Kranenburgerin überlebte Beben in Nepal: »Menschen haben mir selbstlos und großherzig geholfen«

Linda Tervoort überlebte das Beben - und erlebte eine selbstlose Hilfsbereitschaft
Linda Tervoort überlebte das Beben – und erlebte eine selbstlose Hilfsbereitschaft

Linda Tervoort (23) war in Nepal, als die Naturkatastrophe das Land verwüstete. Nun ist sie wieder in Kranenburg und möchte den Menschen helfen, die ihr halfen

Als die Erde Linda Tervoort den Boden unter den Füßen wegriss, war die 23 Jahre alte Sonderpädagogik-Studentin 7000 Kilometer von ihrer Heimatstadt Kranenburg entfernt. Eben noch hatte sie aus dem Fenster der VHS-Schule in Bhaktapur geschaut, doch es blieb nicht einmal die eine Sekunde Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, warum plötzlich so viele Vögel am Himmel zu sehen waren.

In der folgenden Minute klammerte Linda Tervoort sich an nichts anderes als die Hoffnung zu überleben. In dem Klassenraum in der Schule waren die Tische festlich geschmückt, weil Linda und ihre drei Freundinnen am ersten Wochenende nach ihrer Ankunft in der 81.000-Einwohner-Stadt hätten lernen sollen die einheimische Spezialität Dal Bhat zuzubereiten. Doch zu dem Essen kam es nicht mehr. Am Samstag, 25. April, um 11:56 Uhr zerstörte ein Erdbeben das Land – und damit auch alle Pläne, die Linda Tervoort und ihre Freundinnen gehabt hatten.

Eigentlich wollten die vier Frauen an der VHS-Schule, die tatsächlich so heißt wie die Abkürzung für die Volkshochschulen, Nepalesen Deutsch beibringen – für die Menschen in dem Land ist die deutsche Sprache ein Sprungbrett für begehrte Auslandsaufenthalte. „Nachdem wir das Bachelor-Studium abgeschlossen hatten“, so die Kranenburgerin, „wollten wir als Freiwillige in einem fremden Land helfen.“

Über private Kontakte entstand die Verbindung zu der von einer österreichischen Auswandererin betriebenen Schule in Bhaktapur, einer malerischen Stadt mit 172 Tempeln und 32 zur allgemeinen Erbauung angelegten Teichen.

Eine Woche zuvor waren die vier Freundinnen in dem asiatischen Staat angekommen, und alles schien sich wie ein traumhafter Auslandsaufenthalt zu entwickeln. Am Samstagvormittag waren die vier jungen Frauen gemeinsam mit zwei Mitarbeitern der Schule in der 16 Kilometer von Kathmandu entfernt gelegenen Stadt unterwegs, um die Zutaten für das Nationalgericht einzukaufen, kurz vor Mittag waren sie in dem Schulgebäude angelangt und wollten anfangen zu kochen.

Dann kam das Beben.

„Das Gebäude hat so gewackelt, dass es eigentlich hätte umstürzen müssen“, erinnert sich Linda. Endlose Sekunden lang stellte sie sich mit ihren Freundinnen an eine Innenwand und hoffte, das Schlimmste möge nicht passieren. Irgendwann hörten sie Rufe in englischer Sprache, „Get out, get out!“, und sie rannten heraus.

Draußen bebte es weiter, hinterher vermeldeten die Weltnachrichten, ein Beben der Stärke 7,9 auf der nach oben offenen Richter-Skala habe den Staat am Himalaya erschüttert, und seitdem erreichen uns Bilder von verzweifelten Menschen und zerstörten Städten, und die Zahl der gemeldeten Todesopfer steigt von Tag zu Tag.

Es ist ein Leid, das von Kleve weit entfernt ist, auch wenn an der Hochschule Rhein-Waal Studenten aus Nepal studieren, die übrigens der Opfer in ihrer Heimat mit einer kleinen Trauerfeier gedachten.

An dem Tag, als in Nepal die Erde bebte, war das Topthema im Lokalteil der Rheinischen Post der geplante Umbau des Bahnhofsvorplatzes. kleveblog schrieb über eine Sitzung des Klever Sozialausschusses. Linda Tervoort versuchte derweil, eine Art Alltag zu sichern – Essen, Trinken, Unterschlupf. Mit ihren Freundinnen, anderen Freiwilligen und der Schulleiterin fand sie für die erste Nachte eine Schlafstatt in einem freien Feld, weit genug entfernt von Häusern, die umstürzen könnten. „Dauernd erschütterten Nachbeben den Boden“, so die Kranenburgerin.

Zum Glück gelang es frühzeitig, per Mobiltelefon alle Eltern zu erreichen und ihnen die Nachricht zu übermitteln, dass man wohlauf sei. Über eine Whatsapp-Gruppe tauschten die Eltern sich in den kommenden Tagen aus – während ihre Töchter in Nepal immer darauf bedacht waren, die Akkus der Mobiltelefone zu schonen. Aufladen war angesichts eines totalen Stromausfalls nicht mehr möglich.

Schlafstatt im Freien: Linda Tervoort (l.) und andere Freiwillige am improvisierten Nachtlager auf einem Feld (Foto: privat)
Schlafstatt im Freien: Linda Tervoort (l.) und andere Freiwillige am improvisierten Nachtlager auf einem Feld (Foto: privat)

Als auf dem Acker klar wurde, dass die Decken nicht ausreichten, um allen genug Wärme in der kalten Nacht zu bieten, beschlossen die Freundinnen, aus ihrem Wohnhaus weitere Decken zu holen. „Wir rannten rein, holten Decken und Schlafsäcke und unsere Ausweise und rannten wieder raus“, so Linda Tervoort. Das Haus hielt, aber die Erde bebte unablässig weiter.

In den nächsten beiden Nächten fanden sie gemeinsam mit Nepalesen Unterschlupf unter einem provisorischen Zelt. Als dauernde Regenfälle die Unterkunft komplett unter Wasser gesetzt hatten, trauten sich die vier Frauen in eine Garage, in der sie die Nacht verbrachten – bei offenem Tor, um möglichst schnell ins Freie flüchten zu können.

Fünf Tage lebten die Studentinnen in Notunterkünften, bevor sie die Rückreise in die Heimat antreten konnten – in einem Flugzeug, das zur allseitigen Überraschung nur zu zwei Dritteln gefüllt war. In diesen Tagen erfuhren sie eine unglaubliche Hilfsbereitschaft und Fürsorge.

„Die Menschen in Bhaktapur kamen den anderen Freiwilligen und mir immer großherzig und selbstlos entgegen“, so Linda Tervoort. „Obwohl viele von ihnen berichteten, dass ihr Haus komplett zerstört sei und sie Familienmitglieder vermissten, galt ihre Sorge immer auch uns. Ständig erkundigten sie sich, wie es uns geht und ob wir etwas zu essen oder zu trinken benötigen. Wir waren völlig überwältigt von dieser Lebenseinstellung und fühlten uns trotz der unvorstellbaren und katastrophalen Bedingungen immer gut aufgehoben.“

Seit dem 1. Mai ist Linda Tervoort wieder in Sicherheit, in Deutschland, in einem Land mit so vielen Annehmlichkeiten, die einem plötzlich gar nicht mehr so selbstverständlich erscheinen. Doch in Kranenburg sind ihre Gedanken bei den Menschen in 7000 Kilometer Entfernung, die ihr in der Not geholfen haben, und denen sie nun etwas davon zurückgeben möchte. Tervoort: „Die Bedingungen dort sind katastrophal. Den Menschen fehlt es an Wasser, Essen, Kleidung und Medikamenten. Ich bitte alle darum, den Menschen, die mir so großzügig, selbstlos und offen begegnet sind, zu helfen und zu spenden.“

Spendenkonto Nepalhilfe

Inhaberin des Spendenkontos ist die Österreicherin Inge Patsch, Leiterin der VHS in Bhaktapur. Sie und ihr Mann Saroj kümmert sich darum, dass die Spenden schnellstmöglich dort ankommen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Freiwillige, in erster Linie Mitarbeiter der Schule, kümmern sich in der Stadt und in weiteren Ortschaften um die Bestandsaufnahme und die Verteilung von Hilfsgütern, sie leisten für die Mitglieder der Schule bei direkter Betroffenheit Soforthilfe und sie kümmern sich um Notunterkünfte und den Wiederaufbau. Auf der Facebookseite https://www.facebook.com/nepalhilfevhs können Spender mitverfolgen, wofür die Gelder verwandt werden.

Bankverbindung:

Kontoinhaber: Nepalhilfe
IBAN: AT 42 2040 2000 0010 2616
BIC: SPMIAT21 – Sparkasse Bramberg/Mitttersill (Österreich)

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4 Kommentare

  1. 3

    Ich möchte auch auf die Privatinitiative der Berlinerin Ann-Carolin Helmreich hinweisen, die als Touristin nach Nepal kam und dann mit einigen Anderen, auch Einheimischen, spontan die Aktion „Hilfe für Nepal“ gründete. Mit dem gespendeten Geld wird vor allem Menschen in entlegenen Gebieten schnell und unbürokratisch geholfen. Im ZDF-„heute Journal“ wurde heute gezeigt, wie Ann-Carolin Reis etc. in einem Bergdorf verteilte. Den Menschen dort waren zwei Tage vorher die Lebensmittel ausgegangen.

    https://www.facebook.com/Hilfenepal

    http://www1.wdr.de/fernsehen/aks/themen/interview-mit-nepal-helferin-100.html

     
  2. 1

    Es ist schon ein seltsames Phänomen. Menschen bekriegen sich immer wieder, sie streiten und in sozialen Netzwerken verhalten sich einige eher asozial. Aber wenn es Katastrophen gibt, rücken Menschen zueinander.