Die Paläste des Windes
Stehen auf der Düne.
Grillen zirpen.
Nachbarn klappern
Leise mit Geschirr.
Das offizielle kleveblog-Gedicht zum Ferienstart. Sicherlich eine echte Herausforderung für Wolfgang Look. Lyrik kann manchmal auch so unscheinbar und lapidar wie eine SMS daherkommen. Fortgeschrittene kleveblog-Leser dürfen die folgenden Fragen beantworten:
- Könnte es sich um einen Haiku handeln? Begründe deine Antwort!
- Vergleiche dieses Gedicht mit Jakob von Hoddis‘ Weltuntergang und arbeite Parallelen und Unterschiede heraus!
- Wo wurde das Gedicht geschrieben?
(Mit herzlichem Dank an die Autorin.)
Weitere schöne Gedichte aus zehn Jahren kleveblog:
@Dort offenbar nicht. definitiv kein wildes Campen!
In den Dünen ist Zelten verboten! Höchstens in der Mongolei wäre das zulässig… Mongolei ist’s!?
@Jeckes Moers 6, setzen! Paläste des Windes sind ja wohl ganz klar — Zelte!
Paläste des Windes dürften Windräder oder Windmühlen sein. Insofern kommt auch Dänemark in Frage, natürlich auch eine Deutsche Küste, oder doch das wunderschöne Masuren? Wenn es nicht so weit wäre, hätte ich Masuren gewählt. Einigen wir uns aber auf Dänemark. Es ist DK?
Hallo, ich hab ein Zitat. In einer Zeitung gelesen. Von einer polikerin. ,Das ist wie mit der Heiligen Dreifaltigkeit, ohne Maria wär das doch nicht so richtig gelaufen‘. Die Mutter Jesu, Mädel mit wallendem Haar, hat nichts mit der Heiligen Dreifaltigkeit zu tun
Heißt Jakob von Hoddis` Gedicht nicht „WeltEnde“?
Beantwortung der Fragen folgt nach dem Abendessen. ..
@RD Ich dachte, dass die Ãœberschrift von Kleveblog kommt. Dann ist natürlich die Ankunft gemeint, einerseits Begeisterung, aber auch ein bißchen Frust angesichts der beschriebenen Touristenphänomene. „Z“ und „s“ gehören zu den Gemeinheiten der niederl. Sprache, weil „Z“ im NL weich und „s“ scharf ausgesprochen wird, man also als Deutscher schnell hier Fehler macht.
Zeeland (Middelburg) ist, wenn ich mich recht erinnere, über das Geschlecht der Malerfamilie Koekoek mit uns Klevern verbunden, beides damals Teil des Herzogtums Brabant, wenn ich mich nicht irre (aus dem Karl-May-Film)
Danke für die gute Note, dann darf ich jetzt in Ferien fahren, bzw. nach Amsterdam am Wochende
Wolfgang Look hat alles geschrieben, was zu schreiben sich lohnt.
Gut angekommen ist ein schönes und klangvolles Haiku, obwohl das Haiku oft aus seiner knappen Kargheit lebt.
Ein schönes Sommer(abend)-HaIku:
Die Glocken haben den Tag hinausgeläutet,
der Duft der Blumen läutet nach.
@Wolfgang Look Note 1, setzen! Zeeland (mit „Z“) stimmt allerdings nicht, die Bezüge werden gleichwohl richtig gedeutet und sind also als folgerichtig anzusehen. Das Gedicht hat jedoch eine Ãœberschrift („Gut angekommen“), und ich verstehe es erst einmal so, als ob der Autor am Urlaubsort angekommen ist.
Kann natürlich gekürzt werden, da wohl zu lang, Gruss Wolfgang
1. Ist dies ein Haiku?
Es dürfte bei strenger Anwendung der traditionellen Kriterien für einen „echten Haiku“ in Bezug auf Silbenzahl, Einheitlichkeit der Stimmung, gehobene Wortwahl (klappern passt nicht!), Musikalität etwa durch Alliterationen oder Vokalharmonien wohl kein Haiku sein. Der fehlende Reim ist dagegen kein Manko, weil die jap. Sprache wegen der wenig variablen Zahl der Wortendungen kaum zum Reinem geeignet ist und dieser auch in der klassischen jap. Literatur nicht als notwendig angesehen wird.
Allerdings lassen sich die Kriterien für die japanischen Lyrik nicht direkt auf eine deutsche Version anwenden und hat der Haiku, ähnlich wie das formell ebenfalls strenge europäische Sonett, eine abwechselungsreiche Geschichte hinter sich und an verschiedenen Orten neue Formen angenommen – und ist doch ein Haiku geblieben. Da in diesem Text einzelne Anforderungen an ein Haiku – Bezug zur Gegenwart, Erwähnung einer Jahreszeit, Konkretheit des Themas, Beschränkung der Silbenzahl, Einfachheit des Satzbaus, Kürze der Worte erfüllt sind, kann er somit m.E. doch ein bißchen als Haiku angesehen werden.
2. Vergleich mit Hoddis „Weltuntergang“
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten liest man steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Dieser Text ist formell und stilistisch doch ganz anders. Es gibt Reime, ein mehrfüßiges jambisches rhythmisches Grundschema, eine Aufteilung in Strophen, eine Ãœberschrift. Der Text ist allerdings fast erzählerisch und ohne kühne oder traditionelle Bilder. Er wirkt wie eine kleine (Kinder)Geschichte in Reimform. Diese wirkt auf mich ein bißchen komisch, da das Ereignis dramatisch, ja tragisch ist, der Erzählton aber prosaisch und kindisch bleibt. Der Verfasser schaut aus dem Abstand („liest man“) und ist ohne echte innere Beteiligung. Auch der Schlusssatz, wo Eisenbahnen von den Brücken fallen – was eine Katastrophe ist!! – wird erzählt als ob Bauklötzchen in einer Kindergeschichte zusammenfallen. Die Ãœberschrift, die eine Riesenkatastrophe erwarten liest, wird nicht Wahrheit. Das tragische – aber nicht katastrophale – Ereignis wird durch eine lyrische Prosaierung verfremdet und verharmlost.
Dieser Text ist im Gesamttenor für mich eine Mischung aus Humor und Dramatik. Dies ist ein Lebensgefühl der Moderne, wo die Welt als so tragisch empfunden wird, dass man nur noch über sie lachen kann (siehe Dürrenmatts Theorie des Theaters).
Der Haiku dagegen ist eine Momentaufnahme einer Strandatmosphäre, die Elemente der Pracht, der Romantik und auch der Enttäuschung enthält, die Stimmung ist ohne Dramatik und Humor.
(Wo ist das Gedicht geschrieben?)
Dünen erinnern natürlich sehr an die (niederländische) Nordseeküste. Der Text wurde also vermutlich dort geschrieben. Erhärtet wird dies dadurch, dass es bei Scheveningen tatsächlich noch koloniale Gebäude aus der Zeit des „Gouden eeuw“, wo die Niederländer eine Weltmacht mit kolonialem Anspruch waren, gibt. Die freie deutsche Nordseeküste kennt dies m.E. so nicht, weil wir keine so starke maritime koloniale Tradition haben.
Das Eingangsbild der Paläste wirkt „barock“. Ein majestätisches Etwas beherrscht imposant, imperial und royal die Küstenlandschaft. Danach spüre ich jedoch einen Stimmungsbruch. „Zirpende Grillen“ sind ein romantisches Bild und stellen eine Musik dar, die nur dem sensiblen, introvertierten, sanften Spaziergänger zugänglich ist, nicht dem großen Herrscher der Paläste. Und im letzten Satz wird die Romantik durch das „klappernde Geschirr“ zerstört. Dies erinnert mich erstens an H.Heine erinnert, der als der Erfinder der romantischen Ironie gilt. Eine lyrische Stimmung, die ein Gedicht prägt, wird in einem letzten Satz von einer rauhen, prosaischen Wirklichkeit hart durchbrochen, was sein gesamtes Lebensgefühl wiederspiegelt. Er war selbst lange Zeit Romantiker und wurde dann zum Realisten, weil die Wirklichkeit seiner Meinung nach so hart war, das man kein reiner Romantiker mehr sein kann.
Das „klappernde Geschirr“ ruft zudem zweitens Vorstellungen von den überfüllten Stränden in Zeeland hervor, wo tausende „Moffen“ (das sind wir Deutsche!) wie mongolische Horden jeden Sommer hinströmen, um als Touristen die Taschen der Niederländer zu füllen und sich in den Niederungen einer dilletierenden Selbstversorgerstrandgastronomie verirren und allerlei Chaos (Lärm und Müll!) hinterlassen.
Insgesamt findet eine atmosphärische Deeskalation von barocker Pracht über romantischen Lyrizismus bis hin zur harten Wirklichkeit des Urlauberfrustes statt. Der Autor ist also wohl gerade als frustrierter Strandurlauber von Seeland nach Kleve zurückgekommen! (Spaß) Dies spiegelt auch den Verlauf der europ. Kulturgeschichte wird, zunächst Barock, dann Romantik, dann moderne Prosa, der Autor durchläuft als innerlich – vielleicht sogar unbewußt – die Epochen der europ. Kulturgeschichte und bleibt dann aber ein Kind der Moderne