Unterschätzte Orte: Schwanenstuben

Der spröde Charme der frühen 70-er Jahre 
Der spröde Charme der frühen 70-er Jahre

Ein typisches Mittagsmenü in den Schwanenstuben, dem an die Klever Stadthalle angeflanschten Restaurant, das in den ersten zwanzig Jahren seines Bestehens mindestens ebenso viele Pächter verschlissen hat, kostet 7,50 Euro und besteht aus drei Gängen, die beispielsweise so heißen:

  • Kohlrabischaumsuppe
  • Lachs im Dialog mit Küstendorsch
  • Crème Caramel

Der Hauptgang ist für heutige Verhältnisse manchmal eine Spur zu fettig, aber das ist nicht weiter schlimm, weil wer mittags dort speist, will vor allen Dingen das Ambiente einer untergegangenen Ära verschlingen. Die letzten Ritter des Imperiums der Freiberufler (Ärzte, Rechtsanwälte, Autoren) zelebrieren dort in beharrlicher Verweigerung aktueller Entwicklungen eine Mittagskultur, die es zulässt, dem Arbeitsplatz länger als eine oder zwei Stunden fernzubleiben und entsprechend betankt nachmittags mit neuem Elan durchzustarten, Schriftsätze zu schreddern oder Artikelchen zu schreiben.

Zugleich erlebt der Gast die Anmutung einer Dienstleistungskultur, wie sie 1989 im Orkus der Weltgeschichte verschwand (z. B. Café Moskva, Karl-Marx-Allee). Dazu muss gesagt werden, dass die Schwanenstuben seit vielen Jahren vom Berufsbildungswerk Theodor-Brauer-Haus als Lehrrestaurant betrieben werden, was den Verzicht auf die üblichen peinigenden Rationalisierungszwänge der Branche ermöglichte. So hat es in den Schwanenstuben noch den Anschein, als sei jedem Tisch ein eigener Kellnertrupp mit klar gegliederten Zuständigkeiten (Bestellung, Brotkorb, Getränke, Essen) zugeteilt. Zusätzlich stehen immer ca. drei weitere Kollegen am Tresen, die entweder darauf spezialisiert sind, neu eingegangene Bestellungen weiter durchzureichen oder die Arbeitswege der mobileren Kollegen zu analysieren.

Der Ausbildungssituation sei auch eine zeitweise auftretende Unbeholfenheit des Personals geschuldet, die sich beispielsweise in Dialogen wie diesem niederschlägt:

– „Ich würde lieber einen Tisch am Fenster nehmen.“

– „Das geht leider nicht.“

– „Warum denn nicht, die Tische sind doch alle frei?“

– „Ja, aber sie sind nicht eingedeckt.“

– „Könnte man denn nicht vielleicht einen eindecken?“

– „Da muss ich erst fragen…“

Es ging natürlich, und dem Leser sei versichert, dass mich solche Arhythmien in einer Welt stromlinienförmiger Callcenterfreundlichkeit nicht im Geringsten stören und ich sie im Gegenteil sogar liebenswert finde. So wie auch die Einrichtung der Schwanenstuben einen jeden Menschen, der den Abriss des Palastes der Republik bedauert, für kurze Zeit höher schlagen lassen dürfte: dunkelbraune Wände aus Palisanderholz (?), eine beigefarbene Kassettendecke aus achteckigen Kunststoffwaben, frugale Stahlrohrstühle mit hölzernen Sitzlehnen und schreiend roten Bezügen sowie quadratische Speisetische auf einem eisernen Untergestell mit Kreuzfuß. Wann hat man das zuletzt gesehen? Die Baumarktleuchten auf dem Foto sind neueren Ursprungs, die Originale waren besser. Die Kerzen usw., naja, es geht offenbar nicht mehr anders. Trotzdem, insgesamt ein klarer Fall von: Kleve, 12 Punkte!

p.s. Die Butter ist immer zu kalt.

Nachtrag: Den jeweils aktuellen Speiseplan findet man hier (pdf).

Deine Meinung zählt:

7 Kommentare

  1. 7

    So ist das, super tolles Essen, nettes Personal und Super Chefs. 😉
    So mancher Laden kann sich da heute ein Beispiel dran nehmen..
    Einen besseren Ausbildungsbetrieb gibt es nicht, danke für alles!

     
  2. 6

    Das TBH-Speiserestaurant ist einfach genial! Das Essen könnte nicht besser sein und es hat was, wenn man die Getränke schon mal über die Jacke gekippt kriegt. Außerdem ist es preislich unschlagbar günstig, was „normale“ Gastronomiebetriebe natürlich nicht so gern sehen. Ãœber die Internetseite des TBHs kann man sich übrigens auch die Speisekarte ansehen, meines Wissens kann man sogar in einen Mailverteiler. Ist aber nicht nötig, denn es schmeckt IMMER TOLL!

     
  3. 5

    Hallo, das erinnert mich an die schöne Kieselwand und die tollen Hängelampen bei Piva und Panciera (hoffe das ist richtig geschrieben)