Handys sind die neuen Brötchen: Anmerkungen zur Neusortierung der Innenstadt

 Viele Medienmacher denken, ohne Photoshop ist heute keine Infografik mehr möglich. Pah!
Viele Medienmacher denken, ohne Photoshop sei heute keine Infografik mehr möglich. Pah!

(Jetzt mit korrigiertem Juwelierumzug) Da schaut unsereins mal eine halbe Stunde nicht genau hin, und schon bleibt kein Stein auf dem anderen. Insbesondere kein Edelstein. Wie zu hören ist, hat der Juwelier neben Reffeling eine Immobilie in der Hagschen Straße gekauft und die beiden Mieter wegen Eigenbedarfs gekündigt – der Beginn einer großen Einzelhandelsrochade.

Änderungsschneider Dennis, seit vielen Jahren in dem Gebäude beheimatet, zog ein paar Häuser stadtabwärts – in einem Teil des leer stehenden Ladenlokals, in dem bis vor wenigen Wochen ein Fahrradhändler ansässig war. Sein Slogan ist geblieben: „Qualität ist meine beste Reklame“. Man muss nicht immer teure Werbeagenturen beschäftigen.

Der daneben wirkende Hundebedarfshändler, gerade erst dem Spoy-Center entronnen, musste ebenfalls seine Sachen packen, worüber er nicht sonderlich erfreut war. Doch es ist ein Glück, dass in Kleve Knochen und Rinderlunge („der leichte Snack für zwischendurch“) besser gehen als Frauenbekleidung. So gab Biggy Cornelissen ihr Modegeschäft Bi hip in der Gasthausstraße, gegenüber der Zentrale, nach nur neun Monaten wieder auf. Die freigewordenen Quadratmeter eroberte Natur und Hund, so dass Hundebesitzer nun auch in der Unterstadt ihren Lieblingen das Beste zukommen lassen können. Die Boutique Loris, ebenfalls in der Gasthausstraße, macht ebenfalls dicht, der finale Sale dauert nun gefühlt schon ein Vierteljahr.

Nach einem Vierteljahrhundert wiederum hat eine treue Seele der Großen Straße, die Boutique Pupille, ihre Geschäftstätigkeit eingestellt. Es wird nicht leichter für die Damenwelt, sich in der Stadt eine ansprechende Fassade zuzulegen. Die Pupille-Schließung allerdings nutzte Optiker Uwe Pohland, um sein durch einen Wasserschaden verheertes Ladenlokal in der Gasthausstraße aufzugeben und eine deutlich bessere Lage in der Großen Straße zu erobern. Die Eröffnung soll laut Schaufenster-Beschriftung „ca. am 15.9.“ sein, was zumindest für den heutigen Tag umgeändert werden könnte in: „ganz sicher nicht am 15.9.“ Aber vielleicht passt ja schon der 16. September.

Doch zurück zu den Juwelen: Der Juwelier Fine Art streicht in der Hagschen Straße die Segel, den Prozentzeichen nach zu urteilen, werden die Edelsteine mittlerweile zu den Konditionen von Kieselsteinen angeboten. Da fügt es, dass in der Großen Straße Kollege Mentze die Tore geschlossen hat Um Platz zu machen für – einen Juwelier. Heimisch wird dort der Inhaber von Fine Art, der in besserer Lage und unter eigenem Namen sein Geschäft fortführt: Knittel. Vorher war übrigens in dem gleichen Ladenlokal ein Juwelier namens Christ, und davor ein Juwelier namens Wempe (wenn ich mich recht entsinne). Deshalb ein Vorschlag zur Güte: Warum nicht einfach den Warenbestand weiterreichen und lediglich die Namensschilder austauschen?

Ausverkaufsstimmung herrscht in der Neuen Mitte: Das Einrichtungshaus, das einem ohnehin schon das Gefühl vermittelt, alles zum halben Preis zu verkaufen, gewährt jetzt auf seinen Bestand im dritten Geschoss weitere Rabatte. Das berühmte „Alles muss raus!“ stimmt in diesem Fall wirklich, weil der Eigentümer plant, die Gewerbefläche in Wohnraum zu verwandeln. Da sind die Einnahmen vermutlich sicherer. Prozente gewährt auch der Kikkonkurrent NKD in der Hagschen Straße, doch bei aller Freude über die nahezu perfekte Beherrschung der Druckfunktion von Microsoft Word sei das Personal darauf hingewiesen, die Grammatik nicht zu vernachlässigen:

Ich kaufe ein N
Ich kaufe ein N

Deutlich dunkler geworden ist es an der Linde: Das Sonnenstudio McInn hat sich mit dem Sommer zusammengetan und Abschied genommen. Nun gibt es in der Stadt nur noch eine Möglichkeit, die Haut künstlich zu rösten – im Holiday Sun am Brücktor.

Zur Abrundung dieses Überblicks sei noch darauf hingewiesen, dass in der immer noch ein bisschen alternativen Herzogstraße – Seifenblase, Antiquar van Bebber – so nach und nach die Moderne Einzug hält. Zunächst eroberte ein Handy-Geschäft die ehemalige Backstube Voss, seit kurzen ist auch unübersehbar, dass in den Eckhaus – ehemals Kleve Marketing – ebenfalls ein Fachgeschäft für Mobiltelefone einzieht. Handys sind die neuen Brötchen.

Terminhinweis: Samstag ab 10 Uhr: Handwerkermarkt in der Kavarinerstraße!

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17 Kommentare

  1. 16

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    Der sensible Mensch leidet nicht aus diesem oder jenem Grunde, sondern ganz allein, weil „nichts” auf dieser Welt seine Sehnsucht stillen kann. (keine Brötchen, keine Handys)

    Jean-Paul Sartre

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  2. 15

    Was für eine schöne Geschäftsidee und das, hallo, in dem konservativen Kleve. Es gibt noch Zeichen und Wunder. Ein gepflegtes Herren Sortiment steht zur Debatte, für kleine Kohle,wer auf der Suche nach einem Partner ist kann bei 20 % ,evtl noch mit Luft nach unten, einen geilen Schnapper machen. Wie schön.

     
  3. 14

    ” Eating is the new Shopping. ”

    Den Eindruck hab ich auch. Glaube, dass ist eine Art Kompensation. Die Welt wird als unsicher wahrgenommen, viele Veränderungen, Arbeitswelt 4.0, die Leute machen keine Ausflüge mehr, sondern gehen shoppen, was aber auch nicht mehr reicht. Dann shoppen und essen, auf der Suche nach einem seelischen Nährwert, der kaum noch irgendwo zu haben ist. Schon gar nicht im Internet. Für den man eigentlich selber sorgen sollte und vor allem kann. Muss jeder selber wissen, aber diese Leere, die viele Menschen empfinden, wird einfach zu oft mit den falschen Dingen gefüllt. Und wenn`s nicht greift, was die Leute ja unbewusst merken, wird mehr geshoppt und mehr gegessen, aber das Resultat ändert sich nicht. Das ist wie mit der Haribo Colorado Tüte, man muss immer mehr essen, um am Ende festzustellen, dass es nicht besser wird, sondern im Gegenteil. So funktioniert übrigens jede Sucht. Immer mehr, weil die Wirkung nicht mehr reicht. Mir kommt die Colorado-Tüte nicht mehr ins Haus.

     
  4. 13

    ### Handys sind die neuen Brötchen. ###
    ” Eating is the new Shopping. ”
    war einer der LehrSätze bei einem Seminar Ende Juni
    über die Frage
    ” Braucht der Handel die Stadt noch ? ”

    Fazit :
    Beträchtliche Teile des Handels verlagern sich insbesondere ins InterNet;
    in den Städten wird auf Dauer immer weniger EinzelHandel übrigBleiben;
    nur 1A-Lagen haben eine Chance, weitGehend mit Läden besetzt zu bleiben;
    alle übrigen Lagen werden absterben;
    FußGängerZonen müssen verkleinert werden.

    Gerade Städte von der Größe Kleve`s
    werden nicht mehr vor allem deshalb besucht,
    weil sie so tolle Geschäfte bieten.
    Statt dessen wird immer bedeutender,
    welche AufenthaltsQualität sie bieten.

    ” Eating is the new Shopping. ”
    beschreibt eine Auswirkung davon :
    Die Läden sind häufig leer
    während die (Außen)Gastronomie gut besucht ist.

    Das ist seit ca. 2 Jahren in sehr vielen Städten zu beobachten
    – quer durch die ganze BRD.
    Wer es sich leisten kann, geht nicht mehr shoppen
    sondern genehmigt sich einen Schoppen.

    Lehre des Seminars :
    Auch die Gastronomie alleine reicht nicht,
    um Städte lebendig zu halten.

    Wichtig ist, daß StadtGestaltung, HausBesitzer, Gastronmie und Handel zusammenArbeiten.

    Die Stadt muß als ganzes attraktiv sein.

     
  5. 9

    Leider ist der Bereich mit den Juwelieren so nicht korrekt. Da hat sich wohl jemand nicht gut vorbereitet. Schade der Rest ist sehr gut.

     
  6. 5

    #

    Ums Paradies ging eine Mauer
    Hübsch hoch vom besten Marmelstein.
    Der Kain, als ein Bub, ein schlauer,
    Denkt sich: Ich komme doch hinein.

    Er stieg hinauf zu diesem Zwecke
    An einer Leiter mäuschenstumm.
    Da schlich der Teufel um die Ecke
    Und stieß ihn samt der Leiter um.

    Der Vater Adam, ders gesehen,
    Sprach, während er ihn liegen ließ:
    Du Schlingel! Dir ist recht geschehen.
    So kommt man nicht ins Paradies

    #Wilhelm Busch… So nicht

     
  7. 3

    #

    Wer andern gar zu wenig traut,
    Hat Angst an allen Ecken;
    Wer gar zu viel auf andre baut,
    Erwacht mit Schrecken.

    Es trennt sie nur ein leichter Zaun,
    Die beiden Sorgengründer;
    Zu wenig und zu viel Vertraun
    Sind Nachbarskinder.

    # Wilhelm Busch….Die Nachbarskinder

     
  8. 2

    Alles wird durch bestimmte Gelder gefördert…….Stadthallenumfeld, E-Radschnellweg nach Nimwegen,………nur die Menschen verlieren ihren sozialen Status.

     
  9. 1

    Gut dass die Stadt so schludrig handelte und der Versicherer somit zahlen mußte. Sontoklowski, wäre er dann gekommen, hätte der Innenstadt den Todesstoß versetzt.
    Wie sich dann gewisse Großsprecher mit Spoycenter- und Sontowski Leerständen verbal verhalten hätten, nicht auszudenken.