Michael M. sah rot – Prozess um Totschlag in der Küppersstraße

Schwanenburg, Saal A110: Michael M., Angeklagter, verdeckt sein Gesicht. Rechts von ihm sein Anwalt, Dr. Karl Haas. Der WDR filmt

Vor dem Landgericht Kleve läuft zurzeit der Prozess gegen Michael M. (20), der im September 2012 einen Bekannten zu Tode prügelte. Hier meine Eindrücke vom Prozess… Es klingt ein wenig beiläufig, wie der Mann auf der Anklagebank sagt: „Da habe ich ihm eine verpasst.“ Es habe eine Schlägerei gegeben, und dann habe er einen Blackout gehabt.

Der Gerichtsmediziner Dr. Matthias Schubries benötigte eine gute halbe Stunde, um der Jugendkammer des Landgerichts Kleve darzulegen, was im einzelnen am Abend des 4. September 2012 in der Wohnung in der Küppersstraße geschah. Er sprach von „massiven Zertrümmerungen“, von mehrfachen Brüchen, von einem „querverlaufenden Scharnierbruch der Schädelbasis“, wie er beispielsweise durch „kräftiges Auftreten auf eine Schädelseite“ hervorgerufen werden könne.

Letztendlich verstarb der 22 Jahre alte Mann daran, dass er an großen Mengen eingeatmeten Blutes erstickte. Da er bewusstlos war, funktionierte der Schluckreiz nicht mehr – das Blut lief einfach in die Lunge.

Die Jugendkammer des Landgerichts Kleve unter dem Vorsitz von Richter Christian Henckel steht seit gestern vor der schwierigen Aufgabe herauszufinden, was Michael M., Schulabbrecher, Gelegenheitsarbeiter, wegen kleinerer Gewaltdelikte bereits aktenkundig, tatsächlich zu diesem Exzess trieb. Michael M. entschied sich auf Anraten seines Anwalts, Dr. Karl Haas, zur Sache auszusagen.

Dass der 20 Jahre alte Mann der Täter ist, daran besteht kein Zweifel. Als er unmittelbar nach der Tat festgenommen wurde, sagte er einem Polizeibeamten: „Alles ist cool und ich fühle mich total entspannt.“ Da war er in die Wohnung seines Bruders geflüchtet und hatte sich seiner bluttriefenden Kleidung entledigt. Schon damals war er der Überzeugung, aus rechtschaffenen Motiven heraus gehandelt zu haben.

Gestern vor Gericht legte er seinen Geständnis erneut dar, was seiner Ansicht nach unmittelbar vor der Tat geschah. Er und das spätere Opfer, das erst wenige Tage zuvor aus Polen nach Deutschland gekommen war, um Arbeit zu suchen, machten sich in der Wohnung von Michaels Mutter einen entspannten Nachmittag.

Sie chillten, wie das auf neudeutsch heißt. Auf YouTube lief der polnische Rap „nasze bloki“ (unser Block), auf Facebook wurde gechattet, und M., der seinen Angaben zufolge schon Amphetamine intus hatte, kam auf die Idee, „ein paar Mädels aufreißen zu gehen, ein bisschen Spaß zu haben“.

Da aber habe ihm sein Bekannter widersprochen. Er habe gesagt, dies habe er nicht nötig, da er doch bereits gestern seine Schwestern gehabt habe – so M. In dem Haushalt lebten auch die beiden Zwillingsschwestern des Angeklagten, damals 14 Jahre alt. Aus den Einlassungen wurde nicht ganz klar, ob nun eine oder beide gemeint waren – klar ist jedoch, dass dies für Michael M. der Anlass war, über seinen Bekannten denkbar brutal herzufallen.

Allerdings berichtete der Angeklagte auch, dass seine Schwestern ihm später gesagt hätten, dass zwischen ihnen und dem Bekannten überhaupt nichts vorgefallen sei. Wenn das Opfer also einen (schlechten) Scherz gemacht haben sollte, warum klärte es das Missverständnis nicht schnellstmöglich auf? Auch die Geschichte der Schlägerei hat einen kleinen Haken: Bei dem Opfer fanden sich laut Gerichtsmediziner keinerlei für einen Kampf typische Abwehrverletzungen.

Staatsanwalt Martin Körber hat Totschlag im Zustand verminderter Schuldfähigkeit angeklagt, und es zeichnet sich ab, dass der psychiatrische Sachverständige, Dr. Jack Kreutz, Chefarzt der Rheinischen Kliniken in Bedburg-Hau, in diesem Verfahren eine entscheidende Stimme haben wird.

War die Tat die Folge eines Wahngebildes? „Ich höre keine Stimmen“, sagte Michael M., der zurzeit in Essen in der Psychiatrie einsitzt, als er von Kreutz befragt wurde. Dann schilderte er, wie schlecht er im Gefängnis behandelt wurde und erklärte, dass er sich wegen dieser Missstände auch an die Bundeskanzlerin habe wenden wollen. „Aber jetzt möchte ich nicht mehr mit Angela Merkel telefonieren.“

Der Prozess wird am 15. Januar fortgesetzt.

Kollege Julian Weimer von der NRZ war ebenfalls dort. Er widmete sich etwas detaillierter dem Gewaltexzess: 15 Minuten Totschlag

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21 Kommentare

  1. 20

    Das Urteil stimmt mich sehr nachdenklich….auch das Abschiedsgeschenk….eine Schachtel Zigaretten.

    Es ist doch eigentlich weithin bekannt, dass Zigaretten kleine „Sargnägel“ sind. Ein merkwürdiges Zeichen….

     
  2. 19

    Der Begriff „schwere Kindheit“ ist relativ.

    Wenn jede(r)mit sogenannter schwerer Kindheit durchdrehen würde, dann gehörten die paar Ãœbriggebliebenen mit „Bilderbuchkindheit“ vor allen herumlaufenden Menschen in Sicherheit gebracht.
    Wie heißt es doch so schön:
    Jeder hat sein Päckchen zu schleppen.

    Sind nun die Täter die eigentlichen „Opfer“?

    Ich finde, das ist den tatsächlichen Opfern gegenüber unfair bis Verhöhnung.

    Ich denke, die Forensiker sind auch nur in ihrer Unterbringung nett, weil sie keine andere Wahl haben und eventuell unter Beobachtung ruhig gehalten werden.

    Meine Gedanken waren schon unter 7. mit den Familienstrukturen beschäftigt. Ich kann es natürlich nur aus den Berichten erahnen, dass es vielleicht im aktuellen Fall des jungen Mannes ein Thema war und ist.

    Auch aus einer richtig „schweren Kindheit“ kann man sein Leben auf den richtigen Weg bringen! Wo ein Wille ist….

     
  3. 18

    davon spricht doch keiner. wer ne gefahr für die allgemeinheit ist der gehört weggesperrt, lebenslang. da gibts doch überhaupt keine 2 meinungen.

    das unsereinst es nicht nachvollziehen kann in nen blutrausch zu geraten ist auch klar, wir sind ja gesund (glaub ich zumindest, wobei die zweifel steigen…)

    auch klar dass das für die opfer ganz schlimm ist und mein mitleid für den täter hält sich in ganz engen grenzen, ist aber vorhanden.

    da geld/kapital gerade mein lieblingsthema ist: die superreichen bspw. griechen, die gerade ihr geld ins ausland schaffen und sehen wie zuhause die leute verrecken, sind die nicht ne viel größere gefahr für viel mehr menschen?

    die zocker, die sich mit unser aller geld retten lassen, schon leute in den selbstmord getrieben haben… nicht ne viel größere gefahr?

    ganz aktuell die katholische kirche, die mittlerweile soweit ist vergewaltigungsopfer vor der geschlossenen türe stehen zu lassen…

    die ganze gesellschaft ist krank und wird immer kranker. ein hoch auf die forensiker, bei denen ists wenigstens offensichtlich und die sind zum glück weggesperrt. wenn der nächste totalversager der meinung ist er müsse sich mit millionenschweren abfindungen in den ruhestand schicken lassen sperrt den bitte dazu, meinen segen (ganz wichtig;-) habt ihr.

     
  4. 17

    Nein nein, die Leute sind alle echt OK. Auch die ganzen Forensiker in der Anstalt. Lauter nette Kerle.
    Es ist richtig gemein die sooo zu verurteilen.
    Die hatten alle nur eine schwere Kindheit und dafür werden Sie jetzt auch noch bestraft.

     
  5. 16

    Es ist einfach eine fürchterliche Tragödie!

    Seit wann war bekannt, dass der junge Mann krank war/ist?
    Wer wusste eventuell davon?

    Man sollte auch mal an die Hinterbliebenen des Toten denken!

    Also, das heißt eigentlich, man kann anderen Menschen kein Vertrauen mehr schenken….das Gegenüber könnte krank sein…wenn man Pech hat überlebt man ein Gespräch oder ein Treffen nicht…????

    Da kommen mir wieder die Gedanken über die derzeitige Unterbringung der „asiatischen Studentinnen“ in den Sinn.

     
  6. 14

    @13. Melissa Golz

    Es ist schon möglich, dass man im Leben durch einige unglücklich, zusammenkommende Situationen überfordert ist.

    Aber es kann nicht sein, dass man einen anderen Menschen totschlägt. Es war, laut öffentlicher Information, keine Notwehr!
    Da kommt dann auch wieder, wie in dem Bericht geschildert, das Thema Drogen hervor.

     
  7. 12

    Na Fisch, ich weiß ja nicht.
    Ich hatte zumindest noch sowas wie die CAJ im katholischen oder den ToT im evangelischen Gemeindebereich, später auch den Pfalzdorfer Jugendkeller (JGP) und nur wenige Computerspiele (Generation C64 & Amiga 500, Datasette und 300Baud-Modem), trotzdem war auch zu meiner Zeit die Jugend sehr gesellschaftskritisch und aggressiv eingestellt.
    Es gab auch damals Schlägereien, Schmierereien und dumme, stumpfe Gewalt. Viele Arten der Gewalt waren noch nicht so thematisiert, hatten noch keinen Namen und wurden nicht als solche erkannt.
    Das ist kein neues und aktuelles Problem, die Jugendprobleme gab es schon immer und wird es auch weiterhin geben – die Art und Weise, in welcher diese Probleme zu Tage treten mag sich ja ändern, auch die Form, aber unterm Strich können wir Eltern heute auch nicht mit absoluter Sicherheit verhindern, dass unsere Kinder Bockmist bauen.
    Der Flimmerkasten als Babysitter, der Computer als Ersatz für´s richtige Leben … und früher?
    Nee, das ist stark überzogen und zu sehr über einen Kamm geschoren.
    Wenn mein Onkel (Bj. 1940) im zarten Alter von zehn Jahren Mülltonnen in der Niers versenkt oder die Verglasung einer Telefonzelle mit dem Fußball zerschossen hat, wurde kein Fass aufgemacht. Klar gab´s zuhause ordentliche Probleme, aber bestimmt kein Verfahren vor dem Jugendgericht.
    Die Gesellschaft insgesamt ist weicher, sensibler und aufmerksamer geworden – verwöhnter auch.
    Das ist nicht schlecht, hat aber eben auch seine Schattenseiten.

     
  8. 11

    @10. Andreas

    Es geht absolut nicht am Thema vorbei und es werden nicht alle Eltern unter Generalverdacht gestellt.

    Nur reale aktuelle, leider steigende Zahlen (Steigerung um 44% zu 2012)bestätigen, dass besonders im Kreis Kleve, viele Kinder und Jugendliche aus ihren eigenen Familien herausgenommen werden. Sie sind in den eigenen Strukturen stark gefährdet.

     
  9. 10

    #1&#3 sind Vorverurteilungen.
    #4 ist grenzwertig.
    #6 ist ebenfalls eine Vorverurteilung.
    #7 geht ähnlich #4 zum einem am Thema vorbei, und stellt alle Eltern unter Generalverdacht.

     
  10. 8

    Wie war das mit der subjektiven Wahrnehmung?
    Alle über einen Kamm scheren?
    Vorverurteilungen?

    Muss ich mich jetzt schämen, Deutscher zu sein?

     
  11. 7

    Nicht nur für den Täter lebenslang,
    sondern auch für
    Drogen-Dealer, die sich an Kinder (sogar bereits Grundschulalter) und Jugendliche heranmachen.

    Leider sind auch viele Eltern und Verantwortliche so naiv und bequem, die denken, ihrem Kind könnte so etwas nicht passieren. Es heißt immer Augen und Ohren auf!

    Das unbeobachtete Kinder-sitting vor dem Fernseher oder
    PC-Spiele sind natürlich bequemer, als die Kinder theoretisch, praktisch, moralisch und ethisch für das
    Erwachsenen-Leben vorzubereiten.

    Warum gibt es so viel Jugendkriminalität? Dazu zählen mittlerweile viele Faktoren…..es ist ein globales,
    gesellschaftiches Problem………..man hat vergessen oder
    verlernt, wie man innerhalb der verschiedenen Generationen und Familienstrukturen, Verantwortung füreinander übernimmt.

    Ja, ich weiß früher……früher galt immer noch:

    „Einer für Alle, Alle für Einen“

     
  12. 6

    Arbeitslager in Sibirien wird nicht durchzukriegen sein. Wünschenswert wäre lebenslange Freiheitsstrafe mit besonderer Schwere der Schuld. Dann kommt er nie mehr raus, nie.