Fun Garden: Die Rückkehr der Belastungszeugin

Der Prozess um das Emmericher Bordell „Fun Garden“ vor dem Landgericht tritt in seine entscheidende Phase. Vergangenen Freitag kam eine Zeugin zum zweiten Mal von Kiew nach Kleve, um einen verwirrenden Umstand aus einer früheren Aussage zurechtzurücken. Der Verteidiger von Esed D. (53) kündigte an, dass sein Mandant das Schweigen brechen werde. Und am Dienstag nach Karneval haben die Finanzexperten das Wort. Hier am Stück die ersten drei Berichte des neuen Jahres.

Ende der Zeugenparade in Sicht (11. Januar)

Seit 289 Tagen sitzen Olga G. (40) und Esed D. (53) in Untersuchungshaft. Sie feierte bereits einen Geburtstag hinter Gittern, beide verbrachten die Weihnachtstage und den Jahreswechsel hinter Schloss und Riegel. Seit 60 Tagen verhandelt die neunte Strafkammer des Landgerichts Kleve gegen den Bosnier und seine aus Russland stammende Frau, die gemeinsam das Bordell „Fun Garden“ in Emmerich betrieben haben.

Gestern nun, am elften Sitzungstag in der Klever Schwanenburg, zeichnete sich ab, dass zumindest die Parade der Zeugen in dem Mammutverfahren vor dem Ende steht – und dass die beiden Angeklagten, die sich wegen zahlreicher Delikte vom Menschenhandel bis zu Steuerhinterziehung verantworten müssen, wenigstens wissen, woran sie sind. Der Vorsitzende Richter Christian Henckel erklärte, dass die Kammer – abgesehen von einer Handvoll bereits geladenen Zeugen – keine weiteren neuen Zeugen mehr zu hören beabsichtige.

Selbst hartgesottene Prozessbeobachter haben Mühe, den Überblick über die Fülle der Aussagen von aktuellen oder ehemaligen Beschäftigten des einstmals florierenden Saunaclubs im Emmericher Industriegebiet zu behalten.

Die Brasilianierin Luciana F. (30), eine ehemalige Mitarbeiterin des Schwesterbetriebs „Villa Auberge“, die eigens für ihre Aussage aus ihrer derzeitigen Heimat Portugal eingeflogen worden war, berichtete dem Gericht, teilweise unter Tränen, von der tristen und brutalen Realität des Gewerbes. Und sie war einmal mehr eine Zeugin, die ihre eigene Naivität eingestand.

Vor sechs Jahren war sie in einer Diskothek in Lissabon angesprochen worden, ob sie als Gaststättenbedienung in Deutschland Geld verdienen wolle. Sie geriet an einen Zuhälter namens Hugo – und der machte schon kurz nach der Ankunft in Düsseldorf klar, womit sie in Wahrheit ihr (und sein) Geld verdienen solle.

Er klapperte mit ihr und einer weiteren Frau Bordelle ab, wo er die beiden den jeweiligen Inhabern anbot. So gelangte Luciana auch zur „Villa Auberge“, wo sie zwei oder drei Nächte tätig war. Laut einer Aussage bei der Polizei wurden die Einnahmen zwischen ihr und dem Inhaber hälftig geteilt. Gestern vor Gericht konnte sie sich allerdings nicht mehr genau daran erinnern, „das ist doch schon sechs Jahre her“. Nie habe sie der Prostitution nachgehen wollen, „doch wir hatten Angst davor, dass Hugo uns etwas antut“.

In Emmerich ließ die Frau sich auch einmal mit einem Taxi in ein Internetcafé bringen. Dort versuchte sie per Chat Kontakt zu Bekannten in Portugal aufzunehmen. Ist das bereits ein Fluchtversuch? Esed D. spürte Luciana in dem Lokal auf und brachte sie in seinem Wagen ins Bordell zurück.

Warum sie denn nicht gleich zur Polizei gefahren sei, fragte Staatsanwalt Hendrik Timmer. Antwort Luciana: „Ich wusste noch nicht einmal, in welcher Stadt ich mich befand. Ich wollte fliehen, aber ich habe mich nicht getraut. Ich hatte noch nie in diesem Milieu gearbeitet.“

Lucianas Leidensweg im Rotlichtmilieu endete wenige Tage später in einem anderen Bordell mit dem Namen Klein-Paris. Dort war sie zuvor von Hugo misshandelt worden. „Er hat mich zugeschlagen, dass ich dachte zu sterben. Als zwei Tage die später die Polizei kam, wusste ich, dass es einen Gott gibt.“

Der Prozess wird am 22. Januar fortgesetzt. An diesem Tag soll unter anderem eine Frau aus Ungarn, die im „Fun Garden“ gearbeitet hat, mit einer Videoschaltung nach Budapest vernommen werden.

(Die Videovernehmung fiel wegen Terminschwierigkeiten aus und soll nach derzeitigem Stand auch nicht mehr nachgeholt werden.)

„Fun Garden“: Der 10.000-Euro-Scherz (22. Januar)

Der Zeuge selbst kann nicht mehr sprechen, Frank B. starb 2011 im Alter von 44 Jahren. Von seiner großen Liebe hatte er sich zuvor bereits scheiden lassen. Es war Beata B., eine Frau, die im Emmericher Etablissement „Fun Garden“ als Prostituierte arbeitete. Vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Kleve, die den Mammutprozess gegen die beiden Betreiber des Bordells, Olga G. (40) und Esed D. (53), verhandelt, wurde gestern die Zeugenaussage des Freiers verlesen – das Dokument einer ungewöhnlichen Liebe.

Demnach lernte B. als Stammgast des Lokals Beata kennen und lieben. Manchmal schlich er sich frühmorgens zu einem Plausch in den „Fun Garden“, wenn das Aufsichts- und Leitungspersonal die Maschinerie der käuflichen Liebe noch nicht in Gang gebracht hatte. Manchmal kam auch abends und zahlte seine 50 Euro Eintritt nur, um an der Theke mit Beata ein Glas Sekt zu trinken.

Eines Abends sei Esed D. an ihn herangetreten und habe gesagt: „Wenn du die Frau heiraten willst, musst du 10.000 Euro bezahlen.“ Zur Begründung erläuterte der Bosnier, dass ihm bereits zwei Frauen „weggeheiratet“ worden seien, und bei diesen sei in gleicher Weise verfahren worden.

Wenig später bestellte sich Beata B. ein Taxi, verließ den „Fun Garden“ und stand bei ihrem Liebhaber vor der Tür. Er ließ sie ein. Kurz danach habe sein Telefon geklingelt, und er sei von Esed D. zur Rede gestellt worden. Die beiden verabredeten sich zu einem Treffen im Restaurant „Montenegro“ am Geistmarkt.

Als Frank B. dort mit seiner Freundin ankam, wartete der „Fun-Garden“-Betreiber bereits auf das Pärchen und beschimpfte seine Mitarbeiterin so unflätig, dass diese gleich in die benachbarte Polizeiwache rannte und dort Anzeige erstattete. Frank B. indes setzte sich mit Esed D. an einen Tisch. Dort ging ihn der Bosnier frontal an: Was er denn mit „so einer Frau“ wolle. Der verliebte Mann beharrte allerdings auf seinen Gefühlen, woraufhin der Bordellwirt die Frau überraschenderweise freigab und sagte, die 10.000 Euro Ablösesumme seien ein Scherz gewesen.
Ein mittlerweile pensionierter Polizist, der als Zeuge auftrat, bestätigte, dass vor nunmehr sechs Jahren wegen dieses Vorfalls tatsächlich ermittelt wurde. Zwei weitere Zeuginnen argumentierten am zwölften Verhandlungstag eher im Sinne der Angeklagten.

Eine Rumänin (39), die mittlerweile in den Niederlanden als Tierärztin arbeitet, gab an, in den Jahren 2007 bis 2011 im „Fun Garden“ als Putzhilfe gearbeitet zu haben. Nur in den Anfangsmonaten habe sie auch Massagen gegeben – „aber keine erotischen, sondern therapeutische“. Man hörte es den Fragen des Vorsitzenden Richters Christian Henckel an, dass die Kammer die Glaubwürdigkeit zumindest strapaziert sah.

„Gab es nicht auch manchmal Überstunden, die bis in die späte Nacht hinein gingen?“, so Henkel diplomatisch. Die Zeugen blieb dabei, nie als Prostituierte gearbeitet zu haben, und konnte sich auch nicht erklären, warum sie in der Buchhaltung des Lokals als Prostituierte aufgeführt war.

In den Akten finden sich sogar Aussagen, dass die Rumänin selbst auch aktiv daran beteiligt war, neue Frauen für den „Fun Garden“ aus ihrer Heimat nach Emmerich zu holen. Auf eine entsprechende Frage von Staatsanwalt Hendrik Timmer antwortete sie jedoch lapidar: „Das war Zufall, dass die im gleichen Bus saßen.“

Eine Aufsichtskraft (60) gewährte dann noch einige Einblicke in den Arbeitsalltag im „Fun Garden“: Sie sei dafür zuständig gewesen, dass die Frauen „vernünftig angezogen“ zur Arbeit erschienen seien. Henckel: „Vernünftig angezogen heißt doch wohl: vernünftig ausgezogen?“ Die Zeugen: „Naja, die sollten eben nicht im Schlafanzug an die Theke kommen.“

Ihrer Aussage zufolge hat es sich bei dem Betreiberpaar um grundgütige und verständnisvolle Arbeitgeber gehandelt. Einige der Mädchen hätten nur Lügen erzählt. Eine der ehemaligen Mitarbeiterinnen, die den Betreiber schwer belastet hatte, habe Esed sogar „Papa“ genannt und das Privileg genossen, nur einmal in der Woche zu arbeiten, wenn ihr Stammgast, ein niederländischer Schönheitsmediziner, vorgefahren sei.

Der Bosnier habe vergeblich versucht, sie dazu zu bewegen, mehr zu arbeiten. „Da war er mit vollem Recht sauer – aber die wollte nicht“, so die Zeugin. „Warum hat diese Frau so bösartig ausgesagt?“

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

Eine Frau mit drei Pässen (25. Januar)

Das Gericht hatte da noch ein paar Fragen… und so kam Ala M. (24) ein zweites Mal Von Kiew nach Kleve, um vor der Wirtschaftsstrafkammer in der Schwanenburg über ihre Tätigkeit im Emmericher Bordell „Fun Garden“ zu berichten. Das, was sie Ende November erzählt hatte, war schockierend gewesen.

Unter anderem war von einer hastig erfolgten Abtreibung die Rede, vom strengen und willkürlichen Regiment der beiden jetzt angeklagten Bordellbetreiber, Esed D. (53) und Olga G. (40), von gefälschten Dokumenten und roher Gewalt.

Doch einen Punkt hatte sie, obwohl ihre damalige Vernehmung mehr als drei Stunden dauerte, ausgeklammert: Im Jahre 2010, also drei Jahre nach ihrer ersten Beschäftigung in dem Emmericher Saunaclub, reiste Ala M. erneut an den Niederrhein, um im „Fun Garden“ zu arbeiten – wie das, wenn doch alles so schrecklich war?

Gestern nun unternahm die dunkelhaarige Frau den Versuch, diesen Widerspruch aufzuklären. Sie habe dies in ihrer ersten Aussage nicht erwähnt, weil sie keine Arbeitserlaubnis besessen und deshalb eine Strafe befürchtet habe. Bei ihrem zweiten Engagement habe sie eigentlich nur tanzen wollen, sich dann allerdings auch zu weitergehenden Tätigkeiten überreden lassen. (Ihr Geliebter Ali E. war der stille Teilhaber des Betriebs.)

Interessant wurde es, als sie auspackte – und zwar im Wortsinne. In ihrer Handtasche hatte sie nicht nur Dokumente zu ihrer damals in Holland vorgenommenen Abtreibung, sondern auch zwei gefälschte Ausweise. Wie sie an diese Dokumente kam? Olga habe ihr gesagt, dass sie mit ihrem ukrainischen Pass nicht in Deutschland arbeiten könne und sich mit dem Schleuser in Verbindung gesetzt. Der besorgte dann für Ala einen estnischen Pass.

Wenige Monate später sei ihr gesagt worden, dass sie einen wieder neuen Pass benötige, diesmal habe sie für 2500 Euro tschechische Identitätspapiere bekommen. Die Kosten für beide Fälschungen habe sie in dem Bordell abarbeiten müssen. Als das Gericht die beiden Pässe zu den Akten nehmen wollte, sagte die Zeugin mit einem Anflug von Sarkasmus: „Das war das Teuerste, was ich in Deutschland gekauft habe.“

Als Ala M. ihre Schulden getilgt hatte, nahm die Ukrainerin im „Fun Garden“ offenbar eine Sonderrolle ein. Sie bestätigte die Angaben einer früheren Zeugin, dass sie einen vermögenden niederländischen Schönheitschirurgen als Stammkunden hatte und deshalb nur einmal in der Woche gearbeitet habe. „Ich musste nicht mehr mit jedem schlafen“, so die Zeugin. „Ich hatte meine Schulden ja abbezahlt.“

Ala M. wiederholte auch ihre Vorwürfe, was die rustikalen Umgangsformen in dem Etablissement angeht. Insbesondere beschuldigte sie die beiden Angeklagten, Kokain zu sich genommen zu haben und dann völlig unberechenbar gewesen zu sein. Schon zuvor hatten Esed D. und Olga G. die Ausführungen ihrer ehemaligen Mitarbeiterin mit Kopfschütteln und höhnischem Lachen quittiert, doch angesichts dieser Äußerungen riss bei Esed D. der Geduldsfaden: „Ich kann so etwas nicht hören. Das ist nicht zu glauben!“

Möglicherweise liegt es am Auftritt dieser wohl wichtigsten Zeugin der Anklage, dass der 13. Verhandlungstag auch einen Wendepunkt in der Verteidigung darstellt. Jedenfalls gab Michael Bonn, einer der drei Anwälte in Diensten von Esed D., bekannt, dass dieser am übernächsten Verhandlungstag (22. Februar) aussagen werde. Am kommenden Prozesstag (Dienstag, 13. Februar) haben zunächst die Finanzexperten das Wort. Es wird um Berechnungen zum Ausmaß der beim Bordellbetrieb hinterzogenen Sozialversicherungsabgaben und Steuern gehen.

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