Nach Selbstanzeige: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Filmemacher wegen „schweren sexuellen Missbrauchs“

Für die acht Schüler aus dem Kreis Kleve, zwischen elf und 13 Jahre alt, sollte es eine einmalige Erfahrung werden. „Das große Abenteuer“, so der Titel des Unternehmens, war eine zwölfhundert Kilometer lange Radtour entlang der innerdeutschen Grenze. Vier Wochen sollte die Reise dauern, und die Kinder sollten weitestgehend selbstbestimmt agieren. Ein großer Fernsehbericht über die Tour war geplant. „Die Verantwortung für den Alltag liegt komplett in den Händen der Kinder“, sagte der Initiator des Projekts, ein Filmemacher aus dem Kreis Kleve. „Ich werde nur Einfluss nehmen, wenn Gefahr droht.“

Nun hat es den Anschein, als ob die größte Gefahr der Filmemacher selbst war.

„Es hat einen Vorfall gegeben“, so eine Sprecherin der Polizei in Ratzeburg. Das Verfahren werde nunmehr von der Staatsanwaltschaft in Kleve geführt. Nach Informationen von kleveblog gab es sexuelle Handlungen in Gegenwart eines vermeintlich schlafenden Schülers, und es soll DNA-Spuren geben, die dem Organisator der Reise zugeordnet werden können. „Wir haben einen Vorwurf von einer auswärtigen Staatsanwaltschaft übernommen“, so der Klever Oberstaatsanwalt Günter Neifer. „Die Ermittlungen dauern an.“

Was auch immer in Ratzeburg geschah, für die Staatsanwaltschaft in Kleve steht schon jetzt fest, dass es eine Vorgeschichte zu diesen Ereignissen gibt, die rund zwei Jahrzehnte zurückliegt. Denn der 49 Jahre alte Dokumentarfilmer, dessen Wirken sich auf benachteiligte Kinder konzentrierte, ließ Ende Juni über seinen Anwalt bei der Behörde eine Selbstanzeige erstatten.

„Wir führen ein Ermittlungsverfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs“, so Neifer. „Das Verfahren beruht auf einer Selbstanzeige des Beschuldigten.“ Demnach habe es in den Jahren 1998 bis 2002 sexuelle Handlungen zum Nachteil eines Kindes in insgesamt 40 Fällen gegeben. Das Kind stammt aus dem Verwandtenkreis des Beschuldigten. Das Strafgesetzbuch sieht für solche Delikte einen Strafrahmen von nicht unter zwei Jahren Freiheitsstrafe vor.

Die Staatsanwaltschaft beantragte einen Haftbefehl, den der Haftrichter am 24. Juli 2019 erließ. Seit dem 25. Juli sitzt der Mann in der Justizvollzugsanstalt Kleve in Untersuchungshaft. Polizisten durchsuchten das Haus des Verdächtigen und stellten – bei einem im Mediengewerbe tätigen Mann wenig überraschend – bergeweise Datenträger sicher, die nun ausgewertet werden müssen. Die Rede ist von mehr als 50 Terabyte an digitalem Bildmaterial, das nun auf verdächtige Inhalte hin untersucht werden muss.

Der Beschuldigte selbst habe, so Neifer, über die Informationen in der Selbstanzeige hinaus bislang keine weiteren Angaben gemacht. Zu klären ist unter anderem, ob nicht auch in den Jahren nach 2002 Übergriffe erfolgt sind. Denn der Dokumentarfilmer suchte gezielt die Nähe zu Kindern aus benachteiligten Verhältnissen. Auf der Website zu einem seiner Filme wird er mit folgenden Worten zitiert: „Kinder sind unser größtes Geschenk. Unsere Aufgabe als Erwachsene ist es, sie zu schützen und ihnen alle Möglichkeiten zukommen zu lassen, sich ihren Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln.“

Der Filmemacher, der gelernter Sozialpädagoge ist, organisierte über einen Verein Ferienfreizeiten mit Kindern. Die Website ist mittlerweile vom Netz genommen, auch in den sozialen Netzwerken findet sich nichts mehr über die Aktivitäten. In einer Selbstbeschreibung heißt es: „Der Verein […] organisiert diese Maßnahme um unsere reizüberfluteten Kinder für zwei Wochen aus dem sonst so durchorganisierten gesellschaftlichen Kontext zu reißen. Kein Handy, kein Fernseher und nicht wissen wo man abends schläft. Dafür gemeinsam ein Ziel erreichen, zusammen kochen, essen, spülen. Dabei soll vor allem Sozialkompetenz und Selbstbewusstsein gestärkt und gefördert werden.“

Der Verein startete 2002 mit einer fünftägigen Niederrheintour, in den Jahren danach reisten bis zu 40 Kinder jeweils zwei Wochen in den Sommerferien an deutsche Küstenorte. Als die Facebook-Seite des Vereins noch online war, fanden sich darauf verschiedene Bilder, die zumindest eine unprofessionelle Nähe zwischen dem als Betreuer mitreisenden Filmemacher und den Kindern dokumentieren.

Auch für den Kreis Kleve war der Medienunternehmer vielfach im Einsatz, beispielsweise fertigte er für die neue Imagebroschüre des Kreises Kleve („Kreis Kleve… lieben“) zahlreiche Fotos an. Auch die Website des Jugendforums Courage („Für Toleranz, gegen Gewalt“) konzipierte der Unternehmer im Auftrag des Kreises Kleve, ebenso die einer Schule in Trägerschaft des Kreises.

Für seinen Film über die Wirklichkeit der Inklusion in deutschen Schulen erhielt der Regisseur viel Lob, sogar die Süddeutsche Zeitung interviewte ihn. Im Auftrag des SOS Kinderdorfs Niederrhein begleitete der Regisseur für eine Dokumentation Kinder aus armen Verhältnissen in ihrem Alltag. Ein Bericht über ein unheilbar krankes Mädchen wurde sogar für einen Filmpreis gehandelt. In einem Interview dazu sagte der Filmemacher: „Ich glaube, man muss Kinder wirklich ernst nehmen.“

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18 Kommentare

  1. 18

    Ein toller Kerl. Absolut zu hohe strafe für diesen netten herrn. […]. 1k wären swaggy

     
  2. 17

    1 Jahr U-Haft wird doch bestimmt verrechnet…
    Mir wird es kotzeelend wenn mir die missbrauchten Kinder einfallen. Ein unsägliches Trauma welches manche Kind sein Leben lang tragen muss. Fazit:
    3 Jahre sind definitiv zu wenig…

     
  3. 15

    @14. rd
    bei 39 Fällen, für die er verurteilt wurde etwa 1 Monat pro Missbrauchsfall.
    Ca.7 Monate in U-Haft, das würde bedeuten, ein Jahr einfahren und dann bald als Freigänger ziemlich ungeschunden davonkommen.
    Gab es Nebenkläger, und was war die Forderung der Staatsanwaltschaft ?

     
  4. 14

    Das Landgericht Kleve verurteilte den Filmemacher am heutigen Freitag zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten.

     
  5. 11

    @9. No Name

    Wieso und warum fühlen Sie sich benutzt, wenn es tolle Urlaube waren und es keine Anzeichen gab?

     
  6. 10

    Ich habe mal ein Praktikum an einer Erziehungsberatungsstelle gemacht. Es wunderte mich, dass ich ein eigenes, recht großes Büro bekam. Ist wohl jemand im Urlaub, dachte ich. Eine Erklärung anderer Art erhielt ich kurz darauf unter vorgehaltener Hand: Der Kollege, der dort gesessen hatte, sagte mir ein Mitarbeiter der Beratungsstelle, habe eine Minderjährige (die dort über einen längeren Zeitraum beraten/therapiert/begleitet wurde) missbraucht. Und, so berichtete er weiter, das Schlimmste sei, alle hätten es geahnt, irgendwie.

    Dem Menschen steht je nach Persönlichkeit ein starker Verdrängungsmechanismus zur Verfügung. Im Zweifelsfall kann dann nicht sein, was nicht sein darf/soll. Auch weil sonst eine erhebliche Problemlage entstehen würde.

     
  7. 9

    Ich bin viele Male auf den Ferienfreizeiten dabei gewesen und auch darüber hinaus kannte ich ihn gut. Es gab keine Anzeichen. Es waren tolle Urlaube die jetzt alle in einem anderen Licht erscheinen. Ich habe mit vielen anderen Kindern von damals geredet, wir sind alle erschüttert, tiefst traurig und fühlen uns benutzt.

     
  8. 8

    @???

    „Man sollte sich vorher gut informieren und alles durchleuchten, wem man sein Kind anvertraut!“

    Und genau dass ist das Problem. Solche [Menschen] sorgen dafür, dass diejenigen, die sich wirklich gut für Kinder engagieren, egal ob in Sportvereinen, Jugendfreizeiten etc. auch mittlerweile immer mehr unter einem Generalverdacht stehen. Da darf man sich dann auch nicht wundern, dass immer weniger Ehrenamtler bereit sind, sich in ihrer Freizeit zu engagieren.

     
  9. 7

    Der Herr passte damals (2005/2006) schon nicht in mein Schema als er das Uedemer Jugendzentrum übernahm. Er war halt extremst zuvorkommend und viel zu nett.
    Bin gerade echt geschockt. Als 14/15 jähriger damals fiel es nicht so auf, doch wenn ich nun so zurückdenke läuft es mir eiskalt den Rücken herunter.

     
  10. 6

    Habe in Laufe meine Lebens sehr viel abartiges gesehen und erlebt was mann Menschen nicht zu traut. Was mir aber mein „Gottvertrauen“ genommen hat waren die [Menschen], die sich an Kindern vergangen und ihre Seelen zerstört haben […]. Diese Verbrechen belasten und prägen die Opfer ein Leben lang.

     
  11. 5

    Grässlich, und wenn man seine Verlautbarungen zu offiziellen Anlässen einmal nachliesst (klar, die stehen immer noch im Netz) so was schon scheinheilig !
    @2. zzz .
    Ja, auch ich binn schnell fündig geworden.
    Dass sich die Spuren im Netz nicht auslöschen lassen hat wohl damit zu tun, dass er auch viel im Auftrag des Kreises und anderer öffentlichen Institutionen layoutet und publiziert hat.
    Da freut es mich tierisch, dass die Verjährungsfrist der vermutlichen Taten erst mit Ablauf des 30. Geburtstags der jugendlichen Opfer zu laufen beginnt, also sie allesamt noch nicht verjährt sind.
    Deshalb ist unerheblich, ob nun eine Verjährungsfrist von 5 oder 10 Jahren zur Anwendung kommt.
    Deshalb sollte weiteren Betroffenen Mut gemacht werden, auch jetzt noch Anzeige zu erstatten, auch wenn die Beweislage natürlich mit der Länge der Jahre immer schwieriger wird.

    @1 Rainer.
    Jetzt irgendetwas auf Vereine schieben zu wollen, ist wohl mehr als billig, und total am echten Problem vorbei.
    Das echte Problem steckt nämlich in de jeweiligen Person des Täters, und wie 3. ??? der immer noch falschen Moral des Ignorierens und Totschweigens.

     
  12. 4

    Als erwachsene Person würde man sich kaum in eine Situation begeben, in der man kein Handy mehr hat und nicht weiß, wo man abends schläft, unter Führung anderer Personen (in Eigenregie ist es natürlich eine andere Sache). Mein Instinkt würde sich sofort melden: Das kann im Zweifelsfall eine Falle werden. Da kann man kein Kind reinschicken.

    Grundsätzlich sind Ferienfreizeitlager ja auch so eine Sache, bei der Leute mit schlechten Absichten viele Möglichkeiten haben. Wenn ein Kind sich von da meldet und zurück will, sollte man es abholen. Denn das Unsagbare können Kinder oft nicht mitteilen.

    Im Verwandtenkreis ist es für diese Leute besonders leicht, sich einem Kind zu nähern, Situationen herzustellen, in dem jemand mit einem Kind alleine ist. Ein Nein z.B. zu einer Aktivität mit dem Kind ist für die Eltern schwierig, die auch oft nicht auf die Idee kommen, dass gerade ein Verwandter für das Kind gefährlich werden kann.

     
  13. 3

    Es ist sehr gut, dass alles aufgedeckt wird. In früheren Zeiten durfte man nur hinter vorgehaltener Hand vorsichtig erzählen. Und Internes durfte schon gar nicht an die Öffentlichkeit.

    Kinder müssen vor allen Dingen von ihren eigenen Vertrauenspersonen geschützt, beschützt und sehr gestärkt werden.
    Oft sind es nicht einmal die Eltern selber, denen Kinder vertrauen können.

    Man sollte sich vorher gut informieren und alles durchleuchten, wem man sein Kind anvertraut!

    Oft denke ich, dass Smartphones und Zigarettenrauchen die Hauptsachen eines Spazierganges mit dem schreienden Kind im Kinderwagen, sind.
    Kinder sind oft nur noch Beiwerk und nicht die eigentliche Hauptsache, um die man sich mit Herz und Verstand kümmern muss, damit sie später mit offenen Augen, Ohren und Herzenswärme, unversehrt bestehen können!

     
  14. 2

    5 Minuten in Google einfach nur mal kurz geforscht.. Da findet man noch genug „Material“ zu diesem Typen – wenn ich sehe, was da für ein Potential aufgrund der Vielzahl an Kinder-/Jugend-Reisen etc. hinter stecken könnte, wird mir schlecht!!!

     
  15. 1

    Das Vereinsrecht sollte dringend reformiert werden. Jeder perverse Kleingartenverein kann anscheinend machen was er will.