Wenn die Dohle sich zum Frühstück niederlässt, wird einem schnell gewahr, dass einem über die Kreatur, Vogel des Jahres 2012, nur wenig erinnerlich ist, was sehr schade ist, weil der gefiederte Freund einer Gattung angehört, die den Menschen seit Jahrtausenden fasziniert. Also betreiben wir, während der Gast begierig aufs Honigbrötchen spekuliert, ein wenig Dohlenforschung. Erste Erkenntnis: Es gibt zwar im Lateinischen das Wort dolus, doch bedeutet Schmerz und hat mit dem Vogel nichts zu tun, er heißt in der Sprache der Ornithologen: Coloeus monedula.
Dieser aber faszinierte die Menschen seit alters her. Schon Aristoteles widmete sich, wie ich, der Beobachtung der Dohlen. Er ritzte in seine Tontafel folgende Beobachtung: „Man sieht, wie sie sich auf mannigfaltige Weise liebkosen, ihre Schnäbel zusammenstecken, als wenn sie sich küssen wollten.“
Sie gelten als klug. Der römische Geschichtsschreiber Plinius berichtet, die Dohle habe die Menschen die Fertigkeit des Getreideanbaus gelehrt. Sie sei so klug, dass sie die Reste von Getreide, die sie nicht fressen könne, in der Erde verstecke und im folgenden Jahr die inzwischen gewachsenen Ähren einsammle. Die Menschen hätten dieses Verhalten beobachtet und dann begonnen, auch Samen in die Erde zu legen – die Erfindung des Ackerbaus. Allerdings muss man hinzufügen, dass der Name Plinius nicht unbedingt für Zuverlässigkeit steht. Es gibt zwei von ihnen, zu unterscheiden in den Älteren und den Jüngeren, und der Ältere berichtete in seiner Naturalis historia, dass Elche keine Kniegelenke haben. Deshalb, so Plinius, lehnten sich die Tiere zum Schlafen an Bäume. Und die jagenden Germanen hätten diese Bäume heimlich angesägt, sodass mit dem Baum auch das Tier umgefallen sei und sich nicht wieder erheben konnte. So ein Quatsch. Fake news!
Aelian (170-235 n.Chr.) hingegen überliefert, dass bei den Thessaliern und Illyriern Dohlen in der biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt wurden. Sie fraßen die Eier der Heuschrecken und vernichteten so die Nachkommenschaft der Insekten, die den Feldfrüchten der genannten Völker Schaden zufügten. Für die Verminderung der Heuschreckenschwärme – und zum Anlocken der Vögel – bedankte man sich mit öffentlichen Fütterungen. Allerdings blieb die abgebildete Dohle jeden Tätigkeitsnachweis schuldig, sodass das Honigbrötchen nicht übereignet werden konnte.
Schon seit der Antike ist auch die Vorliebe der Dohle für gänzende Gegenstände bekannt. Cicero attackiert in einer Rede einen Prozessgegner, man dürfe ihm nicht mehr Gold anvertrauen als einer Dohle. Eine weitere Eigenschaft der Dohle, ihre „Schwatzhaftigkeit“, gab den Menschen des Mittelalters Anlass für allegorische Deutungen. Ihr Verhalten galt als Sinnbild für das leere Gerede der Philosophen oder für den verderblichen Wortschwall der Irrlehrer.
Der mittelalterliche Gelehrte Thomas von Cantimpré (1201-1270) spricht als erster von der Fähigkeit der Dohle, menschliche Stimmen nachzuahmen. Sie werde darin annähernd perfekt, wenn man sie schon im Kükenstadium unterrichte, und besonders in den Morgenstunden lerne sie begierig und nachhaltig. Diese Eigenschaft wird noch von Friedrich Naumann gerühmt, der im 19. Jahrhundert in seiner „Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas“ schreibt: „Wenn man sie jung aus dem Neste nimmt, sie mit Brot, Semmel, Insekten füttert, lernen sie verschiedene Worte ziemlich deutlich nachsprechen und vergnügen durch ihr Betragen, indem sie viel Verstand und Klugheit verraten, ganz ungemein.“ Der spezielle Gast reagierte jedoch nicht auf Ansprache.
Nur den wenigsten bekannt dürfte der Umstand sein, dass das Fleisch der Vögel ein Genuss ist. Naumann berichtete dazu: „Ihr Fleisch schmeckt gut, besonders wenn sie jung sind; viele essen es mit Appetit, viele aber nicht. Da es dem Fleisch der jungen Tauben gleich kommen soll, so soll dies zuweilen von betrügerischen Gastwirten benutzt werden.“ Selbst wenn nun finstere Gedanken in mir erwacht wären, hätte ich mangels Kenntnis betrügerischer Gastwirte keinerlei Möglichkeit gefunden, meine Beute abzusetzen.
Die Dohle ist, nun ja, geben wir’s zu, nicht der schönsten Vögel einer. Dennoch wäre sie mit einer List beinahe zum König der Vögel geworden, wie der berühmte Äsop in einer (historisch allerdings nicht belegten) Fabel berichtet. Darin heißt es, Göttervater Zeus wollte den Vögeln einen König geben und „setzte einen Tag fest, an dem sie vor ihm erscheinen sollten, damit er den schönsten von ihnen zum König einsetzen könnte. Dann versammelten sich die Vögel am Ufer eines Flusses, um sich zu säubern. Die Dohle, die sich ihrer Hässlichkeit bewusst war, machte sich daran, die Federn, die den anderen Vögeln ausgefallen waren, aufzusammeln. Sie verteilte die Federn auf ihrem Körper und befestigte sie. Auf diese Weise gelang es ihr, schöner zu werden als alle anderen Vögel. Der festgesetzte Tag kam, und alle Vögel erschienen vor Zeus. Auch die Dohle präsentierte sich, geschmückt mit Federn von jeder Farbe, und Zeus wollte sie schon wegen ihres glänzenden Aussehens zum König erklären, als ihr die entrüsteten anderen Vögel die jeweils eigenen Federn entrissen. So wurde die Dohle, entblößt, wieder zur Dohle.“
Als Moral fügt der antike Schriftsteller hinzu: „Dieses geschieht auch denen, die von Schulden leben: Solange sie das Geld der anderen haben, scheinen sie jemand zu sein; aber wenn sie es zurückbezahlt haben, sind sie wieder die, die sie vorher waren.“ Die deutsche Redewendung „sich mit fremden Federn schmücken“ geht auf diese Fabel zurück.
Sehr interessant. Hättest du, lieber Leser, es gewusst?
(Mit Material vom Nabu (Karl Wilhelm Beichert))
Wer den ganzen Tag in schwindelnder Höhe die Emmericher Rheinbrücke repariert, hat sich ein Honigbrötchen im Fly-In verdient. Oder nicht?
@ rd. „dolus,… Lateinischen … bedeutet Schmerz. heißt aber in der Sprache der Ornithologen Coloeus monedula“
hui … und noch ein paar Jahre eher als Ihre Schulzeit lag, behaupteten unsere Lehrer am Stein noch, dass „dolus“ ´Betrug´ bedeutete.
Aber Schmerz hin, Betrug her, egal, Dolormin hilft gegen Schmerzen 🙂
Nurl, die ganzen Rabenvögel sind irgendwie Betrüger und Diebe, denken Sie nur an die diebische Elster, pica pica, auch der Familie der Corvidae (Rabenvögel) zuzuordnen.
Allerdings hat sie sich sicherheitshalber neben Coloeus monedula noch einen zweiten Ausweis ausstellen lassen, in dem nennt sie sich Corvus monedula. Und ich weiss sicher, sie hat keinen Corvus xxx geheiratet.
Schmackhaft ? Diese kleinen Biester E S S E N ? ? ?
Mich hat einmal ein Koch in Frankreich überredet das „menue du jour“ , pigeons rôtis zu bestellen. Das war, als ich noch nicht wusste, was pigeons sind.
Das sind nämlich eine nicht endende Vielzahl von Knochen (oder besser Mini-Knöchelchen) im Mund, mit ein ganz wenig (zugegebenermassen wohlschmeckendem) Fleisch um die Knochen.
Und weil man von 1 Taube nicht satt werden kann, hat er gleich 3 Exemplare pro Person auf den Tisch gestellt.
J a m a i s! P l u s jamais !
@1 Star Das macht die Gesellschaft, im besten Sinne 😉
Schöner Beitrag, Herr Daute. Wird immer kauziger.