Reichsbahnausbesserungswerk: D-ESP 0:1

Jugendwerk

Strandbar ausverkauft, Stadtpark Goch wegen Überfüllung geschlossen – nun denn liebe Klever, ab in die Ferne, zum Nabel der Welt, wo nicht bei 1500 und auch nicht bei 10.000 Besuchern Ende der Fahnenstange ist. Leider dann aber doch bei 600.000, sodass der freundliche S-Bahn-Fahrer um 17.28 Uhr eine nicht unwichtige Durchsage zu machen hatte: „Die Fanmeile ist ab sofort geschlossen. Es kommt niemand mehr rein.“

Das veränderte meine Pläne, doch zum Glück gab es den Geheimtipp Schleusenkrug im Tiergarten. Geheimtipp? Drei Stunden vor Spielbeginn alle Tische besetzt, ca. 1000 Gäste, von denen sich viele eine offenbar bereits mehrstündige Wartezeit vor den Großbildleinwänden mit Kartenspielen vertrieben.

Vielleicht ja am Alexanderplatz, da soll ja immer doll was los sein (meinte jedenfalls Döblin). War’s aber nicht (Döblin war wohl schon länger nicht mehr da). Das 3, vom aus Kleve stammenden Szenegastronomen Maruan Abu Dagga erfolgreich geführt, hatte wie angekündigt geschlossen, das Bellini’s, eher auf Lonely-Planet-Touristen ausgerichtet, zeigte Rugby. Rugby! Einzig in der Schnellen Quelle an der Rosa-Luxemburg-Straße flimmerte ein Flachbildschirm mit Netzerdelling, aber ohne Gäste. Ein bisschen Gemeinschaftserlebnis sollte dann doch sein, also zurück in die S-Bahn und nach Friedrichshain, in Fachkreisen auch Szenekiez genannt, weil nachts manchmal zur Benennung existierender Vermögensunterschiede parkende Mercedes abgefackelt werden (obwohl die mittlerweile meist fleißigen Ex-’68-ern gehören, aber das nur am Rande).

Schon das Via Nova, ein von türkischen Gastronomiefachleuten geführtes Lokal, versprach Erlösung. Freie Tische! Leider alle mit kleinen Zetteln drauf: „Reserviert“. Immerhin wurde mir gestattet, bis 8 Uhr eine kleine Stärkung einzunehmen und Plan E auszuarbeiten.

Natürlich, das Reichsbahnausbesserungswerk! Dabei handelt es sich um eine Art Radhaus von der Größe eines typischen Klever Industriegebiets, irgendwie autonom und abgewrackt – viele (angehende) Künstler oder Freaks, aber Fußballübertragung. Sogar die Nationalhymne wurde mitgesungen (3. Strophe)! Hier die Bestandsaufnahme:

Bild & Ton 2 schräg und nicht besonders hoch hängende Leinwände im Gegenlicht, beschallt von einer Anlage, wie sie auch in einem Wohnzimmer stehen könnte. Ein bisschen wenig für eine Industriehalle, kein Kommentar zu verstehen. Charme der Improvisation, wie früher, als der Erdkundelehrer vor den Ferien noch einen Film aus seinem Urlaub zeigen wollte
Bier + Warsteiner, trotz großer Nachfrage mit weiblicher Geduld gezapft, 0,4 Liter für 2,50 Euro. Zur Halbzeit sind offenbar Plastikbecher oder Fassbier ausgegangen, jedenfalls gibt’s danach nur noch Flaschen, z. B. 0,3 Liter Beck’s für 2,00 Euro
Fans ++ Ca. 4000, davon 2000 in der ersten Halle, die anderen vor weiteren Großbildleinwänden auf dem Gelände
Eintritt ++ frei, nur keine Fremdgetränke reinbringen
Fachkenntnis im Publikum +- Durchschnittsalter des Publikums etwa 20 Jahre. Die meisten dürften Catenaccio für eine italienische Kaffeespezialität halten. Nach fünf Sekunden der erste Anfeuerungsruf: „Auf die Knochen, auf die Knochen!“ Später macht sich milde Verzweiflung breit: „Nu loof doch!“
Ambiente +- Grafitti, süßlich riechende Rauchschwaden, Beamer auf Getränkekisten, explodierende Böller, Spanier, die ins Bild hüpfen, sobald der Ball in Strafraumnähe ist (was leider ziemlich oft passiert), durchbrechende Bierzeltbänke
Promis 0 Sicher wird einer später mal ein berühmter Maler und bei einem Heimatbesuch seinen Daimler durch Brandschaden verlieren
Gesamturteil +- Zwiespältige Eindrücke. Vor allem die serienweise explodierenden Böller zeigen, dass alternative Folklore auch zur Schockstarre führen kann. Der erfahrene Besucher zieht jedoch davon unbeeindruckt an unförmigen Zigaretten und schaut beseelt auf die Leinwand, oder das, was er davon wahrzunehmen imstande ist
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4 Kommentare

  1. 3

    Echt, Gomez als Assi von Arie van Lent? Glaub ich weniger. Warum wurde im Finale eigentlich nicht Oliver Niewville eingewechselt, guter Mann, wir sind doch viel zu wenig über rechts gekommen!

     
  2. 2

    nettes Witzchen! Hab´s munkeln gehört, Gomez soll ein Jahr an uns ausgeliehen werden, soll zum Spielertrainerassi aufgebaut werden? Wahrscheinlich nur ein Gerücht?

     
  3. 1

    Ein Killer steht vor Gericht und sein Richter verkündet das Urteil: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die Schlechte zuerst: Sie werden zum Tode durch Erschießen verurteilt! Die gute Nachricht: Es schießt Mario Gomez!“