Das herrenlose Elektromobil vom Hasenberg

Steht da (11.11.)

Um es vorweg zu sagen: Diese Geschichte wird dich, lieber Leser, genau so ratlos zurücklassen wie mich, der ich sie gerade schreiben und mir eigentlich nur sicher darin bin, dass eine Geschichte ist, die auch etwas über unsere Gesellschaft sagt. Wobei, zu einer Geschichte gehört normalerweise auch ein Ende, aber das kann ich nicht präsentieren. Fangen wir also vorne an und erzählen so weit, wie wir kommen.

Steht da (15.11.)

Ein nächtlicher Heimweg zu Fuß steht am Anfang, und kurz vor der Haustür, an der Ecke Große Straße/Hasenberg erblicke ich ein offensichtlich herrenloses Elektromobil, denn weit und breit hat kein Geschäft und hat keine Gaststätte mehr geöffnet. Kann es sein, dass der Besitzer oder die Besitzerin vielleicht noch halbwegs gut zu Fuß war und in Gedanken einfach den Rückweg zu Fuß angetreten hat? Oder nach dem Kaffeetrinken bei Heicks & Teutenberg von einem Freund mitgenommen wurde? Solche Gedanken schießen einem in den Kopf, und man denkt, am nächsten Tag wird das Gefährt verschwunden sein, und die Sache ist keiner weiterer Erörterung wert.

Steht da (17.11.)

Allein, es vergingen zwei, drei, vier, fünf Tage, ohne dass das Elektromobil seinen Standort auch nur um einen Zentimeter veränderte. Beim Brötchenkauf der erste Versuch einer Aufklärung, und, ja, die Heicks-Verkäuferin wusste Bescheid. Das Fahrzeug gehöre einer Kundin, die im Café einen Schwächeanfall erlitten habe und von einem Rettungswagen zum Krankenhaus gebracht worden sei. Der Name der Kunden sei nicht bekannt, das Elektromobil sei in Absprache mit der Polizei nach draußen gestellt worden. Der Vorfall ereignete sich etwa vor zwei Wochen, am 11. November habe ich das Mobil erstmals fotografiert, aber da war es mir schon ein paar Tage lang aufgefallen.

Steht da(18.11.)

Was aber sagt es uns, wenn das Elektromobil zwei Wochen unbeachtet dort steht (der Korb am Lenker wird mittlerweile als Papierkorb genutzt)? Lebt die Besitzerin noch (hoffentlich!), geht es ihr besser (hoffentlich!)? Zweifel an der Genesung sind jedoch angebracht, denn offensichtlich ist sie ja (noch) nicht in der Lage, ihr Elektromobil wieder zu nutzen. Gibt es einen Mann? Gibt es Kinder? Gibt es Verwandte? Gibt es Freunde, die um ihren Zustand wissen und sie so gut kennen, dass sie nach dem Verbleib des Elektromobils forschen können? Offensichtlich muss auf alle vier Fragen mit Nein geantwortet werden, offensichtlich lebte die Frau allein, vielleicht einsam. Wir wissen es nicht. Wie lebt es sich, wenn man weiß, dass einen niemand vermissen wird? Was passiert mit den Zimmerpflanzen (falls vorhanden), was mit der Katze (falls vorhanden)?

Steht da (20.11.)

Es ist davon auszugehen, dass die Frau die bestmögliche medizinische Versorgung erhalten haben wird. Aber wie steht es um die alltägliche Versorgung mit all dem, was den Menschen zu seinem sozialen Wesen macht? Begegnungen, Freundschaften, Bekanntschaften? War die Tasse Kaffee bei Heicks das letzte Refugium, das die unbekannte Frau mit der Welt vernetzt hat? Und ist ein verlassenes Elektromobil am Hasenberg das letzte Zeugnis, das davon geblieben ist?

18 Kommentare

  1. 18

    Das ist eine grobe Fahrlässigkeit der Servicemitarbeiter von „wir-kaufen-deine-oma.de“. Die haben die Oma im Cafe´entgegengenommen und einfach vergessen, das Elektrofahrzeug mit einzuladen.

     
  2. 17

    ?? Diskussion Ende + Bingo ? ? Hatte eigentlich mit konservativer Mentalität mehr feinste „Totschlag Phantasien“ ? von Links … ? erwartet . ? ? ?

     
  3. 15

    TL:DR
    Ich kenne genau diesen Tpy Scooter und habe ihn bei einem Händler probegefahren. An alle potenziellen Käufer: Laßt bloß die Finger davon. Zu schwer, zu alte Technik (vergossene Blei-Zink Akkus), und zu störrisch in der Bedienung.

     
  4. 13

    Massiv zunehmende Alters Armut , Quelle der Einsamkeit, Selbstmorden im Alter ist in Parteien + Gesellschaft so gut wie kein Thema. Da ist der alte Mensch nur nutzloser Ballast für ein fleißig geschändete Sozialsystem .Ich empfehle dem sozialistischen DEMOKRATEN ? als hilfreiche Therapie den Film (1973 )“Soylent Green“.?? By the way ! Der ehem. Bw „Kommandeur Fahrer“? hat 75 Panzer der Angriffswaffe Leopard 2 A8 ,…29,2 Millionen pro Stück bestellt ,das freut mich ??, die von Leben+ Staat besch…..? verarmten alten Menschen sicher auch.

     
  5. 12

    Na ja, wenn jemand bewusst alleine leben möchte, heißt das nicht, dass das Einsamkeit bedeutet. Es kann auch Reichtum an eigener Identität und Selbstständigkeit bedeuten, die man sehr genießen kann.
    Man kann natürlich auch in einem Familienverbund oder in einer Partnerschaft sehr einsam sein.

     
  6. 11

    Einsamkeit ist immer noch ein Tabu-Thema.

    Dabei ist Einsamkeit weit verbreitet, auch unter jüngeren Menschen. https://www.tk.de/presse/themen/praevention/gesundheitsstudien/einsamkeitsreport-60-prozent-kennen-einsamkeit-2187212
    https://gennow.de/zwischen-einsamkeit-und-impact-wie-einsamkeit-das-engagement-junger-menschen-beeinflusst/

    Kaum jemand würde die Frage „Wie geht’s dir?“ mit „Ich fühle mich einsam“ beantworten. Am ehesten noch nach einem Umzug in eine andere Stadt oder nach dem Tod eines nahestehenden Menschen. Dann hat man einen allgemein nachvollziehbaren Grund, einsam zu sein, denken viele. Aber selbst dann geht das Wort „einsam“ nicht gut über die Lippen.

    Dauerhafte Einsamkeit ist ein Problem, das neben sozialer Isolation auch zu chronischen Erkrankungen führen kann.

    Man kann sich auch unter Menschen einsam fühlen, wenn man nicht wirklich gesehen, vielleicht sogar ignoriert, nicht akzeptiert, abgewertet etc. wird. Wenn einem keiner beisteht, wenn es keine praktische Unterstützung gibt. Wenn es schwierig ist, um Hilfe oder auch nur ein Gespräch zu bitten. Wenn sich den ganzen Tag keine Gespräche oder Begegnungen ergeben.

    Erinnern wir uns daran: Einsamkeit betrifft uns fast alle irgendwann im Leben. Bei den meisten verflüchtigt sich dieses Gefühl dann schnell wieder, weil sie wissen, was sie dagegen tun können.

    Wer schon als Kind Einsamkeit kennengelernt hat, findet diesen Zustand oft eher normal, es ist dann sozusagen der Grundzustand. Die damit oft einhergehende (latente) Melancholie kann eine Quelle von Kreativität sein, aber sie kann auch dazu beitragen, als Erwachsener einsam zu sein bzw. zu bleiben.

    Es ist wichtig, ein Gefühl von Selbstwirksamkeit zu entwickeln – die Überzeugung, aus dem Zustand der Einsamkeit selber herauszufinden durch Aktivitäten. Auch manches Kunstwerk ist so entstanden.

    Aber Aktivitäten sind schwierig, wenn Krankheit und andere Einschränkungen dazu kommen.

     
  7. 8

    Mir gefällt der Duktus der Kommentare, denn hier geht es um das Miteinander, um das Gebot der Rücksichtnahme und um Zuwendung zu den Menschen in unserer Gesellschaft, die keinen redensartlichen „Platz an der Sonne“ für sich beanspruchen können.

    Die Geschichte vom herrenlosen Elektromobil ist hier ein inspirierender Impuls und ich hoffe sehr, dass es der Dame gelungen ist, das Krankenhaus wohlgenesen wieder verlassen zu und nicht in der Prosektur des Hospitals enden musste.

    Ja, dort bin ich berufich bedingt regelmäßig und auch an anderen Orten, wo die sterblichen Überreste der Menschen sind, die es nicht geschafft haben. Jeder dieser Menschen hat eine Geschichte, dessen Ende ich nicht immer im Detail erfahre, weil sie niemand erzählt. Aber gerade solche Geschichten der letzten Tage, der letzten Stunden, Minuten, Sekunden etc sind meist so wirksam, dass es unumgänglich ist, den Blickwinkel auf unsere Gesellschaft zu ändern. Ebenso wie solche Geschichten, dessen Ende keiner erzählt. Ich bin über das herrenlose Elektromobil weit hinaus. Und aus meinem persönlichen Gesellschaftsbild heraus stimme ich den Kommentatoren zu. Ich begegne in meinem Berufsalltag immer wieder Menschen, die sich alten, einsamen Mebschen zuwenden, sie begleiten und sich schliesslich um dessen Bestattung kümmern (um eine anonyme ordungsbehördliche Bestattung zu umgehen) und das ohne Hintergedanken, sich den Nachlass dieser Menschen zu sichern. Diese Selbstlosigkeit berührt mich immer wieder und auch diese Menschen haben Geschichten. Solche, die mir erzählt wurden. Ich würde sie gerne alle irgendwie publizieren wollen, aber ich lasse es sein.

    Wir alle sollten uns mehr den Menschen zuwenden, aufmerksam sein, freundlich, hilfsbereit und stets besorgt um diejenigen zu sein, denen es weniger gut geht.

    Es ist so einfach, hilfsbereit zu sein und sich für Menschen einzusetzen. Es können daraus tolle Begegnungen, schöne Kontakte und Verbindungen entstehen. Selbstlosigkeit ist keine Schwäche, sie ist vielmehr Ausdruck von Stärke.

    Hoffen wir, das rd schob bald ein gutes Ende dieser Geschichte vom herrenlosen Elektromobil hinterherschickt…

     
  8. 6

    ….und warum wurde das Elektromobil nicht nach innen befördert, um es vor Diebstahl, Vandalismus oder Kälte zu schützen? Oder verhält es sich mit diesem Gefährt anders als mit Automobilen, deren Batterie , wenn sie länger draußen stehen, auf defekt schalten. Schließlich soll die Dame flexibel und unabhängig bleiben, was ihr zu wünschen ist. Über Katze, Hund, Vogel, Pflanzen, Post, Kühlschrank, Heizung …. mag ich nicht weiter nachdenken. Mannoman. Wo sind unsere Werte geblieben?

     
  9. 5

    Für die Besitzerin sicher ein wertvoller Besitz. Der Bericht dazu ?? erzählt laut von Einsamkeit ,Alleinsein der sich zunehmend ausbreitenden „EPIDEMIE im VERBORGENEN“ in einer weitgehend gleichgültigen ,an Nöte +Sorgen anderer desinteressierten „kultivierten zivilisierten Gesellschaft.“???

     
  10. 4

    Es gibt Menschen, die sehr oft im Leben durch andere Menschen, denen vertraut wurde, enttäuscht wurden. Auch das kann ein Grund sein, lieber, mit allen Konsequenzen, alleine zu leben.

     
  11. 3

    Sehr schön gesagt, Steve Bay.

    Man muss sich nur mal vorstellen, wie ist ist, dauerhaft in der Mobilität eingeschränkt zu sein. Wer davon betroffen ist, kann nicht mal eben dahin oder dorthin gehen. Es ist wahrscheinlich immer ein ziemlicher Kraftakt, mental und physisch. Und wenn diese Menschen vorher schon wenig soziale Kontakte hatten, wird es dann sehr schwierig.

    Genau hinsehen ist ein guter Ansatz. Menschen ansehen. Eigentlich immer und überall.

     
  12. 2

    Wenn ein Mensch krank wirkt, wenn jemand allein ist oder die Einsamkeit zwischen den Zeilen mitschwingt, dann sollten wir nicht wegsehen. Ein kurzer Blick, ein leises „Alles in Ordnung?“, ein Moment echter Aufmerksamkeit – mehr braucht es oft nicht, damit jemand spürt, dass er nicht unsichtbar ist.

    Wir wissen nie, welche Last ein anderer Mensch gerade trägt. Aber wir können dazu beitragen, dass sie ein wenig leichter wird, wie ich finde

    Ein offenes Wort,
    ein freundlicher Gruß,
    ein kleines Zeichen von Nähe:

    Das ist oft mehr Hilfe, als wir selbst glauben.

    Lasst uns hinsehen. Lasst uns zuhören. Und lasst uns Menschen bleiben – gerade dann, wenn jemand schwach, einsam oder verloren wirkt.

     
  13. 1

    Ich glaube, diese Frau ist eine von vielen, einer von vielen Menschen, deren Alleinsein, Einsamkeit nicht weiter auffällt, wenn kein Elektromobil zurückbleibt.

    Deshalb sind Cafés so wichtig. Sie bieten für drei Euro die Möglichkeit, bei einem warmen Getränk einen Platz unter anderen Leuten einzunehmen und sich vielleicht, hoffentlich ein bisschen weniger einsam zu fühlen.