren gemeint. Vorher war das gesamte Gelände um den Tiergarten und das Amphitheater verwildert, die architektonische Planung Moritz von Nassaus nicht mehr erkennbar.
    Hier ist in der Tat Hervorragendes geleistet worden, aber wahrscheinlich vor ihrer Zeit.

     
  4. 3

    „Zurzeit erlebe ich in Kleve ein undurchschaubares Planungshickhack ohne Ende“

    „…der das Große und Ganze im Auge behält. “

    Das sage ich auch schon seit vielen Monaten.

     
  5. 2

    1.) Was ist demm an der Bebauung Marktplatz Linde so schlimm? Das ist mir in all den Jahren noch nicht aufgefallen.

    2.) Was ist mit „Anlagen um das Amphitheater wiederhergestellt“ gemeint? Etwa diese hässlichen riesengrossen Steine, die den ganzen rasen verschandeln? Und der Pfahl mit der Mickymaus drauf?

    3.) Die Stadthalle fand ich baulich auch vorher ok, besonders die überdachte Einfahrt. Das Problem ist eher, das einmal genaute Objekte nicht nachhaltig geplegt werden.
    Viel ärgerlicher finde ich an gleicher Stelle die Rückseite von Woolworth.

    Weiterhin sehr viel problematischer finde ich:

    a.) Die Verkleinerung des Wassersportzentrum Sternbusch

    b.) Auch wenn wirtschaftlich vielleicht sinnvoll: Die Verlagerung des Hallenbads (durchaus malerisch am Fuss der Schwanenburg gelegen) von der Stadtmitte an den Stadtrand. Schwimmunterrichtstechnsich übrigens nur sinnvoll für eine Schule -für Schüler in einem Alter, in dem sie Schwimmen schon gelernt haben sollten.
    Die Grundschulen haben nichts davon.

    c.) In der Tat den Wegzug der Bibliothek aus dem Marstall.

    d.) Den gigantischen Flächenverbrauch der letzen Jahrzehnte im (überflutungsgefährdeten) Nellenwardgen

    e.) Den relativ bedenkenlosen Bau weiterhin neuer Strassen

    f.) Die Verkleinerung des Bahnhofsgeländes bzw. den Entzug seiner ursprünglichen Nutzung

    g.) Die städteplanerisch und infrastrukturell unsinnige Verlagerung vom Sebus ins Stein. (Wenn wir vom KAG als 2. Gymnasium noch ausgehen).

    Nicht ganz so unsinnvoll finde ich im Gegensatz zum Mainstram die Querspange, – unter der Voaussetzung dass die B9 durch den Forsgarten geschlossen wird. Einziges Problem: Der Bahnübergang.

     
  6. 1

    Den klaren Worten von Dr. Hientzsch ist in allen Punkten die Zustimmung der meisten Klever sicher. Die
    unsäglichen Fehlentscheidungen des Proletariats der Unkultur sind beschämend.

    In Kleve sind Entscheidungsträger leider der Ansicht, selbst über ein ästhetisches Empfinden zu verfügen,
    sie besitzen nicht die Klugheit, dieses Fehlen zu erkennen.