Kultur, Kuhltur

Zwei Kunstwerke, eine Geschichte. Meine Geschichte.

Ich spiele leidenschaftlich gerne Basketball. Zumindest in meinem speziellen Fall ist dies eine so herrlich sinnlose Beschäftigung, dass es schon wieder Spaß macht. Würde man mich fragen, was noch sinnloser ist, müsste ich lange überlegen. Bis mir die vermutlich einzig richtige Antwort einfällt: Kunst. (Sex lassen wir mal außen vor.) Aber, um jetzt schokoladenstreuselweise adventsbesinnliche Gedanken über diesen Text zu verteilen, sind es nicht gerade solche Tätigkeiten, mit denen wir Menschen der effizienzgetriebenen Realität da draußen mutig die Stirn bieten?

Kürzlich veröffentlichte die FAZ einen Bericht, wie der aktuell gefragteste Künstler der Welt, Gerhard Richter, in seinen frühen Jahren in einem Vertrag mit seinem Galeristen eine Berechnungsformel für die Preise seiner Bilder festschrieb: „Bruttowert gleich Verkaufspreis eines Bildes ergibt sich aus folgender Formel: Höhe + Breite mal 10 = DM“. Das wäre schön, wenn der Wert, dem man Kunst beimisst, sich auf eine solch profane Formel gründen würde.

Und damit sind wir bei meinem Sonntag. Erst war ich in der Galerie K, Schlossstraße, deren Besitzer Johan Veen zu einer Ausstellungseröffnung eingeladen hatte. Zu sehen waren feine Zeichnungen seines Neffen Ghislain Veen, eines Kunststudenten aus Rotterdam, sowie Skulpturen von Josje Thissen, die meisten davon üppigste Frauentorsi. Flach sei langweilig, erklärte mir die Künstlerin dazu, sie sei statt dessen fasziniert von den spannungsvollen Rundungen, wie sie sich beispielsweise beim Aufblasen eines Luftballons ergäben. Muss man mehr sagen? Hängen blieb ich dann aber ganz woanders, bei einer „modernen Triumphgöttin“, deren Flügel aus einem eingeknickten Felgenschutz eines Fahrrades bestanden. Ein sehr schönes Werk, dachte ich da – aber eines, das zu schaffen holländische Gene voraussetzt, vermute ich.

Weiter ging es dann zur Hopfensackstege, wo der Klever Künstler Christoph Heek in sein „offenes Atelier“ geladen hatte. Heek, ein gelernter Arzt, der immer noch tageweise im Emmericher Hospital arbeitet, hat sich seit Jahren in der Hauptsache der Kunst verschrieben und mit seiner Schaffenskraft sowie profunden handwerklichen und technischen Kenntnissen eine beachtliche Zahl ebenso schöner wie verrätselter Werke geschaffen, von denen hier stellvertretend das Bild einer weidenden Kuh gezeigt werde. Es handelt sich um eine Fotografie, bei der das Licht sich nach dem Lochkamera-Prinzip durch den hauchdünnen Schlitz zwischen zwei Rasierklingen zwängen musste und dann reichlich desorientiert auf den Film knallte. Das verblüffende Ergebnis: eine Kuh, deren Form an Mataré erinnert und deren Unschärfe an Richter. Und so was Schönes direkt vor meiner Haustür!

Und so sei in diesem Zeiten, in denen die Menschen aus der schieren Angst heraus, selbst in ästhetischen Dingen „etwas Falsches“ zu kaufen, zu im Grunde ebenso risiko- wie seelenloser Kik-Kunst greifen, der Besuch dieser beiden Orte an der Schlossstraße und an der Hopfensackstege wärmstens empfohlen – gewissermaßen zur Rückbesinnung, wie immer dies nun auch zu verstehen ist.

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12 Kommentare

  1. 11

    Stimmt schon, Unschärfe im Bild kann und sollte man gestalterisch einsetzen.
    Einfach mal ausprobieren – falls keine Razor blade Kamera zur Hand tun es auch 2 Flaschen Scotch auf ex. Soooo schön kann Unschärfe sein. Prost!

     
  2. 10

    @Christoph Heek
    Sorry für die provozierende Frage und danke für die Antwort.
    So wird’s deutlich.
    Deine Erläuterung erklärt wunderbar die Beschränkheit unserer subjektiven Wahrnehmung.
    Dann spinnt man in Gedanken weiter, wie ein Adlerauge im Gegensatz zu unserem noch die Haarstruktur wahrnehmen würde, eine Schlange sähe die Kuh in infrarot und ein Maulwurf unschärfer als dein Foto…
    So wird die Rasierklingentechnik richtig spannend.
    Ich werd demnächst mal reinschauen.

     
  3. 9

    normalerweise erklärt man keine Kunst. Man kommt ja auch nicht auf die Idee, sich die Musik im Radio erklären zu lassen. Musikwissenschaftler könnten da bestimmt viel zu sagen, aber bei Musik kommt keiner auf die Idee. Da macht man Ohren und Herz auf und es erreicht einen oder eben nicht.

    Ich schreibe trotzdem mal ein paar Zeilen zu dem Foto respektive zu der ganzen Serie:

    Bei der Fotografie gibt es, anders als bei der Malerei oder der Zeichnung, immer eine physikalischer Verbindung zwischen der Realität (oder dem, was wir dafür halten) und dem FIlm/Chip, also zwischen Bild und Wirklichkeit.

    Ich habe statt eines Objektivs nur zwei Rasierklingen bei der Aufnahme verwendet, Das Resultat ist genauso real, wie das (scharfe Bild durch ein Objektiv erzeugte), was wir gemeinhin für das einzig Reale halten. Unsere „normale“ Wahrnehmung sieht nicht das, was ich hier zeige, aber es ist trotzdem genauso und gleichzeitig da. Die Rasierklingen verbiegen die Lichtstrahlen NICHT. Es ist sozusagen eine andere Auswahl als das Gewohnte.

    Wir haben ein Bedürfnis nach Klarheit und Erkenntnis, was in bestimmtem Maß auch biologisch sinnvoll ist. Wir sollten aber nicht so dumm sein und glauben, dass nur scharfes wahr ist. 😉

    Was Ralf geschrieben hat ist richtig. Ich habe hier mit fotografischen Mitteln belegt, das es die Formen, die Mataré gesehen/geschaffen hat, tatsächlich auch in der Realität gibt und sie nicht nur seiner Fantasie entspringen.

    Im übrigen mag ich das Foto einfach. Aber das kann jeder halten wie er will.

    Besuche im Atelier sind auf Absprache gerne möglich.

     
  4. 8

    Kein Quadrat, Christoph? Siehste!– „Atom Heart Mother“ hat ja als LP auch eine Klapp-Cover…

    Es gefällt mir jedenfalls. Ich muss mir das genauer anschauen kommen.

     
  5. 7

    Ich dachte schon, Ralfs Kamera wäre falsch eingestellt gewesen.
    Bei mir landen unscharfe Fotos im Papierkorrb.
    Kann mir bitte jemand, vielleicht der Künstler selbst, erläutern, worin der besondere künstlerische Wert dieses Fotos liegt.

     
  6. 6

    die Kuh von Atomic Heart Mother, hat ihr Hinterteil in der Mitte des Bildes und ihren Kopf rechts-mittig uns ist nicht am fressen…:-)
    hab die Platte schon Jahrzehnte…
    außerdem ist sie Schwarz-weiß und nicht nur schwarz!

     
  7. 5

    Der Künstler irrt sich hier sicher nicht.

    Die Kuh heißt mit Nachnamen Galloway und wohnt im niederländischen Ooijpolder nahe Nijmegen und Ubbergen,

    @Messerjocke: Hättest vielleicht mal aufs Foto klicken können. Dann hättest Du vielleicht gemerkt, dass das keineswegs ein quadratischer Schnitt ist sondern zur allenfalls zur äußerst seltenen Sorte der Breiterwiehochplattencover gehören könnte. Tut es aber nicht. 😉

     
  8. 4

    Der Künstler könnte sich trotzdem auch irren!

    Das ist doch eher, schon wegen des quadratischen Schnitts, ein LP-Schallplattencover– vielleicht dann bei genauerer Betrachtung aber doch „Atom Heart Mother“ von Pink Floyd!?