Es ist das erste Mal seit Anfang des Jahres, dass die beiden wieder gemeinsam in einem Raum anzutreffen sind. Damals war es ein Wohnzimmer in einer Wohnung am Großen Markt in Kleve, die beiden waren noch Mann und Frau mit vier gemeinsamen Kindern. Am Mittwoch war es der Saal A 105 im Landgericht in der Klever Schwanenburg, und er war der Angeklagte, sie die Zeugin – und beide würdigten sich keines Blickes.
Die Anklage wirft dem 27 Jahre alten Klever eine Fülle von Straftaten vor, die sich unter „häuslicher Gewalt“ zusammenfassen lassen: Es soll Schläge gegeben haben, mit der flachen Hand und mit der Faust, es soll Tritte gegeben haben, in der Anklageschrift findet sich außerdem die Vorwürfe, der Mann habe seine Frau dreimal bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und bei anderer Gelegenheit mit einem HDMI-Kabel ausgepeitscht.
Bei einer Attacke sei die Frau hochschwanger gewesen, sodass ein Krankenwagen gerufen werden musste. Wieder heimgekehrt, soll es die nächsten Misshandlungen gegeben haben, eingeleitet vom Mann mit der Frage: „Was habe ich dir gesagt, was passiert, wenn die Polizei kommt?“ Die Frau antwortete: „Dann haust du mich kaputt.“ Einige Fotos in den Gerichtsakten dokumentieren verschiedene Verletzungen.
Vom Vorsitzenden Richter Frank Janßen befragt, schilderte der Angeklagte zunächst sein Leben, dessen einzige Konstante der zunehmende Cannabis-Konsum gewesen zu sein scheint. Er habe zwölf Geschwister, in Rindern den Hauptschulabschluss gemacht, eine Lehre abgebrochen, bei einer Zeitarbeitsfirma gejobbt und sei auch über längere Phasen arbeitslos gewesen. Und dann kamen ja auch die Kinder.
Im Bundeszentralregister ist er bereits mit neun Eintragungen verzeichnet, die meisten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, zweimal wegen Fahrerflucht, zudem wegen Sachbeschädigung und Beleidigung. Die aus diesen Delikten gebildete Gesamtfreiheitsstrafe sitzt er zurzeit ab.
Die Tatvorwürfe bezeichnete der 27-Jährige als „ein bisschen dramatisiert“. Ohrfeigen räumte er aber ein. Die diesen Übergriffen zu Grunde liegende Motivationskette schilderte er anhand eines exemplarischen Morgens: „Ihr Handy vibrierte. Ich hab’s gelesen. Es war ein Kerl. Er wollte sich nochmal mit ihr treffen.“ Daraufhin gab es die Ohrfeigen. Oder, um mit dem Angeklagten zu sprechen: „Ich sag mal so: Ich war in Rage.“
In den Akten ist auch eine Schilderung verzeichnet, dass das Opfer seinem Peiniger inmitten einer Gewaltattacke ein Glas Wasser angeboten haben soll. „Das passt doch nicht!“, kommentierte der Angeklagte.
Als erste Zeugin durfte das Opfer aussagen. Die 22 Jahre alte Frau schilderte ihre Ehe als ein Martyrium, welches nach der Geburt des zweiten Kindes im Jahre 2014 begann: „Da fing es an mit Ohrfeigen.“ Ihr sei zu Unrecht Untreue unterstellt worden, sie sei zu Hause eingesperrt worden, Nachbarn hätten wegen der ständigen Streitereien immer wieder die Polizei rufen müssen, Wutanfälle habe es beispielsweise gegeben, wenn ihr Mann Abdrücke der Kinder auf dem Fernseher entdeckt habe. Als sie mit dem Kabel geschlagen worden sei, sei sie „vom Gesicht bis zu den Beinen komplett blau“ gewesen.
Das Paar lebte von rund 1600 Euro monatlich, eine Kombination aus Kindergeld, Sozialhilfe und Elterngeld. Einiges davon wurde offenbar vom Mann verspielt, so dass ab der Monatsmitte das Geld knapp wurde und die Stimmung sich verdüsterte. „Ich musste aufpassen, ob er gute Laune hatte oder nicht“, so die junge Frau. Wenn einer der vielen Joints seine Wirkung tat, war die Lage erträglicher.
Die Ehe ist mittlerweile geschieden, der Angeklagte hörte den Ausführungen seiner Ex-Frau ohne die Spur einer Regung zu. Richter Janßen befragte die 22-Jährige auch zu der Episode mit dem Wasserglas. Sie berichtete: „Ich war wie eine Maschine. Dass ich geschlagen wurde, gehörte für mich zum Alltag dazu.“
Der Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt.