„Mit einer Wahrscheinlichkeit von 81,5 % mindestens 25,9 Jahre alt“

Wenn Sie am Sonntag Nachmittag auf der Schwanenburg diese Zeit erblicken, sollten Sie sich sputen - denn die Führung von Wiltrud Schnütgen hat vor 13 Minuten begonnen
Der Alltag der Justiz – am Beispiel eines Falls, der in Kreisen von Asylbewerbern spielt

So, wie ein Staubsaugerroboter scheinbar ziellos durch ein Zimmer kreist, titschen die Fragen von Gerhard van Gemmeren, dem Vorsitzenden Richter der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Kleve, um die Geschehnisse am 13. Februar dieses Jahres vor einem Aldi-Markt in Emmerich. Wem gehörte das weiße HTC-Handy? Woher stammen die roten Striemen am Hals? War das der Stein, mit dem Sie gedroht haben? Wer hat das geschrieben?

Der Mann, der diese Fragen beantworten soll, sitzt auf der Anklagebank. Schwere räuberische Erpressung und einige Diebstähle wirft die Staatsanwaltschaft ihm vor. Aber wem genau eigentlich? Adil B. oder Ibrahim C.?

Unter beiden Namen ist der Mann aus Marokko beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) registriert, unter beiden Namen finden sich im Zentralregister gespeicherte Delikte. Schon die Frage, wie alt der Mann auf der Anklagebank ist, lässt sich nicht zweifelsfrei beantworten – dabei spielt sie eine wesentliche Rolle, denn möglicherweise gilt für ihn noch das Jugendstrafrecht.

Drei Gutachter der Universität Köln waren damit beschäftigt, das Alter zu bestimmen. Die Zähne des Angeklagten wurden untersucht (alle Weisheitszähne sind durchgebrochen), die Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale wurde bestimmt, die Hände wurden geröntgt, eine Computertomographie des Brust-und Schlüsselbeins wurde angefertigt, um Knochenfugen zu erkennen.

Am Ende all dieser Prozeduren stand das Ergebnis, dass der Angeklagte mit einer Wahrscheinlichkeit von 81,5 % 25,9 Jahre oder älter ist und mit einer Wahrscheinlichkeit von 98,1 % 21 Jahre oder älter. Sicher scheint nur eins: Der Angeklagte hatte an dem Tag, an dem über ihn verhandelt wurde, Geburtstag – unklar ist nur, ob es sich um den 20. oder den 26. gehandelt hat.

Anders als bei einem automatischen Staubsauger, der am Ende doch den Schmutz eingesammelt hat, blieb die Wahrheit in dem Prozess in der Klever Schwanenburg zu großen Teilen verborgen unter dem Schleier, den die Zeit über das Tatgeschehen gelegt hat. Erschwerend kam hinzu, dass die Aussagen des Angeklagten aus dem Arabischen übersetzt werden mussten, und deshalb so wirkten, als seien sie noch einmal zusätzlich verwirbelt worden.

Unter dem Strich blieben nur wenige Gewissheiten: Der Mann wurde in Marokko geboren, seine Eltern schoben ihn zum Großvater ab, der ihn auf die Straße setze. Er schlug sich in Tanger als Pizzabäcker und Lastwagenfahrer durch, bevor er sich in ein Flugzeug nach Izmir setzte und über die Balkanroute 2015 nach Deutschland gelangte und als Adil B. Asyl beantragte.

Über Stationen in Unna und Kiel gelangte er an den Niederrhein, bei einem Taschendiebstahl in Düsseldorf unweit der Kö wurde einmal auf frischer Tat ertappt, und in Emmerich vertraute er sich einem syrischen Asylbewerber an, damit dieser im sein Handy freischaltet. Da das Gerät womöglich aus dunklen Quellen stammte, musste eine besondere Lösung gefunden werden. Allerdings lieferte der Syrer nicht wie versprochen. Deshalb kam es zum Streit, in dessen Verlauf der Angeklagte seinem Geschäftspartner zunächst zwei andere Handys entriss und anschließend niederschlug.

Ob dabei ein Pflasterstein, 1,6 Kilogramm schwer, zum Einsatz kam, ist schon nicht mehr ganz sicher. „Ich wollte nur Angst machen“, sagte der Angeklagte. Wenn der Stein wirklich den Kopf getroffen haben sollte, „dann hat er Glück gehabt“, sagte der behandelnde Notarzt. Verletzungen hat er nicht feststellen können.

Die Staatsanwaltschaft beantragte am Ende der Beweisaufnahme, den Tatvorwurf abzuschwächen – von besonders schwerer räuberischer Erpressung auf gefährliche Körperverletzung. Darauf steht nur noch ein Strafrahmen, der von sechs Monaten bis zehn Jahren reicht.

Das Landgericht verhängte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls und versuchten Diebstahls. Damit ging die Kammer sogar über das Strafmaß hinaus, dass die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Die Anklage hatte auf eine dreijährige Haftstrafe plädiert, Rechtsanwalt Stefan Siebert, der Verteidiger des Angeklagten, hatte sich für eine „milde Strafe“ ausgesprochen. Das Gericht ging bei seinem Urteil davon aus, dass der Angeklagte heute 26 Jahre alt geworden ist.

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7 Kommentare

  1. 6

    Einerseits: Jemand schlug einen anderen nieder. Das ist natürlich Körperverletzung. Der Niedergeschlagene trug keine Verletzungen davon, wenn ich das richtig verstanden habe. Warum wird der Angeklagte dann für gefährliche Körperverletzung mit einer Haftststrafe verurteilt?

    Andererseits: Jemandem, der einen Pflasterstein in die Hand nimmt, auch um „nur” „Angst zu machen”, traut man leider einiges zu. Das, was man jemandem zutraut, stand aber nicht zur Verhandlung.

    Was passiert, wenn dieser Mann mehr als drei Jahre und sieben Monate im Gefängnis sitzt, aus seiner Rechtsauffassung wahrscheinlich völlig zu Unrecht?

    Mir wäre es lieber, wenn dieser Mann ins Flugzeug gesetzt werden könnte.

     
  2. 5

    @ 1 Rainer:

    Warum populistische Beurteilung? Einer, der sich unter zwei Namen beim BAMF registrieren lässt, damit er womöglich doppelt kassiert, der beim Taschendiebstahl erwischt wird, der anscheinend ein vom LKW gefallenes Handy freischalten lassen möchte? Er ist wohl nicht nach Deutschland gekommen, um hier ein neues, ehrliches Leben anzufangen.

    Gerade solche Ausnahmen stellen durch Ihr negativ auffallendes Verhalten die Mehrheit von rechtschaffenden Asylbewerbern in ein schlechtes Licht.

    Meine persönliche Meinung.

    Benno

     
  3. 3

    Ralf, Deine (…) gefallen mir fast besser, als hätte man den Begriff (…) publiziert.

     
  4. 2

    Mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent steht fest: Der Typ ist ein Lügner und ein […] Mit solchen [….] muss sich die Justiz ohne Ende herumschlagen. Die lähmen das Rechtssystem.