Landgericht, Wirtschaftsstrafkammer: Das merkwürdige Geschäft mit dem Geschäft

Wirtschaftsstrafkammer: Interessante Einblicke in ein Geschäftsgeschäftsmodell

Wirtschaftsstrafkammer: Interessante Einblicke in ein Geschäftsgeschäftsmodell
Wirtschaftsstrafkammer: Interessante Einblicke in ein Geschäftsgeschäftsmodell
„Geld ist Energie“, sagt Roman S., 56 Jahre alter Mitinhaber und Geschäftsführer einer Reinigungsfirma aus Emmerich. Über einen Mangel an Energie konnte der aus Russland stammende Unternehmer bislang nicht klagen – allerdings führte seine Methode der Energiegewinnung ihn geradewegs auf die Anklagebank des Landgerichts Kleve. Vor der Wirtschaftsstrafkammer unter dem Vorsitz von Richter Christian Henckel geht es um die Ausgestaltung der Arbeitsverträge, die S. mit seinen Reinigungskräften abgeschlossen hatte – und um deren abgabenrechtliche Folgen. Eine Strafsache, die viel kreatives Potenzial auf Arbeitgeberseite offenbart und tiefe Einblicke in die prekäre Welt der geringfügig Beschäftigten erlaubt.

S. war äußerst einfallsreich, was die Arbeitszeit seiner Mitarbeiter angeht. Der Unternehmer schloss mit den Betreibern von Autobahnraststätten Verträge über die Reinigung von Toiletten – ein durchaus lukratives Geschäft mit dem Geschäft. Beispielsweise erhielt er für die Betreuung des Sanitärbereichs in der Raststätte Rheda-Wiedenbrück 2000 Euro monatlich. Die Kosten blieben überschaubar.

Denn S. heuerte Reinigungskräfte an, die zwar in der vertraglich vereinbarten Zeit von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr in den Raststätten ihren Dienst verrichten mussten. Doch obwohl sie in der Regel tagelang am Stück arbeiteten, führte er sie allesamt als geringfügig Beschäftigte – weil die Zahl der Arbeitsstunden auf erstaunliche Weise klein gerechnet wurde.

Zwar waren die Mitarbeiter von S. 15 Stunden vor Ort im Einsatz, allerdings wurde jeder Arbeitstag aufgeteilt in zwei halbstündige sowie acht viertelstündige Arbeitsblöcke. Die Zeit dazwischen wurde als Pause geführt, jeweils zwischen 45 und 105 Minuten lang und selbstverständlich nicht bezahlt. Die Dauer der Pausen in Verbindung mit dem abgelegenen Einsatzort machte es den Beschäftigten auch unmöglich, in der Zeit etwas anderes zu unternehmen. Sie hatten in den Raststätten jeweils ein Kämmerchen, in das sie sich zurückziehen konnten. Das war’s auch schon.

Für den Staatsanwalt Hendrik Timmer ein klarer Fall des Vorenthaltens von Arbeitsentgelten und Sozialversicherungsabgaben. Es läpperte sich ganz schön was zusammen, was da in 127 Einzelfällen dem Fiskus vorenthalten worden sein soll. Timmer bezifferte allein den Sozialversicherungsschaden im Tatzeitraum, den Jahren 2012 und 2013, auf 108.000 Euro.

Der Angeklagte räumte die Darstellung der Staatsanwaltschaft, was die Sachlage betrifft, komplett ein. Allerdings kam er zu anderen Schlüssen: „Die Toilettenanlagen sind manchmal nur 15 m² groß, was soll da jemand den ganzen Tag machen?“

In den Arbeitsverträgen war außerdem die merkwürdige Formulierung „Reinigung nach Hausfrauenart“ zu lesen. S. sagte, er habe die Wortwahl ohne Hintergedanken aus einer Vorlage übernommen. Henckel äußerte eine Vermutung: Ob dies nicht eine Formulierung sei, um den Tarifvertrag der Branche zu umgehen. S. zuckte mit den Schultern. Tatsache ist, seine Mitarbeiter erhielten statt der tariflich zustehenden 8,82 Euro je Stunde nur 6,50 Euro.

Auch das Trinkgeld, jene Münzen (offenbar manchmal auch Scheine), die die Benutzer der Toiletten auf einen Unterteller legen, landete nur zu einem geringen Teil bei den Beschäftigten selbst. In den Arbeitsverträgen wurde festgelegt, dass alle Einnahmen bis 17:00 Uhr an den Unternehmer gehen. Erst in den letzten vier Stunden des Arbeitstages kamen die Beschäftigten zum Zuge.

Der Chef klapperte einmal in der Woche seine Raststätten ab und sammelte Plastiktüten voller Münzgeld ein – im Schnitt sechshundert bis achthundert Euro pro Raststätte.

Gleichwohl pflegte S. einen bescheidenen Lebensstil. Er zahlte sich lediglich ein Geschäftsführergehalt in Höhe von 2000 Euro aus und lebt mit seiner Frau als Dauerbewohner auf einem Campingplatz in Elten, „das ist schön ruhig“.

Er erweckte durchaus glaubhaft den Eindruck, ein hart arbeitender und bescheidener Unternehmer zu sein, der sich etwas im Gestrüpp der Vorschriften verheddert hat. Sein Geschäft habe er längst „auf saubere Füße gestellt“, beteuerte er. Das heißt: Sein Unternehmen beschäftigt mittlerweile keine eigenen Mitarbeiter mehr, sondern hat einen Vertrag mit einer Firma aus Ungarn abgeschlossen, die wiederum als selbstständige Unternehmer arbeitende Reinigungskräfte in die Raststätten schickt.

Geld ist Energie, das stimmt schon. Und man sah der Stirn von Staatsanwalt Timmer auch schon an, dass er darüber sinnierte, ob nicht auch das neue Modell ein wenig Ermittlungsenergie wert sei.

Der Prozess wird am 17. Juni fortgesetzt.

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5 Kommentare

  1. 5

    Jetzt auch mit Urteil:

    In seinen Betrieben stinke es ein wenig, sagte Christian Henckel, Vorsitzender Richter der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Kleve, in der mündlichen Begründung des Urteils zu Roman S. (58). Doch das liege nicht an der Hygiene in den Autobahnraststätten, deren Reinigung der Unternehmer aus Emmerich mithilfe von russischstämmigen Billigarbeitskräften erledigte – sondern am Geschäftsmodell an sich.

    „Anrüchig“ sei die Vergabe der Arbeiten gewesen, so die Einschätzung der Kammer. Diese Wertung war in diesem Fall gleichbedeutend mit strafbar: S. wurde wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelten in 115 Fällen zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem muss der Unternehmer eine Geldauflage in Höhe von 3000 Euro an einen Verein entrichten, der sich um die Integration deutsch-russischer Aussiedler bemüht.

    Mithilfe eines Hintermannes hatte S. ein Konstrukt verwirklicht, dass es ihm ermöglichte, Reinigungskräfte in den Toilettenanlagen auf Autobahnraststätten den ganzen Tag zu beschäftigen, aber nur wenige Stunden davon zu bezahlen – und dann noch nicht einmal zum vorgeschriebenen Tariflohn. Die Mitarbeiter mussten morgens um sechs Uhr antreten und hatten abends gegen halb zehn oder zehn Uhr Feierabend. Tatsächlich bezahlt wurden nur drei Stunden, die restliche Zeit war, so stand es im Arbeitsvertrag, als Pause definiert.

    In dieser kreativen Arbeitszeitgestaltung sah Staatsanwalt Hendrik Timmer eine Straftat – das Vorenthalten von Arbeitsentgelt und Sozialversicherungsabgaben. Diese Ansicht teilte das Gericht, das von einer Schadenhöhe von mehr als 90.000 Euro ausging. Die Arbeitszeitregelung diene allein der Umgehung, so die Kammer. Und weiter: „Richtig ist allein die Betrachtung: Der ganze Tag ist Arbeitszeit.“

    Festgemacht wurde das vor allem an der Tatsache, dass die von S. betreuten Raststätten nach dem Trinkgeld-Prinzip funktionierten. Der freiwillige Obolus fließe allerdings nur, wenn die Toiletten sauber seien, was folglich permanent überwacht werden müsse. Den Einwand der Verteidigung, dass es sich dabei um eine Art Rufbereitschaft gehandelt habe, ließ das Gericht nicht gelten.

    Andere Argumente der Verteidigung fanden hingegen zumindest teilweise Gehör. Anwalt Dr. Dieter Wigger argumentierte, dass sein Mandant sich ein bisschen in der Bürokratie verheddert habe und in dem straff organisierten System der Raststätten-Reinigung nur ein kleines Rädchen im Getriebe war. „Der Angeklagte hat seinen Kopf hingehalten, er war gewissermaßen der nützliche Idiot“, so Wigger.

    Tendenziell wertete das Gericht das ähnlich. „In dem Gesamtsystem sind sie keiner, der ganz oben steht, aber ganz untergeordnet haben Sie auch nicht gearbeitet“, sagte Henckel. S. sei als Geschäftsführer tätig gewesen, habe Verträge unterschrieben und von dem gesamten Konstrukt profitiert, auch wenn er keine Reichtümer angehäuft habe. Das wird wohl auch so bleiben: Jetzt kommen auf den Unternehmer noch die rückwirkenden Forderungen der Behörden zu.

     
  2. 4

    Trickreicher Umgang mit Gesetzen ist auch bei den „guten” Leiharbeitsfirmen, die z.B. Ingenieure vermieten, gang und gäbe.

    Grosse Ingenieurdienstleister wie Ferchau oder brunel brüsten sich alle damit, einen eigenen Tarifvertrag mit verdi oder der IG Metall zu haben, der den Beschäftigten ganz tolle Dinge verspricht, viel besser als bei allen anderen natürlich.

    Allerdings haben bei näherem Hinsehen diese Firmen einen „Haustarifvertrag” mit einer der Gewerkschaften und man fragt sich, wenn ein Tarifvertrag doch so toll ist, warum übernehmen sie nicht einfach den Flächentarifvertrag?

    Der Grund: Ohne eigenen Tarifvertrag wären die Verleihfirmen gesetzlich zu „Equal Pay” gezwungen, dann würde natürlich kein Gewinn rausspringen. Gleiches würde natürlich bei Anwendung des Flächentarifvertrages gelten, der ja dem Equal Pay entsprechen würde.

    Also verhandelt man mit den Gewerkschaften Haustarifverträge mit sehr niedrigen Tarifen oder man stuft die Bewerber direkt niedriger ein als es ihrer Qualifikation enstpricht. (wenn sie meckern, so what: Dann such Dir doch n anderen Job … )
    Diese niedrigen Tarife werden dann, -weil sonst keiner dafür arbeiten würde- durch sogenannte übertarifliche Projektzulagen aufgestockt, in summa aber immer noch weniger als der Verdienst eines regulären Mitarbeiters.

    Der nächste Trick: Die tariflichen Lohnerhöhungen, die die Gewerkschaften in den Flächentarifverträgen mit den Arbeitgeberverbänden raushandeln, können in den allermeisten Arbeitsverträgen der Zeitarbeitsfirmen mit den übertariflichen Zulagen verrechnet werden, so dass von den Tariflohnerhöhungen in der Regel bei den Mitarbeitern genau 0% ankommt.

    Betrachtet man z.B. mal im Gegenzug die Entlohnung von Beamten, die ihr Geld schon zum Ende des Vormonats ausgezahlt bekommen und die allein wegen der Dienstaltersstufen schon durch das simple Älterwerden mehr Geld bekommen, die Lohnerhöhungen (durch Tarifübernahme) und die weiteren Vorteile wie Unkündbarkeit, keine Sozialversicherung, private Krankenversicherung, etc. noch nicht berücksichtigt, dann sieht man, wie unbemerkt die Schere zwischen Arm und Reich schon in der normalen Mittelschicht auseinandergeht.

     
  3. 3

    @pd Es ist wohl davon auszugehen, dass einer der Teilhaber im Hintergrund die Fäden gezogen hat.

     
  4. 2

    Geschichten dieser Art kenne ich zur Genüge, seitdem mein Bruder, der am Hauptzollamt Duisburg arbeitet, Unternehmen auf solche Dinge hin prüft.

    Normalfall ist bei solchen Unternehmen auch meistens, dass Leute, die dort arbeiten wollen, gefragt werden, ob sie nicht noch Leute kennen, deren Namen pro forma registriert wird, damit die Stundenanzahl über mehrere 450-Euro-Karten abgerechnet werden kann … dann könnten sie auch mehr arbeiten … oder dass Mehrarbeit über die Geringfügigkeitsgrenze hinaus schwarz mit Dumping-Stundenlohn bezahlt wird (was ja nichts wirklich Neues ist)

    „als selbstständige Unternehmer arbeitende Reinigungskräfte“ = Scheinselbstständigkeit

    Die Gelackmeierten sind am Ende zwar auch die Steuer- und Beitragszahler, aber vor allem auch die Leute, die auf diese Weise ausgebeutet werden

     
  5. 1

    „Der Chef klapperte einmal in der Woche seine Raststätten ab und sammelte Plastiktüten voller Münzgeld ein – im Schnitt sechshundert bis achthundert Euro pro Raststätte.”

    @ rd
    Bitte diesen Text nehmen und den anderen löschen, Danke
    —-

    „Gleichwohl pflegte S. einen bescheidenen Lebensstil. Er zahlte sich lediglich ein Geschäftsführergehalt in Höhe von 2000 Euro aus und lebt mit seiner Frau als Dauerbewohner auf einem Campingplatz in Elten, „das ist schön ruhig“.

    Ähm, wenn ich mal 10 Raststätten unterstelle die unter Vertrag stehen dann wären das ca. 30.000,-€ an Trinkgeld pro Monat für den Cheffe, unversteuert soweit ich weiß. Da kann man das zu versteuernde Geschäftsführer Gehalt natürlich bescheiden ansetzen.