Dr. med. Heinrich Martens kannte mich lange Jahre besser als ich mich selbst, davon gehe ich zumindest aus. Für mich, als Kind, gab es Gott – der wusste alles -, dann kam lange nichts, und dann kam Dr. Martens. Meine Eltern wandten sich frühmorgens oder spätabends an ihn, wenn ich fieberte oder hüstelte. Selbstverständlich war er auch nach Praxisschluss zu Hause privat erreichbar, wenn die Eltern im Angesicht eines wimmernden Kindes nicht mehr weiter wussten. Es konnte gut sein, dass er sich dann noch eben in seinen silbernen Mercedes setzte und das Haus des Patienten ansteuerte, um persönlich den Genesungsprozess in Gang zu setzen.
Meiner Erinnerung nach, die an dieser Stelle zugegebenermaßen anekdotisch ausfällt, ließen sich die meisten Leiden meiner Kindheit mit drei Varianten von Säften behandeln: Melrosun, Gelonida und Ferro infant. Die Wahl zwischen den ersten Säften wurde getroffen, je nachdem, ob meine Mutter „etwas Natürliches“ einforderte oder die scheinbare Schwere der Erkrankung den Einsatz von „Chemie“ nötig machte. Manchmal wurde mir im Labor per Piekser in den Zeigefinger Blut entnommen. Wenn die Probe mal wieder zu wenig Eisen enthielt, erhielt ich „Ferro infant“.
Dr. Martens arbeitete und arbeitete und arbeitete.
Eine Serie von Hausbesuchen absolvierte er vor der morgendlichen Sprechstunde, eine weitere vor der nachmittäglichen. Das Wartezimmer war immer voll, meine Mutter gab mir den Tipp, so lange wie möglich die Kindersprechstunde am Dienstag zu nutzen – „da kommst du schneller dran“. Irgendwann wurde das natürlich peinlich, und ich wechselte in die Welt der Großen, inklusive der großen Welt, die sich mir darbot in den Zeitschriften des Lesezirkels. Ich bevorzugte die Illustrierte „Quick“ und war immer etwas vergrätzt, wenn ein anderer Patient sie mir weggeschnappt hatte.
Die Wartezeiten erschienen mir jungem Mann schier unendlich. Termine wurde nicht vergeben, es ging stur der Reihe nach, was dazu führte, dass es frühmorgens regelrecht einen Wettlauf zum Wartezimmer gab, das geraume Zeit vor Beginn des eigentlichen Praxisbetriebs geöffnet wurde.
Der Heilungsprozess setzte ein, sobald die Sprechstundenhilfe den Namen ins Wartezimmer rief. Auch im Vorzimmer herrschte ein lebhafter Betrieb. Zwei rote Stühle vor den Behandlungszimmern waren die nächste Etappe, die es zu erobern galt. Sie waren die Vorstufe zu dem Eintritt in eines der beiden Sprechzimmer, die durch eine Verbindungstür getrennt waren, sodass Dr. Martens hin- und herwirbeln konnte.
Saß man – endlich – in einem der beiden Behandlungszimmer, schweifte der Blick über dicht gefüllte Bücherregale mit medizinischer Fachliteratur. Man wusste sofort: Hier kann mir nichts Schlimmes passieren! Dann rauschte auch schon die Verbindungstür auf. Und rumms!, schloss sie sich hinter Dr. Martens, der unter seinem weißen Kittel gerne einen gelben Pullunder mit V-Ausschnitt trug.
Ein fester Händedruck, ein freundlicher Blick, Oberkörper freimachen, kurz abhorchen oder abtasten – all dies in dem sicheren Gefühl, das vor einem der versierte Körperfachmann stand, der das schwächelnde Gewebe zu reparieren verstand. Dr. Martens nahezu unveränderlicher Gemütszustand war unverwüstliche Zuversicht. In Windeseile stand die Diagnose – natürlich nichts Ernstes, kein Krebs, Gott sei Dank! -, ein Rezept wurde ausgestellt und man war wieder auf dem Rückweg in die glückliche Gemeinschaft der Gesunden.
In meinen Jungmannjahren gab es bei meinen Besuchen in der Praxis stets noch ein, zwei freundliche Sätze für den weiteren Lebensweg. Beispielsweise erinnere ich mich, wie Dr. Martens, frisch zurückgekehrt von einer Reise nach China, mir berichtete, dass dort der Kommunismus die einzig mögliche Herrschaftsform sei. Oder, dass er abends vor dem Schlafengehen noch stets eine Stunde lese, was er auch mir empfahl – und was mir angesichts seines Arbeitspensums geradezu phänomenal erschien.
Nur wenig war bekannt über den privaten Menschen Dr. Martens. Er sammelte Oldtimer, jede Form von Luxus aber blieb ihm zeitlebens fremd. In den Pausen des Praxisbetriebs konnte man ihm schon mal eine Zigarette rauchen sehen. Manchmal fuhr er mit Klever Freunden auf die Lofoten, um dort auf hoher See zu angeln. Als es ihm noch besser ging, spazierte er auch gerne sonntags durch den Klever Forstgarten, in Begleitung seiner Frau Adelheid, ebenfalls Ärztin und auch in der Praxis aktiv.
Vor vielen Jahren erlitt Dr. Martens einen schweren Herzinfarkt und musste wochenlang in Aachen im Uniklinikum behandelt werden. Aber er erholte sich davon und arbeitete einige Zeit später wieder wie gewohnt.
Heinrich Martens stammte aus einfachen Verhältnissen, Kinderfreunde aus Kleve nannten ihn wegen seiner roten Haare und nach der Familie seiner Mutter „de rooie Does“. Er studierte nach dem Abitur am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Köln und Freiburg Medizin und arbeitete zunächst in Krankenhäusern in Freiburg, Heinsberg und Paderborn, bevor er 1963 seine Praxis an der Hoffmannallee eröffnete. Vor einigen Jahren übergab er sie an seinen Sohn Christian.
Zehn Tage vor seinem 85. Geburtstag ist Heinrich Martens in der vergangenen Woche nach einem erfüllten Leben friedlich entschlafen. Er hinterlässt Frau und drei Kinder. Über seine Todesanzeige stellte die Familie den lateinischen Sinnspruch „Aliis inserviendo cresco, floreo“. Übersetzt heißt das: Indem ich anderen diene, wachse und blühe ich.
Dr. Martens war nicht ein Hausarzt, er war der Hausarzt schlechthin.
Dr. Martens, eine Legende: der Mann – und nicht zu vergessen, seine weitaus weniger ruppige Frau – hat schon meine Großeltern behandelt, meine Eltern und dann meinen Bruder und mich.
Genau wie oben beschrieben: nach zwei Stunden Wartezeit endlich dran, kurz abhören, kurzer Blick, Diagnose, Rezept und wieder raus. War man jedoch wirklich krank, war er Tag und Nacht erreichbar und schneller da als jeder Krankenwagen.
Toller Arzt!
zu seiner Sammlung gehörte etwa ein Facel Vega – ein wirklich extrem seltenes Fahrzeug.
Wenn einer wie Dr. Martens „geht“, dann kommt unweigerlich das Gefühl, selbst älter geworden zu sein. Diesen Arzt kennt fast jeder in Kleve. Es fallen einem aber auch sofort andere Ärzte/Doktoren ein, welche immer noch Ihren Dienst versehen/arbeiten oder aber nicht mehr unter uns weilen. Dann kommt zumindest mir die Erkenntnis, dass es doch wirklich sehr gute Ärzte in Kleve gibt und gab!
Ein Problem wird mit Sicherheit der Nachwuchsmangel an „sog.Hausärzten“ werden!Dieses liegt aber nicht am Mangel an Ärzten, sondern vielmehr an „geopolitischen“ Dingen. Eine Praxis zu übernehmen,aufzubauen scheint in unserer Gegend (Niederrhein) wohl nicht so erstrebenswert zu sein. Ich kenne mich da nicht gut aus, habe aber in der RP diesbezüglich vor gar nicht langer Zeit einen Artikel gelesen.
Mein Beileid gilt der Familie um Dr.Martens und dazu kommt ein hoffen, auf Ärzte, welche in seine Fußstapfen treten.
schön beschriebener Nachruf. Auch für mich schöne Erinnerung an Kindheit und Jugend, wo er mich oft behandelt hat. Seine Praxis bleibt ein großes Stück Heimaterinnerung für mich, wenn ich dort vorrübergehe. Er wird bei mir sein, auch wenn er schon im Himmel ist. Ich sehe von der Erde aus, wie er mich noch wieder heilen will
Er war auch mein Arzt und hat so manche Nacht für mich geopfert und mir dabei mehrfach das Leben gerettet. Danke Hein Martens.
Jetzt schreibt der Daute auch noch Arztromane
Nu issa im Himmel😇 Der gute Heinrich war nicht nur der beste Hausarzt, sondern auch noch ne klasse Hebamme.
Schließlich hat er mich auf die Welt gebracht, und sein ganzes Leben um mich gekümmert. Natürlich nur bis zur Rente:-) Ich sagte immer, der Kerl hat Röntgenaugen, so genau waren seine Diagnosen.
Heinrich, mach et juut, bring den Himmel auf VordermannðŸ‘😇
Er war der beste Hausarzt den man sich wünschen konnte.Er war Tag und Nacht zur Stelle wenn man Ihn brauchte.Er hat meinen Vater wieder ins Leben zurück geholt wie er schon klinisch Tod war dafür danke ich Ihm heute noch.Er hat danach noch so viele Jahre gelebt dank seiner schnellen Hilfe er war was besonderes.Einfach ein Mensch wie du und ich.Danke dafür und Ruhe in Frieden
Schöner kann man einen Text nicht schreiben.
Auch wenn wir als Kinder immer Angst hatten, wenn er zu uns nach Hause kam….. und uns mit seinen für uns Kinder Riesen Riesen Händen untersuchte, war er der beste Hazsarzt aller Zeiten🙂
Dr. Martens – eine Legende!
Ich erinnere mich, dass Schwiegermutter
damals,vor ca. 50 Jahren berichtete, dass Doc
Martens zur Nachtzeit von ihr benötigt
wurde und dieser nicht nur in seinem
alten Mercedes, sondern auch im Schlaf-
anzug unterm Mantel und einer gestrickten
Zipfelmütze auf dem Kopf in kürzester
Zeit angebraust kam. Er war stets für
einen Lacher gut und alle Klever kannten
ihn. Er war als Mensch und als Arzt eine
echte Bereicherung für die Klever
Bevölkerung. Möge er in Frieden ruhen.
Mein erster Arzt, den ich mir als Jugendlicher in den 70´Jahren selber aussuchen konnte. Klasse Mann und Mediziner, ein begnadeter Diagnostiker und begnadeter Mensch mit trockenem Humor. Meine größte Hochachtung für Ihn!!!
Ich weiss noch das es Sonntagmorgen bei uns gegen 7.00 Uhr sturm klingelte. Meine Mutteröffnete die Türe, würde freundlich begrüßt von Dokter Martens, der schnurstracks ins Schlafzimmer meiner Eltern lief, und zu meinem Vater sagte; Jan,ich brauche ein Farbband für meine Schreibmaschine….. dieser stand völlig verdattert auf, holte das gewünschte…. und schwup die wupp war Doc Martens wieder weg. Ein herrlicher Mann.
Ich erinnere mich, dass ich als junger Bursche nach längerer Wartezeit endlich im Behandlungszimmer saß. Er kam herein, schnappte sich eine Schachtel Zigaretten und sagte: „Jetzt gehe ich erst mal dahin, wohin auch der Kaiser zu Fuß geht.“
Er war der beste Arzt in meiner Kindheit und bin mit seinem Sohn in die Klasse gegangen:
Als junger Bursche bat mich der Doc ich möge mich in einem Raum wieder ankleiden. Ich öffnete die Tür und vor mir stand eine halbnackte ältere Dame. Ich war völlig erschrocken und sagte: „Herr Martens de steht ne nackte Oma.“ Er antwortete: „Steld o ni so on Jong Kont is Kont.“
Werde ich nie vergessen. 😂😂😂
War auch als Kind bei ihm. Ein Klasse-Typ.
Seine Familie auch.
Der Gustav Hoffmann der Klever Ärzteschaft.
Danke. 🙂