Die Spur der Salbe

- Dr. Dr. Kroll: „Herr Merges, ich rufe da an wegen der Regividerm-Salbe. Haben Sie da noch einige Muster zur Verfügung?“

– Dr. Merges (im Oberklasse-Wagen durch ein Reichswalde ähnelndes Wohngebiet brausend, mit Headset telefonierend): „Ich könnte mir vorstellen, dass wir für Sie wie in der Vergangenheit ’ne Apothekenlösung schaffen. Da müsste ich aber erst mal mit dem Rohstoffhändler und mit dem Apotheker telefonieren, in welchem Zeitraum der für Sie und Ihre Patienten etwas herstellen kann.“

– Dr. Dr. Kroll: „Dann würde ich die Patienten solange vertrösten und Ihnen sagen, dass wir gegebenfalls ein paar Muster bekommen können.“

Wir sehen eine komplett gestellte Szene, das merkt man ja wohl sofort, oder werden neuerdings gleich zwei Kamerateams darauf angesetzt, die beiden Gesprächspartner simultan im Bild festzuhalten? Und wenn in dem gleichen Fernsehbericht an anderer Stelle noch ein „Professor“ auftritt, der zur Studienlage für eine neue Salbe sagt: „Doppelblind können Sie das nicht machen, weil das rosa ist“, spätestens dann müsste sich der Zuschauer in einer neuen Ausgabe des „Comedy-Freitags“ oder vergleichbaren Fernsehmülls wähnen.

Das Problem ist: Der vor einigen Wochen in der ARD ausgestrahlte WDR-Bericht ist ernst gemeint. Es geht um eine aus Avocadoöl und dem Vitamin B12 bestehende angebliche Wundersalbe namens Regividerm, die bei Neurodermitis und Schuppenflechte helfe, aber deren Markteinführung von der bösen Pharmaindustrie verhindert werde. Passend dazu der anklägerische Titel der Dokumentation: „Heilung unerwünscht“. Interessanterweise kam die Salbe kurz nach Erscheinen des Berichts doch auf den Markt (100 Gramm für 28,50 €), und dazu auch das 16,95 Euro teure Buch zur Sendung (geschrieben vom Autor des WDR-Berichts), auf dessen Cover ein Salbentöpfchen abgebildet ist. Aufschrift: „Inklusive Rezeptur gegen Neurodermitis“.

Das alles ist nicht so neu. Was ich bis jetzt aber noch nicht wusste: Die Spur der Wundersalbe führt nach Kleve!

Autor der WDR-Berichts ist der Journalist Klaus Martens. Hier ist er:

Hart aber fair? Oder falsch?
Hart aber fair? Oder falsch?

Über Martens kursiert folgender, offensichtlich selbst verfasster Lebenslauf im Internet:

  • geboren am 18. Mai 1954 in Uedem am Niederrhein.
  • Nach einigen gescheiterten Versuchen mit verschiedenen Schulformen 1971 Beginn einer Lehre zum Industriekaufmann.
  • Zunächst kaufmännischer Angestellter, dann Schichtarbeiter und Liedermacher.
  • Gleichzeitig „letzter Versuch der Partizipation an bürgerlicher Bildung“ durch Besuch des Abendgymnasiums Abitur
  • Studium der Geschichtswissenschaften, Politikwissenschaft und Philosophie in Münster
  • Magister Artium und Entlassung in die Arbeitslosigkeit
  • LKW Fahrer im Ruhrgebiet und musikalischer Interpret von Erich Kästner Texten
  • Zeitvertrag beim WDR als wissenschaftlicher Mitarbeiter
  • Freie Mitarbeit bei der Regionalsendung „Hier und Heute“
  • Festanstellung als Redakteur und Reporter
  • Mitaufbau des ARD „Morgenmagazin“ als Planungsredakteur und Chef vom Dienst, Redakteur in den Programmbereichen Kultur, Ausland, Inland, Chefredaktion und seit 2002 Redakteur und Autor in der Redaktion der Dokumentationsreihe „die story“

Schichtarbeiter und Liedermacher? In welchen Kreisen mag er sich da wohl in Kleve, ca. Mitte der 70-er Jahre bewegt haben? Richtig, da ist er auch schon:

Heute sind sie alle reifer geworden
Heute sind sie alle reifer geworden

Rechts im Bild Klaus Martens, links daneben mit markantem Vollbart Bruno Schmitz, der Kabarettist, damals noch Lehrer an der Hauptschule St. Markus in Bedburg-Hau, sowie die mir unbekannten Rita Eckermann und Klaus Meder. (Das Bild ist mit freundlicher Genehmigung der Seite heimat-kleve.de entnommen. Hier der Link.)

Es tauchen noch mehr Klever in dieser dubiosen Geschichte auf
– zum Beispiel Dr. Josef Merges, der im Video zu bewundernde, alerte Vermittler von „Apothekenlösungen“. Am Niederrhein ist Dr. Merges als streitbare Persönlichkeit bekannt, die sich früher gerne aus allerlei erdenklichen Anlässen mit der Industrie- und Handelskammer anlegte. Auch politisch tritt Merges in Kleve in Erscheinung, früher bei der SPD (Mitglied der Ratsfraktion), nunmehr bei den Offenen Klevern, die schon mancher verirrten Seele (Szubries) eine Heimstatt geboten haben. Vor allem aber ist Dr. Merges dreifacher Geschäftsführer der an der Flutstraße 74 ansässigen Unternehmen mit-Gesundheit, MFT Gesundheit sowie der MFT GmbH & Co. KG.

mit-Gesundheit hat sich, wie im jüngsten veröffentlichten Geschäftsbericht (2008) nachzulesen ist, der „Herstellung und (dem) Verkauf von Produkten zur Heilung, Linderung, Erkennung und Vorbeugung von Gesundheitsstörungen, ferner von Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetika sowie (dem) Handel mit Rechten und (der) Übernahme und Ausnutzung von Lizenzen zum Vertrieb gleichartiger Waren“ verschrieben. MIT-Gesundheit gelang es ausweislich des Geschäftsberichts einen Jahresüberschuss von 5.622,55 Euro zu erwirtschaften und blickt somit einem Berg von Verbindlichkeiten in Höhe von nur noch 2.118.645,92 Euro entgegen. Höchste Zeit für einen Knüller also.

Einen Knüller wie Regividerm.

An dieser Stelle hat der dritte Mann aus Kleve seinen großen Auftritt – ein Mediziner, der das Medikament in den höchsten Tönen lobt. In Martens‘ Bericht ist es der „Hautarzt Dr. Dr. Kroll“, bei dem es sich um den in Rindern praktizierenden Allgemeinmediziner Dr. Dr. Michael Kroll handelt. Ab Minute 7 in dem Video untersucht er zwar die Haut eines Patienten - Hautarzt im Sinne von Dermatologe aber ist er nicht.

Woher kommt aber nur Dr. Dr. Kroll? Kenner der IHK-Streitereien von Josef Merges wissen, dass er in dieser Zeit immer einen Kompagnon hatte: Dr. Dr. Michael Kroll. Lange Zeit war Kroll im Impressum von MIT-Gesundheit als „Leiter Klinische Forschung“ ausgewiesen. 2004 veröffentlichten Merges und Kroll gemeinsam ein Buch über „Schwermetallausleitung“, worum immer es sich dabei auch handeln mag. Diese Entdeckungen waren sogar dem Hamburger Magazin Stern eine besondere Erwähnung wert – selten war die eingetrübte Unabhängigkeit eines „Experten“ offenbarer.

Nun winkt ein schöner Reibach. Schon meldet der größte deutsche Hersteller des Vitamins B12 Lieferengpässe. Dass dabei vermutlich vielen ernsthaft kranken Menschen falsche Hoffnungen gemacht werden, scheint nebensächlich. „Das Geschäft mit dem Leid“, so lautete die Überschrift des Artikels im Stern.

Und wie sieht Dr. Merges nun seine merkwürdige Rolle in dem ganzen Trubel? Zunächst teilte eine Mitarbeiterin mit, er sei diese Woche „nicht mehr erreichbar“, trotz Headset. Auf meine Mail kam dann aber doch eine Antwort. Staunen Sie selbst:

Sehr geehrter Herr Daute,

in der Geschichte um die Berichterstattung zu der Regividerm Salbe spiele ich überhaupt keine Rolle. Wie ich bereits Ihrem Kollegen vom Stern gesagt habe, habe ich füher einmal für die Firma Regeneratio (Eigentümerin der Regividerm-Markenrechte, Amn. d. Verf.) eine Dienstleistung erbracht. Über Art, Umfang oder Zeitdauer des Auftrags kann ich Ihnen nichts mitteilen.

Zu Herrn Martens habe ich persönlich keine Verbindung. Er war – wie im Fernsehen zu sehen war – in Kleve und (hat) auch uns besucht und Aufnahmen gemacht.

Ach…

p.s. Wie der ganze Fall ins Rollen kam, ist am besten (und in epischer Breite) im Gesundheitsblog Stationäre Aufnahme beschrieben.

Deine Meinung zählt:

13 Kommentare

  1. 11

    Ähem, kommt nicht erst C2H5OH und erst dann die Azetylsalizylsäure?

    Insbsondere bei denjenigen, die den Bericht des Herrn Martens aka
    Ca[SO4] • 2 H2O -Kopf² für bare Münze genommen haben.

    Wenn man aus dem Dihydrogenmonoxid ein H rausnimmt, könnte man wenigstens den Oberklasse-Boliden des Herrn Merges damit volltanken und mit dem Rest einen Nostalgieladen in Prenzlau auf dem Marktberg eröffnen aber ach, BMW stellt ja die Versuchsreihe ein.

    Sowas aber auch.

     
  2. 10

    @Pepsi: Azetylsalizylsäure und C2H5OH werden jetzt von den Beteiligten wohl mehr gefragt sein.

    Das ganze hat aber tatsächlich etwas von einer Dihydrogenmonoxid-Spaltung und dem, was nach dem Verflüchten des H2 noch übrig bleibt.

    Das Marketingkonzept ist zudem auch luftig. In diesen Zeiten muss man m.e. gnadenlos auf Porzine Influenza setzen.

     
  3. 9

    Als Wissenschaftler gibt es hier zwei Dinge zu tun:
    1) Einen wissenschaftlichen Test ob und wie weit die Salbe funktioniert.
    2) Beweisen, dass der Author vorsaetzlich gehandelt hat.

    In meinem Forschungsbereich habe ich aehnliche Sachen erlebt, in denen eine professionel angepriesenes und „bewiesene“ Methode von vielen, auf Grund „wissenschaftlicher“ Fachartikel, als Wundermittel akzeptiert wird. Wenn man dann den wissenschaftlichen Beweis antritt und seine Ergebnisse publizieren moechte, die man der „Firma“ ein Jahr vorher schon zukommen lassen hat, bekommt man gerichtliche Drohungen, die natuerlich auch sein eigenes Management erstmal abschreckt.

    Im Prinzip ist am Ende alles „herausgekommen“ und von anderen Wissenschaftlern bestaetigt worden. Egal, die Firma gibt es immer noch und sie sucht sich kleinere Fische, die sie noch fangen kann. Und selbst andere halb-wissenschaftliche Publikationen drucken noch angebliche Erfolgsgeschichten.

    Es laesst sich immer leicht die „grosse Firma“ an den Pranger stellen. David ist natuerlich viel sympathischer als Goliath. Das Argument zieht immer, selbst bei den gebildetsten Leuten.

     
  4. 7

    @KHU
    und ein Aufkleber Triumph-Adler. Die AOK wird sagen, wir haben Verträge mit Fa. Derksen, die auch die Entsorgung beinhalten…

     
  5. 6

    @HalloKleve

    Dr. Kroll hat nicht direkt die Praxis von Pethig übernommen. Vielmehr hat er sich vor ein paar Jahren mit Dr. Pelzer mit einer eigenen Praxis gegenüber der alten Praxis Pethig / Lingens selbständig gemacht.
    Herr Pethig hat damals seine Praxis aufgegeben und etwas anderes im medizinischen Bereich begonnen.

     
  6. 5

    @MJ

    Wie hoch ist der Anteil des AS 03? >95%?

    Hehe, nicht zu vergessen die Verwendung von Dihydrogenmonoxid.

    Die Herren Kroll, Martens und Merges wollen ja mit diesem Stoff ja lieber nicht in Kontakt kommen.

     
  7. 4

    @khu Das hatte ich auch schon aufm Zettel (danke, Felix!), habe aber noch nicht mit der AOK gesprochen

     
  8. 3

    Dass die Spur nach Kleve führt, war schon lange kalr, wenn man den Bericht aufmerksam gesehen hat.
    Dr.Dr. Kroll hatte nämlich im Interview ein Poloshirt mit seiner Internetadresse drauf an.
    http://www.praxisklinik-kleve.de

    Hat Dr. Kroll die Praxis von Herrn Pethig übernommen? Und was macht der eigentlich so?

     
  9. 2

    Es ist schon interessant zu sehen, welche Spuren so nach Kleve führen. Gestern Abend war übrigens ein Bericht auf RTL (SPIEGEL TV) über den Export von Computerschrott in der Dritte Welt. Hintergrund ist, dass vielen Unternehmen eine „saubere Entsorgung“ in Deutschland zu teuer ist; es ist viel billiger, die Uraltgeräte per Schiff nach z.B. nach Ghana zu verfrachten.
    Dort werden diese Geräte oft von Kindern auf riesigen Müllhalden verbrannt und die verbleibenden Rohstoffe werden dann für eine Hungersmahlzeit verkauft. Beim Verbrennen entstehen oft giftige Dämpfe mit allen möglichen gesundheitlichen Folgen für die Kinder.
    In diesem Bericht wurden dann einige Aufkleber auf den Geräten eingeblendet. Meine Augen staunten nicht schlecht, als ich „AOK Kleve“ las.
    Natürlich wird die AOK keine direkte Schuld treffen, aber….