Glaubwürdigkeit nur in Spurenelementen

Ein Dialog brachte das Dilemma in Saal A 105 in der Klever Schwanenburg auf den Punkt: „Was hätte ich von dem Zeug kaufen können, das Sie in der Wohnung hatten“, möchte Christian Henckel, Vorsitzender Richter der 7. großen Strafkammer (Jugendkammer) wissen. „Nix, das war alles für mich“, antwortet der Angeklagte Florian K., in der Szene offenbar besser bekannt als „Flo“.

Was sich an diesem 23. März 2017 in der Wohnung in Emmerich befand, hatte die Staatsanwaltschaft zuvor genau, wie sie in solchen Fällen arbeitet, bei der Verlesung der Anklage aufgelistet: Heroin (25 g), Haschisch (47 g), dazu Amphetamin und Ecstasy-Tabletten, plus ein kleines Waffenarsenal: zwei Baseballschläger, eine Schreckschusspistole, ein Elektroschocker sowie diverse Messer. Alles Eigenbedarf?

Richter Henckel zeigt dem Angeklagten die Fotografie eines der sichergestellten Messer. Die Klinge reicht offenbar aus, um ein Schwein abzustechen. Damit habe er Butterbrote geschmiert, entgegnet der Angeklagte ungerührt.

Florian K. muss sich wegen Drogenhandels vor Gericht verantworten. Zur Last wird ihm unter anderem gelegt, in mehreren Fällen Marihuana an Minderjährige verkauft zu haben. Da er zudem bei seinen Geschäften zur Drogenbeschaffung einen Elektroschocker mit sich geführt haben soll, unterstellen die Ankläger auch „bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln“ – Mindeststrafe fünf Jahre.

Ein langjähriger Gefängnisaufenthalts droht also, und so führte Florian K., vom Klever Rechtsanwalt Dr. Karl Haas verteidigt, einiges Entlastendes aus seiner Lebensgeschichte ins Feld. Er sei zeitweise im Kinderheim aufgewachsen, habe seinen Vater nie kennen gelernt, habe nur eine lose Beziehung zu seinem Bruder („was der macht, weiß ich nicht“). Eine Ausbildung habe er nicht, eine Zeitlang habe er Gelegenheitsjobs auf Volksfesten ausgeübt. Noch im vergangenen Jahr habe er sich wegen Depressionen und Angststörungen mehrere Wochen in klinische Behandlung begeben. Drogen nehme er auch. Und einen Missbrauchsfall habe es überdies gegeben. Seit März befindet er sich in Untersuchungshaft.

Als die angeklagten Vorfälle besprochen werden sollten, überkam Florian K. ein relativ vollständiger Gedächtnisverlust. „Weiß ich nicht, das ist schon so lange her“, so eine seiner typischen Antworten. Wenn er wiederum etwas sagte, musste man schon sehr gutmütig gestimmt sein, um wenigstens in Spurenelementen Glaubwürdigkeit ausmachen zu können. Woher er das Geld für die in seiner Wohnung gefundenen Drogen überhaupt habe, wollte die Kammer wissen. K. antwortete: „Hartz IV, Sparen und mittags in der Klosterpforte für einen Euro essen gehen.“ Die Klosterpforte, das ist eine soziale Einrichtung in der Klever Innenstadt.

Drei Zeugen intensivierten das Bild der allgemeinen Vernebelung, ein vierter erschien erst gar nicht. Der erste, ein 15 Jahre alter Schüler, sagte, er wisse gar nicht, warum er vor Gericht erscheinen solle. Rudimentär konnte er sich dann doch an einem Einkauf erinnern – als der Angeklagte noch in Kleve an der Kalkarer Straße wohnte.

Der zweite sagte gar nichts, weil gegen ihn selbst noch ein Strafverfahren läuft. Der dritte erinnerte sich an eine flüchtige Bekanntschaft mit dem Angeklagten. Als er unmittelbar nach K.s Verhaftung von der Polizei vernommen wurde, schien er deutlich besser im Bilde gewesen zu sein. „Das ist der Haupttyp“, dieser Satz findet sich in seiner protokollierten Aussage – gemünzt auf den Angeklagten.

Schließlich fragte der Vorsitzende Richter den Angeklagten, ob er auch sonst Schwierigkeiten habe, sich zu erinnern, „so an normale Sachen“. Florian K. erwiderte: „Manchmal schon.“ Daraufhin ordnete die Kammer ein psychiatrisches Gutachten an – der Prozess ist erst einmal für einige Wochen unterbrochen.

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Ein Kommentar

  1. 1

    ist das die moderne Fassung der Schillerschen Bürgschaft ?
    Was willst Du mit dem Dolche sprich , >Kartoffeln schälen , verstehste mich ?<

    Ich weiss ja, daß Richter sich heutzutage mächtig zügeln müssen, damit ihr Urteilsspruch nicht in der Berufungsinstanz zerpflückt wird. Aber hier führt der Angeklagte das Gericht vor.
    Trotzdem, die Mengen, alleine des Heroins, sprechen eine deutliche Sprache.

    Was total unbegreiflich ist, ist daß K. mit seinen 32 Lenzen vor der Jugendkammer erscheinen darf, wenn man den Info`s der Presse denn glauben darf.

    Mit einen Seitenblick zum ja erst vor Kurzem gelaufenen Prozess gegen den Reichsbürger mit ähnlichen Tatvorwürfen bin ich mal gespannt, was das Gericht denn diesmal wieder nicht am Wort "mindestens" verstanden hat, wenn es um den Strafrahmen bei bewaffnetem Handel geht.