So ein Kreis so wunderschön wie heute

Gelebte Diskussionsfreudigkeit im Kreis Kleve

Nun, ich gestehe, alles kriege auch ich nicht mit. Zum Glück gibt es aber immer wieder wohlmeinende Menschen, die mich auf die eine oder andere Preziose hinweisen, wie zum Beispiel auf den zwölf Minuten und 53 Sekunden langen Imagefilm des Kreises Kleve, der auf dessen Website frei verfügbar angeschaut werden kann (hier der Link dorthin). Das Werk ist gelebte Staatsbürgerkunde, es ist das reinste Kabinett der Kostbarkeiten – und das auch noch mit Spezialeffekten! Zum Beispiel, lieber Leser, rate doch einmal, welcher Mensch nach 37 Sekunden gezeigt wird, wenn der Sprecher im Off zu schwurbeligen Sphärenklängen von »Toleranz« redet?

Gleich am Anfang machen einen die Wörter geradezu schwindlig: »In der Bedeutung eines Kreises geht es um Zusammenhalt, um nachbarschaftliche Gemeinschaft in Städten, Dörfern und auf dem Land. Es geht um die Identifikation von Menschen innerhalb eines historisch gewachsenen Lebensraums. Im Kreis Kleve ist der Mentalität der Menschen geprägt von Toleranz und modernem Zeitgeist verbunden mit lebhafter Diskussionsfreudigkeit und dem Bewusstsein für Tradition und Bodenständigkeit. Das pulsierende, andererseits aber auch beschauliche Leben im Kreis Kleve mit 308.000 Menschen in 16 traditionsreichen Städten und Gemeinden garantiert eine erlebnisreiche Atmosphäre, die zum Wohlfühlen einlädt.«

Identifikation! Historisch! Toleranz! Modern! Zeitgeist! Diskussionsfreudigkeit! Tradition! Bodenständigkeit! Pulsierend! Beschaulich! Traditionsreich! Erlebnisreich! Um mit der Metzgereifachverkäuferin zu sprechen: Darf’s ein bisschen mehr sein?

Das Verhältnis der im Bild gezeigten Rentner zu Kindern und zu Erwachsenen im berufstätigen Alter beträgt gefühlt 50 zu 5 zu 0.

Als Thema ist der Verkehr dominant: »Der Rhein als wichtige Schifffahrtsstraße gewährleistet wie hier am intermodalen Frachterminal in Emmerich am Rhein über Schiffsshuttle die Städteverbindung mit den wichtigsten Häfen im Westen – Rotterdam und Antwerpen. Neben dem Düsseldorfer Flughafen ist der internationale Airport Weeze für den Kreis Kleve und die Region von großer Bedeutung. Der drittgrößte Airport in Nordrhein-Westfalen ist bereits heute Start- und Ziel für 2,5 Millionen Touristen und Geschäftsreisende pro Jahr. (…) Darüber hinaus entwickelt er sich zu einem euregionalen Zentrum für Logistik und Gewerbe. Der Airport Weeze garantiert damit Wertschöpfung und Beschäftigung im wirtschaftlich bedeutsamen Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Deutschland.«

Und weiter: »Diese einzigartige Kombination der Verkehrsträger – Straße, Schiene, Wasser und Luft – bietet ideale Chancen für erfolgreiches Wirtschaften.« Zu Schiene, wir denken an die nichtexistente Bahnlinie Kleve-Nimwegen und die Nordwestbahn, wird m. E. ein ICE gezeigt – das sind die Züge, die mit Tempo 200 durch Emmerich rauschen.

Sehr schön auch: »Neben den Natur- bieten auch die Kulturlandschaften eine Vielfalt, die in jeder Hinsicht einen Ausflug wert ist – wie hier im südlichen Kreisgebiet, einem der größten Gartenbaugebiete in Deutschland. Wer einmal hier war, kommt immer wieder.« (Dazu sind Spargelstecher im Bild zu sehen.)

»Wirtschaftliche Attraktivität, intakter Lebensraum und die Fürsorge für Mensch und Natur – das ist die zentrale Aufgabe, die durch die Maßnahmen für ein bestmögliches soziales und politisches Zusammenleben im Kreis Gestalt annimmt.« Und wem haben wir diese Maßnahmen zu verdanken? Richtig, der Kreisverwaltung. »Sie entscheidet in vielen Fragen, die das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger erleichtern, sicherer machen und lebenswerter gestalten. Die Umsetzung dieser Aufgaben wird durch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewährleistet. Überall gibt es etwas zu organisieren und bereitzustellen. Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung und ein Angebot an kulturellen Veranstaltungen gibt es im Kreis Kleve in großer Zahl. Über das Jahr verteilt haben sie große Anziehungskraft auf die Bürgerinnen und Bürger und Touristen. Die Kreisverwaltung trägt zudem durch die Förderung von Vereinen und den Ausbau des Radwegenetzes zum vielseitigen Freizeitangebot bei.« (Dreimal im Bild: Landrat Spreen.)

Das Schlusswort entnehmen wir ebenfalls dem Beitrag: »Die Menschen im Kreis Kleve – sie füllen die Region mit Leben, eine Region mit vielen Besonderheiten, einer interessanten Kultur, einer traumhaften Landschaft. Alles passt zusammen und ist zu einem homogenen Lebensraum gewachsen. Und das Besondere ist die positive Perspektive, die der Lebensraum entlang der Flüsse auf lange Sicht bietet.«

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

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11 Kommentare

  1. 11

    4:11m mehr ging nicht. Danach musste ich mich kurz übergeben. Schönrednerei ist ja ein noch eine famose Untertreibung für das was man da sieht.

     
  2. 9

    @Exilant
    Also ich habe bis 3:11 durchgehalten, man kann ja wirklich von durchhalten sprechen :-DDD. Es ist halt Reklame! Die Realität ist anders, aber das kennen wir ja, oder?

     
  3. 8

    @Ralf
    Wie gut trifft es sich da, dass wir Demokraten sind. Gedöns und Preussens Gloria sind Gott-Sei-Dank eines Erlasses des alliierten Kontrollrats perdu. Dann sparen wir auch richtig Euronen, wenn Fritzes Nachfolgerin mitsamt Kanzleramts-Gespenst und dem Kulturetat-Killer Mark Rutte den Museumskeller eröffnet. (Nein, Rutte kommt nicht mit dem Zug -wie denn auch?)
    Egal der Landdroste und der Meisterbürger werden sich schon in Szene setzen und für den Rest vor Mutti devot katzbuckeln. Spätestens da sind wir wieder beim alten Fritz.

     
  4. 7

    Wobei der FAZ-Artikel FdG nicht unbedingt die Kompetenz zur Beurteilung streitig macht.

     
  5. 6

    @ Bernd Derksen
    Quelle:
    Kurt Huch: „Im Rausch gezeugt – maliziös wie der Teufel“. Die Klever im Urteil ihrer preußischen Landesherren.
    Kalender für das Klever Land – Auf das Jahr 2002, Kleve 2001, S. 79 ff

    Ein Auszug:
    Im Urteil über andere Völker oder die Bewohner seiner eigenen Provinzen kehrt diese Abgewogenheit wieder: »Die Pommern haben etwas Ungekünsteltes in ihrem Charakter. Sie würden nicht ohne Geist sein, wenn sie besser gebildet wären, niemals aber werden sie schlau und verschlagen sein.« Ähnlich werden (in den politischen Testamenten von 1752 und 1768) bei Ostpreußen, Märkern, Magdeburgern, Schlesiern, Mindenern Licht- und Schattenseiten unterschieden. Nur eine Gruppe von Untertanen trifft Friedrichs Zynismus ganz ungefiltert:

    »Die Klever sind schwachsinnig, wirr- und im Rausch ihrer Väter – gezeugt; sie haben weder natürliche noch erworbene Begabungen.«

    »(Ihr) Adel ist zu sehr dem Wein ergeben und hat beinahe den Verstand versoffen; das sind diejenigen Untertanen, aus denen man am wenigsten Nutzen ziehen kann.«

    Auffällig an diesen Urteilen ist: Sie stehen in der Auflistung der Volksgruppen stets am Ende; sie sind im Umfang die bei weitem knappsten, und sie werden nirgendwo begründet. Es ist, als bereite es dem König heftigen Widerwillen, sich mit diesen nutzlosen Untertanen näher zu befassen. Dies wird bereits deutlich in seiner Reaktion auf die Huldigung der klevischen Landstände 1740, drei Monate nach Regierungsantritt: Friedrich verbittet sich eine größere Zeremonie, lässt die Ständevertreter drei Tage warten, nimmt dann in einer kurzen Audienz die Liste der ständischen Gravamina entgegen und steckt sie ungelesen in die Tasche. »Auf eine Anfrage der Stände ließ ihnen der König zur Antwort geben, sie möchten sich nicht länger in Wesel aufhalten, sondern nach Cleve zurückkehren und den Landtag zu Ende bringen.«

    Woher rührt diese Verachtung, dieser generalisierte Degout bei einem König, der gerade die Gleichbehandlung aller Untertanen immer wieder zur Maxime seines Regierungshandelns erklärt und seinen Beamten einzuschärfen nie müde wird? Die Szene in Wesel lässt ahnen, dass Friedrichs Einstellung nicht das Resultat einer längeren rationalen Auseinandersetzung mit klevischen Verhältnissen ist (die er aus eigener Anschauung kaum kennt), sondern ein Vorurteil, das bereits für den Kronprinzen feststeht und sich in dem König Jahr um Jahr verhärtet.

    Doch sind auch Vorurteile keine eingeborenen Ideen, sondern historisch entstanden. Eine wesentliche Entstehungsursache von Friedrichs antiklevischer Einstellung kann in der »Instruckcion wie sich mein Successor von der Kron Preussen nach mein tobt sich zu richten hat« gesehen werden, die sein Vater Friedrich Wilhelm I. im Winter 1722 eigenhändig für den damals Zehnjährigen niederschrieb. Auch hier werden, in übrigens fast gleicher Reihenfolge, die Völker des Preußenstaates charakterisiert; auch hier bekommen, ganz knapp und fast am Schluss, die Klever ihre volle Breitseite:

    »Wahs Klewe grafchaft Marck ist, sein die wassalle dume oxen aber Malicieus wie der deuffel. Auf ihre Privilegia sein sie sehr gesteuret … die Nacion ist sehr intrigandt und fals(ch) dabev und sauffen wie die bester (= Biester), mehr wißen sie nichts.«

    Immerhin gesteht der Vater, anders als der Sohn, ihnen Lernfähigkeit zu:

    »Wen ein Klewer sehr guhng (=jung) von hauße kommet und in Berlin erzogen wierdt alsdann Brave guhte geschickte Kerrels daraus werden, die mein Successor wohl gebrauchen kahn.«

    Bleibt dieser junge Klever jedoch, so lässt sich das Urteil umkehren, unter seinesgleichen, im klevischen Sumpf, so ist er für den Staatsdienst unbrauchbar, ein hoffnungsloser Fall.

     
  6. 3

    Jaja, der schöne Schein und die profane Wirklichkeit. Georg Kreisler ist zu Wien ein Lied eingefallen, dessen Titel ich mopse und verändere: „Wie schön wäre der Kreis, wenn es die Verwalter nicht gäbe.“

    Ãœbrigens hat unser Mega-Verkehrsexperte Spreen die Reaktivierung der Bahn nach Nijmegen abgelehnt. Er hält die Witzanbindung mit dem Bus für ausreichend. Im Kreis Viersen ist man da schon viel weiter. Aber wie sagte schon der alte Fritz anno Blumenkohl:“Taugt er was soll er nach Berlin, taugt er nichts soll er nach Kleve.“

     
  7. 2

    Oh mein Gott!! „Unser Kreis soll älter werden“?? – Was ist das für eine Fabel mit der guten Anbindung an den ÖPNV?! Ansonsten wurde wohl mehr Wert auf Bild-Text-Scheren und deren Vermeidung gelegt, als auf vernünftige Inhalte.

    Wen will man mit dem Film ansprechen?

    Ich muss zugeben, dass ich nur 2:40 durchgehalten habe!

     
  8. 1

    Selbstvermarktung, auch für den Kreis wichtig.
    ___
    Auch für mich tatsächlich ein ICE. Schon peinlich, da man in einen solchen Zug nirgendwo im Kreis ein- oder aussteigen kann. Das lässt sich wohl nur als versteckte kabarettistische Spitze der Filmemacher gegenüber den Auftraggebern im Kreistag deuten… 😉
    ___
    Die Dame nach 0:37 schaut ja nicht in die Kamera. Sie erinnert mich aber an die führende Kreistagspolitikerin. Aber da bei einem solchen Film nichts gestellt ist, irre ich mich sicher.